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Das Bild zeigt BaFin-Exekutivdirektor Dr. Frank Grund auf der Jahreskonferenz der Versicherungsaufsicht. © BaFin/Marcus Gloger

Erscheinung:15.11.2019 Jahreskonferenz der Versicherungsaufsicht

Hoher Druck durch niedrige Zinsen

Bei der neunten Jahreskonferenz der Versicherungsaufsicht stehen Lebensversicherer und Pensionskassen im Fokus. Ihre Situation in der Niedrigzinsphase erfordert verstärkte Kontrolle durch die Aufsicht.

Die Jahreskonferenz der Versicherungsaufsicht gewinnt den Kampf gegen die Dunkelheit. Als sie gegen 16 Uhr beendet ist – unmittelbar nach einer Diskussion über Nachhaltigkeit im Versicherungswesen – ist es draußen noch hell.

Für das Hauptthema des Tages gilt das nur bedingt. Die Situation der Lebensversicherer und Pensionskassen im Niedrigzinsumfeld ist düster. Dr. Frank Grund – zuständiger Exekutivdirektor und an diesem Tag Gastgeber von 450 Teilnehmern – sagt in seiner Rede, dass die Unternehmen einen Punkt erreicht hätten, an dem sie verdeutlichen sollten, wie stark die niedrigen Zinsen mittlerweile ihr Geschäftsmodell und damit ihren Beitrag zur kapitalgedeckten Altersversorgung gefährdeten.

Dieser Punkt, das ist kalendarisch zufällig der 29. Oktober, an dem die Jahreskonferenz im World Conference Center Bonn stattfindet. Der Punkt, das ist der zweite Monat nach der jüngsten Zinssenkung durch die Europäische Zentralbank auf nunmehr minus 0,5 Prozent für Gelder, die Banken bei ihr deponieren. Das betrifft Versicherungsgesellschaften zwar nicht direkt, manifestiert aber das Marktumfeld mit seinen niedrigen Zinsen. Was Grund auch anspricht: In dieser Phase ist der Punkt erreicht, dass wieder mehr Lebensversicherer oder Pensionskassen unter intensivierte Aufsicht kommen könnten (siehe Infokasten „Intensivierte Aufsicht“).

„Die Situation von Lebensversicherern und Pensionskassen erfordert, dass wir unsere Kontrolle verstärken.“

Auf einen Blick:Intensivierte Aufsicht

Die intensivierte Aufsicht ist in der Niedrigzinsphase eines der wichtigsten Aufsichtsinstrumente der BaFin. Sie bedeutet, dass die Aufsicht Unternehmen, die ihre vertraglichen Verpflichtungen gegenüber ihren Kunden möglicherweise nicht dauerhaft erfüllen können, verstärkt in den Blick nimmt. Unter intensivierte Aufsicht können sowohl Lebensversicherer als auch Pensionskassen fallen. Auslöser sind zum Beispiel die jährliche Prognoserechnung und die Bedeckung der Solvenzkapitalanforderung (Solvency Capital Requirement – SCR). Die BaFin teilt die betroffenen Unternehmen in Stufen bzw. Risikoklassen ein, um die intensivierte Aufsicht möglichst individuell auszugestalten. Bei Pensionskassen kommen zum Beispiel Leistungskürzungen und die Unterstützung durch Trägerunternehmen in Frage. Alle Unternehmen unter intensivierter Aufsicht müssen zusätzliche Berichtspflichten wahrnehmen und Pläne erarbeiten, wie sie ihre Situation verbessern wollen.

Grund sagt, er habe die Branche stets aufgefordert, nicht zu lamentieren, und er erkennt an, dass viele Lebensversicherer ihre Verwaltungskosten gesenkt, ihre Eigenmittel gestärkt und die Überschussbeteiligung reduziert haben. Außerdem hätten sie Produkte mit flexibleren Formen von Zinsgarantien entwickelt. „Weiter so“, motiviert Grund vom Pult aus. Aber reicht das? Was bringt die Zukunft?

„Weder ist zu erwarten, dass über Nacht eine weltweite wirtschaftliche Blüte ausbricht noch, dass die Notenbanken bald ihre Geldpolitik ändern“, sagt BaFin-Abteilungsleiter Dr. Kay-Uwe Schaumlöffel auch mit Blick auf den Wechsel an der Spitze der Europäischen Zentralbank von Mario Draghi auf Christine Lagarde zum 1. November 2019. Die BaFin gehe bei ihren Zinsprognosen davon aus, „dass es so schlimm bleibt, wie es ist“.

