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Erscheinung:16.08.2021 | Thema Solvabilität Latente Steuern: Versicherer müssen Werthaltigkeit nach Stress nachweisen – eine doppelte Herausforderung

Latente Steuern können Eigenmittelverluste mindern – nämlich dann, wenn sie sich in einem Stressszenario verändern. Entstehen dabei aktive latente Steuern, müssen Versicherer hierfür einen Werthaltigkeitsnachweis nach Stress vorlegen. Keine leichte Übung, wie die BaFin festgestellt hat.

Aktive und passive latente Steuern können einen Verlust von Eigenmitteln mindern, der infolge eines Stressszenarios eintritt, das ein Versicherer der Berechnung seiner Solvabilitätskapitalanforderung unter Solvency II zugrunde legt. In diesem Kontext tritt eine verlustmindernde Wirkung ein, indem sich die passiven latenten Steuern vermindern, die aktiven latenten Steuern erhöhen oder beides gleichzeitig erfolgt. Dieser Effekt, auch als „Verlustausgleichsfähigkeit latenter Steuern“ bekannt, wird bei der Berechnung der Solvabilitätskapitalanforderung (Solvency Capital RequirementSCR) reduzierend berücksichtigt – und zwar in der Standardformel gemäß § 108 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) in Verbindung mit Artikel 207 der Delegierten Verordnung (EU) 2015/35 (DVO) zur Solvency-II-Richtlinie.

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Ein Artikel in der Juni-Ausgabe des BaFinJournals befasst sich mit den Grundlagen der Ermittlung latenter Steuern. Es geht darin um die allgemeinen Anforderungen an einen Werthaltigkeitsnachweis für aktive latente Steuern mit Blick auf die Solvabilitätsübersicht.

Analog zur Solvabilitätsübersicht muss der Versicherer für die Berücksichtigung der Verlustausgleichsfähigkeit latenter Steuern einen Werthaltigkeitsnachweis für die aktiven latenten Steuern erstellen – allerdings mit der Besonderheit, dass dieser auf eine Situation nach Stress abstellt.

Werthaltigkeit auf Basis einer Prognoserechnung

Die dazu erforderliche Werthaltigkeitsprüfung erfolgt auf der Grundlage einer Prognoserechnung – und zwar unter den Bedingungen eines adversen Eins-in-200-Jahren-Verlustereignisses in Bezug auf die Eigenmittel. Die in der Juni-Ausgabe des BaFinJournals beschriebenen Vorgaben für den Werthaltigkeitsnachweis für den Zweck der Solvabilitätsübersicht werden auf den Werthaltigkeitsnachweis in der Nach-Stress-Situation übertragen. Dies gilt grundsätzlich unabhängig davon, ob ein Unternehmen seine Solvabilitätskapitalanforderung mit der Standardformel oder einem internen Modell bestimmt.

Die Festlegung auf eine hypothetische Nach-Stress-Situation stellt eine erhebliche zusätzliche Unsicherheit in der Herleitung zukünftiger zu versteuernder Gewinne dar. Das ist im Vergleich zur klassischen Rechnungslegung eine komplett neue Facette unter Solvency II, für die Versicherer die Prozesse der Rechnungslegung, der Steuerberechnung, der internen Planungsprozesse und des Risikomanagements verzahnen müssen. Der Werthaltigkeitsnachweis nach Stress ist daher schwerer zu führen als der für die Zwecke der Solvabilitätsübersicht und sollte folglich vorsichtiger ausgerichtet sein. Aufgrund der großen Unsicherheit und der entsprechend hohen Anforderungen an den Werthaltigkeitsnachweis, aber auch wegen des erhöhten Aufwands, besteht ein vorsichtiger und aus Sicht der BaFin sinnvoller Ansatz in der Regel darin, in der Nach-Stress-Situation die Verlustausgleichsfähigkeit latenter Steuern auf die Höhe eines etwaigen Überhangs der passiven über die aktiven latenten Steuern in der Solvabilitätsübersicht zu begrenzen. Vereinfacht ausgedrückt wird die reduzierende Wirkung der latenten Steuern auf das SCR damit auf den Betrag begrenzt, der aus heutiger Sicht, das heißt vor Stress, vom Versicherungsunternehmen in zukünftigen Perioden zu versteuern wäre. Darüber hinausgehende Beträge in Form künftiger Steuerentlastungseffekte würden dann nicht angerechnet.

Ausgangspunkt ist die Situation nach Stress

Eine zentrale Prämisse in der Nach-Stress-Betrachtung ist es, keine Annahmen zu unterstellen, die für das Unternehmen vorteilhafter sind als die, die in der Solvabilitätsübersicht getroffen werden. Ausgangspunkt sind die Bedingungen nach Stress, also in einem Eins-in-200-Jahren-Verlustereignis, die regelmäßig eine ökonomisch schwierige Situation erwarten lassen. Der Nachweis der Werthaltigkeit nach Stress erfordert daher eine tiefergehende Auseinandersetzung mit den möglichen Verlustszenarien und ihren Verlustquellen.

