BaFin - Navigation & Service

Abbildung einer Doppelwaage, auf der ein kleiner Stein und ein großer Stein liegen. Dabei wiegt der kleine Stein schwerer als der Große. © istockphoto.com/tdhster

Erscheinung:16.01.2020 | Thema Verbraucherschutz Gehebelt zum Totalverlust

Anleger halten Faktor-Zertifikate oft länger als einen Tag. Mit der Zeit erhöht sich aber die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Kurs des Referenzwerts anders entwickelt, als sie es erwarten. Dann drohen hohe Verluste. Denn während die Basiswerte wie etwa Aktien Kursverluste aufholen können, ist das bei Faktor-Zertifikaten, die auf Aktien basieren, nahezu unmöglich.

Was paradox klingt, ist Realität: Bei Faktor-Zertifikaten kann faktisch ein Totalverlust entstehen, obwohl sich der Referenzwert, der dem Zertifikat zugrunde liegt, unter dem Strich in die erwartete Richtung entwickelt hat. Schon geringe Schwankungen des Referenzwerts führen zu massiven Kursverlusten des Zertifikats. Die BaFin weiß aus Beschwerden, dass Verbraucherinnen und Verbraucher dies nur selten nachvollziehen können. In einer Marktuntersuchung hat sie nun deren Verhalten analysiert. Demnach halten Privatanleger Faktor-Zertifikate oft länger als einen Tag, was der Haltedauer widerspricht, die der Emittent im Basisinformationsblatt (BIB) empfiehlt. So kommt es vielfach zu hohen Verlusten.

Was sind Faktor-Zertifikate?

Faktor-Zertifikate sind Inhaberschuldverschreibungen, die abbilden, wie sich der Kurs eines Referenzwerts – beispielsweise Aktien, Indizes und Rohstoff-Futures – täglich entwickelt. Allerdings multipliziert das Faktor-Zertifikat den prozentualen Kursanstieg oder -verlust des Referenzwerts mit einem vertraglich festgelegten Faktor, dem Hebel. Der ist im Gegensatz zu Knock-Out-Zertifikaten oder Optionsscheinen nicht variabel bzw. dynamisch, sondern vertraglich festgelegt. Somit bilden Faktor-Zertifikate überproportional ab, wie sich Referenzwerte entwickeln. Emittenten bieten regelmäßig Faktor-Zertifikate mit einem Hebel von bis zu 15 an.

Faktor-Zertifikate haben in der Regel eine unbegrenzte Laufzeit (Open-End, siehe BaFinJournal Mai 2019), der Emittent kann sie jedoch regelmäßig zum nächsten Handelstag kündigen. Anleger können auf einen steigenden oder fallenden Referenzwert setzen (siehe Frage „Was sind Long- und Short-Zertifikate?).

Emittenten berechnen den Wert des Faktor-Zertifikats durchaus unterschiedlich. In vielen Fällen sind nicht etwa die Aktie, der Index oder der Future unmittelbarer Basiswert, sondern ein Faktorindex, auch Strategieindex genannt. Diesen berechnet der Emittent selbst auf Basis einer in den rechtlichen Dokumenten angegebenen Formel (siehe Infokasten).

Definition:Strategieindex

Komplizierter Mechanismus: Der Strategieindex besteht aus einer Hebel- und einer Finanzierungskomponente. Die Hebelkomponente bildet den Kursverlauf des Referenzwerts überproportional ab. Dabei wird die prozentuale Wertentwicklung zwischen den Bewertungstagen mit dem festgelegten Faktor multipliziert. Die Finanzierungskomponente beinhaltet einen Zins (Referenzzinssatz), von welchem ein Finanzierungsspread und eine Indexgebühr abgezogen werden. Sie soll die Kosten berücksichtigen, die dem Emittenten entstehen, wenn er den Wert vom Strategieindex nachbildet.

Strategieindex-Formel

Strategieindexformel BaFin Strategieindex-Formel

Welche Chancen bieten Faktor-Zertifikate?

Aufgrund des Hebeleffekts haben Anleger die Möglichkeit, mit ihrem Faktor-Zertifikat an der Wertentwicklung des Referenzwerts überproportional teilzuhaben. Die Gewinne sind theoretisch unbegrenzt. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass sich der Kurs des Referenzwerts nahezu ununterbrochen in die vom Anleger erwartete Richtung entwickelt.

Wo liegen die Risiken?

Die Aussicht auf hohe Gewinne hat eine Kehrseite: Der Hebel kann auch zu überproportionalen Verlusten führen. Ein Totalverlust ist selbst bei einer Seitwärtsbewegung des Referenzwerts möglich.

Diese negative Seitwärtsrendite veranschaulicht Abbildung 1: Wenn der Referenzwert eines Long-Zertifikats von 10 auf 11 Euro steigt, entspricht das 10 Prozent Wachstum bzw. 80 Prozent unter Berücksichtigung des Faktor-8-Hebels. Der Preis des Faktor-Zertifikats erhöht sich also von 10 auf 18 Euro. Am Folgetag fällt der Referenzwert von 11 auf 10 Euro, was einem Minus von 9,1 Prozent gleichkommt. Das gehebelte, achtfache Minus von 72,8 Prozent wird nun aber von 18 Euro abgezogen, wodurch das Faktor-Zertifikat den Ausgangswert von 10 Euro nach unten durchbricht und bei 4,91 Euro landet. Diese Berechnungsmethodik führt dazu, dass das Faktor-Zertifikat mit einem Hebel von 8 über die angenommene Haltedauer von 15 Tagen rund 99 Prozent seines Werts verliert. Es wäre eine höhere tägliche Kurssteigerung erforderlich, um die entstandenen Verluste wieder auszugleichen. So müsste beispielsweise mit Blick auf die Tage drei und vier der Kurs des Referenzwerts nicht um 80 Prozent, sondern um rund 268 Prozent steigen, um das Niveau von Tag zwei wieder zu erreichen.

