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Erscheinung:16.01.2017 Netting-Klauseln: Rechtssicherheit für Rahmenverträge über Finanztermingeschäfte

Am 9. Juni 2016 erklärte der Bundesgerichtshof (BGH) übliche Klauseln in Rahmenverträgen über Finanztermingeschäfte teilweise für unwirksam, weil sie aus seiner Sicht gegen Vorgaben des § 104 der Insolvenzordnung (InsO) verstießen. Innerhalb weniger Monate hat der Gesetzgeber die Rahmenbedingungen für solche „Netting-Klauseln“ nun in einem Änderungsgesetz neu geregelt. Die Neuregelung ist auch für die aufsichtsrechtliche Anerkennung derartiger Vereinbarungen von Bedeutung.

Im „Netting-Urteil“ hatte der für Insolvenzrecht zuständige IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs entschieden, dass Abrechnungsvereinbarungen, die Parteien von Aktienoptionsgeschäften für den Fall der Insolvenz einer Partei getroffen haben und die § 104 InsO widersprechen, unwirksam sind. Stattdessen sei § 104 InsO unmittelbar anwendbar.

Die Neufassung des § 104 InsO gewährleistet nunmehr Rechtssicherheit im Hinblick auf die Insolvenzfestigkeit vertraglicher Liquidationsnettingklauseln sowie deren Vereinbarkeit mit den Anforderungen des europäischen Aufsichtsrechts und wehrt dadurch Gefahren für die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Institute und Marktteilnehmer sowie für die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts ab.

Auf einen Blick:Netting

Netting bedeutet, dass die gegenseitigen Ansprüche zweier Geschäftspartner miteinander verrechnet werden, um das Adressenausfallrisiko zu verringern. Nur wenn die vertraglichen Vereinbarungen den Anforderungen der Artikel 295 ff. der europäischen Eigenmittelverordnung (Capital Requirements Regulation – CRR) genügen, braucht das Institut allein die Nettoforderung mit Eigenkapital zu unterlegen. Andernfalls droht eine Betrachtung auf Basis aller Einzelgeschäfte, was je nach Institut und Portfolio zu deutlich höheren Eigenkapitalanforderungen führen kann.

Unmittelbare Reaktionen von BaFin und Bundesministerien

Als Reaktion auf die BGH-Entscheidung erließ die BaFin noch am selben Tag eine auf § 4a Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) gestützte befristete Allgemeinverfügung, wonach „Netting-Vereinbarungen“ im Sinne des Artikels 295 der europäischen Eigenmittelverordnung (Capital Requirements Regulation – CRR) weiterhin vereinbarungsgemäß abzuwickeln sind (siehe BaFinJournal Juni 2016). Damit sollte den Unsicherheiten, die infolge des Urteils bezüglich der aufsichtsrechtlichen Anerkennung von Nettingklauseln in Rahmenverträgen über Finanztermingeschäfte entstanden waren, und drohenden weiteren negativen Konsequenzen für den Finanzmarkt begegnet werden.

In dieselbe Richtung zielte eine Ankündigung, die das Bundesfinanzministerium und das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz ebenfalls am 9. Juni 2016 veröffentlichten. Demnach werde die Bundesregierung erforderlichenfalls eine gesetzgeberische Klarstellung auf den Weg bringen, um sicherzustellen, dass in Deutschland – wie in allen Mitgliedstaaten der EU – Finanztermingeschäfte wirksam in die üblichen Rahmenverträge eingebunden werden können.

Diese legte daraufhin im Herbst einen Gesetzentwurf vor, mit dem § 104 Insolvenzordnung dahingehend angepasst werden sollte, dass Nettingklauseln insolvenzfest vereinbart werden können, die auch die Anforderung für die aufsichtsrechtliche Anerkennung – zum Beispiel nach Artikel 296 Absatz 2 lit. a und Artikel 178 CRR – vollumfänglich erfüllen. Diese Regelung wurde unverändert in das Gesetz übernommen, das am 28. Dezember im Bundesgesetzblatt verkündet wurde und teilweise rückwirkend in Kraft trat.

