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Erscheinung:15.12.2016 | Thema Fachliche Eignung Anforderungen an die Qualifikation und Weiterentwicklung der Aufsichtsratsmitglieder von Versicherern

Die Tätigkeit im Aufsichtsrat eines Unternehmens ist und war in allen Branchen – nicht nur in der Finanzwirtschaft – schon immer anspruchsvoll. Praktische Notwendigkeiten sowie die fortschreitende Konkretisierung der Rechte und Pflichten von Aufsichtsratsmitgliedern haben im Laufe der Jahre zu einer stetig zunehmenden Professionalisierung geführt. Daher sind qualifizierte und gut vorbereitete Personen von zentraler Bedeutung, die das Unternehmen im Kontrollgremium fortlaufend konstruktiv begleiten und überwachen.

Bei Versicherungsunternehmen, ebenso wie bei Kreditinstituten, kommt die juristische Besonderheit hinzu, dass seit 2009 die Aufsicht der BaFin auch die Mitglieder von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen umfasst. Mit dem Gesetz zur Stärkung der Finanzmarkt- und der Versicherungsaufsicht erweiterte der Gesetzgeber den aufsichtlichen Fokus bei den Organen der Versicherungsunternehmen damals vom Vorstand auf den Aufsichtsrat.

Spezielle Anforderungen

Bei der Ausgestaltung der Tätigkeit der Aufsichtsräte von Versicherern sind die gesellschaftsrechtlichen Vorschriften im Aktiengesetz (AktG) zu beachten, die durch Regelungen des Mitbestimmungs- und des Aufsichtsrechts ergänzt oder modifiziert werden. So normiert § 24 des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) Anforderungen an die Mandatsträger, die zusätzlich zu den „persönlichen Voraussetzungen“ zu beachten sind, die nach § 100 AktG für alle Aufsichtsratsmitglieder gelten. Auch die in § 47 Nr. 1 VAG geregelte Anzeigepflicht bei Bestellungen von Aufsichtsratsmitgliedern mit Angabe der Tatsachen, die für die Beurteilung ihrer Qualifikation wesentlich sind, ist ein besonderes Merkmal des Aufsichtsrechts. Für Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit wiederum modifiziert § 189 Absatz 4 VAG die Bestimmungen, die nach dem Aktiengesetz für die Gewinnbeteiligung von Aufsichtsratsmitgliedern gelten.

Aufgrund des Abschlussprüfungsreformgesetzes (AReG) müssen alle Versicherungsunternehmen, die in den Anwendungsbereich des europäischen Aufsichtsregimes Solvency II fallen, seit Juni 2016 (§ 12 Absatz 5 des Einführungsgesetzes zum AktG) bei Bestellungen von Aufsichtsratsmitgliedern sicherstellen, dass mindestens ein Mitglied über Sachverstand in der Rechnungslegung oder bei der Abschlussprüfung verfügt (§ 100 Absatz 5 AktG).

Zudem müssen alle Mitglieder des Aufsichtsrats in ihrer Gesamtheit mit dem Sektor vertraut sein, in dem die Gesellschaft tätig ist. Diese Vorgabe findet sich, zusätzlich zu den Anforderungen an die Qualifikation der einzelnen Personen, auch in den europäischen Vorgaben wie der Delegierten Verordnung zu Solvency II. Jedes Mitglied braucht demnach zumindest belastbare Grundkenntnisse im Versicherungsbereich, um seiner Verantwortung im Aufsichtsrat eines Versicherungsunternehmens gerecht werden zu können.

