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Symbolfoto © BaFin / Armin Hoehner

Erscheinung:14.05.2021 Versicherungsaufsicht in schwierigen Zeiten

Ein wichtiges Urteil, die COVID-19-Pandemie, drohendes Ungemach aus dem Solvency-II-Review und Provisionsdeckel: Die Themen der 10. Jahreskonferenz der Versicherungsaufsicht waren anspruchsvoll. Das Format: pandemiebedingt digital.

Dr. Frank Grund ist offenbar um eine Sorge ärmer. Nämlich die, dass das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ein Urteil fällen könnte, das seinen Geschäftsbereich, die Versicherungsaufsicht der BaFin, stark beschränken würde. Und das ausgerechnet am 21. April, dem Tag der 10. Jahreskonferenz.

Bei der Konferenz, die aus Pandemiegründen aus einem Studio übertragen wurde, hatte Grund noch die Befürchtung geäußert, dass die Versicherungsaufsicht eine „wesentliche Rechtsgrundlage“ verlieren könnte: § 294 Absatz 2 Satz 2 des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG), die „Generalklausel der Versicherungsaufsicht zum Schutz der Versicherten“. Das Bundesverwaltungsgericht hat – nur wenige Stunden später – anders entschieden.

Es hat entschieden, dass die im VAG geregelte Aufsicht der BaFin über Erstversicherungsunternehmen sich auf die Wahrung der Belange der Versicherten bei der Bearbeitung von Beschwerden erstrecke. Es handele sich um eine Rechtspflicht der Versicherungsunternehmen, die ihr Verhältnis zu den Kunden ausgestalte und in zahlreichen verbraucherschützenden Vorschriften konkretisiert sei. „Einer hierauf bezogenen Aufsicht steht weder das Unionsrecht noch das nationale Verfassungsrecht entgegen“, heißt es in der Pressemitteilung des Gerichts.

Klage gegen BaFin-Sammelverfügung

Hintergrund der Verhandlung in Leipzig: Die BaFin hatte mit einer Sammelverfügung angeordnet, dass alle zum Geschäftsbetrieb zugelassenen Erstversicherer jedes Jahr zum 1. März einen Beschwerdebericht einzureichen hätten. Dagegen hatten österreichische Versicherungsunternehmen, die in Deutschland Erstversicherungen anbieten, geklagt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ging es um die Revision der BaFin gegen das vorinstanzliche Urteil zu dieser Sammelverfügung. Vorinstanzen hatten diese Sammelverfügung, die seinerzeit mit eben jenem § 294 Absatz 2 Satz 2 VAG begründet worden war, für rechtswidrig erklärt. Der Verwaltungsgerichtshof Kassel hatte argumentiert, diese Missstandsaufsicht gehöre zu den vollharmonisierten Bereichen unter Solvency II. Ein Bezug auf die im deutschen VAG verankerte „ausreichende Wahrung der Belange der Versicherten“ war für den Gerichtshof damit nicht mehr möglich.
Exekutivdirektor Grund ist verhalten optimistisch: „Wir kennen das Urteil und die Begründung zwar noch nicht, aber so viel lässt sich wohl sagen: Der Versicherungsaufsicht wird ihre traditionell zentrale Ermächtigungsgrundlage nicht genommen. Wir bleiben also weiterhin in unserem Aufsichtshandeln flexibel und können – etwa mit solchen Sammelverfügungen – auf neue Entwicklungen reagieren. Alles andere hätte bei einem prinzipienbasierten Regime wie Solvency II auch keinen Sinn. Solvency II verkörpert diese Art von Flexibilität.“