Gerade bei hohen Hebeln ist ein Aussitzen von Verlusten daher nur in sehr seltenen Fällen möglich. Im Beispiel auch erkennbar: Je höher der Hebel, desto früher können sich Verluste realisieren – die orange Linie (Faktor 8) fällt schneller auf null als die gelbe Linie (Faktor 3). Vergleichbare Kursverläufe sind häufig auch auf dem Finanzmarkt zu beobachten.

Abbildung 1: Theoretisches Beispiel für negative Seitwärtsrendite

Strategieindexformel BaFin Abbildung 1: Theoretisches Beispiel für negative Seitwärtsrendite

Was sind Long- und Short-Faktor-Zertifikate?

„Long“ und „Short“ stehen bei Zertifikaten nicht für die Haltedauer, sondern für den Erwartungshorizont. Anleger, die von Kurssteigerungen des Referenzwerts ausgehen und daran partizipieren wollen, erwerben ein Long-Faktor-Zertifikat. Wer hingegen fallende Kurse erwartet, entscheidet sich für die Short-Variante. Steigt der Referenzwert wie in Abbildung 2 bei Tag 4, geht der Kurs von Long hoch, der von Short fällt hingegen.

Gegen den Hauptnachteil von Faktor-Zertifikaten – die negative Seitwärtsrendite – sind beide Varianten nicht gefeit. Sie sorgt bei einem um den Ausgangswert schwankenden Referenzkurs in beiden Fällen für Verluste. Im Beispiel mit Faktor 10 tritt mit dem Long-Faktor-Zertifikat über die 15-tägige Haltedauer ein Verlust von 5,5 Prozent ein, mit dem Short-Faktor-Zertifikat sind es minus 8,0 Prozent.

Abbildung 2: Theoretischer Vergleich von Long- und Short-Faktor-Zertifikaten

Strategieindexformel BaFin Abbildung 2: Theoretischer Vergleich von Long- und Short-Faktor-Zertifikaten

Wie lange sollten Anleger Faktor-Zertifikate halten?

Die Emittenten von Faktor-Zertifikaten empfehlen in ihren Basisinformationsblättern – wie oben bereits erwähnt – eine Haltedauer von einem Tag. Somit eignen sich Faktor-Zertifikate explizit nicht für eine langfristige Anlagestrategie, sondern nur für eine kurzfristige Spekulation.

In ihrer Marktuntersuchung hat die BaFin herausgefunden, dass Privatanleger Faktor-Zertifikate oft mehrere Monate lang halten und in vielen Fällen dadurch einen Totalverlust erleiden. Manche Anleger bleiben gar über Jahre investiert. Dies hat zur Folge, dass ihr Zertifikat am Ende nur noch einen Wert im Cent-Bereich aufweist. Die durchschnittliche Haltedauer beträgt rund 43 Kalendertage. Außerdem deutet die Analyse darauf hin, dass Privatanleger hohe Hebel bevorzugen.

Anleger sollten bei Faktor-Zertifikaten bedenken, dass sich die Risiken aus der negativen Seitwärtsrendite mit der Länge der Laufzeit und der Höhe des Hebels intensivieren.

Worauf sollten Anleger bei Faktor-Zertifikaten achten?

Als Fazit lässt sich festhalten: Interessierte Anleger müssen wissen, dass sich Faktor-Zertifikate nur zur sehr kurzfristigen Spekulation, nicht aber zur langfristigen Anlage eignen. Nicht von ungefähr empfehlen die Emittenten selbst eine Haltedauer von nur einem Kalendertag. Darüber hinaus ist zu beachten, dass Anleger ihre Verluste meist nicht aussitzen können und dass ihr Zertifikat die Kursverluste nur mit einer geringen Wahrscheinlichkeit aufholen kann. Hinzu kommt, dass Anleger auf Dauer selbst dann Verluste erleiden können, wenn sich der Referenzwert positiv entwickelt. Faktor-Zertifikate sind daher nur für sehr erfahrene Anleger geeignet, die das Risiko bewusst eingehen.

Linkempfehlung

BaFin-Präsentation u. a. mit Strategieindex-Formel und realen Beispielen für negative Seitwärtsrendite

Hinweis

Der Beitrag gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im BaFinJournal wieder und wird nicht nachträglich aktualisiert. Bitte beachten Sie die Allgemeinen Nutzungsbedingungen.

Zusatzinformationen

BaFinJournal 01/2020 (Download)

Fanden Sie den Beitrag hilfreich?

Wir freuen uns über Ihr Feedback

Es hilft uns, die Webseite kontinuierlich zu verbessern und aktuell zu halten. Bei Fragen, für deren Beantwortung wir Sie kontaktieren sollen, nutzen Sie bitte unser Kontaktformular. Hinweise auf tatsächliche oder mögliche Verstöße gegen aufsichtsrechtliche Vorschriften richten Sie bitte an unsere Hinweisgeberstelle.

Wir freuen uns über Ihr Feedback