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Erscheinung:15.08.2016 | Thema Eigenmittel Stresstest: EIOPA prüft Versicherer - Zeitplan, Ziel und Inhalte

Derzeit läuft der erste europaweite Stresstest für Versicherungsunternehmen unter dem neuen europäischen Aufsichtssystem Solvency II, die das Lebensversicherungsgeschäft betreiben. Seit Mitte Juli findet eine erste dezentrale Validierung der Daten statt, die die Teilnehmer bis Mitte Juli bei den nationalen Aufsichtsbehörden einzureichen hatten. Stichtag der Berechnung ist der 1. Januar 2016.

Kommende Woche werden die Daten dann an die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung EIOPA übermittelt, die diese zentral validieren und auswerten wird. Den Abschlussbericht will EIOPA Ende des Jahres veröffentlichen.

Zeitplan
24. Mai 2016Beginn Stresstest
15. Juli 2016Stichtag für die Einreichung der Berichtsformulare bei den nationalen Aufsichtsbehörden
Bis 22. August 2016Nationale Validierung der Daten
Bis 2. September 2016Zentrale Validierung der Daten durch EIOPA
Bis 23. September 2016Zweite Phase der nationalen Validierung
Bis 29. September 2016Zweite Phase der zentralen Validierung
Oktober / November 2016Auswertungen und Erstellung Abschlussbericht
Anfang Dezember 2016Veröffentlichung des Abschlussberichts

Ziel des Stresstests

Ziel des Stresstests ist es, potenzielle System- und Konzentrationsrisiken sowie Ansteckungsgefahren, denen Versicherer unter sehr adversen Marktentwicklungen ausgesetzt sein könnten, zu identifizieren und einzuschätzen. EIOPA wird sich bei der Analyse insbesondere auf makrospezifische Ergebnisse konzentrieren, also bewerten, wie sich die Stressereignisse auf einzelne Sparten, nationale Versicherungsmärkte und den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) und somit auf die Finanzstabilität des europäischen Versicherungssektors auswirken. Im Fokus des Stresstests steht die Problematik der anhaltend niedrigen Zinsen für die Lebensversicherungsbranche.

Neben der makroökonomischen Betrachtung will EIOPA auch die Auswirkungen auf die einzelnen Versicherungsunternehmen analysieren. Dabei geht es jedoch nicht um das Bestehen oder Nicht-Bestehen einzelner Unternehmen, oder wie es EIOPA ausdrückt: „It is not a pass-or-fail exercise“. Die Ergebnisse des Stresstests werden für die einzelnen Unternehmen also nicht zu zusätzlichen Eigenmittelanforderungen führen. EIOPA wird deren Stresstestergebnisse anonym veröffentlichen und jeweils mit den Ergebnissen anderer Teilnehmer in Relation setzen.

In Deutschland wurden bereits zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um die Risiken, die mit dem anhaltend niedrigen Zinsniveau verbunden sind, für die Versicherungsnehmer und Versicherer zu steuern, etwa die Einführung der Zinszusatzreserve im Rahmen der handelsrechtlichen Bewertung und diverse Regelungen des Lebensversicherungsreformgesetzes. Auch die Branche reagiert durch Anpassungen der Geschäftsmodelle und die Entwicklung neuer Produkte auf die Situation an den Kapitalmärkten und auf die neuen regulatorischen Rahmenbedingungen. Die Periode der Übergangsmaßnahmen unter Solvency II erlaubt die kontinuierliche Entfaltung dieser Maßnahmen.

Inhalt des Stresstests

Der Stresstest umfasst die Berechnung von einem Basis- und von zwei Stressszenarien sowie die Beantwortung qualitativer Fragen. Für das Basisszenario gelten die gleichen Annahmen wie für das Day-1-Reporting unter Solvency II, also die erstmalige quantitative Berichterstattung unter dem neuen Aufsichtssystem, die die Versicherer zum 1. Januar 2016 erstellen mussten. Die beiden Stressszenarien zielen dagegen auf die Frage ab, welche Auswirkungen extreme, aber vorstellbare Entwicklungen an den Kapitalmärkten auf die Eigenmittelausstattung der europäischen Lebensversicherungswirtschaft hätten.

Ähnlich wie beim EIOPA-Stresstest von 2014 fokussiert eines der beiden Stressszenarien auf das Risiko einer langanhaltenden Niedrigzinsphase. Für dieses „Low for Long“-Szenario hat EIOPA die maßgebliche risikofreie Zinskurve unter Berücksichtigung historischer Tiefststände neu kalibriert. Die Umsetzung des Szenarios erfolgt somit durch einen sofortigen Zinsschock. Für den extrapolierten Teil der Zinskurve wurde ferner ein abgesenkter endgültiger Forward-Zinssatz (Ultimate Forward Rate – UFR) in Höhe von 2,0 Prozent angesetzt. Diese Abweichung vom derzeitigen Solvency-II-Bewertungsrahmen, der eine UFR von 4,2 Prozent vorschreibt, soll keine Änderung des regulatorischen Regelwerks präjudizieren. Eine für den Stresstest unverändert belassene UFR würde der zugrundeliegenden Annahme eines dauerhaften Niedrigzinsumfelds nicht entsprechen. Bei der Interpretation der Ergebnisse ist daher zu beachten, dass dieses Szenario nicht auf ein für die nähere Zukunft erwartetes, punktuelles Ereignis abzielt, sondern auf mögliche Implikationen einer langfristigen adversen Entwicklung. Aufgrund der für die Lebensversicherungsbranche typischen Durationslücke zwischen Aktiva und Passiva wirkt sich dieses Stressszenario insgesamt negativ auf die Eigenmittel aus.

