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Foto aus der Veranstaltung "Verhältnismäßigkeit und Subsidiarität in der Bankenaufsicht und -regulierung" - Thomas Happel (BaFin-Abteilungsleiter) als Vortragender am Rednerpult. © BaFin

Erscheinung:18.02.2019 „Wer angemessene Regulierung fordert, darf damit nicht Deregulierung als sein eigentliches Ziel maskieren“

BaFin-Veranstaltung zum Thema „Verhältnismäßigkeit und Subsidiarität in der Bankenaufsicht und -regulierung“ in Kooperation mit dem European Banking Institute.

Definition:Proportionalität

Das Prinzip der (doppelten) Proportionalität besagt, dass bei der Regulierung und bei deren Anwendung in der aufsichtlichen Praxis das Risikoprofil des jeweiligen Unternehmens zu berücksichtigen ist. Entscheidend sind hierbei nicht nur der Umfang der Geschäfte, sondern auch das Geschäftsmodell und die Komplexität der Risiken. Dieser Grundsatz – ähnlich dem Verhältnismäßigkeitsprinzip – findet nicht nur Anwendung in der europäischen Eigenmittelverordnung (Capital Requirements RegulationCRR) und der europäischen Eigenmittelrichtlinie (Capital Requirements Directive IV – CRD IV), sondern zum Beispiel auch in den Mindestanforderungen an das Risikomanagement der Banken (MaRisk) und auch bei Solvency II, dem europäischen Aufsichtsregime für Versicherer.

Die gemeinsame Veranstaltung von BaFin und European Banking Institute (EBI ) zur Proportionalität im Bankwesen am 24. Januar 2019 in Bonn begann mit einem Beben. „Die Banken leiden unter einem Tsunami aus regulatorischen Vorschriften“, behauptete Prof. Dr. Matthias Lehmann von der Universität Bonn zur Begrüßung. Lehmann sitzt beim EBI, das sich als Think-Tank der wichtigsten europäischen Universitäten versteht, im Academic Board. Das Übermaß an Vorschriften belaste kleine Banken, fördere Fusionen innerhalb der Branche und führe dazu, dass es immer weniger Kreditinstitute gebe. Es müsse dringend hinterfragt werden, welche Regelungen tatsächlich geeignet, erforderlich und angemessen seien und welche Ebene das Recht setze. Damit griff Lehmann die titelgebenden Prinzipien von Verhältnismäßigkeit und Subsidiarität gleich zu Beginn des Tages auf.

„Wir sitzen in einem gemeinsamen Boot und müssen versuchen, es auch gemeinsam zu rudern“, sagte daraufhin Thomas Happel, Leiter der BaFin-Abteilung zur Aufsicht über Bausparkassen, Privatbanken und Leasing, und nahm damit Lehmanns Faden auf. „Wenn wir mit Vertretern von Banken, Sparkassen und ihrer Verbände reden, hören wir selten Lob, aber häufig Kritik und Klagen,“ ergänzte Happel, der BaFin-Exekutivdirektor Raimund Röseler vertrat.

Unterschiedliche Vorstellungen von Proportionalität

Das Missverständnis geht schon bei der Sprache los. „Leider verstehen nicht alle das Gleiche unter Proportionalität“, sagte Happel. Die einen wollten Regeln ersatzlos streichen und im Gegenzug einfach die Kapitalanforderungen erhöhen – nach dem Motto „Leverage Ratio hoch, Rest weg“. Daneben gebe es Rufe nach Proportionalität, die eigentlich Deregulierung meinten. „Wer angemessene Regulierung fordert, darf damit nicht Deregulierung als sein eigentliches Ziel maskieren.“ Für die letzte Deregulierung hätten Wirtschaft und Gesellschaft teuer bezahlt: Der Preis sei die Finanzkrise gewesen.

Die BaFin befürworte den Ansatz, „Regulierung einfacher, aber dennoch risikosensitiv zu gestalten“. Das sei zugegebenermaßen noch nicht überall ausreichend konsequent umgesetzt worden.

Das Programm der Konferenz bot den 170 Teilnehmern zahlreiche weitere Redebeiträge und eine spannende Diskussion zwischen Wissenschaft, Industrie und Aufsicht. BaFin-Führungskräfte steuerten ihre aufsichtlichen Schwerpunkte insbesondere in Teil 3 der Veranstaltung, dem Part „Aufsicht“, bei.

