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Abbildung eines mit Bauklötzen gestapelten Turmes ©iStockphoto.com/ShutterOK

Erscheinung:15.07.2019 Proben für den Ernstfall

Die Besprechungsräume sind abhörsicher, die Planspiele für den Ausnahmefall streng geheim. Droht einer Bank in Deutschland eine Bestandsgefährdung, werden unbemerkt von der Öffentlichkeit am Frankfurter BaFin-Standort alle Hebel in Bewegung gesetzt.

Mehr als zehn Jahre gingen ins Land. So lange dauerte es, bis die letzten deutschen Privatgläubiger der US-Investmentbank Lehman Brothers vor wenigen Tagen endlich Teile ihrer Einlagen zurückbekamen. Die Abwicklung der niederländischen Tochter Lehman Brothers Treasury, Emittentin der in Deutschland verkauften Lehman-Zertifikate, hatte sich offenbar endlos in die Länge gezogen.

Die schlechte Nachricht: Nach wie vor sitzen Europas Banken auf faulen Krediten. Auf 813 Milliarden Euro schätzt die Europäische Bankenaufsicht die Summe der Problemkredite in den Bilanzen vor allem südeuropäischer Banken. Was sich in den Geldhäusern Griechenlands, Zyperns und Italiens befinde, heißt es, sei vom Umfang her „im historischen Vergleich hoch“.

In den Bilanzen deutscher Banken gelten 49,6 Milliarden Euro an Krediten als faul, was einer vergleichsweise geringen Quote von 1,9 Prozent entspricht. Doch auch den offenbar soliden Bankenstandorten drohen laut EBA Risiken, insbesondere durch eine Ansteckungsgefahr über das gesamte europäische Bankensystem.

Für einige Institute ist die Lage schon jetzt angespannt. Hinzu kommt: Sollte die Europäische Zentralbank ihre Zinsen, wie angedeutet, in absehbarer Zeit noch weiter senken, könnte sich die Situation zuspitzen.

„Da hilft kein Drumherumreden, dann wird’s halt tougher“, erwartet BaFin-Präsident Felix Hufeld. Was das konkret bedeutet, verheimlicht er nicht. „Dann werden mehr Banken aus dem Markt gehen“, sagt er, „dann wird es mehr und schnellere Konsolidierungen geben.“ Betroffen wären aus seiner Sicht vor allem kleine und mittelgroße private Banken.

BaFin ist auf Ernstfall vorbereitet

Die gute Nachricht trotz der drohenden Krise: Falls einzelne Banken vom Markt verschwinden müssten, wäre seine Bundesbehörde auf den Ernstfall vorbereitet. „Wir haben keine Probleme damit, dass Banken aus dem Markt ausscheiden“, erklärt Hufeld. Aber wenn es dazu komme, sollte dies in einem kontrollierten Prozess ablaufen. Daher wurden insbesondere für signifikante Banken bereits Abwicklungspläne erstellt.

Eine Lehre aus den europäischen Rettungsaktionen der letzten Finanzkrise vor mittlerweile mehr als zehn Jahren ist das einheitliche Abwicklungssystem auf EU-Ebene. Seit Anfang vorigen Jahres ist die BaFin auch Deutschlands Nationale Abwicklungsbehörde (NAB) – und in dieser Funktion Teil des Einheitlichen Abwicklungsmechanismus (Single Resolution Mechanism - SRM) auf europäischer Ebene.

Was das Abwicklungsregime für Finanzinstitute betrifft, hat man sich in Europa auf eine Arbeitsteilung geeinigt: Während der Ausschuss für die Einheitliche Abwicklung mit Sitz in Brüssel hauptsächlich für die sogenannten bedeutenden Institute (Significant Institutions - SIs), zuständig ist, sind die nationalen Abwicklungsbehörden der EU-Mitgliedstaaten – wie im deutschen Fall die BaFin – für weniger bedeutende Institute (Less Significant Institutions – LSIs) samt Finanzmarktinfrastrukturen zuständig.

