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Erscheinung:15.01.2021 | Thema Eigenmittel Aller Anfang ist teuer

Junge Versicherer planen beim Start oft zu wenig Geld ein. Die BaFin verlangt aber, dass sie ihre hohen Kosten unter Solvency II angemessen berücksichtigen. Von künftigen Neugründungen erwartet sie auch einen höheren Organisationsfonds.

Kunden fallen nicht vom Himmel. Daher ist es wenig überraschend, dass das Versicherungskollektiv bei jungen Digitalversicherern in der Anfangszeit noch überschaubar ist (siehe Infokasten „Insurtechs“). Da Insurtechs anfangs nur geringe Prämieneinnahmen haben, zugleich aber sehr viel investieren müssen, vor allem in die IT, starten sie ihre Existenz in der Verlustzone – und haben dann Mühe, diese zu verlassen. Denn wenn sich die häufig zu optimistischen Prognosen zur Geschäftsentwicklung nicht erfüllen, sind die Unternehmen auf Nachfinanzierungen angewiesen, um ihren Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten. Seit Ausbruch der Corona-Krise sitzt das Geld aber auch bei den Investoren nicht mehr so locker, und ihre Bereitschaft, erneut Geld nachzuschießen, sinkt mit jeder Finanzierungsrunde.

Definition:Insurtechs...

sind aus Sicht der BaFin junge und technikaffine Unternehmen mit Versicherungslizenz. Die BaFin hat seit 2017 sechs Insurtechs zugelassen, die sie nach dem Prinzip „gleiches Geschäft, gleiches Risiko, gleiche Regel“ so beaufsichtigt wie die etablierten Versicherer, die schon länger am Markt sind. Dabei beachtet sie die Grundsätze der Proportionalität.

Neben Insurtechs gibt es eine Reihe von Start-ups ohne BaFin-Zulassung, die sich als Dienstleister für die Versicherungsbranche verstehen und zugelassenen Versicherungsgesellschaften technische Lösungen anbieten.

Und die Kundinnen und Kunden? Ihr Schutz darf nicht geringer sein, nur weil sie sich bei einem jungen, innovativen Unternehmen versichert haben oder versichern werden. Und da kommt die BaFin ins Spiel. „Messen lassen müssen wir uns bei allem, was wir tun – egal, gegenüber wem – am Schutz der Belange von Versicherungsnehmern und Begünstigten“, sagte Exekutivdirektor Dr. Frank Grund Mitte September 2020 in seiner Rede beim Digitalkongress „Insurance Today and Tomorrow“. Die BaFin wird daher weiterhin sowohl bestehende Unternehmen in der Aufbauphase als auch künftige Neugründungen genau unter die Lupe nehmen. Dabei profitiert sie mittlerweile von vielen Erfahrungen aus der Aufsichtspraxis.

Mehr Eigenmittel

Das europäische Aufsichtsregime für Versicherer, Solvency II, ist prinzipien-, vor allem aber risikobasiert. In der Säule I, die unter Solvency II unter anderem die Eigenmittelanforderungen festlegt, haben die Insurtechs aber, wie sich erst in der Aufsichtspraxis zeigte, ihre Risiken in der Aufbauphase bisher nicht ausreichend berücksichtigt.

Die BaFin beanstandet das und fordert, dass Unternehmen in der Aufbauphase ihre Risiken künftig angemessener als bisher reflektieren. Außerdem sollen künftige Neugründungen bei ihrem Start über deutlich mehr Eigenmittel verfügen, als das bei vergleichbaren Vorgängern der Fall war. Sie müssen schon am Tag ihres Zulassungsantrags vollständig ausfinanziert sein, damit sie keine ergänzenden Finanzierungsrunden mehr benötigen. Sie kommen also nicht umhin, in ihre Prognosen zur Geschäftsentwicklung auch negative Entwicklungen einzukalkulieren.

