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Das Symbolfoto zeigt eine kniende Person, die mit einem Maßband ein Windrad vermisst. © istockphoto.com / svetabelaya

Erscheinung:14.08.2020 | Thema Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit messbar machen

Die Europäische Union hat seit Kurzem ein gemeinsames Klassifikationssystem, das Kapitalanlegern Anreize für nachhaltige Investments bieten soll – die Taxonomie. Alle Finanzmarktakteure, also auch Banken und Versicherer, sind angesprochen.

Die historischen Jahreszahlen liegen noch in der Zukunft: Im Jahr 2030 will die EU die Pariser Klimaschutzziele erreichen, also 40 Prozent weniger Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 ausstoßen. Und zwanzig Jahre später, 2050, will sie schließlich klimaneutral sein. Auf dieser Zeitschiene war auch der 22. Juni 2020 kein unwichtiger Tag. An jenem Montag erschien nämlich die Taxonomie-Verordnung im Amtsblatt der Europäischen Union.

Mit ihr führt die EU die weltweit erste „grüne Liste“ für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten ein. Das bedeutet: Es ist – wie die Europäische Kommission schreibt – „ein neues gemeinsames Klassifizierungssystem mit einheitlichen Begrifflichkeiten, das Anleger überall verwenden können, wenn sie in Projekte und Wirtschaftstätigkeiten mit erheblichen positiven Klima- und Umweltauswirkungen investieren wollen“.

Da kommen auch Finanzunternehmen wie Asset-Manager, Versicherer und Banken ins Spiel. Die europäische Politik hat mehrfach deutlich gemacht, dass sie die Finanzwirtschaft beim Übergang ins nachhaltige Zeitalter in der Pflicht sieht. Der EU-Rat beziffert allein die Investitionslücke im Energiesektor, die es zu schließen gilt, um die Pariser Klimaschutzziele zu erreichen, auf 180 Milliarden Euro pro Jahr.

Eine Pflicht zur Investition in Nachhaltigkeitsprojekte oder Kapitalerleichterungen für grüne Investments konstituiert die Taxonomie nicht. Das wäre aus Sicht der BaFin auch ein falscher Weg. Ihr Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken, dessen Endfassung anders als der noch zur Konsultation stehende EZB-Leitfaden bereits veröffentlicht wurde, nennt unverbindliche Verhaltensweisen.

Präsident Felix Hufeld hat kürzlich im Videointerview mit Professor Dr. Fred Wagner vom Institut für Versicherungswissenschaften an der Universität Leipzig noch einmal ausgeführt: „Dass Finanzgebaren, Finanzprodukte oder Institutionen als risikoärmer dargestellt werden, alleine mit dem Bezug auf ein grünes Charakteristikum, oder umgekehrt, dass ich eine Lenkungsförderung zugunsten grüner Tätigkeiten mache unter Abziehung des tatsächlichen Risikos: Das muss nicht sein und es darf nicht sein.“

Der Aspekt der Offenlegung klimabezogener Informationen ist unabhängig davon zu betrachten. Die BaFin spricht sich hier grundsätzlich für Transparenz aus. Sie begrüßt es auch, dass große Versicherungsgesellschaften und Banken, die nach der CSR-Richtlinie bereits zur nichtfinanziellen Berichterstattung verpflichtet sind, in ihrem Lagebericht künftig ausführen müssen, wie und in welchem Umfang ihre Tätigkeiten mit ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten verbunden sind. Investmentfonds und andere Finanzmarktteilnehmer, die Produkte beispielsweise „ökologisch“ nennen, müssen künftig über deren Taxonomie-konformen Anteil informieren. Die Details werden entsprechende Delegierte Rechtsakte noch klären.

Delegierte Rechtsakte sind nach dem Einigungsprozess zwischen Europäischem Rat, EU-Parlament und Kommission der nächste wichtige Schritt. Eine Expertenplattform bestehend aus 57 Vertretern aller Stakeholder soll den europäischen Gesetzgeber dabei unterstützen. Anzuwenden ist die Taxonomie-Verordnung ab dem 1. Januar 2022.

Interview:„Flexibles System, das an Verhaltensweisen anknüpft“

Frank Pierschel, Chief Sustainable Finance Officer der BaFin, zur Taxonomie-Verordnung der Europäischen Union.

Herr Pierschel, stellt die Taxonomie-Verordnung unmissverständlich klar, was grüne Finanzanlagen ausmacht?

Ja, aber indirekt. Denn Sie müssen wissen: Die Taxonomie stellt auf Tätigkeiten ab, nicht auf bestimmte Finanzinstrumente. Anders geht das aus meiner Sicht auch kaum. Sind Aktien denn per se grün oder braun? Weder noch. Es kommt darauf an, was und wie die Aktiengesellschaft produziert. Und das kann sich bei anpassungsfähigen Unternehmen im Laufe der Jahre ja auch durchaus ändern. Um den größten Strukturwandel seit der Industriellen Revolution irgendwie greifbar zu machen, brauchte es ein flexibles System. Und das kann aus meiner Sicht nur an Verhaltensweisen anknüpfen.

Die Taxonomie ist ein großer politischer Konsens. Trotzdem hat sie sicher nicht nur Befürworter…

Unternehmen mit weniger Taxonomie-konformen Geschäftsmodellen haben sicher kein Interesse an einer Liste mit grünen Wirtschaftstätigkeiten. Und Greenwashern dürfte es künftig schwerer fallen, braune Produkte als grün zu verkaufen. Hier sind aber auch weiterhin die Verbraucher selbst gefragt. Je besser sie informiert sind, desto eher durchschauen sie einen solchen Werbetrick.

Die Regeln sind erst ab 1. Januar 2022 anzuwenden. Was müssen die Unternehmen und die Aufsicht bis dahin tun?

Unternehmen unter unserer Aufsicht können ihre Strategie und ihr Portfolio an der einheitlichen Taxonomie ausrichten und dadurch mehr Nachhaltigkeit in der Kapitalanlage verwirklichen. Natürlich bleibt das ihre eigene Entscheidung, denn die Taxonomie zwingt letztlich nur zur Offenlegung des Anlageverhaltens. Aber auch die Offenlegung will vorbereitet sein. Übrigens auch auf der Aufsichtsseite: Die BaFin muss die verbleibenden anderthalb Jahre nutzen, um sich ebenfalls mit der Taxonomie vertraut zu machen und Strategien zu entwickeln, wie sie den ersten Durchlauf der Taxonomie-Berichte 2022 bewältigt.

Autor

Sören Maak-Heß
BaFin-Referat Reden und Publikationen

Hinweis

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Zusatzinformationen

BaFinJournal 08/2020 (Download)

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