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Die Abbildung zeigt einen Blick durch einen Türspion auf einen Paketzusteller in einem Treppenhaus. © istockphoto.com/urbazon

Erscheinung:15.10.2019 Nur noch Zulieferer?

Digitale Ökosysteme stellen das Selbstverständnis von Banken und Versicherern in Frage. Diese müssen Antworten auf die Herausforderung finden – wie Aufsicht und Regulierung auch.

Ein virtueller Ordner mit aufeinander abgestimmten Finanzunterlagen - von der Versicherungspolice über die Kreditkarte bis zum Aktiendepot. So könnten Bankberater und Versicherungsvertreter ihren Kunden erklären, was die Finanzbranche unter digitalen Ökosystemen versteht.

Menschen, die sich von Berufs wegen mit Finanzdienstleistungen beschäftigen, braucht man den Begriff "digitales Ökosystem" nicht zu erklären. Sie bringen ihn nicht mehr mit Nachhaltigkeit in der Finanzwirtschaft durcheinander. Mit dem Nachhaltigkeitsbegriff haben digitale Ökosysteme aber eines gemeinsam: Es gibt keine Legaldefinition. Worüber sprechen wir also?

Ein simples Beispiel für digitale Ökosysteme sind die Karten von Suchmaschinenbetreibern oder anderen Navigationssystemen, in denen Unternehmen punkthafte Objekte (Points of Interest) hinterlegen können, etwa Geldautomaten und Filialen. Ähnlich wie Werbung locken diese Informationsangebote die Nutzer aber oft zur Internetseite des Anbieters und damit an einen anderen Ort. Das Wesen eines höher entwickelten Ökosystems besteht aber gerade darin, dass es aus sich selbst heraus funktioniert und in sich geschlossen ist – eine Welt für sich.

Geschlossene Systeme

Ein Beispiel für solche Ökosysteme sind Internetplattformen und soziale Medien. Sie verfolgen das Ziel, Kunden auf ihrer Plattform zu halten und decken alle digitalen Lebensbereiche ab. Neben sozialer Kontaktpflege und vielen anderen Dingen gehören auch journalistische Texte dazu, denn wem es möglich ist, sich innerhalb der Plattform zu informieren, der wandert nicht zur ursprünglichen Nachrichtenseite ab, auch wenn sie es war, die die Inhalte ursprünglich verfasst hat. Nutzer sollen alles, was sie online erledigen und erleben wollen, im digitalen Ökosystem vorfinden. "Und da gehören mindestens bequeme Bezahlmöglichkeiten dazu, als Mittel zum Zweck eines einheitlichen und umfassenden Kundenerlebnisses", sagt BaFin-Präsident Felix Hufeld.1

Wenn sich der Kunde eine Ware (den Zweck) bestellt, ist Online-Payment eines der Mittel, um sie zu bekommen. Natürlich können auch Finanzdienstleistungen selbst zum Zweck werden. Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn der Nutzer innerhalb des Ökosystems eine Risikolebensversicherung kauft. Mit Hilfe von Big Data Artificial Intelligence (BDAI) wäre es theoretisch sogar möglich, über diesen Nutzer vorliegende Daten wie seinen Immobilienkredit, seinen Familienstand und sein Gehalt in Bezug zueinander zu setzen und ihm eine maßgeschneiderte Versicherungslösung zu präsentieren.

Innerhalb solcher geschlossenen Systeme kann der Plattformbetreiber natürlich auch Einfluss darauf nehmen, welche Zahlungsmittel oder -systeme er zur Abwicklung von Geschäften über seine Plattform zulässt. Plattformbetreiber können auch Bedingungen schaffen, in denen sie – neben den vielen anderen Informationen, die sie über ihre Nutzer erlangen – auch Kenntnis über Finanztransaktionen ihrer Nutzer gewinnen.

Finanzunternehmen haben Qual der Wahl

Es ist nicht davon auszugehen, dass digitale Ökosysteme in absehbarer Zeit von alleine wieder verschwinden. Finanzunternehmen müssen sich sorgfältig mit ihnen befassen, Chancen gegen Risiken abwägen und dann eine fundierte Entscheidung treffen, wie sie sich dazu verhalten. Sie haben sprichwörtlich die Qual der Wahl, die ihnen niemand abnehmen kann – auch nicht die BaFin. Sie mischt sich in die geschäftspolitischen Weichenstellungen der von ihr beaufsichtigten Unternehmen nämlich nicht ein. Die deutsche Aufsicht beteiligt sich aber intensiv am Diskurs, will selber möglichst viel Know-how aufbauen und dieses auch in den Markt zurückspielen, zum Beispiel in Form von Studien und Publikationen (siehe BaFinPerspektiven 1/2018 und 1/2019). Aufseher und Regulierer seien gefordert, Standpunkte zu entwickeln, wie mit den neuen Technologien und deren Implikationen umzugehen ist, sagt Hufeld.

Markteintritt von Bigtechs

Was die Sache besonders spannend macht: Die Träger digitaler Ökosysteme können weltbekannte und weltumspannende Technologieriesen mit riesigen Datenmengen sein, die sie in unzähligen Branchen zu Geld machen könnten. Diese Technologiekonzerne sind nicht zwingend darauf angewiesen, Erträge mit Finanzdienstleistungen zu erwirtschaften – sie können diese Produkte quersubventionieren und dadurch im Extremfall sogar kostenfrei anbieten.