Sowohl bei der Abwicklungsplanung für Großbritannien als auch beim tatsächlichen Abwicklungsfall ist das Fachwissen der BaFin-Experten gefragt, arbeiten sie doch auf diesem Gebiet eng mit den SRB-Kollegen sowie anderen Abwicklungsbehörden aus Drittstaaten, wie etwa den Vereinigten Staaten, Großbritannien und der Schweiz zusammen.

Für die weniger bedeutenden Institute ist in Sachen Abwicklung die BaFin direkt zuständig. Zu ihnen zählen neben kleinen und mittelgroßen Banken auch Zweigstellen von Geldhäusern aus EU-Nachbarstaaten, bestimmte Holdinggesellschaften von Bankengruppen und CRR-Wertpapierfirmen, also Finanzdienstleistungsinstitute, die Finanzkommissions- oder Emissionsgeschäfte betreiben. Deren Zahl steigt, denn immer mehr Finanzunternehmen verlegen ihre Verwaltungsköpfe angesichts des Brexits von Großbritannien nach Deutschland.

Exekutivdirektor als Krisenmanager

Oberster Krisenmanager ist hierzulande Dr. Thorsten Pötzsch. Der Exekutivdirektor Abwicklung bei der BaFin, der auch die Geldwäscheprävention verantwortet, ist prädestiniert für heikle Fälle. Als im Jahr 2008 die weltweite Finanzkrise ausbrach, war er an verantwortlicher Stelle in der Abteilung Finanzmarktpolitik im Bundesfinanzministerium (BMF) im Einsatz – und das die gesamte Krise hindurch.

„Seitdem weiß ich noch mehr, wie wichtig eine gute Vorbereitung bei einer Krise ist“, sagt Pötzsch. Verlässliche Mitarbeiter und wirksame Instrumente gehörten dazu, erklärt er, aber auch eingespielte Prozesse innerhalb eines gültigen Rechtsrahmens.

„Jede Bank muss abwickelbar sein“, sagt Pötzsch. Seiner Erfahrung nach sorge alleine die Existenz eines entsprechenden Abwicklungsregimes für Selbstkontrolle. Sein Leitspruch: „Regularien der Abwicklung erzeugen Marktdisziplin.“

Erst dann, wenn eine Bank in ihrem Bestand gefährdet ist und die Mittel der Bankenaufsicht wie der Privatwirtschaft erschöpft sind, kommen die Krisenmanager aus der BaFin-Abwicklung ins Spiel. Verdichten sich Anzeichen für eine bestandsgefährdende Situation, leitet die BaFin den Krisenprozess ein: Der Krisenstab trifft sich, stellt den Krisenmodus fest und beurteilt dann, ob die gesetzlichen Abwicklungsvoraussetzungen erfüllt sind.

Diese Entscheidung ist kompliziert und hängt von vielen internen und externen Faktoren und Parteien ab. Besteht ein öffentliches Interesse an einer Abwicklung der Bank? Welche Verluste sind zu erwarten? Wie entwickelt sich ihre Liquiditätssituation? Ist die Finanzstabilität in Gefahr? Wie reagieren die Märkte? Wie lässt sich der Abwicklungsplan umsetzen? Erst alle Informationen zusammen ergeben das Bild der Krisenlage.

Alles das proben die Krisenmanager der BaFin-Abwicklung regelmäßig für den Ausnahmefall. In einem Planspiel muss unter nahezu realistischen Bedingungen innerhalb von 48 Stunden die Abwicklung einer fiktiven Bank mittlerer Größenordnung, deren Bestand gefährdet ist, angeordnet werden. Dann schlägt die Stunde von Holger Helms, seit Anfang 2018 Leiter des Krisenmanagements im Geschäftsbereich Abwicklung bei der BaFin. Als Betriebswirt und ehemaliger Offizier hat er Erfahrung im Umgang mit Krisen.

„In wenigen konkreten Fällen haben wir uns schon sehr intensiv auf eine Abwicklung vorbereitet“, sagt Helms, ohne Namen zu nennen. Er feilt vor allem an den internen Prozessen. Jede Stunde kann ein neues Ereignis hinzukommen, zum Beispiel der Abzug von Einlagen drohen.