Single Rule Book

Die rechtlichen Grundlagen lieferten zwei Wissenschaftler: Prof. Dr. Elke Gurlit von der Universität Mainz stieg zwar tief in die Theorie des Verhältnismäßigkeitsprinzips ein, verlor dabei aber die Praxis nicht aus den Augen. „Das Single Rule Book ist kein Selbstzweck, sondern steht im Dienst, Aufsichtsarbitrage zu verhindern und ein Level-Playing-Field zu garantieren“, lautete eine ihrer Kernaussagen. Auch zum Bankenpaket (siehe BaFinJournal Dezember 2018) äußerte sie sich: „Es hat beachtliche Erleichterungen für kleinere und nicht komplexe Institute gebracht und verwirklicht zahlreiche Elemente, die Gegenstand einer Small-Banking-Box sein könnten.“

Auf einen Blick:Single Rule Book

Das Single Rule Book ist ein Schritt auf dem Weg zur Europäischen Bankenunion und dient der europaweiten Harmonisierung der Bankenregulierung. Ziel ist die Schaffung eines einheitlichen prudenziellen Regelwerks, das zu großen Teilen aus unmittelbar anwendbaren EU-Verordnungen besteht. Wesentliche Bestandteile des Single Rule Books sind derzeit die europäische Eigenmittelverordnung (Capital Requirements RegulationCRR) sowie die auf ihrer Grundlage erlassenen delegierten Rechtsakte sowie die europäische Eigenmittelrichtlinie (Capital Requirements Directive IV – CRD IV).

Anleihen bei der katholischen Soziallehre

Prof. Dr. Christoph Ohler von der Universität Jena erklärte den Teilnehmern, dass das Subsidiaritätsprinzip aus der katholischen Soziallehre stamme und vorsehe, dass höhere Instanzen untergeordnete Ebenen so lange wie möglich eigenverantwortlich arbeiten lassen und erst dann tätig werden, wenn die untere Ebene es nicht besser kann. In der Realität sehe das manchmal anders aus. Eine seiner Feststellungen lautete daher: „Die gerichtliche Kontrolle respektiert die Einschätzungsprärogative des Unionsgesetzgebers, der das Subsidiaritätsprinzip großzügig zugunsten der Union anwendet.“1

Im zweiten Part, dem unter der Überschrift „Regulierung“, zeigte die stellvertretende BaFin-Abteilungsleiterin Birgit Höpfner, dass ein Bankenaufseher 1995 noch mit fünf Regelwerken ausgekommen sei, heute aber eine Vielzahl hiervon benötige. Das sorgte für Erheiterung; viele Teilnehmer zückten ihre Smartphones und fotografierten die entsprechende Folie der Power-Point-Präsentation ab. Das Bankenaufsichtsrecht habe seit Entstehung des Kreditwesengesetzes (KWG) eine starke Wandlung durchlaufen – von einer rein nationalen Regulierung über die nationale Umsetzung von EU-Richtlinien bis hin zu einem von EU-Verordnungen geprägten Rechtsrahmen, in dem nationalem Recht zunehmend nur eine ergänzende Funktion zukommt. „Das EU-Recht hat Vorrang vor nationalen Regeln und schränkt den nationalen Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum nachhaltig ein“, erläuterte Höpfner.

Sie sprach sich gegen Deregulierung aus, regte aber unter anderem eine ganzheitliche Überprüfung des bestehenden Regelwerks und dessen „Entrümpelung“ an, um Bestimmungen, die nicht oder in der bestehenden Form nicht mehr benötigt werden, zu beseitigen. Darüber hinaus könne auch über neue Regulierungsansätze nachgedacht werden, die zum Beispiel zwischen verschiedenen Institutskategorien unterscheiden.

Perspektive der Bankenverbände

In seiner Bestandsaufnahme zur proportionalen Regulierung betonte Dr. Holger Mielk vom Bundesverband der Volksbanken und Raiffeisenbanken, dass die Gleichbehandlung aller Institute ohne Ansehung von Größe und Risiko dem Grundsatz, Ungleiches ungleich zu behandeln, zuwiderlaufe. Das sei inakzeptabel.

Als Beispiel für einen regulatorischen Ansatz, der diese Konsequenzen vermeidet, verwies er auf das Regelungsmodell von Basel II und die dort vorgesehenen Institutswahlrechte im Bereich des Kreditrisikos und des operationellen Risikos. „Wenn ich als Institut zwischen verschiedenen Regulierungsansätzen für eine Risikokategorie wählen kann, dann erledigt sich jeder Vorwurf in Richtung Wettbewerbsungleichheit“, sagte Mielk. Er kritisierte, dass das Single Rule Book in der Theorie Flexibilität ermögliche, in der Realität aber nahezu durchgängig auf einen One-size-fits-all-Ansatz hinauslaufe.

Michael Engelhard, Leiter Bankaufsicht/Politik beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband, blickte in seinem Vortrag über den EU-Tellerrand hinaus in die Schweiz. Dort werde ein Kleinbankenregime für Institute getestet, die „deutlich überdurchschnittlich mit Kapital und Liquidität ausgestattet sind und keine sonstigen besonders erhöhten Risiken aufweisen“. Der Umfang der Anforderungen an solche Institute könne erheblich reduziert werden, ohne dass das Schutzniveau insgesamt sinke. Das sei auch in der EU ein überlegungswerter Ansatz für Proportionalität.

