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Erscheinung:15.08.2017 Internationale Versicherungsgruppen - Meilenstein erreicht: Erweiterte Feldstudie zum globalen Kapitalstandard

Im Oktober 2013 kündigte die Internationale Vereinigung der Versicherungsaufsichtsbehörden IAIS an, einen risikobasierten globalen Kapitalstandard (Insurance Capital Standard – ICS) für große, international tätige Versicherungsgruppen zu entwickeln. Ziel ist es, weltweit konsistente Bewertungsmethoden, Eigenmittel- und Kapitalanforderungen für die Versicherungsaufsicht zu schaffen. Derzeit sind die Regelungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten sehr heterogen.

Auf einen Blick:Feldstudien

Seit 2015 führt die IAIS jährlich eine Feldstudie durch, um verschiedene Parameter des geplanten Kapitalstandards zu testen. Gegenüber den Vorjahren wurden die technischen Spezifikationen nun vielfach angepasst, um die Bewertungsmethoden der Mitgliedstaaten einander anzugleichen. So wurden beispielsweise mehrere Stress-Szenarien neu kalibriert, die Diskontierung angepasst, das Modul zur Kalibrierung von Morbiditätsrisiken komplett überarbeitet und eine neue Methode für die Berechnung des Zinsänderungsrisikos entwickelt.

Nun ist ein großer Meilenstein erreicht: Die IAIS hat die erste Version des Standards für eine erweiterte Feldstudie veröffentlicht (ICS 1.0 for Extended Field Testing). Teilnehmen können insbesondere große, international tätige Versicherungsgruppen; aber auch andere interessierte Organisationen und Personen können der IAIS bis Ende September Rückmeldung zum ICS 1.0 geben. Diese erhofft sich davon hilfreiche Informationen und Anregungen für die Weiterentwicklung zum ICS 2.0. Der Standard soll bis Ende 2019 finalisiert und ab 2020 international implementiert werden.

Die Teilnehmer an der Feldstudie erhalten die Möglichkeit, anders als im Vorjahr, anhand eines Simulationstools verschiedene Kombinationen der Optionen in den Bereichen Bewertung, Eigenmittelbestimmung und Kapitalanforderungen zu testen. Dies zeigt, dass sich die IAIS hier noch keine abschließende Meinung gebildet hat und somit bis Ende 2019 noch wesentliche Entscheidungen getroffen und Verbesserungen umgesetzt werden können.

Parallelen zu Solvency II

Beim ICS lassen sich klare Parallelen zum europäischen Aufsichtsregime Solvency II erkennen. Die Kapitalanforderungen sind wie bei Solvency II so kalibriert, dass sie dem Value-at-Risk (VaR) der Eigenmittel zum Konfidenzniveau von 99,5 Prozent über ein Jahr entsprechen.

Weiterhin basiert die Bewertung im ICS auf einem marktnahen Ansatz; auch die versicherungstechnischen Verbindlichkeiten sind marktnah zu bewerten. Hierbei wird die aktuelle Zinsstrukturkurve einschließlich Anpassungen verwendet, die konzeptionell der Volatilitätsanpassung unter Solvency II ähneln.

Zinsänderungsrisiko

Mit Blick auf die aktuelle Niedrigzinspolitik ist das Zinsänderungsrisiko von großer Bedeutung. Im ICS wird dieses in verschiedenen Stress-Szenarien ermittelt. Für die Feldstudie 2017 sind die Zinsstrukturkurven erstmals mit Hilfe des Dynamic-Nelson-Siegel-Modells (DNS-Modell) zu bestimmen und die Stress-Szenarien anhand von Algorithmen zu berechnen. Die Anzahl der Schocks ist auf fünf begrenzt: zwei symmetrische Twist-Szenarien (nicht-lineare Drehungen der Zinsstrukturkurven nach unten oder oben), zwei symmetrische Level-Szenarien (Parallelverschiebungen der Zinsstrukturkurven nach unten oder oben) sowie ein Mean-Reversion-Szenario (Rückkehr des Zinses zum historischen Mittelwert).

Bewertung der Verbindlichkeiten

Um nicht nur eine risikobasierte, sondern auch eine marktadäquate Bewertung (Market-Adjusted Valuation – MAV) zu gewährleisten, bedarf es einer weltweiten Einigung auf eine Zinskurve für die Bewertung der Verbindlichkeiten. Insgesamt stehen im Praxistest drei Optionen zur Auswahl: die gemischte Option (Blended Option), die Option für hochwertige Vermögenswerte (High Quality Assets Option – HQA) und die Option für eigene Vermögenswerte mit Sicherheiten (Own Assets with Guardrails – OAG). Allen drei Optionen ist gemeinsam, dass eine Extrapolation von einer währungsspezifischen Laufzeit, die gerade noch als liquide angesehen wird, hin zu einem langfristigen Terminzins (Long Term Forward Rate –LTFR) von 3,5 Prozent bei einer Laufzeit von 60 Jahren durchgeführt wird.

