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Foto zeigt den Präsidenten der BaFin, Felix Hufeld © BaFin

Erscheinung:13.05.2020 „Blinder Leichtsinn? Nein!“

Seit Ausbruch der Corona-Pandemie ist vieles anders – auch die diesjährige Pressekonferenz der BaFin. Die findet telefonisch statt. Im Zentrum des Interesses: (nicht nur) die Corona-Pandemie.

Dienstagmorgen, kurz vor halb zehn. Felix Hufeld, Chef der Finanzaufsicht BaFin, wählt sich von seinem Bonner Büro aus in die Pressekonferenz seiner Behörde ein. Die findet nämlich wegen der Corona-Pandemie in diesem Jahr telefonisch statt. Neben dem Präsidenten: seine Sprecherin, Dr. Sabine Reimer. Virtuell mit von der Partie sind auch Hufelds Kolleginnen und Kollegen aus dem Direktorium: Béatrice Freiwald, Elisabeth Roegele, Dr. Frank Grund, Dr. Thorsten Pötzsch und Raimund Röseler. Ebenfalls am Telefon: rund 50 Journalistinnen und Journalisten.

Diese Konstellation ist nicht „das Format für längliche Ausführungen“, stellt Hufeld gleich zu Beginn seines Statements fest und kommt ohne Umwege zur Sache: Die BaFin habe ihre aufsichtlichen Rahmenbedingungen denen der Corona-Krise angepasst (siehe Beitrag „BaFin passt Rahmenbedingungen in der Krise an“). Eines von vielen Beispielen: Die Aufsicht hat den Banken und Sparkassen erlaubt, Kapitalpolster zu nutzen – „Polster, die sie“, das ist Hufeld wichtig, „in guten Zeiten für schlechte Zeiten anlegen mussten“. Mit diesen und weiteren temporären Maßnahmen will die Aufsicht zum Beispiel die Banken und Sparkassen stärken und ihnen in der Krise den Rücken freihalten. „Damit sie zügig die eigenen und die bereitgestellten öffentlichen Mittel dorthin leiten können, wo sie gebraucht werden“, erläutert Hufeld.

Zwei Institute auf der Intensivstation

Hufeld ist sich bewusst, dass sich die Banken gerade in einer „heiklen Gemengelage“ befinden: „die Erträge seit Jahren schwach, die Zinsen niedrig, die digitale Konkurrenz umtriebig – und jetzt noch die Corona-Krise.“ Zwei Institute seien coronabedingt auch schon auf die Intensivstation der BaFin verlegt worden, berichtet Exekutivdirektor Raimund Röseler auf Nachfrage.

Dennoch bescheinigt Hufeld dem deutschen Bankensektor, heute relativ widerstandsfähig zu sein und zu funktionieren. Den Grund liefert er gleich mit: Jetzt, in der neuen Krise, ernte man die Früchte der Regulierungsreformen aus der Zeit nach der Krise 2007/2008. Und die sind: mehr Stabilität durch mehr und besseres Kapital und durch mehr Liquidität.

Hufeld wie auch Röseler wissen allerdings, dass die Lage heute weniger gut wäre, wenn Staat, Europäische Zentralbank und Aufsicht keine weitgehenden Maßnahmen ergriffen hätten. Noch sei die Corona-Krise in den Bankbilanzen nicht mit aller Wucht angekommen, macht Röseler deutlich. Die Aufsicht kann auch nicht ausschließen, dass trotz der milliardenschweren Hilfspakete für die Realwirtschaft Kreditnehmer ausfallen. „In den nächsten Quartalen werden wir grosso modo deutlich höhere Wertberichtigungen sehen“, vermutet Röseler sogar. Die BaFin hat die Banken daher schon mehrmals aufgefordert, ihre Kapitalbasis in der Krise nicht durch Dividendenzahlungen oder Gewinnausschüttungen zu schwächen (siehe BaFinJournal April 2020). Eine Botschaft, die – das wird am Dienstag noch einmal deutlich – weitgehend angekommen ist.