Die BaFin hat beobachtet, dass Unternehmen, die keine klassischen Banken und Versicherer sind, mit Aktivitäten, die derzeit für sich betrachtet nicht erlaubnispflichtig sind, zunehmend ins Finanzgeschäft vordringen. "Inwieweit wir hier darauf regulatorisch reagieren müssen, etwa, indem wir den traditionellen aufsichtlichen Bezug auf Entitäten auf spezifische, klar festzulegende Aktivitäten ausdehnen, wird sich weisen", sagt Hufeld. International sei diese Diskussion unter den Aufsichtsbehörden darüber längst im Gange.

Wenn Bigtechs zum Beispiel an den Punkt gelangen, wo sie eine Erlaubnis nach § 32 Kreditwesengesetz (KWG) brauchen, gilt laut Hufeld: "In Deutschland bekommen nur die Unternehmen, die das Banking auch wirklich beherrschen, von uns eine Lizenz." Natürlich könnten auch große Technologiekonzerne Banking lernen – und das ziemlich schnell, von der Möglichkeit, Kooperationen einzugehen, ganz zu schweigen.

Wettbewerb oder Winner takes it all?

Denn so, wie sich digitale Ökosysteme derzeit darstellen, werden sie die Finanzlandschaft verändern, selbst wenn sich die Bigtechs dazu entschließen, keine Bank- oder Versicherungslizenzen zu beantragen. In jedem Falle können sie als Gatekeeper die Kundenschnittstelle besetzen und in der Folge kontrollieren. Beim Verzicht auf eigene Lizenzen müssten die Plattformanbieter zwar Unternehmen mit den entsprechenden Erlaubnissen als Partner einbinden, könnten aber womöglich bestimmen, welche dieser Unternehmen sich in den Ökosystemen präsentieren dürfen. Dadurch würden die Plattformbetreiber zu Gatekeepern des Kundenkontakts und an ihnen würde auf dem Weg zu den Kunden innerhalb des Ökosystems kein Weg vorbeiführen – zumindest in den Grenzen des geltenden (Kartell-)Rechts. Noch sehr viel mehr als heute müssen sich wohl einige mit der Funktion des Zulieferers zu einer Plattform begnügen.

Ganz eng wird es, wenn sich kein echter Wettbewerb um Marktanteile zwischen verschiedenen digitalen Ökosystemen entwickeln sollte, sondern sich nur ein einziges als lebensfähig erweist. In diesem The-winner-takes-it-all-Szenario entbrennt der Konkurrenzkampf letzten Endes darum, wer überhaupt an einem digitalen Ökosystem teilnehmen kann und wer nicht.

Kleinmut sollten deutsche Unternehmen nach Ansicht Hufelds aber nicht an den Tag legen. Fachkenntnisse und Kundenvertrauen sind zwei Felder, auf denen sie Vorsprung haben gegenüber branchenfremden Tech- und Datengiganten aus dem Silicon Valley. Wenn Bigtechs Finanzen lernen wollen, können sich prinzipiell Banken und Versicherer umgekehrt auch in die Kernkompetenz der Bigtechs einarbeiten. Firmeninterne Hubs tun das bereits. Auch in Kooperationen mit Fintechs bzw. Insurtechs (siehe BaFinJournal Januar 2019) steckt Potenzial.

Grundsätze der Aufsicht

Ökosysteme stellen aber nicht nur klassische Institute und Versicherer in Frage, sie kratzen auch an den Rollen staatlicher Institutionen. Die Blockchain ermöglicht Transaktionen ohne Intermediäre. Wenn es nach Bankenkritikern geht, sollte das Vertrauen der Kunden künftig auf solchen Technologien statt auf Institutionen beruhen – ohne Banken und Versicherer. Wer aber würde dann beaufsichtigt? Käme es tatsächlich in weiten Teilen zu einer Blockchain-Ökonomie, also zu dezentralen Ökosystemen ohne zentrale Institutionen und Verantwortung, dann brauchten auch Regulierung und Aufsicht ein Update. "Dort, wo wir feststellen, dass auf Blockchain basierende Finanzgeschäfte nicht der bestehenden Regulierung unterliegen, muss geprüft werden, ob und in welchem Umfang wir Anpassungen vornehmen müssten", erläutert Hufeld.

Das Fundament sollten die Grundsätze von Regulierung und Aufsicht bleiben. Zu den Grundsätzen der BaFin gehört die Technologieneutralität, die unter anderem besagt, dass Softwarelösungen nicht von vornherein verboten sind, ihr Einsatz aber dahingehend geprüft wird, ob er die Integrität und Stabilität des Finanzmarkts sowie die kollektiven Verbraucherinteressen gefährdet.
Unbeeindruckt ist die BaFin auch von Alter, Herkunft und Namen eines Unternehmens, das sie beaufsichtigt. Für sie sind das nicht die entscheidenden Kriterien. Messlatte für ihr Aufsichtshandeln ist vielmehr das Risiko, das mit der Geschäftstätigkeit des Unternehmens einhergeht. Die Beaufsichtigung der BaFin verhält sich hierzu proportional.

Die Aufsicht wird Antworten finden auf informationstechnologische Innovationen wie digitale Ökosysteme. Die Industrie steht vor der gleichen Herausforderung.

Autor

Sören Maak-Heß
BaFin-Referat Reden und Publikationen

Fußnote

  1. 1 Rede von BaFin-Präsident Felix Hufeld beim Retail-Bankentag am 24. Mai 2019: vgl. https://www.bafin.de/dok/12465500

Hinweis

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Zusatzinformationen

BaFinJournal 10/2019 (Download)

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