Höherer Organisationsfonds

Bei ihrer Zulassung müssen Versicherungsunternehmen einen Organisationsfonds stellen, auch Orgafonds genannt. Da die Digitalisierung die Rahmenbedingungen bei der Neuzulassung und in der Aufbauphase von Versicherungsunternehmen geändert hat, ist es erforderlich, den Orgafonds zu stärken und an die tatsächlichen Geschäftsmodelle der Unternehmen anzupassen. Die BaFin wird bei künftigen Neugründungen künftig darauf achten, dass dessen Höhe die zunehmende Rolle der IT beim Vertrieb von Versicherungsprodukten widerspiegelt. Denn bei jungen Digitalversicherern ist es oftmals für den erfolgreichen und nachhaltigen Aufbau des Geschäftsmodells entscheidend, dass die IT-Aufbaukosten auf lange Sicht ausreichend finanziert sind. Der Orgafonds soll so hoch bemessen sein, dass er alle erwarteten, realistisch prognostizierten Verluste von der Gründung bis zum Zeitpunkt der erstmaligen Profitabilität erfasst.

Es reicht künftig nicht mehr, nur die schon in der analogen Welt anfallenden Kosten für den Aufbau der Verwaltung und des Vertreternetzes zu veranschlagen. Das haben die Erfahrungen der BaFin gezeigt. Bei materiellen Geschäftsplanänderungen, also wenn ein bereits zugelassenes Unternehmen stark umsteuert, wird die BaFin weiterhin im Einzelfall prüfen, ob es einen neuen Orgafonds stellen muss.

Um sicherzustellen, dass künftige Neugründungen ihre Orgafonds ausreichend dotieren und keine zu optimistischen Prognosen zugrunde legen, kann die BaFin mittlerweile auf Erfahrungswerte aus der Aufsicht über ältere Insurtechs zurückgreifen, wenn sie die Gewinnprognosen prüft. „Blindes Vertrauen in Businesspläne kann von der BaFin nicht erwartet werden“, hatte auch Exekutivdirektor Grund bei „Insurance Today & Tomorrow“ gesagt.

Höhere Rückstellung

Unter Solvency II müssen Versicherungsunternehmen grundsätzlich ihre Aufbaukosten für die IT auch bei der Berechnung der versicherungstechnischen Rückstellung berücksichtigen. Dazu zählen unter anderem Gemeinkosten, die fällig werden, um Softwarelösungen und Apps für den Versicherungsbetrieb zu entwickeln, aber auch die Gehälter der zuständigen IT-Beschäftigten.

Bei der Berechnung der versicherungstechnischen Rückstellung sollten alle Unternehmen in der Aufbauphase die Kosten überwiegend ihrem Bestandsgeschäft zuordnen. Denn das prognostizierte Neugeschäft ist in der Aufbauphase mit zu hohen Unsicherheiten behaftet, als dass man den Großteil der Kosten guten Gewissens dort verorten könnte. Das würde auch dem Gedanken von Solvency II widersprechen, wonach Versicherungsunternehmen ihre versicherungstechnischen Rückstellungen vorsichtig und verlässlich bewerten müssen. Das Vorgehen führt unter dem Strich zu einer höheren versicherungstechnischen Rückstellung.

Fazit

Ein höherer Orgafonds und höhere versicherungstechnische Rückstellungen tragen dazu bei, dass künftige Neugründungen schon zum Zulassungszeitpunkt mit mehr Eigenmitteln ausgestattet werden. In Anbetracht der potenziell hohen erwarteten, aber insbesondere auch der unerwarteten Verluste in der Aufbauphase ist dies aus aufsichtsrechtlicher Sicht notwendig und angemessen.

Eine höhere versicherungstechnische Rückstellung führt unter sonst gleichen Umständen dazu, dass sich die Quoten der Bedeckung der Solvenzkapitalanforderung und der Mindestkapitalanforderung verringern. Positiver Effekt: Das tatsächliche Risikoprofil eines Unternehmens in der Aufbauphase wird dadurch besser sichtbar.

Linkempfehlung

Technischer Anhang mit näheren Erläuterungen und Hinweisen

Insurtech – Eine Einordnung (BaFinJournal Januar 2019)

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