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Das Bild zeigt analoge Fieberthermometer, welche eine Methode zur frühzeitigen Erkennung von Risiken symbolisieren sollen. © ©istockphoto.com / adventtr

Erscheinung:17.12.2019 Erkennen Versicherer ihre Risiken frühzeitig?

Versicherungsgesellschaften müssen früh genug feststellen können, ob sich ihre finanzielle Lage verschlechtert hat. Dafür müssen sie eigens geeignete Verfahren einrichten. Die BaFin sieht da noch erheblichen Verbesserungsbedarf.

Auf einen Blick:§ 132 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG)

Durch das europäische Aufsichtsregime Solvency II gelangte die Pflicht der Versicherer, eigenverantwortlich interne Prozesse zur Risikofrüherkennung zu etablieren und ggf. an die BaFin heranzutreten, als § 132 neu ins VAG.

Der Paragraph im Wortlaut:

„Feststellung und Anzeige einer sich verschlechternden finanziellen Lage

(1) Ein Versicherungsunternehmen muss über geeignete Verfahren verfügen, um eine Verschlechterung seiner finanziellen Lage festzustellen.

(2) Eine Verschlechterung der finanziellen Lage, die die Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus Versicherungen oder die Zahlungsfähigkeit des Versicherungsunternehmens gefährden könnte, hat das Versicherungsunternehmen unverzüglich der Aufsichtsbehörde anzuzeigen.“

Wenn sich die finanzielle Lage eines Versicherers so stark verschlechtert, dass dies die Erfüllbarkeit seiner Vertragsverpflichtungen oder seine Zahlungsfähigkeit gefährden könnte, muss er die BaFin so früh davon unterrichten, dass Gegenmaßnahmen noch etwas bewirken können. So verlangt es § 132 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG). Für die Versicherungsaufsicht ist die Vorschrift ein wichtiges Frühwarninstrument. In einer Pilotabfrage (siehe Infokasten „Pilotabfrage“) ist die BaFin jedoch auf einige Defizite auf Seiten der Unternehmen gestoßen.

Auf einen Blick:Pilotabfrage

Die BaFin will im nächsten Jahr durch eine Abfrage bei einem größeren Kreis von Versicherern aller Sparten herausfinden, wie die Branche den § 132 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) umsetzt.

In einem ersten Schritt hat sie bereits eine Pilotabfrage bei 14 Lebensversicherern und zwei Pensionskassen durchgeführt. Die Unternehmen haben einen Fragebogen ausgefüllt, in dem es unter anderem um Prozesse und Berichtswege im Zusammenhang mit § 132 VAG ging. Sie sollten darstellen, wie sie den Begriff „Verschlechterung der finanziellen Lage“ definieren und welche Kennzahlen, Kriterien und Schwellenwerte sie berücksichtigen, um festzustellen, ob sich die finanzielle Lage verschlechtert hat.

Gruppenangehörige Unternehmen hat die BaFin bei der Pilotabfrage außerdem gefragt, ob andere Lebensversicherer und Pensionskassen innerhalb der Versicherungsgruppe das gleiche Verfahren anwenden bzw. welche Unterschiede bestehen.

Unzureichende Prozessbeschreibungen

In den meisten befragten Unternehmen existieren keine eigenständigen Prozesse für ein Verfahren, das aufzeigt, ob sich die finanzielle Lage verschlechtert hat. Vielmehr ist ein solches Verfahren in der Regel in andere Risikomanagementprozesse integriert. Aus den Prozessbeschreibungen ging aber oft nicht hervor, ob die Unternehmen eine Verschlechterung der finanziellen Lage klar definiert haben und was die Berichtspflicht gegenüber der BaFin auslöst.

Die Bedeckung der aufsichtsrechtlichen Kapitalanforderung ist für alle Unternehmen ein Hinweis darauf, ob sich ihre finanzielle Lage verschlechtert hat. Die meisten Unternehmen berücksichtigen zudem diverse Kennzahlen der Rechnungslegung nach dem Handelsgesetzbuch (HGB). Einzelne Unternehmen prüfen dagegen nur, ob die Bedeckungsquote der Solvabilitätskapitalanforderung (Solvency Capital Requirement – SCR) nach Solvency II gesunken ist.

