BaFin - Navigation & Service

Abbildung einer Waage mit dem Schriftzug "Verantwortung ernst nehmen" als Symbolfoto ©

Erscheinung:17.03.2020 Verantwortung ernst nehmen

Lebensversicherer, Pensionskassen und Pensionsfonds gehen nicht angemessen mit den Marktrisiken um, wenn sie in der Niedrigzinsphase den Höchstrechnungszins für die Deckungsrückstellung unreflektiert als Garantiezins ins Neugeschäft übernehmen. Besonders der Verantwortliche Aktuar und die versicherungsmathematische Funktion sind in der Pflicht.

Kapitalbildende Lebensversicherungsverträge sind für viele Menschen in Deutschland ein wesentlicher Teil ihrer Altersvorsorge. Dabei dominieren Lebensversicherungsprodukte, die einen Garantiezins enthalten und daher eine bestimmte Mindesthöhe für die einmalige Ablauf- oder die dauerhafte Rentenleistung vorsehen. Nicht nur Lebensversicherer garantieren bestimmte Leistungen, sondern auch die Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (EbAV), also Pensionskassen und Pensionsfonds. Der Garantiezins darf allerdings nicht mit dem Höchstrechnungszins verwechselt werden (siehe Infokasten „Garantiezins versus Höchstrechnungszins“).

Definition:Garantiezins versus Höchstrechnungszins

Die Öffentlichkeit setzt die Begriffe „Garantiezins“ und „Höchstrechnungszins“ oft gleich – ein Fehler. Garantiezinsen verwenden die Anbieter bei der Kalkulation der Beiträge und Leistungen ihrer kapitalbildenden Produkte. Damit sie ihre Leistungsversprechen jederzeit einhalten können, müssen sie eine ausreichend hohe Deckungsrückstellung bilden. Diese müssen sie mit einem Zinssatz berechnen, der nicht höher ist als der gesetzlich vorgegebene Höchstrechnungszins, der bei Vertragsabschluss gültig war. Das gilt zwar nicht für regulierte Pensionskassen, aber auch diese müssen so kalkulieren, dass die dauernde Erfüllbarkeit ihrer Verpflichtungen sichergestellt ist.

Es ist zulässig – und kann in Zeiten extrem niedriger Kapitalmarktzinsen auch geboten sein –, einen Garantiezins anzusetzen, der unter dem Höchstrechnungszins liegt. Aktuell beträgt der Höchstrechnungszins 0,9 Prozent. Er wird vom Bundesministerium der Finanzen festgesetzt.

Dass Anbieter ihre Beiträge und Leistungen in der Vergangenheit oft genau mit dem Höchstrechnungszins berechnet haben, lag vor allem am Wettbewerb um Kunden und Marktanteile. Im gegenwärtigen Zinsumfeld liegen die risikofreien Marktzinssätze jedoch teilweise deutlich unter dem aktuellen Höchstrechnungszins von 0,9 Prozent. Aus Sicht der BaFin bestehen daher erhebliche Zweifel, ob die einzelnen Anbieter auf Dauer mit hinreichender Sicherheit in der Lage sein werden, in ihrer Neu- und Wiederanlage Renditen oberhalb des aktuellen Höchstrechnungszinses zu erzielen. Dies gilt vor allem, wenn langlaufende Sparprodukte den Schwerpunkt des Neugeschäfts darstellen.

Für ein ordnungsgemäßes Risikomanagement ist es erforderlich, dass sich die Anbieter intensiv damit auseinandersetzen, welchen Garantiezins im Neugeschäft sie sich im Hinblick auf ihre Risikotragfähigkeit und ihre Ertragskraft leisten können. In ihrer aktuellen Prognoserechnung hat die BaFin jedoch festgestellt, dass noch mehr als ein Viertel aller Lebensversicherer, deren Neugeschäft langlaufende Sparprodukte umfasst, die Leistungen mit einem durchschnittlichen Garantiezins in Höhe des Höchstrechnungszinses berechnet. Ein weiteres Viertel liegt nur unwesentlich darunter. Bei EbAV stellt sich die Situation ähnlich dar. Eine wesentliche Zahl regulierter Pensionskassen verwendet im Neugeschäft sogar noch einen Garantiezins über dem Höchstrechnungszins.

Die BaFin kann derzeit daher nicht davon ausgehen, dass sich alle Anbieter der Probleme bewusst sind, die ihre Zinsversprechen mit sich bringen können. Besonders wichtige Rollen mit entsprechenden Einflussmöglichkeiten auf die Geschäftsleitung füllen in diesem Zusammenhang Mitarbeiter in der versicherungsmathematischen Funktion und der Verantwortliche Aktuar aus.

Versicherungsmathematische Funktion

Zu den Aufgaben der versicherungsmathematischen Funktion gehört es, sich zur Zeichnungspolitik des Anbieters zu positionieren. Sie muss sich gegenüber der Geschäftsleitung des Anbieters unter anderem zur Hinlänglichkeit der Prämien im Neugeschäft äußern und dazu, ob die Prämien ausreichen, um die in den Versicherungsverträgen gegebenen Garantien einzuhalten.

