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Erscheinung:15.02.2021 | Thema Eigenmittel Besser über Fortschritte berichten

Etwa ein Viertel der deutschen Lebensversicherer erfüllt die Solvabilitätsvorschriften unter Solvency II nur dank Übergangsmaßnahmen. Bis Anfang 2032 müssen die Unternehmen es ohne sie schaffen. Über ihre Fortschritte müssen sie berichten. Plausibel und nachvollziehbar. Das muss aus Sicht der BaFin besser werden.

Am 1. Januar 2032 wird es ernst. Spätestens. Bis dahin müssen alle Lebensversicherer ohne Wenn und Aber ihre Solvenzkapitalanforderung (Solvency Capital RequirementSCR) zu mindestens 100 Prozent mit Eigenmitteln bedecken. So verlangt es das europäische Aufsichtsregime Solvency II. Etwa drei Viertel der deutschen Lebensversicherer kann das heute schon aus eigener Kraft. Der Rest erreicht eine SCR-Quote von 100 Prozent aber nur mit Hilfe von Übergangsmaßnahmen, die das Regelwerk bis Ende 2031 anbietet (siehe Infokasten, Seite und BaFinJournal Dezember 2020).

Auch ihnen muss es gelingen, bis zum Ende der Übergangsfrist ohne diese Instrumente nachhaltig auf eine auskömmliche Solvenzposition zu kommen. Allerdings hat sich seit En-de 2019 die allgemeine Lage weiter zugespitzt. Die Corona-Pandemie hat das Niedrigzins-umfeld verfestigt. Das macht Lebensversicherern bekanntlich besonders zu schaffen, weil die Zinsen, die sie ihren Kundinnen und Kunden garantiert haben, oft deutlich höher sind als die Zinsen, die sie heutzutage am Kapitalmarkt erwirtschaften können.

Was also tun? Darauf vertrauen, dass bis Anfang 2032 alles gut wird? Vom Versuch einer Punktlandung rät die BaFin den Unternehmen dringend ab. Dafür ist es zu unsicher, wie sich der Kapitalmarkt entwickelt. Ziel der Versicherer sollte sein, die Anforderung schon vor An-fang 2032 ohne Übergangsmaßnahmen zu erfüllen. Die BaFin erwartet daher von ihnen mehr denn je konkrete und ambitionierte Maßnahmen – und plausible und nachvollziehbare Fortschrittsberichte, aus denen sie genau ablesen kann, was die Versicherer wann vorhaben und wie sich dies auf die Solvenzposition auswirkt. Aber an der Nachvollziehbarkeit hapert es nach Ansicht der BaFin immer wieder. Die Aufsicht wird daher die Unternehmen, deren Fortschrittsberichte zu wünschen übrig lassen, auffordern, diese zügig nachzubessern.

Wie müssen diese Fortschrittsberichte aussehen, um dem Anspruch der BaFin gerecht zu werden? Eine Übersicht:

Definition:Übergangszeitraum für die Solvabilitätsvorschriften nach Solvency II

Mit dem europäischen Aufsichtsregime für Versicherer, Solvency II, hat der europäische Gesetzgeber zum 1. Januar 2016 eine Reihe von neuen quantitativen und qualitativen Vorschriften eingeführt.

Zu den quantitativen Anforderungen gehört eine neue risikobasierte Berechnung der Solvenzkapitalanforderung (Solvency Capital RequirementSCR). Diese führt bei Lebensversicherern, die ihren Kunden in der Vergangenheit hohe Zinsen garantiert haben, zu deutlich höheren Eigenmittelanforderungen als bisher.

Damit die Unternehmen ausreichend Zeit haben, sich auf den höheren Kapitalbedarf einzustellen, sieht das Regelwerk eine Übergangsfrist vor: Aufsichtsbehörden wie die BaFin können Versicherern bis zum 1. Januar 2032 einen Aufschub und bestimmte Erleichterungen gewähren, nämlich Übergangsmaßnahmen für die versicherungstechnischen Rückstellungen und die risikofreien Zinssätze. In Deutschland sind die in den §§ 351 und 352 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) zu finden.

