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Erscheinung:24.02.2017 Kapitalmarktunion - Halbzeit: Fortschritte bei wichtigen Bausteinen

Bis 2019 will die Europäische Kommission alle geplanten Maßnahmen für die Schaffung einer Kapitalmarktunion angegangen haben. Der Weg dorthin ist nun fast zur Hälfte zurückgelegt, einige wichtige Bausteine des Aktionsplans sind bereits aufgestellt oder stehen kurz davor.

Im Vorfeld ihres für Sommer anstehenden Rückblicks zur Halbzeit hat die Kommission am 20. Januar begonnen, die Kapitalmarktunion öffentlich zu konsultieren. Der vorliegende Beitrag erläutert, was bislang erreicht wurde und welche Schritte nun anstehen.

Auf einen Blick:Kapitalmarktunion

Die Kapitalmarktunion zählt derzeit zu den wichtigsten Projekten der Europäischen Kommission im Bereich der Finanzmarktregulierung. Ziel ist ein Binnenmarkt für Kapital, der zu mehr grenzüberschreitender Risikoteilung, tieferen und liquideren Märkten und einer größeren Vielfalt an Finanzierungsquellen für die Realwirtschaft beiträgt. Das Kapital soll insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen sowie Infrastrukturvorhaben zugute kommen und Wachstum und Beschäftigung generieren. Die Kommission will alle Hauptmaßnahmen im Rahmen der Kapitalmarktunion bis 2019 angehen.

Konsultation zur Kapitalmarktunion

Ziel der aktuellen Konsultation ist es, vom Markt Rückmeldungen zu den Reformmaßnahmen zu erhalten und neue Vorschläge aufzunehmen, um den aktuellen politischen, wirtschaftlichen und technologischen Entwicklungen Rechnung zu tragen. Die Fragen berühren sechs Themenkomplexe:

  1. Marktbasierte Wachstumsfinanzierung für Innovation, Start-ups sowie kleine und mittlere Unternehmen
  2. Vereinfachung des Kapitalmarktzugangs für kleine und mittlere Unternehmen
  3. Förderung von langfristigen, Infrastruktur- und nachhaltigen Investitionen
  4. Stärkung von Privatanlegern und Innovation
  5. Unterstützung der Banken bei ihrer Finanzierungsaufgabe
  6. Vereinfachung grenzüberschreitender Investitionen

Die Fragen beziehen sich weniger auf aktuelle Regelungsaktivitäten oder konkrete Maßnahmen, sondern zielen mehr auf zusätzliche Maßnahmen ab, die aus Sicht der Befragten sinnvoll sind. Die Kommission erhofft sich Angaben zu den Vorteilen, die die Teilnehmer von den vorgeschlagenen Maßnahmen erwarten, aber auch zu möglichen Herausforderungen bei der Umsetzung. Marktteilnehmer können ihre Stellungnahmen bis zum 17. März über ein Online-Formular einreichen. Die Antworten sollen in den Zwischenbericht der Kommission einfließen. Die Konsultation bietet Marktteilnehmern somit die Möglichkeit, auf die nächste Phase der Kapitalmarktunion aktiv einzuwirken.

Erste Fortschritte

Im April 2016 trat eine Delegierte Verordnung zu Solvency II – dem europäischen Aufsichtsregime für Versicherer – in Kraft, die sich auch auf die Auskunftspflichten der Unternehmen (Day-1-Reporting) auswirkte.1 Die Delegierte Verordnung gilt als die erste umgesetzte Maßnahme der Kapitalmarktunion zur Förderung von Infrastrukturinvestitionen.

Dieses Etappenziel floss in den ersten Fortschrittsbericht der Kommission vom April 2016 ein. Dieser greift darüber hinaus aktuelle und längerfristige Gesetzesvorhaben auf, etwa zu Umstrukturierungen und Insolvenzen von Unternehmen.

Im September 2016 gab die Kommission einen weiteren Fortschrittsbericht heraus. Darin skizziert sie den Umsetzungsstand der Kapitalmarktunion und fordert, aktuell prioritäre Aufgaben zügig voranzubringen – ein Anliegen, das Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker damals in seiner Rede zur Lage der Union bekräftigte. Diese galt auch dem Ziel der europäischen Investitionsoffensive, nämlich Arbeitsplätze und Wachstum zu generieren.