Auch wenn niemand seriös voraussagen kann, wie es in der Corona-Krise weitergeht, droht laut Hufeld aus heutiger Sicht keine Systemkrise. Er werde zwar seine Hand nicht für jede einzelne Bank ins Feuer legen, schränkt der Chef-Aufseher ein, „das täte ich auch ohne Corona-Krise nicht“. Aber der Bankensektor habe das Zeug, die Krise zu überstehen – wenn auch mit einigen Blessuren.

Lebensversicherer im Dauerzinstief

Problem Nr. 1 der Lebensversicherer ist nach wie vor das Dauerzinstief. Die Corona-Krise setzt den Unternehmen in der Kapitalanlage zusätzlich zu. Ist die Situation existenzbedrohend? Stand heute nicht. Zwar werden die Solvenzquoten wohl sinken. Das hat eine Abfrage der BaFin bei ausgewählten Lebensversicherern ergeben. Aber die gute Nachricht lautet: Bei keinem dieser Unternehmen kommt es zu einer Unterdeckung. „Was auch an der Flexibilität des Regelwerks Solvency II liegt“, kommentiert Hufeld.

Auch die Antwort auf die Frage, wie es mit den Versicherern weitergehe, ist mit Unsicherheit behaftet. Alles in allem hält die BaFin die Branche für widerstandsfähig. Aber „noch wissen wir nicht, ob sich die Verwerfungen verstetigen, die wir gerade auf der Assetseite sehen“, gibt Hufeld zu bedenken. Man wisse auch noch nicht, wie schnell sich die Vermögenswerte stabilisieren.

Für Betriebsschließungen zahlen?

Sollte man Versicherer dazu verdonnern, coronabedingte Verluste – etwa aufgrund von Betriebsschließungen – auch dann zu decken, wenn die Vertragsbedingungen dies definitiv nicht hergeben? Davon hält Exekutivdirektor Dr. Frank Grund nach wie vor nichts: „Fälle, die eindeutig nicht gedeckt sind, sollten aus unserer Sicht auch nicht zulasten des Versicherungskollektivs bezahlt werden.“ Dagegen würden Fälle, die eindeutig gedeckt seien, nach seiner Einschätzung auch bezahlt. Und wenn die Dinge nicht so klar sind? Es gebe sicherlich auch eine Anzahl von grauen Fällen, über die man im Einzelfall diskutieren könne. Bei solchen unklaren Konstellationen sollten die Parteien nach Möglichkeit eine vernünftige Lösung erzielen. Es gebe aufsichtlich völlig nachvollziehbare Gründe zu sagen: „Zur Vermeidung eines Rechtsstreits, der ja auch noch Geld kostet, möchte ich hier eine Leistung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht zahlen“. Man dürfe bei all dem auch nicht vergessen, dass Unternehmen ihre Reputation im Blick haben müssten.

Auf die Lage der Pensionskassen angesprochen, sagte Grund, deren Lage sei bereits vor Corona nicht entspannt gewesen. „Es bleibt bei der Notwendigkeit, dass die Arbeitgeber und Trägerunternehmen die Pensionskassen unterstützen müssen.“ Die Wahrscheinlichkeit, dass in den nächsten Jahren Stützungsmaßnahmen abgerufen werden, sei durch Corona sicherlich gewachsen. Die BaFin steht daher in sehr intensivem Kontakt zu den Pensionskassen und hat rund 35 von ihnen unter intensivierter Aufsicht. Grund bezeichnete Rechnungszinsen von 0,9 Prozent in Angeboten als zu hoch und nicht nachhaltig (siehe BaFinJournal März 2020). „Dort, wo wir Tarife genehmigen – das ist bei regulierten Pensionskassen der Fall – haben wir sehr deutlich gemacht, dass wir Rechnungszinsen oberhalb von 0,25 Prozent nicht unbefristet mehr genehmigen werden.“

Blaues Auge

Die Fondsbranche ist nach Ansicht Hufelds in der Corona-Krise trotz hoher Mittelabflüsse bislang „mit einem blauen Auge davongekommen“. Anleger hätten ihre Anteile in aller Regel problemlos veräußern können. Sollte es erneut zu Liquiditätsabflüssen kommen, wäre zumindest eine Novelle hilfreich, die der Gesetzgeber in Vor-Corona-Zeiten für offene Investmentvermögen auf den Weg gebracht hat und die am 28. März in Kraft getreten ist: Mit drei neuen Instrumenten sollen Kapitalanlagegesellschaften die Liquidität solcher Fonds besser steuern können.