Gestaltungsmöglichkeiten für Nettingvereinbarungen

Ein Kernelement der Gesetzesänderung ist, dass der neue § 104 Absatz 4 InsO ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet, vertraglich vom gesetzlichen Regelfall der Abwicklung von Nettingvereinbarungen abzuweichen, soweit dies mit den Grundgedanken der gesetzlichen Regelung vereinbar ist. Als zulässige Abweichungsmöglichkeit führt das Gesetz insbesondere auf, dass schon zum Zeitpunkt des Insolvenzantrags zu den dann geltenden Markt- oder Börsenpreisen abgerechnet wird – also in der Regel vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Dies löst ein Kernproblem des „Netting-Urteils“, hatte der BGH doch in den Entscheidungsgründen zunächst die Möglichkeit offengelassen, Finanztermingeschäfte vorzeitig abzuwickeln, beispielsweise bei der Insolvenzantragsstellung, ging aber an anderer Stelle der Urteilsbegründung zumindest inzident von der zwingenden Maßgeblichkeit des Markt- oder Börsenpreises nach Insolvenzeröffnung aus.1) Die Abrechnung wäre damit jedoch zwischenzeitlich unter Umständen erheblichen Kursschwankungen ausgesetzt gewesen.

Dies ist nicht zuletzt europarechtlich bedenklich, weil Artikel 7 der europäischen Finanzsicherheitenrichtlinie die Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit Finanzsicherheiten verpflichtet sicherzustellen, dass die Aufrechnung offener Positionen infolge Vertragsbeendigung (Close-out-Netting) „vereinbarungsgemäß wirksam“ werden kann.

In der Rechtsliteratur wird zuweilen eingewandt, dass dies lediglich die grundsätzliche Wirksamkeit von Aufrechnungsklauseln gewährleisten solle und nicht jedwede Abweichung von zwingendem Insolvenzrecht.2) Durch die Urteilsgründe war für die Finanzindustrie jedoch eine Situation entstanden, in der sie keine Möglichkeit mehr sah, insolvenzrechtlich wirksame Nettingvereinbarungen zu treffen, die auch den aufsichtsrechtlichen Anforderungen nach der CRR entsprechen.3) Beispielsweise geht Artikel 178 Absatz 3 CRR ersichtlich davon aus, dass auch eine Beendigung und Abrechnung von Verträgen vor der Insolvenzeröffnung – insbesondere bei Insolvenzantragstellung – wirksam möglich sein muss. Vor diesem Hintergrund konstatierte auch die rechtswissenschaftliche Literatur überwiegend einen gesetzgeberischen Klarstellungsbedarf,4) auf den die Begründung des Regierungsentwurfs ebenfalls abstellt.

Beispielkatalog für Finanzleistungen

Darüber hinaus wurde im Zuge der Neufassung der Insolvenzordnung der Beispielkatalog für Finanzleistungen modernisiert (§ 104 Absatz 1 Satz 3), um diesen an den aktuellen Stand der Finanzmarktpraxis und Regulierung anzupassen.

Hinweis

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Fußnoten

  1. 1) Siehe Entscheidungsgründe, Randziffern 55 und 76.
  2. 2) Vgl. Schäfer, BKR 2016, 321, 323; Primozic/Schaaf, WM 2016, 2110, 2113 f.
  3. 3) Vgl. Stellungnahme der Deutschen Kreditwirtschaft vom 11. Oktober 2016.
  4. 4) Piekenbrock BB 2016, 1795, 1798; Kurzberg BKR 2016, 324, 326; Weigel/Wolsiffer WPg 2016, 1287; im Ergebnis auch Hartmann EWiR 2016, 535 f.; Schäfer BKR 2016, 321, 324; a.A. Paulus ZIP 2016, 1233, 1234 (Grundsatzkritik an § 104 InsO).

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