Förderung von Fintechs

Der zweite Fortschrittsbericht der Kommission greift auch die zunehmende Verbreitung von Finanztechnologien auf und die Frage des Umgangs mit innovativen Unternehmen, die sich diese Technologien zunutze machen (Fintechs). Die Kommission kündigt darin an, ein koordiniertes, strategisches Konzept zu erarbeiten, um die Entwicklung der Fintechs zu fördern und gleichzeitig die regulatorischen Rahmenbedingungen und Aspekte des Anlegerschutzes nicht aus den Augen zu verlieren.

Zwischenzeitlich hat sie dazu eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die versucht, diesen Spagat zwischen Innovation, Regelkonformität und Anlegerschutz zu verwirklichen.

Kleinanleger

Als weiteren bedeutsamen Punkt führt die Kommission in dem Bericht die Entwicklung privater Altersvorsorge und Finanzdienstleistungen für Kleinanleger auf. Gerade angesichts der anhaltend niedrigen Zinsen sind bessere Erträge für die Ersparnisse von Kleinanlegern ein wichtiges Anliegen.

Eine Möglichkeit besteht nach Ansicht der Kommission darin, das Sparguthaben stärker in die europäischen Kapitalmärkte einzubringen. Gerade vielen deutschen, eher risiko-aversen Kleinanlegern mit traditionell niedriger Kapitalmarktinvestition mag dies wie ein Paradigmenwechsel erscheinen. Andere Länder wie Großbritannien oder Luxemburg weisen dagegen bereits eine höhere Kapitalmarktdurchdringung auf. Dies setzt sich bekanntlich fort bei der Rolle des Kapitalmarkts in der Unternehmensfinanzierung. Dort variieren die Anteile von Banken- und Kapitalmarktfinanzierung in den Mitgliedstaaten erheblich. Die Fragmentierung des europäischen Kapitalmarkts war schließlich einer der wesentlichen Gründe, die Kapitalmarktunion ins Leben zu rufen, um einen echten Kapitalbinnenmarkt für die gesamte EU zu schaffen.

Neues Prospektregime

Eine wichtige Initiative des Aktionsplans stellt auch die Überarbeitung der Prospektrichtlinie dar. Ziel ist unter anderem ein erleichterter und kostengünstigerer Zugang zum Kapitalmarkt, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMUs), sowie ein insgesamt effizienteres Prospektregime. Gleichzeitig soll der Anlegerschutz durch eine verbesserte Darstellung der Informationen im Prospekt gestärkt werden.

Hierzu hatte die Kommission am 30. November 2015 einen Vorschlag mit entsprechenden Anhängen unterbreitet, wonach sie die Prospektrichtlinie durch eine Verordnung ersetzen will. Auf dieser Basis einigten sich Ende 2016 das Europäische Parlament, der Rat sowie die Kommission grundsätzlich auf ein neues Regime für Wertpapierprospekte (siehe BaFinJournal Dezember 2016). Das Gesetzgebungsverfahren ist jedoch noch nicht abgeschlossen.

Wesentliche Elemente der neuen Verordnung sind unter anderem eine Anpassung von verschiedenen Grenzwerten und Ausnahmevorschriften, zusätzliche erleichterte Offenlegungspflichten sowie Vorgaben, die die Darstellung der Risikofaktoren und die Prospektzusammenfassung verständlicher machen sollen.

Prospektpflicht

Der Grenzwert, unterhalb dessen für öffentliche Angebote innerhalb eines Zwölf-Monats-Zeitraums keine Prospektpflicht besteht, soll von aktuell 100.000 auf 1 Million Euro angehoben werden. Des Weiteren können die Mitgliedstaaten zukünftig auf nationaler Ebene Angebote bis zu 8 Millionen Euro innerhalb desselben Zeitraums von der Prospektpflicht befreien. Entgegen dem Kommissionsvorschlag sind außerdem Angebote von Wertpapieren, die eine Mindeststückelung von 100.000 Euro aufweisen, weiterhin von der Prospektpflicht ausgenommen. Diese wird nun durch erleichterte Prospektanforderungen für Anleihen ergänzt, die unabhängig von einer Mindeststückelung an einem Segment des organisierten Markts zugelassen werden, das ausschließlich qualifizierten Anlegern offen steht.

Außerhalb des organisierten Markts können KMUs, Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung unter 500 Millionen Euro, die Zugang zu einem KMU-Wachstumsmarkt suchen, sowie nicht notierte Unternehmen mit weniger als 500 Mitarbeitern zukünftig einen sogenannten EU-Wachstumsprospekt erstellen. Neben deutlich reduzierten inhaltlichen Anforderungen wird dieser eine standardisierte Form haben, welche die Prospekterstellung erleichtern soll. Auch Sekundäremissionen von Emittenten, die bereits an einem organisierten Markt oder einem KMU-Wachstumsmarkt notiert sind und daher Transparenzfolgepflichten unterliegen, profitieren von vereinfachten Prospektanforderungen.