Nicht nur auf die Solvenzquote schauen

Die BaFin erwartet, dass die Unternehmen nicht ausschließlich auf ihre SCR-Bedeckungsquote nach Solvency II achten. Als der Gesetzgeber den Artikel 136 der Solvency-II-Richtlinie in deutsches Recht umsetzte, hat er explizit die „Gefährdung der Erfüllbarkeit der Verpflichtungen“ und „Gefährdung der Zahlungsfähigkeit“ in § 132 VAG aufgenommen. Diese Kriterien sind nicht nur gegeben, wenn die anrechnungsfähigen Eigenmittel das SCR unterschreiten oder eine solche Situation droht. In derartigen Fällen ergibt sich die Meldepflicht vielmehr aus § 134 Absatz 1 VAG. Die Meldepflicht nach § 132 VAG soll früher greifen. Deshalb müssen Unternehmen bei den Kennzahlen, auf die sie ihre Lagebeurteilung aufbauen, auch weiter gefasste Kriterien mit Bezug zur Rechnungslegung nach dem HGB einbeziehen, aus denen etwa hervorgeht, wie sich das Jahresergebnis, das Eigenkapital, die Rückstellung für Beitragsrückerstattung oder die Liquidität entwickeln.

Das HGB spielt für deutsche Versicherer auch nach Inkrafttreten von Solvency II zum 1. Januar 2016 eine wichtige Rolle. Für Lebensversicherer kommt es auf die Überschüsse nach HGB an, wenn sie die Überschussbeteiligung der Versicherungsnehmer und das Jahresergebnis bestimmen. Zudem unterscheidet sich die HGB-Rechnungslegung erheblich von den Bewertungsgrundsätzen unter Solvency II, was dazu führen kann, dass ein Unternehmen nach HGB auf dem Papier überschuldet und insolvent ist, was die Erfüllung seiner Verpflichtungen akut gefährdet, während es die Kapitalanforderungen nach Solvency II noch einhält.

Neben aktuellen Ist-Werten ziehen die Unternehmen regelmäßig auch Prognosewerte heran, um ihre künftige finanzielle Lage zu beurteilen. Die Bandbreite der Prognosezeiträume ist sehr groß und von der jeweiligen Kennzahl abhängig. Sie reicht von sehr kurzfristigen Prognosewerten für die nächsten Monate bis hin zu sehr langfristigen Zeiträumen von 10 bis 20 Jahren bei einzelnen HGB-Kennziffern.

Fortlaufende Früherkennung

Die Unternehmen haben die Verfahren nach § 132 Absatz 1 VAG nicht als automatisches Frühwarnsystem ausgestaltet, sondern als Überprüfungsverfahren, das mehrheitlich ohne einheitlichen Turnus abläuft. Das bedeutet, dass die Unternehmen die relevanten Kennzahlen zu unterschiedlichen kalendarischen Zeitpunkten bestimmen.

Die Unternehmen müssen aus Sicht der BaFin sicherstellen, dass ihre Verfahren meldepflichtige Verschlechterungen der finanziellen Lage umgehend und unabhängig von festen Zeitintervallen erkennen. Sie müssen die Aufsicht, wie vom Gesetzgeber beabsichtigt, dann unmittelbar informieren. Es ist nicht ausreichend, die Anzeige aufzuschieben, bis ein regulärer Bericht ansteht. Ebenso wenig stellen die zusätzlichen Berichtspflichten, die die BaFin Lebensversicherern unter intensivierter Aufsicht auferlegt, einen Ersatz für eine Anzeige nach § 132 Absatz 2 VAG dar.

Fazit und Ausblick

In Zeiten volatiler Kapitalmärkte und niedrigerer Zinsen werden präventive Aufsichtsinstrumente und Frühwarnsysteme für die BaFin immer wichtiger. In ihrer Aufsichtspraxis und der Pilotabfrage hat sich aber gezeigt, dass viele Unternehmen den § 132 VAG noch deutlich besser umsetzen müssen. Die Vorschrift scheint in den Unternehmen noch nicht hinreichend präsent zu sein. Auch das Verständnis von § 132 VAG ist in der Branche nicht einheitlich.

Die BaFin hofft, dass die Erkenntnisse aus ihrer Pilotabfrage den Unternehmen dabei helfen, besser zu werden. Sie erwartet, dass alle Unternehmen ihre Prozesse dazu kritisch hinterfragen. Ob dies gelingt, wird die geplante Abfrage bei Unternehmen aller Sparten zeigen.

Autoren

Dr. Guido Werner
Walter Wunsch
BaFin-Grundsatzreferat Lebensversicherungen

Hinweis

Der Beitrag gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im BaFinJournal wieder und wird nicht nachträglich aktualisiert. Bitte beachten Sie die Allgemeinen Nutzungsbedingungen.

Zusatzinformationen

BaFinJournal 12/2019 (Download)

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