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Das Symbolfoto zeigt einen Ausschnitt eines Linien- und Säulendiagramms, auf das mit einem Kugelschreiber gedeutet wird. © pexels.com - Lukas

Erscheinung:13.05.2020 | Thema Solvabilität Fundiert statt konstruiert

Manche Versicherer erfüllen die Solvabilitätsvorschriften unter Solvency II nur mit der Hilfe von Übergangsmaßnahmen. Spätestens am 1. Januar 2032 müssen sie es ohne schaffen. Zum Beleg ihrer Fortschritte reichen sie der Aufsicht Prognoserechnungen ein. Die Annahmen zur Entwicklung risikoloser Zinsen gibt die BaFin nun vor.

Papier ist geduldig? Nicht, wenn es um bestimmte Annahmen in den Prognosen geht, mit denen Versicherer berechnen, ob sie zum 1. Januar 2032 die Solvabilitätsvorschriften unter Solvency II wohl werden einhalten können. Der Übergangszeitraum mag großzügig bemessen erscheinen. Bis dahin verlangt die BaFin von Unternehmen, die auf Übergangsmaßnahmen angewiesen sind (siehe Infokasten „Übergangszeitraum für die Solvabilitätsvorschriften nach Solvenvcy II“), aber durchgehend und regelmäßig Maßnahmenpläne und Fortschrittsberichte, aus denen hervorgeht, ob sich die betroffenen Unternehmen dem Ziel nähern. Diese Berichte prüft die Aufsicht genau. Und mit den Annahmen zur Entwicklung risikoloser Zinsen gibt sie einen der wichtigsten Parameter fest vor.

Auf einen Blick:Übergangszeitraum für die Solvabilitätsvorschriften nach Solvenvcy II

Mit dem reformierten europäischen Aufsichtsregime für Versicherer, Solvency II, führte der europäische Gesetzgeber zum 1. Januar 2016 eine Reihe von Vorschriften ein, die sich drei Säulen zuordnen lassen.

Die Eigenmittelanforderungen bilden die erste Säule1 – dazu gehören die Solvenzkapitalanforderung (Solvency Capital RequirementSCR) bzw. deren Bedeckung mit Eigenmitten. Aufsichtsbehörden wie die BaFin können Versicherern bis zum 1. Januar 2032 einen Aufschub und bestimmte Erleichterungen gewähren – namentlich die zins- und versicherungstechnischen Übergangsinstrumente gemäß den §§ 351 und 352 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG).

Der Versicherer muss sich dem Ziel einer ausreichenden Bedeckung ohne Übergangsmaßnahmen aber schrittweise nähern und es zum 1. Januar 2032 erfüllen. Um dies sicherzustellen, müssen die Anwender von Übergangsmaßnahmen, die ohne diese Maßnahmen nicht ausreichend bedeckt sind, der Aufsicht nach § 353 VAG einen Maßnahmenplan vorlegen, mit dem sie die Solvenzkapitalanforderungen am Ende des Übergangszeitraums einhalten können. Ihre Erfolge müssen die Versicherer der Aufsicht in ihrem jährlichen Fortschrittsbericht nachvollziehbar darlegen.

Die BaFin prüft die zugrundeliegenden Annahmen und schaut sich genau an, ob die Maßnahmen realisierbar sind.

Grundlage für die Beurteilung der Maßnahmenpläne und Fortschrittsberichte ist die voraussichtliche Situation zum 1. Januar 2032. Maßnahmenpläne und Fortschrittsberichte beinhalten daher regelmäßig Prognoserechnungen über einen langen Zeitraum. Diese beruhen auf vielfältigen Annahmen. Allerdings sind Vorhersagen zur künftigen Entwicklung der Kapitalmärkte und des eigenen Versicherungsgeschäfts mit einer hohen Unsicherheit behaftet. Die Unternehmen sollten die zugrundeliegenden Annahmen daher fundiert herleiten und ausführlich begründen. Sie müssen auch untersuchen, wie stark die Ergebnisse von bestimmten positiven Entwicklungen abhängen, die sie in den Prognosen unterstellt haben.

Bei diesen Sensitivitätsanalysen gilt es zu beachten, dass die Unternehmen einige Maßnahmen, wie beispielsweise den erfolgreichen Abschluss von Rückversicherungsverträgen, die Aufnahme von Eigen- oder Hybridkapital und eine Bestandsübertragung, nur teilweise beeinflussen können. Daher müssen sie darlegen, wie es sich auf das Unternehmen auswirkt, wenn es eine geplante Maßnahme nicht bzw. nicht in vollen Umfang umsetzen kann.