Prospektzusammenfassung

Die Prospektzusammenfassung wird für eine verbesserte Anlegerinformation auf grundsätzlich maximal sieben DIN-A4-Seiten begrenzt und soll generell verständlicher werden. Dabei können die wertpapierbezogenen Informationen auch durch die Informationen aus einem Basisinformationsblatt gemäß der PRIIPs-Verordnung2 ersetzt werden, sofern ein solches erforderlich ist. Die Darstellung der Risiken soll auf die spezifischen Risiken beschränkt werden, die für eine Anlageentscheidung wesentlich sind.

Für Daueremittenten, die den Prospekt als mehrteiliges Dokument auf der Basis eines vorab bei der zuständigen Aufsichtsbehörde hinterlegten „Einheitlichen Registrierungsformulars" erstellen, gibt es ein neues Regime mit verkürzten Prüfungsfristen. Durch dieses neue Format kann ein Emittent gleichzeitig sowohl die Prospektanforderungen als auch die Verpflichtung zur Veröffentlichung eines Jahresberichts nach der Transparenzrichtlinie erfüllen.

Schließlich will die Kommission den Zugang der Anleger zu Wertpapierprospekten durch eine neue europaweite Online-Datenbank verbessern. Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA wird die Datenbank betreiben und kostenfrei Zugriff auf sämtliche Prospekte gewähren, die die europäischen Aufsichtsbehörden gebilligt haben.

Rahmenwerk für Verbriefungen

Die Kommission hat es sich außerdem zur Aufgabe gemacht, den Verbriefungsmarkt wieder zu beleben, der im Zuge der Finanzkrise zum Erliegen gekommen war. Dieser verzeichnete auch in der EU erhebliche Einbußen, obwohl es deutlich weniger Zahlungsausfälle gab als in den USA.3

Die Reaktivierung des Verbriefungsmarkts soll das Bankenkapital entlasten, die Finanzierung von Infrastrukturprojekten sowie kleineren und mittleren Unternehmen verbessern und die Investorenbasis erweitern. Die Maßnahmen sollen neue Investitionen anfachen: Laut Kommission ließe sich die Wirtschaft um 100 Milliarden Euro ankurbeln. Gleichzeitig solle – gestützt auf Erfahrungen der Finanzkrise – die Stabilität erhöht werden.

Auf einen Blick:Bausteine der ersten Halbzeit

Die gesetzgeberischen Maßnahmen umfassen zunächst eine branchenübergreifende Verbriefungsverordnung, die für alle Verbriefungen gelten soll. Sie enthält Sorgfaltspflichten (Due Diligence) für Investoren, Selbstbehaltsanforderungen für Originatoren, Sponsoren und ursprüngliche Darlehensgeber (Original Lender) sowie Transparenzpflichten. Zudem definiert sie Kriterien für einfache, transparente und standardisierte Verbriefungen (Simple, Transparent and Standardised Securitisations – STS) und skizziert eine spezifische Aufsichtsarchitektur für Verbriefungen. Nach dem Vorschlag der Kommission soll die ESMA eine öffentlich zugängliche Liste unterhalten, aus der hervorgeht, welche Verbriefungen die STS-Kriterien erfüllen.

Am 19. Dezember beriet das Europäische Parlament in erster Lesung über einen entsprechenden Verordnungsentwurf. Ein wichtiger Aspekt der geplanten Verordnung ist, dass sie die Anforderungen an den Risikoselbstbehalt verschärft. Sie differenziert zwischen einfachen, transparenten und standardisierten Produkten sowie komplexen, undurchsichtigen und risikohaltigen Finanzinstrumenten. Außerdem ist geplant, die Eigenmittelverordnung (Capital Requirements Regulation – CRR) anzupassen, um die Kapitalmarktanforderungen an die Verbriefungspositionen von Banken risikosensitiver zu gestalten.