Pensionskassen und Lebensversicherer unter Druck

Eine weitere Sorge Grunds lässt sich nicht per Gerichtsbeschluss beseitigen: Zwar hätten sich nach Ausbruch der Corona-Pandemie die Aktienmärkte relativ schnell wieder beruhigt und die Stornos bei den Lebensversicherern seien Ende 2020 wieder zurückgegangen, räumte er ein. Auch bei der Liquidität habe die BaFin bislang keine Fehlentwicklungen beobachtet. Doch für Entwarnung ist es nach Ansicht des Exekutivdirektors zu früh. „Wir wissen nicht, wie sich die Pandemie weiterentwickelt und wie schnell sich die nationale und internationale Realwirtschaft erholt“, gab Grund bei der Jahreskonferenz zu bedenken und erinnerte daran, dass COVID 19 die größte Herausforderung für Pensionskassen und Lebensversicherer verfestigt habe: das Niedrigzinsumfeld. 2020 haben rund 30 Pensionskassen finanzielle Unterstützung von ihren Trägerunternehmen oder Aktionären erhalten. In wesentlich mehr Fällen ist Hilfe für die Zukunft fest zugesagt oder in Aussicht gestellt worden. „Es bleibt aber abzuwarten, wie leistungsfähig die Trägerunternehmen selbst in der Corona-Krise bleiben“, fügte Grund hinzu. Mittlerweile befinden sich rund 40 Pensionskassen unter intensivierter Aufsicht, wie BaFin-Abteilungsleiter Joachim Kobischke berichtete.

Solvency II als doppelte Herausforderung

Der Lebensversicherungsbranche in Gänze bescheinigte Abteilungsleiter Dr. Kay Schaumlöffel zwar relative Stabilität. Unter intensivierter Aufsicht stehen aber auch 20 Unternehmen dieses Segments. Das alte, aber durch die Pandemie verschärfte Problem: die niedrigen Renditen sicherer Anlagen. „Das spüren die Lebensversicherer bei der Finanzierung ihrer langfristigen und hohen Garantien, die aus der Vergangenheit stammen“, erläuterte Schaumlöffel. Immerhin haben Lebensversicherer einen größeren Spielraum als Pensionskassen, um sich gegen die Folgen des Niedrigzinsumfelds zur Wehr zu setzen, vor allem im Neugeschäft, auf der Produktseite. „Aber kapitalschonendere Produkte verändern den Bestand natürlich nur schrittweise“, kommentierte Grund.

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Etwa fünf Stunden haben Gastgeber und Teilnehmende bei der „Jahreskonferenz der Versicherungsaufsicht 2021 – Regulierung und Praxis“ diskutiert. Moderiert hat Abteilungsleiter Dr. Christopher Lotz. Dieser Artikel bietet einen Überblick über einige der Themen, die zur Sprache gekommen sind. Die Vorträge von Exekutivdirektor Dr. Frank Grund und den Abteilungsleitern Dr. Kay Schaumlöffel, Joachim Kobischke und Axel Oster sind auf der Homepage der BaFin abrufbar.

Was Grund und Schaumlöffel zunehmend Sorgen bereitet: Eine Reihe von Unternehmen – etwa 25 Prozent – können die Kapitalanforderungen von Solvency II derzeit nur erfüllen, weil sie die im Regelwerk vorgesehenen Übergangsmaßnahmen nutzen (BaFinJournal Februar 2021). Diese Maßnahmen fallen bis Ende 2031 schrittweise weg. Was bedeutet, dass sich die Unternehmen laut Schaumlöffel „anstrengen“ müssen, um die Anforderungen von Solvency II bis dahin ohne diese Maßnahmen erfüllen zu können. Durch die geplante Solvency-II-Überarbeitung werde dies noch anspruchsvoller werden, mahnte Schaumlöffel – und sprach damit ein weiteres, zumindest in Teilen ernstes Thema an.

Kontroverse Diskussion über Review

Ende vergangenen Jahres hatte EIOPA, die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung, ihre Stellungnahme zum Solvency-II-Review vorgelegt. Aus Sicht von Exekutivdirektor Grund ein Kompromiss und als Gesamtpaket „einigermaßen akzeptabel“ (BaFinJournal März 2021). Sorgen bereiten Grund und Schaumlöffel die Änderungsvorschläge zur Extrapolation der Zinsstrukturkurve. Blieben die Zinsen weiterhin so niedrig, hätte die Änderung für die deutschen Lebensversicherer mit ihren sehr langen Vertragslaufzeiten unangenehme Folgen: Ihre Kapitalanforderungen würden sehr stark steigen. EIOPA schlägt zwar einen Ausgleichsmechanismus vor, der wäre allerdings zeitlich begrenzt. Ein Punkt, über den, wie Grund sagte, noch zu diskutieren sei.

