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Erscheinung:16.11.2020 | Thema Verbraucherschutz Den richtigen Kunden finden

Bevor Banken ihren Kundinnen und Kunden Finanzinstrumente anbieten, müssen sie prüfen, ob deren Hersteller den Kreis der potenziellen Anleger korrekt bestimmt haben. Nicht immer justieren Banken diesen Zielmarkt so nach, dass die Produkte am Ende passen. Aus Sicht der BaFin muss sich das verbessern.

Ein Finanzinstrument, das zu allen Anlegerinnen und Anlegern passt, hat eher das Zeug zum Verkaufsschlager als eines mit einem kleinen Zielmarkt. Diesen Zielmarkt, den Kreis potenzieller Anleger, müssen die Hersteller von Finanzprodukten vorab festlegen. Vertriebsunternehmen wie etwa Banken müssen über ein eigenes Produktfreigabeverfahren für Fremdprodukte verfügen, dürfen dafür aber auf den Zielmarkt des Herstellers zurückgreifen – vorausgesetzt, sie prüfen ihn kritisch (siehe Info-kasten „Product Governance im Wertpapierhandel“). Funktioniert das?

Auf einen Blick:Product Governance im Wertpapierhandel

Seit Inkrafttreten der zweiten europäischen Finanzmarktrichtlinie (Markets in Financial Instruments Directive II MiFID II) sind Institute im Wertpapierhandel einem Product-Governance-Regime unterworfen. Danach sind sowohl Unternehmen, die Finanzinstrumente konzipieren (Konzepteure), als auch Vertriebsunternehmen wie etwa Kreditinstitute zu einem verantwortungsvollen Produktfreigabeverfahren inklusive Zielmarktbestimmung und zu einem Produktüberwachungsprozess verpflichtet (siehe BaFinJournal Oktober 2018 sowie Februar 2019).

Konzepteure stellen Zertifikate unterschiedlicher Komplexität her – auch für Privatkunden. Sie müssen in ihrem Produktfreigabeverfahren einen Zielmarkt potenzieller Anleger bestimmen, für die ihr Finanzinstrument in Frage kommt.
Die Vertriebsunternehmen sind anschließend gehalten, in ihrem eigenen Produktfreigabeverfahren den vom Konzepteur bestimmten Zielmarkt zu prüfen und einen eigenen Zielmarkt zu bestimmen – dafür können sie beispielsweise den vom Konzepteur bestimmten Zielmarkt konkretisieren.

Die BaFin hat bei einer Untersuchung des Zertifikatevertriebs herausgefunden: Fast zwei Drittel der befragten Vertriebsunternehmen (siehe Info-kasten „Aufbau der Marktuntersuchung“) übernehmen den Zielmarkt vom Hersteller eines Zertifikats, dem Konzepteur, unverändert. Wenn der Zielmarkt aber zu weit gefasst ist, kann das dazu führen, dass Anlegern Zertifikate angeboten werden, die ihren Bedürfnissen nicht entsprechen.

Auf einen Blick:Aufbau der Marktuntersuchung

Die BaFin hat im zweiten Quartal 2020 den Vertrieb von Zertifikaten genauer untersucht, um festzustellen, ob die Vorschriften des Product-Governance-Regimes nach der zweiten europäischen Finanzmarktricht-linie (Markets in Financial Instruments Directive II – MiFID II) die Schutzwirkung entfalten, die der Gesetzgeber vorgesehen hat (siehe Infokasten „Product Governance im Wertpapierhandel“).

Sie befragte 40 Vertriebsunternehmen, die der Definition „Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die Produkte verkaufen, vertreiben, anbie-ten, empfehlen oder vermarkten“ entsprachen: zehn Sparkassen, zehn Genossenschaftsbanken sowie 20 Privat- und Auslandsbanken. Damit lag der Schwerpunkt auf der Vertriebsseite. Als Beobachtungszeitraum für die Stichprobe wählte die BaFin das Kalenderjahr 2019 sowie das 1. Quartal 2020.

Gemeinsamer Mindeststandard

In der Praxis hat sich seit 2017 ein freiwilliger „Gemeinsamer Mindeststandard zur Zielmarktbestimmung“ von Deutscher Kreditwirtschaft (DK), Bundesverband Investment und Asset Management (BVI) und Deutschem Derivate Verband (DDV) etabliert.

Der Mindeststandard erleichtert auf der Basis einheitlicher Zielmarktkriterien den Austausch zwischen Konzepteuren und Vertriebsunternehmen, bevor und nachdem ein Finanzprodukt in Verkehr gebracht wurde.

Delegation von Verantwortung

Die Marktuntersuchung zeigte, dass 65 Prozent der befragten Vertriebsunternehmen den Zielmarkt des Konzepteurs eins zu eins übernahmen. Das ist nicht immer falsch, denn die Vertriebsunternehmen können zum gleichen Ergebnis kommen wie die Konzepteure. Wenn die Vertriebsunter-nehmen den Zielmarkt aber ungeprüft übernehmen, delegieren sie ihren Teil der Verantwortung auf die Konzepteure. Dabei sind es die Vertriebsunternehmen selbst, die durch ihre Nähe zu den Kunden deren Bedürfnisse am besten kennen. 35 Prozent der Vertriebsunternehmen änderten den Zielmarkt dagegen in einzelnen Fällen – meist schränkten sie ihn dabei weiter ein. Teils korrigierten sie dabei auch Einstufungen des Konzepteurs, wenn sie angesichts des Mindeststandards unplausibel waren.