Konsultation zu gedeckten Schuldverschreibungen

Bereits Ende 2015 gab es darüber hinaus eine öffentliche Konsultation zu gedeckten Schuldverschreibungen. Gerade in Deutschland spielen Pfandbriefe bei der langfristigen Finanzierung – etwa im Immobiliensektor oder im öffentlichen Sektor – eine herausragende Rolle. Deutsche Pfandbriefe genießen aufgrund ihrer sicheren Ausgestaltung großes Ansehen, auch international. In vielen europäischen Staaten gibt es ähnliche Regime, die für die jeweiligen Märkte entwickelt worden sind. Der europäische Markt für Pfandbriefe und andere gedeckte Schuldverschreibungen ist allerdings noch stark fragmentiert. Grund dafür sind die jeweiligen nationalen Ausprägungen.

Ziel der Anhörung war es, einen europäischen Rahmen mit hochwertigen Standards zu entwickeln, um den Markt grenzüberschreitend zu stärken, ohne dabei bewährte nationale Marktpraktiken zu tangieren. Dieses Spannungsverhältnis will die Kommission unter Auswertung der Antworten auf die Konsultation nun lösen. Die Europäische Bankenaufsichtsbehörde EBA legte in diesem Zusammenhang im Dezember 2016 einen umfassenden Bericht vor (siehe BaFinJournal Januar 2017), in dem sie einen dreistufigen Plan für eine harmonisierte Regulierung gedeckter Schuldverschreibungen in der EU vorschlägt. Bis Jahresmitte dürfte die Kommission entscheiden, inwieweit diese Empfehlungen in neue regulatorische Maßnahmen einfließen.

Nachhaltige Finanzierungen

Neben legislativen Reformvorhaben zu zahlreichen Themen der Banken-, Versicherungs- und Wertpapieraufsicht zeichnet die Kommission auch für eine neue Expertengruppe verantwortlich, die sie im Dezember eingesetzt hat. Die Gruppe umfasst 20 Experten aus Finanzsektor, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Ihre Aufgabe ist es, bis Ende dieses Jahres Empfehlungen für eine umfassende EU-Strategie für nachhaltige Finanzierungen zu entwickeln. Die Empfehlungen sollen nicht nur bei der Kapitalmarktunion zum Tragen kommen, sondern auch als Baustein für Folgemaßnahmen der Agenda 2030 für die nachhaltige Entwicklung der EU dienen.

Vorsitzender der Sachverständigengruppe ist Christian Thimann aus Deutschland, der Vorstandsmitglied beim französischen Versicherer AXA ist. Er verfügt sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich über große Erfahrung. Thimann war unter anderem Berater des Präsidenten der Europäischen Zentralbank und stellvertretender Vorsitzender der Arbeitsgruppe des Rats für Finanzstabilität (FSB), die sich mit klimabezogenen Offenlegungen von Finanzinformationen befasst.

Der Aspekt der Nachhaltigkeit hat im europäischen Rechtssystem zunehmend an Bedeutung gewonnen. Er zielt auf eine nachhaltige, umwelt- und klimafreundliche Finanzierung ab, etwa bei neuen Initiativen in den Mitgliedstaaten oder auf EU-Ebene. Sowohl öffentliche als auch private Kapitalflüsse sollen möglichst nachhaltige Investitionen speisen.

Zweite Halbzeit bis 2019

Der Abpfiff der ersten Halbzeit soll im Juni 2017 erfolgen. Dann will die Europäische Kommission ihren Rückblick auf knapp zwei Jahre Kapitalmarktunion vorlegen.

Die zweite Halbzeit der Kapitalmarktunion ist bis 2019 angelegt. Wenn dann die Wahlen zum Europaparlament und die Einsetzung einer neuen Kommission anstehen, soll jedenfalls das Fundament einer „gut funktionierenden, integrierten Kapitalmarktunion“ gelegt sein. Einige Maßnahmen, wie etwa die Harmonisierung des Insolvenzrechts, sind indes sehr vielschichtig und dürften die EU noch einige Zeit beschäftigen.

Hinweis

Der Beitrag gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im BaFinJournal wieder und wird nicht nachträglich aktualisiert. Bitte beachten Sie die Allgemeinen Nutzungsbedingungen.

Fußnoten:

  1. 1 Die BaFin hat Hinweise zum Umgang mit den geänderten Vorschriften des Day-1-Reportings veröffentlicht.
  2. 2 Packaged Retail and Insurance-based Investment Products Regulation – Verordnung über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte.
  3. 3 Bei erst- und zweitklassigen AAA-Verbriefungen nur 0,1 Prozent gegenüber 3 beziehungsweise 16 in den USA, bei BBB-Verbriefungen 0,2 Prozent gegenüber 46 beziehungsweise 62 Prozent. Quelle: Europäische Kommission.

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