Der Versicherer muss sich dem Ziel – der ausreichenden SCR-Bedeckung ohne Übergangsmaßnahmen – aber schrittweise nähern und es, wie beschrieben, spätestens zum 1. Januar 2032 erreichen. Das SCR eines Versicherers richtet sich unter anderem nach dessen individuellen Risiken. Die Unternehmen können ihr SCR mit der Standardformel oder internen Modellen berechnen.

Fortschrittsbericht: von Maßnahmen über Annahmen zur Prognose

Um zu belegen, dass sie ihr SCR, also ihre Solvenzkapitalanforderung, Anfang 2032 einhalten können, reichen die Unternehmen der BaFin jährlich einen Fortschrittsbericht ein. Das Versicherungsaufsichtsgesetz verlangt das so (§ 353 Absatz 3 VAG), und das aus gutem Grund: Anhand des Fortschrittsberichts muss die BaFin beurteilen, ob das Ziel, dass ein Versicherer Anfang 2032 ausreichend bedeckt ist, realistisch ist. Deshalb muss der Bericht alle Informationen enthalten, die erforderlich sind, um die Entwicklung des Unternehmens einschätzen zu können. Zu diesen Informationen zählen die vom Unternehmen geplanten Maßnahmen, die der Prognose zugrundeliegenden Annahmen und die ausführliche Darlegung und Erläuterung der Ergebnisse der Prognose.

Maßnahmen: Auf die Darstellung kommt es an

Zentrales Element des zunächst einzureichenden Maßnahmenplans waren die konkreten einzelnen Schritte, die das Unternehmen plant oder eingeleitet hat, um seine SCR-Quote nachhaltig zu verbessern. Der Fortschrittsbericht baut auf diesem Maßnahmenplan auf. Der Versicherer muss seine Maßnahmen so darstellen, dass die BaFin analysieren kann, ob sie geeignet sind sicherzustellen, dass er bis Anfang 2032 das SCR ohne Übergangsmaßnahmen einhalten kann. Bislang lassen aber viele Darstellungen noch zu wünschen übrig.

Die BaFin will zum Beispiel nachvollziehen können, ob ein Versicherer seine Maßnahmen planmäßig umsetzt. Er sollte sich daher – auch im eigenen Interesse – Meilensteine setzen, damit die Aufsicht und er selbst den Erfolg seiner Maßnahmen im Zeitablauf beurteilen können.

Der Zeitplan der Maßnahmen ist das eine, ihre Wirkung das andere. Die Unternehmen müssen daher die tatsächliche Auswirkung der durchgeführten und geplanten Maßnahmen auf die Solvenzposition darstellen. In ihren Fortschrittsberichten müssen die Versicherer einschätzen, ob ihre bereits ergriffenen Maßnahmen ausreichen, um das SCR am Ende des Übergangszeitraums einzuhalten. Wenn das voraussichtlich nicht der Fall ist, muss das Unternehmen aktuelle Maßnahmen anpassen oder ergänzende Maßnahmen ergreifen und den Fortschrittsbericht anpassen.

Für alle laufenden und geplanten Maßnahmen müssen die Unternehmen erläutern, was sie von jeder einzelnen Maßnahme erwarten, wie Maßnahmen möglicherweise in Wechselwirkung zueinander stehen und welche Unsicherheiten es gibt. Eventuelle Wechselwirkungen zwischen Handelsgesetzbuch (HGB) und Solvency II sind hierbei zu analysieren.

Wenn das Unternehmen Maßnahmen aufführt, deren Erfolg von externen Bedingungen abhängt, muss es auch beschreiben, welche Folgen es hätte, wenn sich diese Bedingungen nicht erfüllen. Ob zum Beispiel der Einkauf von Rückversicherungsschutz nach seinen Vorstellungen gelingt, liegt nicht allein am Erstversicherer. Ist eine Maßnahme besonders relevant für den Fortschritt eines Versicherers, muss er auch durchrechnen, was passiert, wenn sie nicht funktioniert.