Beim „Double Hit“-Szenario handelt es sich um die Kombination niedriger risikofreier Zinsen mit einem Wertverfall nahezu aller Anlageklassen unter der impliziten Annahme, dass praktisch kein Emittent mehr als „sicherer Hafen“ angesehen wird. Die Umsetzung erfolgt wie beim „Low for Long“-Szenario als sofortiger Schock. EIOPA hat die Stressparameter gemeinsam mit dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) festgelegt. Die Benennung des Szenarios bezieht sich darauf, dass beide Seiten der Solvabilitätsübersicht – vor Anwendung der Long-Term-Guarantee-Maßnahmen, also speziellen Maßnahmen zur Bewertung von langfristigen Garantien unter Solvency II – im Hinblick auf die Eigenmittelausstattung negativen Veränderungen unterworfen sind. Während eine Absenkung der risikofreien Zinskurve eine Erhöhung der versicherungstechnischen Verbindlichkeiten auf der Passivseite impliziert, bewirken die Kapitalanlagenstresse erhebliche Marktwertverluste auf der Aktivseite. Hierbei ist anzumerken, dass das „Double Hit“-Szenario eine Entkoppelung zwischen der Entwicklung der risikofreien Zinsen und der Veränderung von Kreditrisikozuschlägen (Credit Spreads) vorsieht. Ein Rückgang risikofreier Zinsen bei gleichzeitigem Anstieg sämtlicher Credit Spreads – auch für Staatsanleihen mit höchster Bonität – und deutlichen Kursverlusten für Aktien, Immobilien und anderen Anlageklassen war bislang historisch nicht zu beobachten. Die gewählte Kalibrierung lässt sich somit als „Perfect Storm“-Szenario beschreiben, also als Verkettung extrem seltener und ungünstiger Umstände, die eine Situation drastisch verschlechtern.

Insgesamt weisen somit beide Szenarien einen extremen Charakter auf. Die Betrachtung sehr unwahrscheinlicher, aber nicht auszuschließender Ereignisse entspricht jedoch der Intention eines Stresstests. Aus aufsichtlicher Perspektive stellt sich hierbei insbesondere die Frage nach möglichen Handlungsspielräumen und Instrumenten für den Fall, dass solche außergewöhnlichen Konstellationen tatsächlich einmal eintreten. Die BaFin wird die qualitativen und quantitativen Resultate des Stresstests insbesondere vor diesem Hintergrund analysieren.

Teilnehmer am Stresstest

Die Teilnehmer des Stresstests wurden in den einzelnen Ländern nach Kriterien ausgewählt, die EIOPA genau vorgegeben hatte. Die nationale Marktabdeckung musste insgesamt mindestens 75 Prozent betragen, und zwar auf Basis der versicherungstechnischen Bruttorückstellungen für das Lebensversicherungsgeschäft. Der Anteil des fonds- und indexgebundenen Geschäfts durfte nicht berücksichtigt werden. Zudem sollten sowohl große als auch kleine und mittlere Versicherungsunternehmen am Stresstest teilnehmen. Versicherungsunternehmen mit einem nationalen Marktanteil von unter 1 Prozent oder versicherungstechnischen Bruttorückstellungen von unter 50 Millionen Euro waren dabei allerdings nicht zu berücksichtigen. Diese Kriterien führten in Deutschland zu einem Teilnehmerkreis von insgesamt 20 Lebensversicherern. Da es sich um einen Stresstest auf Ebene von Einzelunternehmen handelt, bleiben etwaige Stützungsmaßnahmen innerhalb von Gruppen unberücksichtigt.

Trotz der Fokussierung des Stresstests auf das Lebensversicherungsgeschäft können die Kriterien, bezogen auf den gesamten europäischen Versicherungs-markt, zu einem heterogenen Teilnehmerkreis führen. Denn nicht in allen EU-Mitgliedstaaten gilt die in Deutschland übliche Spartentrennung. Es ist daher wahrscheinlich, dass dort auch Mehrsparten-Versicherer teilnehmen. Das anteilige Schaden- und Unfallgeschäft kann sich hier auf das Stresstest-Ergebnis des gesamten Unternehmens vorteilhaft auswirken, weil es insbesondere gegenüber dem Zinsstress nicht entsprechend exponiert ist. Die nationalen Unterschiede bei der Teilnehmerauswahl sollten somit bei der Analyse und Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden, insbesondere bei direkten Länder- und Unternehmensvergleichen.

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