Die Kapitalverwaltungsgesellschaften können nun zum Beispiel Rücknahmefristen einführen. Anlegerinnen und Anleger müssten dann ihren Rückgabewunsch einige Zeit im Voraus anmelden. Möglich sind auch Rückgabebeschränkungen ab einem bestimmten Schwellenwert. Wollen Anleger so viele Anteile zurückgeben, dass ein bestimmter Schwellenwert überschritten wird, kann die Gesellschaft sich dafür entscheiden, diese Rückgabeverlangen vorerst nicht zu bedienen. Das dritte Instrument macht es möglich, Transaktionskosten, die durch Anteilsrücknahmen oder Anteilsausgaben entstehen, verursachergerecht zu verteilen: Die Kosten können in die Berechnung des Nettoinventarwerts eines Fonds einbezogen werden.

Ziel der Novelle: zu vermeiden, dass Fonds geschlossen werden müssen. „Als Aufsicht erwarten wir daher, dass die Kapitalverwaltungsgesellschaften zügig prüfen, ob und welche neuen Tools sie nutzen werden“, macht Hufeld deutlich. Fondsanleger müssen künftig zwar einige Einschränkungen in Kauf nehmen, doch wirken die neuen Instrumente nur befristet und dürften leichter zu verkraften sein als eine Fondsschließung. Exekutivdirektorin Elisabeth Roegele ist sogar überzeugt: „Die neuen Liquiditätstools wirken anlegerschützend.“

Zurück zur Normalität

Nach den Meilensteinen einer Exit-Strategie befragt, will sich Hufeld nicht festlegen, aber er verspricht: „Nach der Krise werden wir zur aufsichtlichen Normalität zurückkehren – in angemessener Zeit und Schritt für Schritt.“ Der BaFin-Präsident kennt die Sorgen vieler Banker: „Wir werden keine Bank dafür bestrafen, dass sie jetzt ihren Beitrag zur Stabilisierung der Wirtschaft leistet“, versichert er noch einmal. Auch in Regulierungsfragen sei besondere Umsicht gefragt. In der Europäischen Union sollen nun einzelne Erleichterungen aus dem 2019er Bankenpaket vorgezogen werden. Dagegen soll unter anderem der Leverage-Ratio-Puffer für global systemrelevante Institute um ein Jahr verschoben werden. „Eine sinnvolle Entscheidung, die zuvor schon in Basel gefallen war“, resümiert Hufeld, und räumt erneut mit einem Missverständnis auf: Wer nun darin „und in unseren temporären Maßnahmen das Fanal für eine neue Deregulierungsoffensive sieht, hat grundlegende Dinge nicht verstanden“.

Geldwäscheprävention in Zeiten der Pandemie

Mit der Corona-Krise einher gehen Befürchtungen, Kriminelle könnten die Ausnahmesituation für verstärkte Geldwäscheaktivitäten ausnutzen. So hat die globale Regulierungsinstitution in der Geldwäschebekämpfung, die Financial Action Task Force (FATF), Aufsichtsbehörden und Banken Anfang Mai ermahnt, noch mehr Wachsamkeit walten zu lassen als üblich.

Grundsätzlich teilt Exekutivdirektor Dr. Thorsten Pötzsch diese Sorgen. Er warnt allerdings vor Verallgemeinerungen. Nicht jeder Betrugsversuch sei ein Geldwäschedelikt. Außerdem tragen die vergangenen Reformen in der Geldwäscheprävention seiner Ansicht nach Früchte: „Die Systeme funktionieren“, stellt er fest. So seien bei der Financial Intelligence Unit (FIU) bereits mehrere Tausend Anzeigen mit Corona-Bezug eingegangen.