Diese schwerpunktmäßige Betrachtung der Kenntnisse des gesamten Gremiums ermöglicht eine Spezialisierung einzelner Mitglieder in wichtigen Themenfeldern. Dazu gehören bei Versicherern einschließlich der kleinen Versicherungsunternehmen, bei Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung und Sterbekassen in jedem Fall Kapitalanlage, Versicherungstechnik und Rechnungslegung. Vor allem bei Neubestellungen von Aufsichtsratsmitgliedern wird die BaFin künftig besonderes Augenmerk darauf richten, dass mindestens diese drei Themenfelder entsprechend dem Risikoprofil des Unternehmens im Gremium abgedeckt sind. Dies kann beispielsweise durch einen Experten als neu bestelltes Mitglied oder die Aneignung von Fachwissen durch schon aktive Mitglieder erfolgen. Hierbei kann es sich auch anbieten, entsprechende Ausschüsse zu gründen oder fortzuführen.

Unterstützendes Merkblatt

Die BaFin hat nun ihr Merkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Mitgliedern von Verwaltungs- oder Aufsichtsorganen neu gefasst. Es berücksichtigt die neuen gesetzlichen Vorgaben und konkretisiert die entsprechenden Anzeigepflichten. Außerdem soll es dazu beitragen, die Effizienz der Aufsichtsräte von Versicherern zu verbessern.

Jeder Aufsichtsrat sollte sich einmal jährlich mit seinen individuellen sowie mit den kollektiven Fähigkeiten des Organs insgesamt befassen und Verbesserungspotenziale ausloten. Hierfür sind verschiedene Ansätze denkbar. Beispielsweise hat die niederländische Aufsichtsbehörde DNB in ihrer Verwaltungspraxis seit mehreren Jahren eine sogenannte Suitability Matrix etabliert, mittels derer sie von Mandatsträgern beaufsichtigter Unternehmen abfragt, wie diese ihre Kenntnisse in verschiedenen Kategorien selbst einschätzen.

Hinweis:Neue Merkblätter zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit

Die BaFin hat ihre Merkblätter zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Geschäftsleitern und Mitgliedern von Verwaltungs- oder Aufsichtsorganen überarbeitet und aktualisiert. Zudem hat sie erstmalig auch ein entsprechendes Merkblatt für Personen veröffentlicht, die für Schlüsselfunktionen verantwortlich oder tätig sind. Diese sind analog zu den entsprechenden Merkblättern der Banken- und der Wertpapieraufsicht aufgebaut: Der erste Teil „Anzeigepflicht und erforderliche Unterlagen“ behandelt primär formale Themen; der zweite Teil „Anforderungen“ enthält Ausführungen zu materiellen Aspekten. Die Regelungen in den jeweiligen Aufsichtsgesetzen und insbesondere die sektorspezifischen europäischen Vorgaben unterscheiden sich jedoch in vielen Aspekten. Hinzu kommt im Versicherungsbereich die Besonderheit, dass mit dem Aufsichtssystem Solvency II die meisten Versicherer vier Schlüsselfunktionen als wichtiges Element des Governance-Systems einrichten müssen: die unabhängige Risikocontrollingfunktion, die Compliance-Funktion, die Funktion der internen Revision und die versicherungsmathematische Funktion. Auch für sie besteht eine gesetzliche Anzeigepflicht.

Die BaFin nimmt in der Neufassung ihres Merkblatts den Aspekt der kollektiven Fähigkeiten des Aufsichtsrats von Versicherern zusätzlich zur individuellen Qualifikation in den Fokus. Das Merkblatt enthält dazu ein tabellenförmiges Muster, in dem die Mitglieder des Aufsichtsrats eintragen können, wie sie ihre Kompetenzen in den drei genannten und weiteren, im jeweiligen Unternehmen als wichtig eingestuften Themenfeldern einschätzen. Sofern der auf diese Weise ermittelte Status quo noch keine fachlich fundierte Zusammensetzung des Aufsichtsrats widerspiegelt, kann der Aufsichtsrat auf dieser Grundlage festlegen, wie die Kenntnisse des Gesamtorgans gezielt weiterentwickelt werden sollten.

Der BaFin ist es ein wichtiges Anliegen, dass die Aufsichtsräte der Versicherer ihre bedeutende Aufgabe effektiv ausüben können. Die regelmäßige Selbsteinschätzung der Mitglieder und darauf basierende Entwicklungspläne sind dafür wichtige Instrumente.

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