Die BaFin erwartet deshalb, dass die versicherungsmathematische Funktion für langlaufende Sparprodukte mit Zinsgarantie analysiert, ob die aus den Neu- und Wiederanlagen des Unternehmens zu erwartenden Renditen langfristig mit hinreichender Sicherheit ausreichen, um den im Neugeschäft versprochenen Garantiezins zu erwirtschaften. Dabei muss sie die individuellen Verhältnisse des Unternehmens wie etwa die Kapitalanlagestrategie berücksichtigen. Es kommt auch darauf an, wie der Anbieter seine Produkte konkret gestaltet. Ein pauschaler Verweis darauf, dass der Garantiezins nicht höher ist als der aktuell gültige Höchstrechnungszins, reicht daher keinesfalls aus.

Um die Prämien beurteilen zu können, muss sich die versicherungsmathematische Funktion mit der Profitabilität und den Risiken der angebotenen Produkte beschäftigen. Hierzu gehört die Frage, wie sich die Eigenmittel und die Solvabilitätskapitalanforderung voraussichtlich entwickeln, wenn das Unternehmen im Neugeschäft Verträge mit dem vorgesehenen Garantiezins schließt. Die versicherungsmathematische Funktion sollte also darüber im Bilde sein, wie der Garantiezins die Bedeckungsquote der Solvabilitätskapitalanforderung beeinflusst.

Verantwortlicher Aktuar

Auch dem Verantwortlichen Aktuar kommt eine besondere Bedeutung zu. Seine Stellung verpflichtet ihn, die Rechte und Interessen der Versicherungsnehmer zu wahren. Er soll dazu beitragen, die dauernde Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den Verträgen zu gewährleisten. Daher nimmt er eine wichtige verbraucherschützende Stellung im Unternehmen ein.

Bei den Aufgaben des Verantwortlichen Aktuars steht das Handelsrecht im Vordergrund. Laut Versicherungsaufsichtsgesetz (§ 141 VAG) muss er für die korrekte Berechnung der handelsrechtlichen Deckungsrückstellung sorgen. Außerdem muss er ausreichend hohe Prämien sicherstellen, damit das Unternehmen seinen Verpflichtungen nachkommen kann und in der Lage ist, ausreichende Deckungsrückstellungen zu bilden.

Wenn der Verantwortliche Aktuar und die versicherungsmathematische Funktion den Garantiezins im Neugeschäft überprüfen, sollten sie die für die Zukunft in der Neu- und Wiederanlage erwarteten Kapitalerträge berücksichtigen und nicht nur auf den jeweils geltenden Höchstrechnungszins verweisen. Die BaFin erwartet, dass der Verantwortliche Aktuar das Überprüfungsergebnis in seinen Bericht an den Vorstand (Erläuterungsbericht) aufnimmt.

Gemeinsame Verantwortung

Da sich die Aufgaben von versicherungsmathematischer Funktion und Verantwortlichem Aktuar überschneiden, ist ein enger Austausch zwischen beiden Funktionen wichtig. Statt Doppelarbeiten zu verrichten, lassen sich Synergien heben. Beide können sich etwa auf Analysen der anderen Funktion beziehen.

Beide Funktionen können nur mit einem hohen Maß an verantwortungsvollem und vorausschauendem Handeln sicherstellen, dass die Anbieter im Neugeschäft einen angemessenen und auf Dauer hinreichend sicheren Garantiezins festlegen. Die Laufzeiten kapitalbildender Produkte betragen oftmals viele Jahrzehnte. Daraus ergeben sich besonders große Unsicherheiten, denen versicherungsmathematische Funktion und Verantwortlicher Aktuar Rechnung tragen müssen. Das aktuelle Zinsumfeld zeigt eindrucksvoll, wie sehr sich die Rahmenbedingungen über derart lange Vertragslaufzeiten ändern und hohe Zinsversprechen der Vergangenheit die Unternehmen belasten können. Daraus sollten versicherungsmathematische Funktion und Verantwortlicher Aktuar für die Zukunft die richtigen Lehren ziehen und auch in der Vergangenheit übliche Vorgehensweisen kritisch hinterfragen.

Fazit

Die Aufgaben der versicherungsmathematischen Funktion und des Verantwortlichen Aktuars sind eng miteinander verknüpft. Grundvoraussetzung für ein effektives Handeln ist daher ein intensiver Austausch. Gemeinsam tragen sie dafür Sorge, dass die Lebensversicherer und EbAV Zinsgarantien unabhängig vom gültigen Höchstrechnungszins in einer Höhe vereinbaren, die sie über die gesamte Laufzeit der Verträge stets einhalten können.

Autoren

Dietrich Driller
Dr. Guido Werner
BaFin-Grundsatzreferat Lebensversicherungen

Hinweis

Der Beitrag gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im BaFinJournal wieder und wird nicht nachträglich aktualisiert. Bitte beachten Sie die Allgemeinen Nutzungsbedingungen.

Zusatzinformationen

BaFinJournal 03/2020 (Download)

Fanden Sie den Beitrag hilfreich?

Wir freuen uns über Ihr Feedback

Es hilft uns, die Webseite kontinuierlich zu verbessern und aktuell zu halten. Bei Fragen, für deren Beantwortung wir Sie kontaktieren sollen, nutzen Sie bitte unser Kontaktformular. Hinweise auf tatsächliche oder mögliche Verstöße gegen aufsichtsrechtliche Vorschriften richten Sie bitte an unsere Hinweisgeberstelle.

Wir freuen uns über Ihr Feedback