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Das Bild zeigt die Vizepräsidentin und Exekutivdirektorin Wertpapieraufsicht Elisabeth Roegele © Bernd Roselieb

Erscheinung:15.11.2019 | Thema Verbraucherschutz Kartellamt und BaFin: Zwei Behörden für Verbraucher

Professor Dr. Becker vom Bundeskartellamt und BaFin-Exekutivdirektorin Elisabeth Roegele erklären, wie sie Privatpersonen vor Benachteiligung schützen.

Das Bundeskartellamt (BKartA) und die BaFin haben mehr gemeinsam als einen Sitz in Bonn und den Ruf, manchmal Spielverderber der Industrie zu sein. Zu ihren Gemeinsamkeiten gehören auch Zuständigkeiten im Verbraucherschutz.

Während die BaFin ein Mandat zum Schutz der kollektiven Verbraucherinteressen hat, betreibt das BKartA wirtschaftlichen Verbraucherschutz. Wo der feine Unterschied liegt und warum beide Behörden keine Doppelarbeit verrichten, geht aus Gesprächen hervor, die das BaFinJournal mit Professor Dr. Carsten Becker geführt hat, dem Vorsitzenden der Beschlussabteilung Verbraucherschutz beim BKartA, und mit Elisabeth Roegele, der BaFin-Exekutivdirektorin für die Wertpapieraufsicht.

Auf einen Blick:Bundeskartellamt

Das Bundeskartellamt (BKartA) ist eine unabhängige Wettbewerbsbehörde im Geschäftsbereich des Bundeswirtschaftsministeriums. Seine Angelegenheiten regelt das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Das BKartA kontrolliert Zusammenschlüsse von Unternehmen, setzt das Kartellverbot durch und geht gegen Unternehmen vor, die ihre Marktmacht missbrauchen. Es nimmt seit 2017 auch Aufgaben im wirtschaftlichen Verbraucherschutz wahr. Seit 1999 sitzt die Behörde in Bonn; derzeit beschäftigt sie rund 370 Mitarbeiter.

Frau Roegele: Welches Bild haben Sie von einer Verbraucherin, einem Verbraucher?

Die BaFin legt ihrer Tätigkeit ein differenziertes Verbraucherbild zugrunde. Wir wollen, dass sich Verbraucherinnen und Verbraucher eigenständig und risikobewusst über Finanzprodukte und Dienstleistungen informieren und sich dann dafür oder dagegen entscheiden können. Dieses Verbraucherbild fußt also auf Information und Eigenverantwortung.

Manchmal reicht das nicht: Also greift die BaFin ein, wenn sich die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht selbst schützen können oder wenn generell erhebliche Bedenken für den kollektiven Verbraucherschutz bestehen.

Je stärker die Digitalisierung voranschreitet und Finanzunternehmen künstliche Intelligenz nutzen, beispielsweise in der Anlageberatung, desto mehr müssen wir aber hinterfragen, ob das Verbraucherbild die tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen noch ausreichend berücksichtigt. Darüber haben wir auch beim Verbraucherschutzforum am 12. November 2019 in Frankfurt mit Verbraucherschutzverbänden und Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik diskutiert. Wir haben dort herausgearbeitet, dass es viele Einflussfaktoren auf Menschen gibt, die bei ihrem Schutz zu berücksichtigen sind – Bildung, Wissen, die individuellen Lebenslagen, aber auch äußere Einflüsse und psychologische Elemente.

Woher weiß die BaFin, was die Verbraucher bewegt?

Verbraucherbeschwerden und -anfragen sind eine wichtige Erkenntnisquelle für uns. Im vergangenen Jahr haben wir uns 15.085 Mal mit etwas auseinandergesetzt, was ein Verbraucher für kritisch hielt. Hinzu kamen 18.651 Anrufe bei unserem Verbrauchertelefon, das bundesweit unter der Nummer 0800 2 100 500 zu erreichen ist. Außerdem tauschen wir uns regelmäßig mit Verbraucherschutzorganisationen wie dem Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz und den Marktwächtern Finanzen aus.

Wir warten aber nicht nur auf das, was von außen an uns herangetragen wird, sondern initiieren auch selbst Umfragen und Untersuchungen – beispielsweise zu nachhaltiger Geldanlage (siehe BaFinJournal Juni 2019). Zudem haben wir in unserer Verbraucherschutz-Abteilung ein Referat eingerichtet, das Verbrauchertrends analysiert.