Vorgelegte Berichte nicht immer realistisch

Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass insbesondere die Annahmen über die künftige Höhe der risikolosen Zinsen eine zentrale Rolle in den Prognosen spielen. Sie dienen als eine Grundlage, um die künftigen Kapitalanlagerenditen zu prognostizieren und den Kapitalanlagebestand des Unternehmens fortzuschreiben. Außerdem bilden sie die Basis, auf der die versicherungstechnischen Rückstellungen marktkonsistent zu bewerten sind.

Bei den Annahmen zum künftigen risikofreien Zinsniveau unterstellten die Unternehmen bislang häufig steigende Zinsen – sie gingen somit davon aus, dass das aktuelle Niedrigzinsumfeld nur vorübergehender Natur ist und sich das Zinsniveau bis zum Ende der Übergangsmaßnahme deutlich erholt. Die Unternehmen implementierten diese Annahme typischerweise, indem sie die aktuelle Zinsstrukturkurve implizit auf Basis der gültigen Forward-Zinssätze in die Zukunft fortschrieben. Dieser Ansatz weist jedoch die Schwäche auf, dass er in der Regel deutlich steigende Zinsen bis zum Ende des Übergangszeitraums prognostiziert. In der Vergangenheit hat sich aber bereits gezeigt, dass diese Methode keine gute Prognose für die tatsächliche künftige Zinsentwicklung liefert. Auch theoretisch lässt sich dieser Ansatz nicht ausreichend begründen.

Die BaFin muss ihre Genehmigung für die Übergangsmaßnahmen nach den §§ 351 und 352 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) widerrufen, wenn im Fortschrittsbericht deutlich wird, dass das Unternehmen am Ende des Übergangszeitraum die Solvenzkapitalanforderungen realistischerweise nicht wird einhalten können. Zur Beurteilung ist es daher maßgeblich, dass die vorgelegten Prognosen fundiert sind. Fest steht: Der Versicherer muss die Solvenzkapitalanforderung auch dann gewährleisten, wenn sich das Zinsniveau nicht erholt, sondern dauerhaft niedrig bleibt.

BaFin führt einheitliche Vorgabe der Zinsannahmen ein

Mit der Pflicht zur Vorlage von Maßnahmenplänen und Fortschrittsberichten wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass die Unternehmen effektive Maßnahmen ergreifen, um die Kapitalanforderung schließlich ohne Übergangsinstrumente einhalten zu können. Es kommt darauf an, das Risikoprofil zu senken und die Eigenmittel zu erhöhen. Die in den Plänen enthaltenen Annahmen und Maßnahmen sind überwiegend unternehmensindividuell. Dies gilt künftig aber nicht mehr für die Annahmen zur Zinsentwicklung. Um eine gleichförmige Aufsicht sicherzustellen, hat sich die BaFin nun dazu entschieden, mit einer Auslegungsentscheidung einheitliche Vorgaben für die Annahmen zur Entwicklung risikoloser Zinsen zu machen (siehe Meldung „Zinsannahmen“, Seite xy). Alle Anwender von Übergangsmaßnahmen müssen diese Vorgaben künftig berücksichtigen.

Die Aufsicht spezifiziert drei verschiedene Zinsszenarien, die die Unternehmen künftig als Basis für die notwendigen Prognoserechnungen heranziehen müssen. Die Szenarien sollen auch bei weiteren aufsichtsrechtlichen Prognosen zum Einsatz kommen – beispielsweise bei einem Sachstandsbericht in der intensivierten Aufsicht. Die Unternehmen müssen sich mit allen drei Szenarien auseinandersetzen und darlegen, inwiefern ihre Maßnahmen sicherstellen, dass sie zum Ende des Übergangszeitraums die Solvenzkapitalanforderung einhalten und damit die Solvabilitätsvorschriften dauerhaft erfüllen werden.

Eine zuverlässige Methode zur Vorhersage der künftigen Zinsentwicklung existiert nicht. Die vorgegebenen Zinsszenarien decken daher ein breites Spektrum ab: Die BaFin hat ein konservatives, ein mittleres sowie ein optimistischeres Szenario definiert. Sie orientieren sich an dem tatsächlichen Zinsniveau seit dem Start von Solvency II und basieren somit insbesondere nicht auf der Annahme eines künftigen Zinsanstiegs. Die Vorgabe dreier Zinsszenarien trägt der Unsicherheit über die künftige Zinsentwicklung ausreichend Rechnung. Es steht den Unternehmen natürlich frei, weitere unternehmensindividuelle Szenarien durchzurechnen und einzureichen.