Die gemischte Option liegt konzeptionell Solvency II am nächsten und bildet für die Feldstudie die Standardoption, die von allen Teilnehmern anzuwenden ist. Die Verbindlichkeiten werden in ein allgemeines und ein oberes Segment eingeteilt (General Bucket und Top Bucket). Die beiden Kategorien sind dann mit unterschiedlichen Zinskurven zu bewerten. Diese berücksichtigen eine Anpassung in Form eines Spreads, welcher anhand währungsspezifischer Portfolien zu ermitteln ist.

Die HQA-Option hingegen will die IAIS vorerst lediglich testen. Sie basiert auf Arbeiten des Financial Accounting Standard Boards (FASB), das in den USA derzeit die Standards zur Bilanzierung von Versicherungsverträgen modifiziert. Bei dieser Option gibt es keine Unterteilung der Verbindlichkeiten in einzelne Segmente. Somit kommt je Währung nur eine Anpassung zur Anwendung. Wesentlicher Unterschied zur gemischten Option ist die Einschränkung der Auswahl der Instrumente, die zur Bildung der währungsspezifischen Portfolien auf Assets mit einem Rating von AA oder besser einsetzbar sind.

Die OAG-Option wurde seitens einer Gruppe von Unternehmensvertretern vorgeschlagen und wird ebenfalls zum ersten Mal getestet. Die Teilnehmer an der Feldstudie haben die Möglichkeit, alle Verbindlichkeiten unternehmensindividuell in Teil-Portfolien zu unterteilen und diese dann mit einer von der IAIS vordefinierten risikofreien Zinsstrukturkurve zu bewerten, die um einen Adjusted-Lifetime-Spread angepasst wird. Dieser wird anhand aller Vermögenswerte aus allen Vermögensklassen des Versicherungsunternehmens bestimmt, allerdings unter Berücksichtigung gewisser Beschränkungen (Guardrails).

Konvergenz marktadäquater Bewertungsmethoden

Darüber hinaus existiert neben der marktnahen Bewertung nach MAV das GAAP Plus, angelehnt an die jeweiligen lokalen Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung (Generally Accepted Accounting Principles – GAAP). Ausgangspunkt für GAAP Plus ist die konsolidierte Bilanz. Auf diese Bilanz werden dann Anpassungen vorgenommen, die für die einzelnen Länder vorgegeben sind und helfen sollen, die Bilanz näher an die MAV-Ansätze heranzurücken. Bei GAAP Plus werden zwei Versionen für die Diskontierung verwendet: die HQA-Option und die OAG-Option.

Darüber hinaus gibt es für die Berechnung der Kapitalanforderung einzelner Risiken – insbesondere des Immobilien-, Kredit- und Zinsänderungsrisikos – für GAAP Plus und MAV unterschiedliche Methoden zur Berechnung.

Offene Fragen

Daneben muss die IAIS zu weiteren Themen einen Konsens finden. Zur Eigenmittelbestimmung gibt es noch eine Reihe offener Punkte, beispielsweise die Frage, ob strukturelle Nachrangigkeit im ICS, neben vertraglicher Nachrangigkeit, grundsätzlich als gleichwertig anerkannt wird. Auch ist nicht klar, ob es für bestimmte Finanzinstrumente von Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit Sonderregelungen geben soll. Die IAIS hofft, dass das Simulationstool hier einige Antworten geben kann.

Noch nicht abschließend geklärt ist auch die Frage, ob der ICS die Rolle einer Mindestanforderung oder eines Finanzberichtsstandards einnehmen soll. Je nachdem, wie diese Frage entschieden wird, hätte dies weitreichende Auswirkungen für den Grad der Verbindlichkeit des ICS.

Ziele

Parallel zum Praxistest wird die IAIS intensiv an der Erfüllung der für ICS 2.0 definierten Ziele arbeiten müssen. Dazu gehört beispielsweise die Formulierung konkreter Rahmenbedingungen für die Verwendung alternativer Methoden, also interner Modelle (siehe dazu auch Interview mit Dr. Frank Grund), zur Berechnung der Kapitalanforderungen als Ergänzung zur Standardmethode. Über allem steht nach wie vor das endgültige Ziel (Ultimate Goal), das die IAIS 2015 beschlossen hat und von allen Beteiligten mehr Konvergenz bei den Methoden verlangt. Am Ende soll es eine weltweite Bewertungsmethodik geben, deren Ergebnisse vergleichbar sind. Die BaFin wird sich auch weiterhin aktiv an den Arbeiten der IAIS beteiligen. Diese ist weiterhin auf das freiwillige Engagement der Unternehmen angewiesen.

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