Prognoserechnungen der Lebensversicherer und Pensionskassen

Zum Stichtag 30. September 2019 steht bei den Lebensversicherern und Pensionskassen die Prognoserechnung an. Mit Hilfe dieses Instruments will die Aufsicht einschätzen, ob es die Unternehmen künftig schaffen, die garantierten Leistungen zu finanzieren. Annahmen wie ein Wiederanlagezins von nur noch 0,5 Prozent klingen zwar niedrig, gibt Schaumlöffel zu, für die BaFin sei diese vorsichtige Herangehensweise jedoch richtig.

Zu den Stellschrauben, an denen Lebensversicherer und Pensionskassen drehen können, um auch in der Niedrigzinsphase noch möglichst viel Rendite aus dem Kapitalmarkt herauszuholen, gehört ihre Anlagepolitik. „Search for Yield“ ist wörtlich übersetzt zwar nur die Suche nach Rendite, geht aber einher mit der Frage, ob Unternehmen bereit sind, dafür auch höhere Risiken in Kauf zu nehmen. Schaumlöffel erläutert den Teilnehmenden, dass festverzinsliche Anlagen die mit Abstand wichtigste Anlageklasse blieben, dass aber einige Versicherungsunternehmen die Realwerte höher gewichteten und andere in Alternativen wie Private-Debt-Investments einstiegen. „Generell gilt: Wir beobachten, dass die meisten Versicherer ihre Risiken bewusst eingehen und auch tragen können“, sagt Schaumlöffel. Einzelne Unternehmen und deren Kapitalanlagen schaue sich die BaFin genauer an – als Beispiel nennt Schaumlöffel Immobilieninvestitionen auf anderen Kontinenten, für die nicht alle Versicherer ausreichende Kenntnisse hätten. Eine Änderung der Anlagenverordnung für Pensionskassen und kleine Versicherer, die zum Beispiel die Aktienquote festschreibt, hält Schaumlöffel für nicht erforderlich.

Solvency-II-Review

Ein zweites wichtiges Datum ist der 30. Juni 2020. Bis dahin wird die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung EIOPA der EU-Kommission vorschlagen, wie sich das europäische Aufsichtsregime Solvency II verbessern lassen könnte. Potenzial sehen viele in der Verschlankung des Berichtswesens.

EIOPA prüft auch die Kapitalanforderungen an die Unternehmen und wie diese sich berechnen. Manches Unternehmen erfüllt die zugehörige Bedeckungsquote nur aufgrund der Übergangsmaßnahmen, die es in Anspruch nehmen darf. „Bei einer Neukalibrierung der vielfältigen Stellschrauben rund um Extrapolation oder Volatilitätsanpassung ist für uns die gesamte Auswirkung aller Änderungen in einer gesamthaften Sicht natürlich sehr wichtig“, stellt Grund deshalb klar. Die BaFin werde darauf achten, dass man aus Angst vor langfristigen Sorgen keine kurzfristigen Probleme schaffe. Inwieweit der Spagat zwischen ökonomisch angemessener Abbildung der Risiken und zu großer Belastung der Unternehmen gelinge, werde sich die Aufsicht im Impact Assessment im März 2020 genau anschauen. „Dies sollte möglichst mit Daten zum 31. Dezember 2019 erfolgen“, sagt Grund mit Blick auf das Zeitfenster, in dem die Unternehmen die EIOPA-Vorschläge durchrechnen und der BaFin entsprechende Zahlen melden.

Erwartungen an die Unternehmen

Ihre Erwartungen an die Unternehmen im Niedrigzinsumfeld kommuniziert die BaFin nicht nur unternehmensindividuell im Rahmen der intensivierten Aufsicht, sondern transparent und branchenweit – so auch bei der Jahreskonferenz der Versicherungsaufsicht in diesem Jahr. Lebensversicherer und Pensionskassen sollten ihre Risiken angemessen einschätzen und etwa die künftige Zinsentwicklung nicht zu optimistisch schätzen. Gleiches gilt für die Annahmen zum Neugeschäft. Ihr Geschäftsmodell, ihre Kapitalanlage und die Rückversicherungslösungen müssen Unternehmen möglicherweise anpassen.