Da hatte Dr. Jörg Kukies, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und aus Berlin zugeschaltet, Solvency II bereits ein gutes Zeugnis ausgestellt. Das Regelwerk habe sich als robust erwiesen und dazu beigetragen, dass die Versicherungsbranche in der Corona-Krise eine eher stabilisierende Rolle einnehmen konnte. Was ihn zu dem Resümee veranlasste, dass bei dem laufenden Review des Regelwerks keine tiefgreifenden Anpassungen erforderlich seien.

Evolution statt Revolution

In diese Kerbe schlug auch Jörg Asmussen, geschäftsführendes Präsidiumsmitglied und Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft. Er sah in dem EIOPA-Vorschlag noch den einen oder anderen Webfehler und warnte davor, die Extrapolation zu verändern. Dies würde zu einer „unreflektierten Erhöhung der Kapitalanforderungen” führen.

BaFin-Exekutivdirektor Frank Grund hob das aus seiner Sicht besonders wichtige Thema der Proportionalität hervor. Er brachte es auf den Punkt: „Wir wünschen uns starke Proportionalitätselemente im Solvency-II-Review.“ Er warb dafür, den Unterschieden in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten stärker Rechnung zu tragen. Ein wichtiger Hebel, um die Vielfalt in Europas Versicherungslandschaft besser zu berücksichtigen, seien für ihn angemessene Schwellenwerte.

Dr. Eva Wimmer, Leiterin der Abteilung Finanzmarktpolitik im Bundesfinanzministerium, betonte ebenfalls die Relevanz von Proportionalität und zielgerichteten Berichtsanforderungen. Beides sei entscheidend für die Frage der aufsichtlichen Effizienz. Auch sie stellte Solvency II ein grundsätzlich gutes Zeugnis aus. Dessen Risikoorientierung habe sich bewährt, und die Versicherungsbranche sei insgesamt gut darauf eingestellt. Das habe die Branche vor allem in der COVID-19-Pandemie bewiesen und mitgeholfen, das Wirtschaftssystem insgesamt zu stabilisieren. Wimmer forderte daher, Versicherer müssten diese systemstabilisierende Wirkung auch künftig in Stressphasen ausüben können. Solvency II brauche daher eher eine zielgerichtete Weiterentwicklung als eine grundlegende Überarbeitung.

Eine Evolution des Regelwerks strebt nach eigenem Bekunden auch Didier Millerot von der Europäischen Kommission an. EIOPAs Vorschläge seien noch nicht in Stein gemeißelt, erklärte er und versicherte, die Kommission höre weiterhin allen Beteiligten zu. Um dann allerdings hinzuzufügen, die Vorschläge von EIOPA besäßen im weiteren Verfahren „eine hohe Relevanz”.

Eine Frage der Reputation

Mit Blick auf die Corona-Pandemie gab Exekutivdirektor Grund den Anbietern von Betriebsschließungsversicherungen den Rat, „jenseits der rechtlichen Klärung vertraglicher Ansprüche auch die eigene Reputation im Blick (zu) behalten.“ Die Debatte über den Versicherungsschutz für Restaurantbesitzer, die ihr Lokal pandemiebedingt schließen mussten, sei noch nicht vorbei. Es lägen zwar einzelne Urteile vor, jedoch ohne eindeutige Tendenz. Und eine höchstrichterliche Entscheidung stehe noch aus. Deutliche Worte fand auch Staatssekretär Kukies. Die Diskussionen über die Betriebsschließungsversicherung seien „der Reputation der Branche nicht zuträglich“.