Es ist aus Sicht der BaFin unangemessen, wenn ein Versicherer pauschal davon ausgeht, dass ein Verlustszenario die ganze Branche zur selben Zeit und in gleicher Weise betrifft und sich die Branche im Anschluss kurzfristig wieder erholt. Die Ursachen eines Verlusts können in einer Marktentwicklung begründet liegen, sich aber auch aus dem spezifischen Risikoprofil des Unternehmens ergeben, also idiosynkratrischer Natur sein. Diese Differenzierung hat insbesondere Folgen für die im Rahmen des Werthaltigkeitsnachweises zu treffenden Annahmen, etwa zum Umfang des Neugeschäfts oder für die Fähigkeit, die Preise von Versicherungsverträgen anzupassen.

Unternehmensfortführung nach Stress sicherstellen

Um einen Werthaltigkeitsnachweis nach Stress führen zu können, muss zunächst die Unternehmensfortführung in einer solchen für das Unternehmen erschwerten wirtschaftlichen Situation sichergestellt sein. Andernfalls gibt es keine ausreichenden zukünftigen steuerpflichtigen Gewinne, mit denen die latenten Steuerforderungen aufgerechnet werden können. Die Werthaltigkeit der aktiven latenten Steuern wäre nicht mehr gegeben.

Zum Nachweis der Unternehmensfortführung sollten die Unternehmen plausibel und quantitativ fundiert darlegen können, dass die aufsichtsrechtlichen Kapitalanforderungen nach Stress erfüllt sind. Unternehmen mit einer geringen Bedeckung der Solvabilitäts- oder der Mindestkapitalanforderung (Minimum Capital Requirement – MCR) vor Stress sollten besonders vorsichtig sein und beispielsweise – wie oben erwähnt – die Verlustausgleichsfähigkeit latenter Steuern auf die Höhe des Überhangs der passiven über die aktiven latenten Steuern in der Solvabilitätsübersicht begrenzen.

Erhöhte Unsicherheit nach Stress berücksichtigen

Die Versicherer sollten der erhöhten Unsicherheit der zukünftigen zu versteuernden Gewinne in der Nach-Stress-Betrachtung gebührend Rechnung tragen, indem sie diese nur mit angemessenen Abschlägen anrechnen. Das gilt insbesondere für die Unsicherheit der über den Zeitraum der unternehmerischen Planungsrechnung hinausgehenden Gewinne. Dabei ist zu erwarten, dass die Abschlagsfaktoren in der Nach-Stress-Betrachtung regelmäßig höher sind als in der Bewertung für die Zwecke der Solvabilitätsübersicht. Setzt ein Unternehmen aktive latente Steuern in der Solvabilitätsübersicht und in der Nach-Stress-Betrachtung an, so muss es sicherstellen, dass Gewinne nicht in beiden Werthaltigkeitsnachweisen verwendet werden und mithin keine Doppelzählung erfolgt.

Dass für den Werthaltigkeitsnachweis nach Stress besonders hohe Maßstäbe anzulegen sind, hat der Gesetzgeber für Unternehmen, die ihre Solvabilitätskapitalanforderung nach Solvency II mit der Standardformel berechnen, durch die Anpassung der Delegierten Verordnung unterstrichen. Seit dem 1. Januar 2020 gelten nach Artikel 207 der neuen Delegierten Verordnung (EU) 2019/981 zusätzliche hohe Anforderungen an den Werthaltigkeitsnachweis, wie beispielsweise eine explizite Begrenzung der Neugeschäftsjahre.

Zusätzliche Anforderungen an Unternehmen, die Übergangsmaßnahmen anwenden

Wendet ein Versicherer die Solvency-II-Übergangsmaßnahmen nach § 351 oder § 352 VAG an, so ist auch die Situation von aufsichtlichem Interesse, in der das Unternehmen ohne Anwendung der Übergangsmaßnahmen wäre. Diese wird auch im quantitativen Berichtsformular S.22.01 an die Aufsichtsbehörde übermittelt und im Solvabilitäts- und Finanzbericht (Solvency and Financial Condition Report SFCR) veröffentlicht.

Durch den Wegfall der Übergangsmaßnahmen ändert sich die Höhe der passiven latenten Steuern in der Regel maßgeblich. Bei der Übergangsmaßnahme nach § 352 VAG erhöht der Anpassungsbetrag für die versicherungstechnischen Rückstellungen die Eigenmittel nur anteilig, der übrige Teil entfällt auf eine Erhöhung der passiven latenten Steuern. Ein Unternehmen, das mit Anwendung der Übergangsmaßnahme in der Solvabilitätsübersicht noch einen Überhang der passiven über die aktiven latenten Steuern auswies, kann ohne Übergangsmaßnahme in die Situation kommen, einen Überhang aktiver latenter Steuern vorzuweisen. Auch die Nach-Stress-Situation kann sich entsprechend wesentlich verändern.

