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Das Bild zeigt Christian Bock, Leiter der Abteilung Verbraucherschutz bei der BaFin © BaFin/Clemens Hess

Erscheinung:15.11.2019 | Thema Verbraucherschutz „Ich bin kein Freund von Zwang.“

Christian Bock, Leiter der BaFin-Abteilung für Verbraucherschutz, äußerte sich im Vorfeld des Verbraucherschutzforums der BaFin in Frankfurt am Main zur rechtlichen, moralischen und technischen Dimension des Verbraucherschutzes in Deutschland.

Herr Bock, Menschen sind verschieden – auch beim Nachfragen, Kaufen und Konsumieren. Verbraucherbild-Definitionen versuchen, das einzufangen. Wie gut funktioniert das?

Verbraucherbilder sind aus meiner Sicht ein interessanter Ansatz, um zu verstehen, wie verschiedene Menschen in verschiedenen Lebenslagen handeln – an der Supermarktkasse, als Versicherungsnehmer oder Anleger. Der Gesetzgeber – und auch wir als Aufsichtsbehörde – benötigt ein Leitbild, wenn er Regeln und Vorschriften formuliert. Die BaFin will die Menschen in ihrer jeweiligen Situation abholen und bestmöglich informieren – gerade dann, wenn sie vielleicht besonders schutzbedürftig sind. Eine von diesen besonders betroffenen Kundengruppen ist die der Senioren. Wir bieten ihnen die Broschüre „Geld anlegen im Ruhestand“ oder bringen ihnen zum Beispiel beim Digitalen Stammtisch der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen die Themen Digitalisierung, sicheres Verreisen oder Direktinvestments näher. Für Personen mit besonderen Bedürfnissen wie zum Beispiel Lernschwierigkeiten haben wir Broschüren in leichter Sprache erstellt, in denen wir die wichtigsten Begriffe aus dem Versicherungs-, Bank- und Anlagebereich erläutern.

MiFID II, PSD2 oder IDD: Wie viele Gesetze kommen denn noch?

Nach meinem Dafürhalten hat der Gesetzgeber insgesamt angemessen und erfolgreich auf die Finanzkrise 2008, die Finanzskandale und die Bedrohung durch Hacker reagiert. Er muss ständig neue Herausforderungen im Blick behalten und kann nicht einfach eine Pause ausrufen, nur damit mal Ruhe ist. Das ginge zu Lasten der Sicherheit. Für jedes Gesetz gilt aber: Das Verhältnis zwischen dem Schutz vieler und dem daraus resultierenden Aufwand für die Adressaten der Vorschriften muss stimmen – Nachbesserungen nicht ausgeschlossen. Deshalb ist in den meisten Gesetzen und insbesondere bei europäischen Richtlinien und Verordnungen mittlerweile nach einiger Zeit eine Überprüfung, ein Review, vorgesehen.

Was bringt das?

Insbesondere bei umfassenden Regelwerken ist ein zweiter Blick sinnvoll. Dann muss man sich fragen: Werden die erwünschen Regelungsziele erreicht? Treten unerwünschte Nebenwirkungen auf? Ich gebe Ihnen ein aktuelles Beispiel: Derzeit wird diskutiert, ob es semiprofessionelle Anleger nach MiFID II geben soll, die nicht mit bestimmten Informationen versorgt werden müssen. Das könnte Anbieter und Anleger gleichermaßen entlasten.

Und die einfachen Anleger: Ist es legitim, sie zu ihrem Schutz, zu ihrem Glück zu zwingen?

Ich bin im Verbraucherschutz kein Freund von Zwang. Verbraucher müssen sich auch freiwillig ins Unglück stürzen dürfen. Aber dann liegt die Betonung natürlich auf der Freiwilligkeit. Verbraucher müssen umfassend informiert sein, damit sie sich risikobewusst für ein Produkt entscheiden können. Die Risiken kehrt mancher Anbieter natürlich gerne unter den Teppich. Deshalb umfasst zum Beispiel das Verbot binärer Optionen neben Vertrieb und Verkauf ja auch die Vermarktung.

Es ist vorstellbar, dass eine künstliche Intelligenz in zehn Jahren weiß, was der Verbraucher will und ihm das auch wunschgemäß zur Verfügung stellt – bei einer Fehlerquote, von der Menschen nur träumen können. Brauchen wir dann noch Verbraucherschutz?

Im Verbraucherschutz geht es darum, das strukturelle Ungleichgewicht zwischen Unternehmen und Verbrauchern auszugleichen. Meistens wissen die Anbieter sehr viel mehr über ihr Produkt als die Kunden, und sie haben kein Eigeninteresse daran, die negativen Eigenschaften an die große Glocke zu hängen. Außerdem ist ein Unternehmen meist viel mächtiger als ein einzelner Kunde, was viele Bürgerinnen und Bürger davon abhält, sich juristisch zu wehren. Ich wüsste nicht, wie der Einsatz künstlicher Intelligenz ein solches Machtgefälle beseitigen könnte. Die Informationsasymmetrie zwischen dem Unternehmen und seinem Kunden hört ja nicht dadurch auf, dass eine künstliche Intelligenz die vorliegenden Informationen auswertet. Ich kann heute nicht seriös prognostizieren, ob eine Software tatsächlich einmal in der Lage sein wird, dem Menschen kognitive Prozesse abzunehmen.

Sprechen wir noch über die Verantwortung von Verbrauchern als Anleger: Warum sollten sie etwa den CO₂-Fußabdruck eines börsennotierten Unternehmens berücksichtigen, bevor sie Aktien kaufen? Reicht es nicht, dass beides – also der Produktionsbetrieb und der Aktienkauf – legal sind?

Es verbietet Anlegern doch niemand, in legale Geschäftsmodelle zu investieren, wenn sie auf fossilen Energieträgern basieren. Wenn sich aufgeklärte Verbraucher aber an der Dekarbonisierung der Wirtschaft beteiligen wollen, dann brauchen wir eine Antwort auf die Frage, was umweltverträglich ist. An dieser Taxonomie wird auf europäischer Ebene gerade gearbeitet. Dann kann der Verbraucher auch besser einschätzen, welches Investment umweltverträglich ist, und wer lediglich Greenwashing betreibt. Auf jeden Fall gibt es dieses Interesse an nachhaltiger Geldanlage: In einer Umfrage, über die wir im Juni informiert haben, gaben 60 Prozent der Teilnehmer an, mit ihrer Investition einen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz leisten zu wollen. 41 Prozent glaubten, dass nachhaltige Geldanlagen langfristig eine bessere Rendite sichern.

Linkempfehlungen

Broschüren der BaFin

BaFin-Umfrage „Wie sicher ist nachhaltig?“ (siehe BaFinJournal Juni 2019)

Digitaler Stammtisch: siehe BaFinJournal Oktober, Juli und April 2019 sowie Oktober 2018

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