Was bringt Verbraucherschutz im Kollektiv, wo doch ein finanzieller Betrug immer eine höchst persönliche Angelegenheit ist?

Sie haben Recht: Opfer von Finanzbetrügern sind erst einmal höchstpersönlich betroffen. Ihren Schadensersatz können sie letztendlich nur über die Zivilgerichte einklagen.

Mit dem kollektiven Verbraucherschutz setzen wir eine Stufe früher an: Wir wollen Individualschäden möglichst von vorneherein vermeiden, indem wir für ein stabiles und integres Finanzsystem sorgen und dadurch ein angemessenes Schutzniveau für alle schaffen.

Ein weiterer Punkt führt mich zurück zum Verbraucherbild: Kollektiver Verbraucherschutz entsteht auch dadurch, dass Menschen in die Lage versetzt werden, ihre Entscheidungen risikobewusst treffen zu können. Das Zauberwort lautet „Information“. Die BaFin informiert zum Beispiel fortlaufend über unerlaubte Geschäfte oder fehlende Zulassungen. Betrugsfälle werden sich aber leider nie vollständig verhindern lassen.

Wie erfährt die BaFin konkret von Unternehmen, die gegen kollektive Verbraucherinteressen verstoßen?

Wir werten hierfür die Verbraucherbeschwerden und die Anrufe beim Verbrauchertelefon aus. Außerdem tauschen wir uns mit den Verbraucherschutzorganisationen aus und prüfen, ob an den Vorwürfen, die dort eingehen, etwas dran ist. Oft geht es darum, wie ein bestimmtes Versicherungsunternehmen einen Schaden reguliert oder wie sich ein Kundenberater verhalten hat. Nicht zu unterschätzen sind aber auch die Hinweise, die wir aus der Tages- und Fachpresse gewinnen.

Wir überwachen aber auch selbst aktiv. Wie gesagt: Wir führen sektorübergreifende Marktuntersuchungen durch, in denen wir ausgewählte Themenschwerpunkte umfassend beleuchten. Wenn uns dabei Rechtsverstöße einzelner Unternehmen auffallen, gehen wir ihnen nach. Und nicht zuletzt beobachten und überwachen wir das Verhalten der Unternehmen ja auch im Rahmen unserer laufenden Aufsicht.

Die BaFin kann bestimmte Finanzinstrumente verbieten und zum Beispiel Bußgelder verhängen. Wie beurteilen Sie den Instrumentenkasten, der Ihnen als Exekutivdirektorin Wertpapieraufsicht zur Verfügung steht?

Mit dem Instrumentarium, das uns der Gesetzgeber an die Hand gegeben hat, sehe ich uns derzeit gut aufgestellt. Und wenn Transparenz, Information und Aufklärung keinen ausreichenden Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher bewirken, dann handeln wir. Gesetzliche Grundlage ist zum Beispiel das Kleinanlegerschutzgesetz. In schwerwiegenden Fällen können wir als Ultima Ratio den Vertrieb von Produkten bzw. bestimmte Vertriebspraktiken einschränken oder untersagen – bei finanziellen Differenzkontrakten (Contracts for DifferenceCFD) haben wir uns kürzlich für eine starke Einschränkung entschieden (siehe BaFinJournal August 2019). Oft müssen wir dieses scharfe Schwert aber gar nicht zücken. Auch wenn wir es in förmlichen Auskunftsersuchen gegenüber dem Emittenten nur aufblitzen lassen, hat das oft den Effekt, dass die geplante Emission von vorneherein unterbleibt. Die Öffentlichkeit bekommt davon nichts mit.

Die Bundesministerien der Finanzen sowie der Justiz und für Verbraucherschutz haben kürzlich ein neun Punkte umfassendes Verbraucherschutzpaket auf den Weg gebracht, das den Schutz von Anlegerinnen und Anlegern wesentlich verbessert (siehe BaFinJournal September 2019). Es wird für mehr Transparenz bei den Vermögensanlagen sorgen. Anleger werden am Kapitalmarkt selbstbestimmter entscheiden können, wie sie ihr Geld anlegen können. Die BaFin soll künftig alle Verwalter geschlossener Publikumsfonds beaufsichtigen und schrittweise die Aufsicht über freie Finanzanlagenvermittler übernehmen – um nur zwei Zuwächse im Instrumentenkasten zu benennen.