Holzschnittartige Ergebnisse

Denn obwohl sich die meisten Konzepteure an den vereinbarten Mindeststandard hielten, gab es Fälle, in denen sie ihn unreflektiert anwendeten. So sahen die Konzepteure Zertifikate auf komplexere Indizes teils schon für Kunden vor, die nur über Basis-Kenntnisse und geringe Erfahrungen verfügten. Bei 6 Prozent der untersuchten Zertifikate hätten die Vertriebsunternehmen die Zielmarktkategorien anpassen müssen, taten dies aber nicht. Indem sie also einheitliche Zielmärkte für in ihrer Komplexität und ihrem Risikogehalt sehr unterschiedliche Zertifikategruppen definierten, behandelten sie ungleiche Produkte gleich.

Umgekehrt unterschieden einzelne Konzepteure bisweilen die Zielmärkte ähnlicher Zertifikate. Sie stuften Zertifikate auf gehebelte Indizes anders ein als Faktorzertifikate, die einen Index selbst hebeln. Die Vertriebsunternehmen hätten erkennen müssen, dass die Konzepteure hier Gleiches ungleich behandeln.

BaFin betont Sorgfaltspflichten der Vertriebsunternehmen

Vor dem Hintergrund ihrer Marktuntersuchung weist die BaFin alle Vertriebsunternehmen – nicht nur die 40 befragten – auf ihre Verpflichtungen hin. Das Wertpapierhandelsgesetz schreibt ihnen im Produktfreigabeverfahren umfangreiche Pflichten zu, die § 12 Wertpapierdienstleistungs-Verhaltens- und Organisationsverordnung (WpDVerOV) sowie der Besondere Teil (BT) 5 der Mindestanforderungen an die Compliance-Funktion und die weiteren Verhaltens-, Organisations- und Transparenzpflichten für Wertpapierdienstleistungsunternehmen (MaComp) konkretisieren.

Daraus ergibt sich: Auch wenn Konzepteure und Vertriebsunternehmen gemeinsame Standards nutzen, reduzieren sich die Sorgfaltspflichten der Vertriebsunternehmen keinesfalls auf Null. Der Zielmarktstandard von DK, BVI und DDV ist zudem nur ein Mindeststandard.

Es kann erforderlich sein, den Zielmarkt detaillierter zu bestimmen, wenn der Zielmarktstandard keine schlüssigen Ergebnisse liefert. Ein pauschales Anlehnen an diesen Mindeststandard bietet nicht die Gewähr dafür, die aufsichtsrechtlichen Verpflichtungen in allen Fällen zu erfüllen.

Nach dem Proportionalitätsprinzip fallen die Product-Governance-Pflichten strenger aus, wenn die zu beurteilenden Finanzinstrumente Merkmale wie zunehmendes Risiko, Komplexität oder Illiquidität aufweisen. Es ist daher unabdingbar, dass Vertriebsunternehmen den vom Konzepteur bereitgestellten Zielmarkt kritisch hinterfragen.

Fazit

Deutsche Unternehmen verfügen in der Product Governance über einen hohen Standardisierungsgrad. Der gemeinsame Mindeststandard von DK, BVI und DDV bildet die Grundlage für die Übernahme von Finanzinstrumenten in die Produktpalette von Vertriebsunternehmen. Die BaFin begrüßt es ausdrücklich, dass es diesen Standard gibt. Sie hat die Marktteil-nehmer dazu aufgefordert, den Standard weiterzuentwickeln.

DK, BVI und DDV haben bereits mitgeteilt, die Ergebnisse der Marktuntersuchung zum Anlass zu nehmen, das gemeinsame Verständnis der Kriterien für die Zielmarktbestimmung zu verbessern und zu präzisieren. Darüber hinaus erarbeiten sie Vorschläge, wie die Überprüfung der Zielmärkte verbessert werden kann.

Die BaFin-Untersuchung hat gezeigt, dass die Vertriebsunternehmen die Schritte zur Zielmarktbestimmung unvoreingenommen einhalten müssen, um ihrer Funktion als Korrektiv im Product-Governance-Prozess gerecht werden zu können. Die BaFin wird zu den Pflichten der Vertriebsunternehmen weitere Auslegungsfragen und Antworten veröffentlichen und in der operativen Aufsicht darauf achten, dass die Vertriebsunternehmen sie um-setzen.

Autoren

Lars Frölich
BaFin-Referat Operative Verhaltens- und Organisationsaufsicht, Anleger-schutz Privatbanken

Dr. Chan-Jae Yoo
BaFin-Referat Operative Verhaltens- und Organisationsaufsicht, Anleger-schutz Privat- und Auslandsbanken

Hinweis

Der Beitrag gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im BaFinJournal wieder und wird nicht nachträglich aktualisiert. Bitte beachten Sie die Allgemeinen Nutzungsbedingungen.

Zusatzinformationen

BaFinJournal 11/2020 (Download)

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