Das Ziel: Am Ende der Übung – wie auch in der Realität - muss die Anordnung zur Abwicklung der Bank stehen. Tag und Nacht schreiben Abwicklungsexperten aus den verschiedenen Teams im Ausnahmefall an dem Verwaltungsakt. Mit den dazugehörigen Dokumenten können unter Umstände mehrere tausend Seiten zusammenkommen. Gefragt ist dabei Spezialwissen in Sachen Steuer- und Wirtschaftsrecht, Unternehmensbewertung, Bilanzanalyse oder Transaktionen.

Ausscheiden aus dem Markt

Sobald die Abwicklungsanordnung auf der Internetseite der BaFin veröffentlicht wird, ist sie rechtskräftig: Dies kann bedeuten, dass die betroffene Bank mit ihrem bisherigen Geschäftsmodell aus dem Markt ausscheidet.

Doch auch in wirtschaftlich soliden Zeiten und bei normalem Geschäftsverlauf stehen die Krisenmanager aus der BaFin bei der regulären Abwicklungsplanung mit Bankern im Kontakt. Im Mittelpunkt steht dabei die Krisenvermeidung und –früherkennung. Für jede einzelne Bank, die sie betreuen, schreiben die BaFin-Experten einen Abwicklungsplan. Auch geben sie regelmäßig eine Einschätzung zur Abwicklungsfähigkeit des einzelnen Instituts.

So kann es auch sein, dass die BaFin bei dem einen oder anderen Bankvorstand darauf hinwirkt, etwa die Krisen-Governance zu stärken, die Unternehmensstruktur zu vereinfachen, die EU- und Nicht-EU-Tätigkeiten voneinander zu trennen, die IT-Ausstattung und die Datenverfügbarkeit bei Testläufen (Dry Runs) zu verbessern – um im Krisenfall tatsächlich schnell reagieren zu können.

Wettlauf gegen die Zeit

Der Grund: Eine Bankenabwicklung ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Wenn das Team der BaFin-Krisenmanager im konkreten Fall zusammenkommt, gilt höchste Alarmstufe für Deutschlands Finanzbranche. In abhörsicheren Räumen am Frankfurter Standort der BaFin werden dann alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Finanzstabilität im Land aufrechtzuhalten.

Alle Sitzungen sind vertraulich, das Sitzungsprotokoll geheim, Verschwiegenheit ist oberstes Gebot. Hier wird über die Risiko- und Datenlage, Konzernstruktur und Abwicklungsstrategie des betroffenen Instituts entschieden – und das möglichst schnell.

Was braucht es, um eine Bank in Deutschland abzuwickeln? „Das Wichtigste sind belastbare und verfügbare Daten der jeweiligen Bank“, sagt Helms. Auf dieser Basis prüft die BaFin, in welchem Umfang Anteilsinhaber und gegebenenfalls Gläubiger beim Verlustausgleich herangezogen werden können (Bail-in).

Tatsächlich können auch unklare Konzernstrukturen zum Problem werden. Im Fall einer Abwicklung muss die Behörde in der Lage sein, die Bank zu zerteilen. Doch dafür müssen die Krisenmanager wissen, wie man die einzelnen Einheiten überhaupt trennen könnte.

Das Abwicklungsregime verfolgt das Ziel, dass Verluste von Banken nicht mehr – wie noch in der Finanzkrise – der Allgemeinheit zugeschoben werden. Deshalb werden Fehlanreize (Moral Hazard) beseitigt. Banken sollen nicht dazu verleitet werden, übermäßige Risiken einzugehen.

Zudem sollen Modelle ermöglichen, dass Banken den Markt verlassen, ohne die Finanzstabilität oder die Realwirtschaft zu gefährden – entweder durch eine geordnete Insolvenz oder mittels Abwicklung.

Anteilsinhaber und Gläubiger, die der Bank Geld geliehen haben, sollen dazu im Abwicklungsfall an den Verlusten finanziell beteiligt werden. Auch das ist eine Lehre, die nach der weltweiten Finanzkrise gezogen wurde.