Dennoch sieht Pötzsch vor allem auf europäischer Ebene noch Verbesserungsbedarf. Der Exekutivdirektor begrüßt daher den Aktionsplan zur Bekämpfung von Geldwäsche, den die Europäische Kommission am 7. Mai vorgelegt hat. So spricht er sich dafür aus, die Regelungen zur Bekämpfung von Geldwäsche in eine Verordnung zu überführen. Der Vorteil: Verordnungen gelten unmittelbar, die Vorgaben würden also europaweit einheitlich angewendet. Auch eine zentrale europäische Behörde befürwortet Pötzsch. Die Europäische Bankenaufsicht EBA ist in seinen Augen allerdings weniger geeignet. Ideal wäre eine neue Behörde.

Wackelt das Abwicklungsregime in der Krise?

Ob das europäische Abwicklungsregime in der Corona-Krise zur Disposition stehe, wollen mehrere Journalisten wissen. Hufeld und Pötzsch verneinen einhellig. Der einheitliche europäische Bankenabwicklungsmechanismus (Single Resolution MechanismSRM) für große Institute und, grenzüberschreitend tätige Institutsgruppen sei leistungsfähig und habe sich bewährt. Beide schließen zwar nicht aus, dass der SRM infolge der Corona-Krise stärker herausgefordert werde als bisher. Ein größerer Umbau des SRM stehe aber nicht an. Niemand will zum Beispiel, um mit Hufeld zu sprechen, ein System, „das Zombie-Banken ewig am Leben erhält“.

Unabhängig davon gebe es aber seit längerer Zeit auch Überlegungen, die Prinzipien des SRM auf mittelgroße Institute zu übertragen. So schreibt die europäische Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Finanzinstituten (Bank Recovery and Resolution DirectiveBRRD) ein bestimmtes Schema für jeden Abwicklungsfall vor. Ein wesentlicher Punkt: einzuschätzen, ob öffentliches Interesse an einer Abwicklung besteht (Public Interest AssessmentPIA). Fällt ein Institut bei diesem Check durch, greift sofort das nationale Insolvenzrecht – und das ist von EU-Land zu EU-Land noch immer sehr unterschiedlich.

Ein „echtes Problem“, meint Pötzsch und plädiert für eine „Abwicklung light“ für mittelgroße Banken. Es müssten Lösungen für Institute gefunden werden, die bislang zu klein für eine Abwicklung im großen europäischen Rahmen seien, die aber im nationalen Rahmen „too big to fail“ seien, ergänzt Hufeld. „Wenn wir raus aus solchen Hopp- oder Topp-Situationen kommen und zu mehr europäischer Einheitlichkeit finden, dann begrüße ich das.“

Wirecard AG im Fokus

Nach wie vor im Zentrum des medialen Interesses: die Wirecard AG. „Natürlich schauen wir uns Wirecard genau an“, sagt Hufeld. Das tue die BaFin schon seit geraumer Zeit – allerdings mit Blick auf ihre Zuständigkeit. „Als börsennotiertes Unternehmen unterliegt die Wirecard AG nicht einer laufenden Aufsicht, also haben wir hier keine Befugnisse, Geschäftsführerbestellungen zu genehmigen oder Einspruch zu erheben“, ergänzt Roegele. Aktuell analysiere die Aufsicht „mit Hochdruck“ den Sonderprüfungsbericht des Wirtschaftsprüfungsunternehmens KPMG. Konkret prüft die BaFin, ob der Bericht dem widerspricht, was die Wirecard AG rund um den Bericht kommuniziert hat. Ebenfalls im Fokus: Ob der Bericht Aussagen dazu enthält, ob Wirecard veröffentlichungspflichtige Informationen zurückgehalten oder falsch darüber informiert hat. „Soweit wir Anhaltspunkte diesbezüglich finden, werden wir unverzüglich Anzeige bei der Staatsanwaltschaft stellen“, macht Roegele klar. Das mache die BaFin auch, wenn ihre eigenen Untersuchungsbefugnisse nicht weitreichend genug sind, um die offenen Fragen zu klären.

Dienstagvormittag, kurz nach elf: Die Pressekonferenz der BaFin ist beendet – nach einer kurzen Einführung und vielen Nachfragen. Eine telefonische Pressekonferenz mag nicht das Format für längliche Ausführungen sein, wohl aber für spannende Themen.

Hinweis

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Zusatzinformationen

BaFinJournal 05/2020 (Download)

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