Komplexität versus Erleichterungen

Dirk Jäger, Mitglied der Geschäftsführung beim Bundesverband deutscher Banken, sieht in der gegenwärtigen Aufsichtsarchitektur einen Treiber von Komplexität. In Gestalt von EU-Kommission, Europäischer Bankenaufsichtsbehörde EBA, Europäischer Zentralbank, Deutscher Bundesbank und BaFin gebe es diverse Institutionen, deren Kompetenzen sich teils auch überschnitten. Jäger stellte die Frage in den Raum, warum bei Einführung neuer Vorschriften nicht bestehende Regelungen abgeschafft würden, wenn diese eine hohe inhaltliche Übereinstimmung aufwiesen. Als Beispiel nannte er die FINREP-Bilanzierung (Financial Reporting) nach dem internationalen Rechnungslegungsstandard IFRS 9 im Verhältnis zum althergebrachten HGB (siehe BaFinJournal Dezember 2017). Jäger präsentierte aber auch Lösungsvorschläge wie etwa eine bessere Abstimmung der Regelsetzer, rechtzeitige Auswirkungsanalysen oder angemessene Übergangszeiträume.

Anschließend belegte Björn Grommek, Vorstand der Stadtsparkasse Grebenstein, die aus seiner Sicht nichtproportionale Regulatorik mit Zahlen und Praxisbeispielen: Seit der Finanzkrise habe es 50 neue Gesetze und Verordnungen im Umfang von rund 34.000 Seiten gegeben. Die Sinnhaftigkeit von FINREP für kleinere HGB-Institute sowie des Lageberichts („überdimensioniert“), des Offenlegungsberichtes („ungelesen“) und der Kundenberatung („Jura-Grundkurs“) in ihrer derzeitigen Form bezweifelte er. Das Gleiche gelte bei kleinen, tarifgebundenen Instituten auch mit Blick auf die Institutsvergütungsverordnung (siehe BaFinJournal April 2017).

Um Erleichterungen für kleine Institute ging es auch in der von Lehmann moderierten Diskussion zwischen Prof. Dr. Uwe H. Schneider (Universität Mainz), Dr. Dirk Bliesener (Hengeler Müller), Andreas Knief (Volksbank Haselünne eG), Wolf Ulrich Martin (Bankhaus Gebr. Martin AG), Rainer Behle (BaFin) und Grommek. Bei allen Unterschieden wurde deutlich, wie stark Ideen wie eine Small-Banking-Box oder ein regulatorischer Sandkasten in die Branche hineinwirken.

Die Sicht von Bundesbank und BaFin

Hinweis:Vorträge

Die Vortragsfolien sind auf der Internetseite der BaFin veröffentlicht.

Im letzten Teil der Veranstaltung hatten die Aufseher das Wort – erst die BaFin, dann die Deutsche Bundesbank. Thomas Happel erinnerte zunächst daran, dass die Aufsicht geltendes Recht durchsetze. Aber auch in ihrer Funktion als Exekutive dürfe sie unsinnige Regeln an geeigneter Stelle ansprechen und ihrerseits proportional agieren – in der Beaufsichtigung. „Allerdings werden die Spielräume, die wir als BaFin haben, immer enger“, sagte Happel. In der Praxis gebe es von Gesetzes wegen bei Kapitalzuschlägen regelmäßig weniger Spielraum als bei personenbezogenen Maßnahmen.

Zum Abschluss der Veranstaltung schilderte Dr. Thomas Kick von der Deutschen Bundesbank den Ablauf des Stresstests der deutschen weniger bedeutenden Institute (Less Significant Institutions – LSIs) im Jahr 2017. Im Vorfeld war der LSI-Stresstest ausdrücklich so konzipiert worden, dass sich der Aufwand auf Seiten der etwa 1.500 betroffenen Institute in Grenzen hielt. Ein von BaFin und Bundesbank geleitetes Fachgremium mit Vertretern von Banken, Bankenverbänden und Rechenzentren tauschte sich zur Konzeption und zur operativen Umsetzbarkeit intensiv aus. „BaFin und Bundesbank haben im LSI-Stresstest 2017 nicht mit Kanonen auf Spatzen geschossen und werden dies auch in künftigen Stresstests nicht tun“, versprach Kick.

Hinweis

Der Beitrag gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im BaFinJournal wieder und wird nicht nachträglich aktualisiert. Bitte beachten Sie die Allgemeinen Nutzungsbedingungen.

Fußnote

  1. 1 Siehe dazu auch Rede von BaFin-Präsident Felix Hufeld bei Jahrespressekonferenz 2018, in der er sich u.a. auf Hans-Jürgen Papier in der FAZ bezieht.
    Hufeld: https://www.bafin.de/dok/10840856
    Papier: https://www.faz.net/aktuell/politik/zerfaellt-europa/zerfaellt-europa-17-europa-zwischen-nationalstaatlichkeit-und-einheit-14484032-p4.html

Zusatzinformationen

BaFinJournal 02/2019 (Download)

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