Prüfungskonzept für Schadenrückstellungen

BaFin-Abteilungsleiterin Elke Washausen-Richter erläutert, wie die BaFin die Schadenrückstellungen bei Schaden- und Unfallversicherern sowie Rückversicherern prüft. Die Relevanz liegt auf der Hand: Von den 377 Milliarden Euro Verbindlichkeiten aller Versicherer entfallen 194 Milliarden Euro auf die versicherungstechnischen Rückstellungen Nicht-Leben und davon wiederum 172 Milliarden Euro auf die Schadenrückstellungen. „Solvency II macht allerdings keine detaillierten Vorgaben, wie Unternehmen ihre Schadenrückstellungen berechnen müssen“, sagt Washausen-Richter bei ihrem Vortrag. Um einen tieferen Einblick in das Vorgehen und die Methodik der Unternehmen zu erhalten, habe die BaFin das Prüfungskonzept „SchaRü 2.0“ entwickelt. Es umfasse Fortbildungen für interdisziplinäre Prüfungsteams, den Einsatz einer speziellen Reservesoftware und elektronische Abzüge wichtiger Zahlen wie etwa der Einzelschadendaten. Keinesfalls erfolge die Prüfung aber nur vom Schreibtisch aus; die BaFin prüfe auch an Ort und Stelle. „Die Unternehmen zeigen sich zum Teil überrascht von unserer Prüfungstiefe und -dauer“, gibt Washausen-Richter zu. Dabei orientiere sich der Zeitaufwand am Risikoprofil des Versicherers. „Bei risikoarmen Versicherern sind wir schneller wieder draußen.“ Bei vielen der 50 bisher überprüften Versicherer habe die BaFin aber zum Beispiel auf einer Live-Demonstration der Reservierung durch den Aktuar bestanden. Vor Ort wachse zudem das Verständnis für das Geschäftsmodell und die Strategie des Unternehmens.

Insurtechs mit Versicherungslizenz

BaFin-Abteilungsleiter Axel Oster kommt in seinem Vortrag auf die Insurtechs zu sprechen, die eine Versicherungslizenz besitzen. Seit 2017 sind dies sechs an der Zahl. „Insurtechs werden bei der Zulassung wie alle Versicherer behandelt“, stellt Oster klar. „Das Hauptaugenmerk liegt auf der Nachvollziehbarkeit der Risikotragfähigkeit.“ Da das Versicherungsgeschäft auf Vertrauen beruhe, achte die BaFin immer darauf, dass alle Unternehmen die Belange der Kunden berücksichtigten.

„Das Innovationspotenzial ist – bezogen auf die Versicherungsprodukte und anders als bei Banken – bisher eher begrenzt“, sagt Oster und ordnet damit die ausbleibende Disruption in der Versicherungswirtschaft ein. Die BaFin beobachte die Entwicklung aber genau und beteilige sich auch selbst an der Debatte über Innovationen. Beispielsweise habe sie eine Studie über Big Data and Artificial Intelligence (BDAI) veröffentlicht und eine Orientierungshilfe zu Auslagerungen an Cloud-Anbieter herausgegeben. Längst seien aber noch nicht alle Fragen beantwortet; eine davon wirft Oster beispielhaft ins Plenum: „Wie verträgt sich eine Blockchain mit dem Recht auf Vergessenwerden nach der Datenschutzgrundverordnung?“ Stille im Saal, niemand antwortet.

Oster kündigt an, dass die BaFin mit einem Text-Mining-Tool demnächst nach Lücken und Widersprüchen im ORSA (Own Risk and Solvency Assessment) suchen werde, dem Bericht zur unternehmenseigenen Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung. Auch beim Einsatz von Suptech gelte aber: Ergebnisse, die eine Prüf-Software liefere, müssen letztlich die Menschen, die sie benutzen – in diesem Falle Aufseher – immer kritisch hinterfragen und nicht blind darauf vertrauen. „Damit wir uns nicht falsch verstehen: Das Tool ist eine technische Unterstützung, natürlich werden auch weiterhin Menschen die Berichte lesen und bewerten“, sagt Oster.

Zum Abschluss der Veranstaltung führt Abteilungsleiter Ludger Hanenberg in das Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken ein. Es sei ein prinzipienbasierter, ganzheitlicher und proportionaler Orientierungsrahmen, der ein Höchstmaß an Methodenfreiheit biete (siehe Interview mit BaFin-CSFO Frank Pierschel). In der anschließenden Fragerunde mit EIOPA-Chairman Gabriel Bernardino, Dr. Frank Grund und Dr. Klaus Wiener vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft stehen die Dynamik des Themas Nachhaltigkeit, die „Stewardship Role“, die Versicherer hier übernehmen können, aber auch der mögliche „Druck von der Straße“ bei der Einschätzung nachhaltiger Investments im Mittelpunkt.

Autor

Sören Maak-Heß
BaFin-Referat Reden und Publikationen

Hinweis

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Zusatzinformationen

BaFinJournal 11/2019 (Download)

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