Auch bei der Berechnung der aktuellen Solvenzposition ohne Anwendung der Übergangsmaßnahmen sind die oben skizzierten Vorgaben an den Werthaltigkeitsnachweis – in der Solvabilitätsübersicht wie auch nach Stress – zu berücksichtigen und entsprechend im aufsichtlichen Berichtswesen darzulegen. Hierbei sollten die Versicherer ebenfalls vorsichtig vorgehen, etwa indem sie in der Situation nach Stress die Verlustausgleichsfähigkeit latenter Steuern auf die Höhe eines etwaigen Überhangs der passiven über die aktiven latenten Steuern in der hypothetischen Solvabilitätsübersicht ohne Berücksichtigung der Übergangsmaßnahmen begrenzen. Was die Wahl eines ausreichend vorsichtigen Ansatzes und die Werthaltigkeitsnachweise in der Situation ohne Übergangsmaßnahmen angeht, sieht die BaFin bei vielen Unternehmen noch Nachholbedarf.

Die BaFin hat sich bereits in der Februar-Ausgabe des BaFinJournals mit den Fortschrittsberichten beschäftigt, die Versicherer im Übergangszeitraum vorlegen müssen. Dabei wurde auch der Ansatz aktiver latenter Steuern im Übergangszeitraum thematisiert, um sicherzustellen, dass die Unternehmen den Übergang auf Solvency II auch unabhängig von der Existenz aktiver latenter Steuern und einem hierfür erforderlichen erfolgreichen Werthaltigkeitsnachweis meistern können.

Berichterstattung bisher wenig aussagekräftig

Die Berichterstattung an die BaFin im ORSA-Bericht (Own Risk and Solvency Assessment – unternehmenseigene Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung) und im regelmäßigen aufsichtlichen Bericht (Regular Supervisory Report – RSR) über die Ermittlung latenter Steuern bzw. den Werthaltigkeitsnachweis ist häufig zu knapp und wenig aussagekräftig. Es ist nicht ausreichend, wenn Versicherer nur über das Ergebnis des Werthaltigkeitsnachweises berichten. Gerade dann, wenn die aktiven latenten Steuern in der Solvabilitätsübersicht oder im Rahmen der Verlustausgleichsfähigkeit latenter Steuern für die Solvenzposition sehr maßgeblich sind, ist eine detailliertere Erläuterung notwendig.

In ihren „Hinweise(n) zum Solvency-II-Berichtswesen für Erst- und Rückversicherungsunternehmen sowie Versicherungsgruppen “ zum Berichtswesen zeigt die BaFin die generellen Vorgaben zur Berichterstattung auf. Die Aufsicht erwartet demnach eine Berichterstattung über die Durchführung von Werthaltigkeitsnachweisen im regelmäßigen aufsichtlichen Bericht – und zwar im Abschnitt zur Bewertung für Solvenzzwecke. Hier sollten Versicherer ihr grundsätzliches Vorgehen darlegen, also zum Beispiel erläutern, welche Gewinnquellen sie berücksichtigen und in welcher Weise sie der Unsicherheit der Prognoserechnung mit steigendem Zeithorizont Rechnung tragen.

Im ORSA-Bericht sollten sie die durchgeführte Werthaltigkeitsprüfung dann konkret darstellen. Dabei sollen sie vermeiden, Angaben aus dem regelmäßigen aufsichtlichen Bericht zu wiederholen. Anzugeben ist nicht nur, in welchem Umfang aktive latente Steuern bei den Prognosen der zukünftigen Solvenzposition berücksichtigt wurden. Die Unternehmen müssen auch darauf eingehen, welche wesentlichen Annahmen sie getroffen haben. In der Nach-Stress-Situation sollten sie darüber hinaus auch den betrachteten Verlust und die Unternehmenssituation inklusive der Angaben zur Solvenzposition nach Stress darlegen, um darzustellen, warum es in der Nach-Stress-Situation weiterhin möglich ist, zukünftige Gewinne zu erwirtschaften.

Verfasst von

Beate Hannemann
Eckart Nill
Stephan Schmitz
Dr. Filip Uzelac-Schüler
BaFin-Geschäftsbereich Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht

Hinweis

Der Beitrag gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im BaFinJournal wieder und wird nicht nachträglich aktualisiert. Bitte beachten Sie die Allgemeinen Nutzungsbedingungen.

Zusatzinformationen

BaFinJournal 08/2021 (Download)

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