Annahmen: Fundiert und realistisch müssen sie sein

Verbesserungsbedarf sieht die BaFin auch bei den Annahmen, die der Prognose zugrundeliegen. Sie müssen fundiert und realistisch sein. Ob sie das tatsächlich sind, muss die BaFin einschätzen können. Die Versicherer müssen sie daher in ihren Fortschrittsberichten erläutern und validieren, zum Beispiel indem sie die Annahmen mit Ergebnissen aus der Vergangenheit abgleichen. Fallen Annahmen anders aus als im Vorjahresbericht, muss das ausführlich begründet werden. Darüber hinaus müssen die Versicherer im Fortschrittsbericht die Unsicherheiten analysieren, mit denen die Annahmen behaftet sind. Wenn das Prognoseergebnis stark von einer Annahme abhängt, muss das ebenfalls aus dem Fortschrittsbericht hervorgehen.

Mit ihrer Auslegungsentscheidung zu den Zinsannahmen hat die BaFin im vergangenen Jahr für Einheitlichkeit gesorgt (siehe BaFinJournal Mai 2020). Für die Prognose künftiger Kapitalerträge spielen zudem die Annahmen zur Entwicklung der Spreads für risikobehaftete Kapitalanlagen eine wichtige Rolle. Künftige Kapitalerträge hängen aber nicht nur von der allgemeinen Marktentwicklung ab, sondern auch von der geplanten Kapitalanlagestrategie des Unternehmens. Plant das Unternehmen, auf der Suche nach hoher Rendite eine riskantere Kapitalanlagestrategie zu fahren, erwartet die BaFin, dass es sich mit den Risiken dieser Kapitalanlagen auseinandersetzt, etwa mit möglichen Ausfällen und Downgrades. Wenn Kapitalmarktannahmen Auswirkungen auf die Passivseite haben, zum Beispiel weil ein Börsenaufschwung die Performance hybrider Lebensversicherungsverträge ändert, müssen Versicherer diese Wechselwirkungen in ihrem Bericht analysieren.

Die zu treffende Prognose hängt jedoch auch von rein unternehmensindividuellen Annahmen ab – etwa zum künftigen Neugeschäft. Annahmen zum Neugeschäft, insbesondere für Prognosejahre, die über den unternehmensindividuellen Planungszeitraum hinausgehen, müssen die Versicherungsgesellschaften mit besonderer Sorgfalt treffen. Wenn die Versicherer annehmen, ihr Geschäft deutlich ausweiten oder ihr Produktportfolio umstellen zu können, müssen sie ausführlich darlegen, wie das gelingen soll. Da es sehr unsicher ist, wie viel Neugeschäft ein Versicherer akquiriert und wie es sich zusammensetzt, muss er in der Regel eine Sensitivitätsanalyse vornehmen, aus der hervorgeht, was es für die Erfüllung der künftigen Solvenzkapitalanforderung bedeutet, wenn sich das Neugeschäft doch anders entwickelt.

Mit Blick auf die Kosten reicht es der BaFin nicht, wenn Versicherer lediglich die Absicht bekunden, in Zukunft Kosten einzusparen. Kosteneinsparungen dürfen sie nur annehmen, wenn diese auch realistisch sind. Sie sind dann auch in der mehrjährigen Unternehmensplanung des Versicherers zu berücksichtigen. Sind erst einmal Investitionen notwendig, um Kosten einzusparen, muss ein Versicherer auch diese angeben und berücksichtigen.

Prognosen: Nachvollziehbar müssen sie sein

Die Prognosen in den Fortschrittsberichten müssen für einen fachkundigen Dritten verständ-lich sein. Aber selbst die BaFin musste in der Vergangenheit bei mehreren Versicherern mehrfach nachhaken, um die Ergebnisse nachvollziehen und selbst beurteilen zu können, ob das Unternehmen sein SCR Anfang 2032 ohne Übergangsmaßnahme einhalten kann. Ihr ist es daher wichtig, nochmals zu betonen, dass Versicherer der BaFin im Detail schildern sollten, welche Prognoseverfahren sie genutzt haben und welche Vereinfachungen verwen-det wurden. Dass diese Vereinfachung angemessen ist, müssen sie der BaFin nachweisen.