Überschneidet sich die Arbeit der BaFin im Verbraucherschutz mit den Kompetenzen des Bundeskartellamts (BKartA)?

Das ist grundsätzlich nicht der Fall. Allerdings gibt es in der Praxis zahlreiche Berührungspunkte. Beispielsweise können die Sektoruntersuchungen des BKartA für uns interessant sein, wenn sie verbraucherrechtliche Verstöße im Finanzmarkt aufdecken. Ein Beispiel: Fallen bei solchen Untersuchungen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Unternehmen negativ auf, die wir beaufsichtigen, nutzen wir die Erkenntnisse natürlich, um diese Missstände zu verfolgen und auf die Unternehmen einzuwirken. Wir haben uns mit dem BKartA über die Ergebnisse der Sektoruntersuchung zu Vergleichsportalen erfolgreich ausgetauscht. Und auch künftig werden wir uns weiter gegenseitig unterstützen.

Gespräch mit Prof. Dr. Carsten Becker vom Bundeskartellamt

Das Bild zeigt Prof. Dr. Carsten Becker vom Bundeskartellamt © Carsten Becker Gespräch mit Prof. Dr. Carsten Becker vom Bundeskartellamt

„Kartellrechtliche Instrumente - ein Modell auch im Verbraucherrecht“

Herr Professor Becker: Welche konkreten Möglichkeiten hat das BKartA im Verbraucherschutz?

Seit Juni 2017 leisten wir im Verbraucherschutz zwei Dinge, die wir zuvor nur im Kartellrecht praktiziert haben: Wir können Sektoruntersuchungen durchführen und uns als Amicus Curiae – Lateinisch für Freund des Gerichts – an Zivilrechtsstreitigkeiten beteiligen. Wir können dazu unsere typischen Ermittlungsinstrumente wie das Auskunfts- und Herausgabeverlangen nutzen.

Die Sektoruntersuchungen liefern nicht nur statistische Daten, sondern können auch Handlungsempfehlungen an den Gesetzgeber umfassen.

Unsere Amicus-Curiae-Rolle üben wir traditionell vor dem Bundesgerichtshof aus. Wir bleiben dabei immer objektiv und verstehen uns nicht als Streithelfer einer Prozesspartei.

Woher wissen Sie, was die Verbraucher da draußen bewegt?

Derzeit sind für den Verbraucher digitale Problem-Sachverhalte wie Fake-Bewertungen und Datenmissbrauch besonders wichtig. Das zeigt die aktuelle Diskussion in der Verbraucherschutzpraxis. Wir nehmen daher solche Themen verstärkt in den Blick. Gerade bei Netzwerken und Plattformen haben wir durch unsere kartellrechtlichen Verfahren und Projekte eine umfangreiche Expertise aufgebaut. Dabei halten wir Abstand zu Bereichen, wo bereits andere zuständig sind oder wo die private Rechtsdurchsetzung gut funktioniert. All dies klären wir im Dialog mit anderen im Verbraucherschutz tätigen Behörden und Verbänden.

Welche Berührungspunkte gibt es mit dem Finanzsektor?

In der ersten verbraucherrechtlichen Sektoruntersuchung zu Vergleichsportalen ging es auch um Angebote aus der Kredit- und Versicherungswirtschaft. Daher war uns vor und während der Untersuchung der Kontakt zur BaFin besonders wichtig, die hier bereits Marktuntersuchungen und Verbraucherbefragungen durchgeführt hatte. Der Erfahrungsaustausch war ein großer Gewinn.

Wir haben gemeinsam finanzspezifische Aspekte der Sektoruntersuchung erörtert. Dazu gehörte etwa die Marktabdeckung der Portale, die bei Finanzdienstleistungen leider deutlich niedriger als in anderen Branchen ausfallen kann. Portale sollten unseres Erachtens über solche Defizite in der Marktabdeckung aufklären. Eine Negativliste, aus der hervorgeht, welchen Anbieter das Vergleichsergebnis nicht berücksichtigt hat, ist wohl der beste Weg. Einzelne Portale haben inzwischen in manchen Bereichen derartige Listen eingeführt – zum Beispiel Verivox und Check24 bei Versicherungen. Viele Portale veröffentlichen heute zumindest eine Positivliste mit allen Anbietern, die das Portal für den Vergleich ausgewertet hat.