Möglichkeiten der Abwicklung

Neben der Beteiligung der Anteilsinhaber und Gläubiger der Bank gibt es weitere Möglichkeiten einer geordneten Abwicklung: Banken können auch per Anordnung durch die BaFin an Wettbewerber oder Finanzinvestoren veräußert oder auf eine Brückenbank übertragen werden. Für kleinere Banken ist ein ordentliches Insolvenzverfahren als Abwicklungsstrategie nach Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Mittel aber die Regel. Das öffentliche Interesse steht dabei im Mittelpunkt.

Obwohl in Deutschland noch nie bei einer systemrelevanten Bank eine Abwicklung unter staatlicher Aufsicht bis zum Ende vollzogen wurde, mussten schon mehrere kleine und mittelgroße Banken aus unterschiedlichen Gründen den Markt verlassen. Zuletzt rutschte die Münchener Investmentbank Dero im Jahr 2018 in die Insolvenz, zwei Jahre zuvor die Frankfurter Maple Bank. Wegen hoher Steuernachforderungen gerieten beide Institute in Schieflage. Die BaFin-Krisenmanager stellten Bestandsgefährdungen fest - und überführten beide Institute in geordnete Insolvenzverfahren.

Auf einen Blick:Bankenpleiten: Von Danat bis zur WestLB

In der Vergangenheit sind mehrere kleine und mittelgroße Banken aus unterschiedlichen Gründen aus dem Markt ausgeschieden. 1974 brach die Kölner Herstatt-Bank zusammen, die traditionsreiche Schröder, Münchmeyer, Hengst & Co. folgte 1981. Jahre später beendete das verlustreiche Engagement bei der Karstadt-Mutter Arcandor die 200-jährige Geschichte der Kölner Bank Sal. Oppenheim. Sie allerdings wurde von der Deutschen Bank übernommen und damit gerettet.
Kein Happy End hingegen gab es für die WestLB. Die Düsseldorfer Landesbank, die sich an internationalen Geschäften verhoben hatte, wurde nach mehreren Sanierungsversuchen abgewickelt. Auch die Hypo Real Estate geriet in Folge der US-Subprime-Krise 2008 in Schieflage, um auf Kosten der Steuerzahler über Wasser gehalten zu werden. Im Oktober 2009 wurde sie als erste Bank in der Geschichte der Bundesrepublik verstaatlicht.

Der wohl einschneidendste Banken-Crash der deutschen Wirtschaftsgeschichte aber war der Bankrott der Darmstädter und Nationalbank (Danat) 1931. Weil ein wichtiger Schuldner ausfiel, geriet die damals zweitgrößte Bank der Weimarer Republik in eine bedrohliche Schieflage. Mitten in der Wirtschaftskrise musste das Kreditinstitut seine Schalter schließen, weil ihm das Bargeld ausgegangen war. Als sich die Nachricht der Zahlungsunfähigkeit verbreitete, bildeten sich lange Schlangen von Sparern, die ihr Guthaben retten wollten. Die Insolvenz der Danat-Bank löste die bis dahin größte Depression in Deutschland aus, mit weitreichenden politischen Folgen.

Veranstaltungshinweis:Abwicklungskonferenz

Die BaFin veranstaltet am Mittwoch, 4. Dezember 2019, in Frankfurt am Main ihre zweite Konferenz zu aktuellen Abwicklungsthemen. Im Mittelpunkt stehen die Beziehung zwischen Sanierungs- und Abwicklungsplanung, die Datenanforderungen für die Abwicklungsplanung, die Weiterentwicklung der MREL-Anforderungen sowie die Krisenvorbereitung. Nähere Informationen zum Programm, zur Teilnahme und Anmeldung veröffentlicht die BaFin Mitte August.

Autorin

Annkathrin Frind
BaFin-Referat Reden und Publikationen

Hinweis

Der Beitrag gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im BaFinJournal wieder und wird nicht nachträglich aktualisiert. Bitte beachten Sie die Allgemeinen Nutzungsbedingungen.

Zusatzinformationen

BaFinJournal 07/2019 (Download)

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