Die Bedeckung bessert sich, wenn das SCR zurückgeht, wenn die Eigenmittel zunehmen oder wenn beides geschieht. Daher muss das Unternehmen dezidiert angeben, wodurch das SCR und die Eigenmittel beeinflusst werden können. Die Gründe und die Einflussgrößen für die bei der Prognose hergeleitete Verbesserung der Solvenzbedeckung sind zu erläutern. Für besonders wichtige Einflussgrößen sind Sensitivitäten anzugeben.

Angaben zur Entwicklung der Eigenmittel können nur dann plausibilisiert werden, wenn der Versicherer auch die einzelnen zentralen Komponenten aufschlüsselt – etwa den Überschussfonds, das HGB-Eigenkapital und die Ausgleichsreserve.

Versicherer müssen in ihrem Fortschrittsbericht auch darauf eingehen, wie es sich auf die prognostizierten versicherungstechnischen Rückstellungen auswirkt, dass alte Bestände auslaufen, sich der durchschnittliche Rechnungszins im Bestand ändert oder sie die Überschussbeteiligung anpassen.
Auch die wesentlichen Komponenten des SCR müssen aus dem Bericht hervorgehen. Hierzu gehören üblicherweise das Zins-, Spread- und Storno-SCR. Sie spiegeln wesentliche Risiken für das Unternehmen wider, deren Entwicklung es erläutern sollte. Dabei sollte es den prognostizierten Bestand berücksichtigen – sowohl der Versicherungstechnik als auch der Kapitalanlage.

Die BaFin erwartet, dass die Versicherer im Übergangszeitraum grundsätzlich keine aktiven latenten Steuern ansetzen, die über die latenten Steuerverbindlichkeiten hinausgehen. Die bestätigende Werthaltigkeitsprüfung, die hierfür notwendig wäre, ist mit zu hohen Unsicherheiten behaftet, da sie nicht auf den tatsächlichen aktuellen Gegebenheiten aufbaut, sondern auf prognostizierten künftigen Situationen.

Solide mathematische Methoden

Die BaFin erwartet von den Versicherungsgesellschaften, dass sie die Eigenmittel und das SCR für künftige Stichtage explizit berechnen und dabei – wie beschrieben – von Maßnahmen über Annahmen zu ihren Prognosen gelangen. Es reicht in der Regel nicht aus, wenn die Unternehmen nur auf ausgewählte Treiber wie etwa eine rückläufige Deckungsrückstellung verweisen, deren positiven Einfluss annehmen und die heutigen Eigenmittel oder das SCR dann einfach in die Zukunft fortschreiben. Als Grundlage für die Prognosen taugt beispielsweise die Methode der jährlichen Prognoserechnungen nach § 44 VAG.

Denkbar sind Fälle, in denen es zu aufwändig und unzumutbar wäre, die Eigenmittel und das SCR für jedes einzelne Prognosejahr explizit zu berechnen. Aber selbst dann müssen die Ausführungen des Versicherers der BaFin ermöglichen, die Entwicklung der Solvenzbedeckung über den Übergangszeitraum bis zu dessen Ende nachzuvollziehen und einzuschätzen. Nur ein einzelnes Jahr zu betrachten reicht nicht – schon gar nicht, wenn es das Jahr 2031 ist.

Wenn das Unternehmen das SCR vereinfacht, also nicht mit allen Sub-Modulen, berechnet, muss es erläutern, warum das SCR das Risikoprofil des Unternehmens seiner Meinung nach weiterhin angemessen abbildet und somit Messlatte für die aufzubringenden Eigenmittel sein kann.

Autorinnen

Dr. Hannah Wesker
BaFin-Referat Kompetenz Aktuariat Lebensversicherung/Sterbekassen/UPR

Beate Hannemann
BaFin-Referat Solvabilität, Rechnungslegung, Rückstellungen, Berichtswesen (inhaltlich)

Hinweis

Der Beitrag gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im BaFinJournal wieder und wird nicht nachträglich aktualisiert. Bitte beachten Sie die Allgemeinen Nutzungsbedingungen.

Zusatzinformationen

BaFinJournal 02/2021 (Download)

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