Darüber hinaus müssen sich sowohl das BKartA als auch die BaFin mit der Digitalisierung auseinandersetzen. Wir fragen uns schließlich beide, wie in der Rechtsanwendung mit Algorithmen umzugehen ist. Wir schätzen den offenen vertrauensvollen Dialog und freuen uns auf einen weiteren regelmäßigen Austausch.

Was würden die Menschen vom künftigen Eingreifen des BKartA im wirtschaftlichen Verbraucherschutz haben?

Eins zum Verständnis vorab: Eingriffsbefugnisse hat der Gesetzgeber dem Bundeskartellamt vorerst nicht übertragen. Aber auch künftig würden wir unsere Rolle im Ver¬braucherschutz ergänzend zur Arbeit der tra¬ditionellen Akteure sehen. Wir wollen dort weiterar¬beiten, wo die zivilrechtliche Rechtsdurchsetzung durch Verbände an Grenzen stößt. Rechtsverstöße sind bei komplexen Sachverhalten und Geschäftsgeheimnis-Relevanz vor den Zivilgerichten kaum nachweisbar. Dieses Problem stellt sich vermehrt bei Sachverhalten aus dem digitalen Verbraucheralltag. Solche Lücken in der Rechtsdurchsetzung hat das Bundeskartellamt für die Kern-Problemfelder bei Vergleichsportalen in seinem Bericht klar benannt.

Ein anderes Beispiel ist die „Sektoruntersuchung Nutzerbewertungen“, die wir im Mai dieses Jahres eingeleitet haben. Sollten wir feststellen, dass Unternehmer Nutzerbewertungen fälschen, manipulieren oder von vorneherein bestellen und die Systeme der Online-Portale hierauf nicht angemessen reagieren, ginge dies nicht nur zulasten der Verbraucher. Ein solches Verhalten würde auch die Unternehmen und Dienstleister benachteiligen, die sich regelkonform verhalten möchten und die den Kauf von Bewertungen daher für sich ablehnen. Das BKartA könnte darauf hinwirken, dass Internetkonzerne ihr Bewertungssystem auf ihren Plattformen angemessen gestalten. Das könnte die Teilnehmer stoppen, die sich nicht an die Spielregeln halten, und ihnen den Vorsprung nehmen, den sie durch Rechtsbruch erlangt haben. Das würde Verbrauchern und sich fair verhaltenden Unternehmen gleichermaßen helfen. Voraussetzung für all das ist, dass der Gesetzgeber unsere Kompetenzen erweitert.

Könnten Ihre kartellrechtlichen Instrumente Vorbild sein für eine behördliche Durchsetzung auch der Verbraucherrechte?

Die aus dem Kartellrecht bekannten Sanktionen haben sich seit Langem bewährt und wären auch für den Verbraucherschutz sehr hilfreich. Im Kartellrecht können wir Rechtsverletzern aufgeben, Verstöße breitenwirksam abzustellen. Mit der Rückerstattungsverfügung bzw. Gewinnabschöpfung können wir für Kompensation auch bei massenhaften Kleinstschäden sorgen. Außerdem können wir Verpflichtungszusagen der Unternehmen entgegennehmen, was verbindliche Selbstverpflichtungen ermöglicht. Hierdurch lassen sich Probleme oft schneller bereinigen als durch einen langwierigen Rechtsstreit oder detaillierte regulatorische Vorgaben – ein Modell auch zur Durchsetzung von Verbraucherrecht.

Welches Verbraucherbild hat das BKartA?

In Rechtsprechung und Wissenschaft findet sich gleich eine ganze Reihe von Verbraucherleitbildern. Nach meinem Eindruck sind die entscheidenden Fragen: Wie gehen wir damit um, dass es nicht das eine Verbraucherinteresse gibt, sondern viele verschiedene Interessen? Wie berücksichtigen wir die Unterschiede zwischen den Verbrauchern, was ihre Wahrnehmung, Emotionen und Motivation angeht? Geht es um kurzfristigen Verbraucherschutz oder wollen wir langfristig eine möglichst große Konsumentenwohlfahrt anstreben?

Natürlich hat das BKartA ein Wunschbild vom Verbraucher: Es zeigt den aktiven und informierten Verbraucher, der durch seine Entscheidungen den Wettbewerb stärkt und sich damit selbst am meisten hilft.

Linkempfehlungen

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)

Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz (FinDAG)

Hinweis

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