Immer noch ein Diskussionsthema: der Provisionsdeckel

Ein Thema, das nicht nur Staatssekretär Kukies am Herzen lag: der Provisionsdeckel. Die Deckelung überhöhter Abschlussprovisionen in der Restschuldversicherung sei ein wichtiges Vorhaben zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher, sagte er. Für den Abschluss von Restschuldversicherungen würden teilweise über 50 Prozent und in der Spitze sogar über 70 Prozent der Versicherungsprämie als Provision gezahlt, führte er aus. Das hätten Untersuchungen der BaFin ergeben. Kukies verwies auf die Verhandlungen im Bundestag: Dort werde über eine Regelung diskutiert, die exzessiven Provisionen in der Restschuldversicherung einen Riegel vorschieben soll. Geplant ist, die Provisionen zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher auf maximal 2,5 Prozent der versicherten Darlehenssumme zu deckeln. „Eine Regelung in diesem Sinne wäre eine gute Nachricht“, kommentierte Kukies. Zum Beispiel für alle, die die eigenen vier Wände erwerben und ihren Kredit absichern wollten. Oft seien junge Familien betroffen, die jeden Euro brauchten. „Durch den Provisionsdeckel in der Restschuldversicherung wird die Kostenbelastung für die Verbraucherinnen und Verbraucher deutlich sinken“, fasste Kukies zusammen. Die von ihm erhoffte gute Nachricht ist mittlerweile eingetroffen: Der Bundestag hat die neuen Regelungen verabschiedet.

Die Deckelung bei Restschuldversicherungen ist für Kukies aber nur ein erster wichtiger Schritt. Er werde sich dafür einsetzen, dass weitere folgen, sagte er bei der BaFin-Konferenz. Was er dabei unter anderem vor Augen hatte: den Provisionsdeckel in der Lebensversicherung, der erst einmal zurückgestellt worden war.

Ein zusätzlicher Weg

„Für die BaFin ist das Thema Provisionszahlungen in der Lebensversicherung nach wie vor auf dem Tisch geblieben“, erklärte Abteilungsleiter Axel Oster. Appelle an die Unternehmen, die Provisionen niedrig zu halten, seien ungehört verhallt. Oster zeigte aber einen zusätzlichen Weg auf, das Thema anzugehen: Neben der Anreizwirkung sei die Vertriebsvergütung ein Kostenfaktor, betreffe also das Preis-Leistungs-Verhältnis. „Wir sehen hier die Versicherungsunternehmen in der Pflicht, dass sie prüfen, ob ein Versicherungsprodukt über seine gesamte Lebensdauer den ermittelten Bedürfnissen des Zielmarktes entspricht.“ Eines stellte Oster direkt klar: Dies sei nicht als Eingriff in die Freiheit der Hersteller zu verstehen, die Prämien festzusetzen, oder als Preiskontrolle.

Finanzielle Lage der Rückversicherer

Abteilungsleiterin Elke Washausen-Richter gab einen Ausblick darauf, worauf sich die BaFin 2021 bei der Aufsicht über Rückversicherer konzentrieren wird: Die BaFin befasse sich schon seit circa zwei Jahren mit der Frage, wie sich speziell die Prämien bei den Nicht-Lebensrückversicherungen entwickelten. „Wir versuchen dort, nicht nur den deutschen Versicherungsmarkt zu analysieren, sondern schauen auch auf die globalen Zyklen“, erläuterte Washausen-Richter und ergänzte: „Wir sind gespannt darauf, wie die Rückversicherer sich in Zukunft verhalten und ob sie Zeichnungsdisziplin wahren.“ Generell könne man aber sagen, dass die finanzielle Lage der deutschen Rückversicherer unverändert stabil sei – trotz Corona. Die Unternehmen hätten die Verluste aus der Pandemie durch sonstige versicherungstechnische Ergebnisse und Erträge aus Kapitalanlagen auffangen können.

Autorin

Ursula Mayer-Wanders
BaFin-Referat K 3 Reden und Publikationen

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Zusatzinformationen

BaFinJournal 05/2021 (Download)

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