Weitere Annahmen

In ihren Maßnahmenplänen treffen die Unternehmen viele weitere relevante Annahmen, beispielsweise zum Spreadaufschlag für risikobehaftete Kapitalanlagen, der aufgrund der Unterschiede in den von den Unternehmen verfolgten Kapitalanlagestrategien unternehmensindividuell festzulegen ist. Gleiches gilt für die Renditeannahmen nicht festverzinslicher Anlagen. Darüber hinaus gehen etwa auch Annahmen zum künftigen Neugeschäft, zur künftigen Kostenbelastung oder zum Stornoverhalten der Versicherungsnehmer in die Prognosen ein.

Auch hier muss das Unternehmen darstellen, wie realistisch die Annahmen sind und welche Unsicherheiten bestehen. Sollte ein Unternehmen beispielsweise annehmen, im Neugeschäft signifikant mehr Risikoversicherungen abschließen zu können, muss es diese Annahmen ausführlich begründen und belegen, dass es diese Produktionssteigerung tatsächlich erreichen kann. Bei einzelnen Unternehmen können sich abhängig vom Risikoprofil auch Sensitivitätsanalysen zu Storno- und Kostenannahmen als notwendig erweisen. Diese Verpflichtung trifft zum Beispiel Unternehmen, die davon ausgehen, in großem Stil Kosten einsparen zu können.

Weitere Instrumente der Aufsicht

Der Widerruf der Genehmigung für die Übergangsmaßnahmen ist die Ultima Ratio unter den Aufsichtsinstrumenten der BaFin. Sind die vom Unternehmen ergriffenen Maßnahmen aus ihrer Sicht nicht ausreichend, um sicherzustellen, dass es die Solvenzkapitalanforderung am Ende des Übergangszeitraums einhält, prüft sie zunächst andere aufsichtliche Maßnahmen.

Bei der Übergangsmaßnahme für versicherungstechnische Rückstellungen nach § 352 VAG können Versicherungsunternehmen „mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde bei versicherungstechnischen Rückstellungen vorübergehend einen Abzug“ geltend machen, was sie bilanziell entlastet. Die BaFin kann nach Absatz 3 aber verlangen, dass das Unternehmen den Abzugsbetrag alle 24 Monate neu berechnet. Der Abzug berücksichtigt dann auch aktualisierte Annahmen wie einen gegebenenfalls veränderten Referenzzins nach der Deckungsrückstellungsverordnung und stellt die finanzielle Situation des Unternehmens somit transparenter dar.

Darüber hinaus kann die Aufsichtsbehörde gemäß § 301 Absatz 1 Nr. 4 VAG einen Kapitalaufschlag auf die Kapitalanforderung für ein Versicherungsunternehmen festsetzen, wenn dessen Risikoprofil erheblich von den Annahmen abweicht, die der Übergangsmaßnahme zugrundeliegen. Ein solcher Kapitalaufschlag kommt daher insbesondere in Frage, wenn die BaFin aufgrund eines Fortschrittsberichts Zweifel daran hat, dass ein Unternehmen sein Risikoprofil im Übergangszeitraum ausreichend anpasst und ab 1. Januar 2032 die aufsichtsrechtlichen Kapitalanforderungen einhält.

Um es bei diesen Maßnahmen zu belassen, muss es die BaFin weiterhin für möglich halten, dass das Unternehmen das Ziel noch erreicht. Andernfalls widerruft sie ihre Genehmigung.

Autorinnen

Dr. Hannah Wesker
BaFin-Referat Kompetenz Aktuariat Lebensversicherung/Sterbekassen/UPR
Beate Hannemann
BaFin-Referat Solvabilität, Rechnungslegung, Rückstellungen, Berichtswesen (inhaltlich)

Hinweis

Der Beitrag gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im BaFinJournal wieder und wird nicht nachträglich aktualisiert. Bitte beachten Sie die Allgemeinen Nutzungsbedingungen.

Fußnote:

  1. 1 Die zweite Säule umfasst die Grundsätze und Methoden der Aufsicht und die qualitativen Anforderungen an die Ausübung der Tätigkeit der Versicherer. Die dritte Säule befasst sich mit Marktdisziplin, Transparenz und Veröffentlichungspflichten und dem Meldewesen gegenüber den Aufsichtsbehörden.

Zusatzinformationen

BaFinJournal 05/2020 (Download)

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