BaFin - Navigation & Service

Erscheinung:18.05.2016 | Thema Risikomanagement Potenziell systemgefährdende Institute: Ganzheitliche Identifizierungsmethode für eine konsistente und kohärente Aufsicht

Als Lehre aus der Finanzkrise sind in Deutschland, beginnend mit dem Abschirmungsgesetz von 2013, nach und nach zusätzliche aufsichtsrechtliche Anforderungen für potenziell systemgefährdende Institute (PSIs) eingeführt worden. Ziel ist es, die Stabilität des Finanzsystems zu sichern und die Realwirtschaft zu schützen.

So müssen potenziell systemgefährdende Institute einen Sanierungsplan erstellen, der die vollen Anforderungen des Sanierungs- und Abwicklungsgesetzes (SAG) erfüllt, auf Grundlage des Kreditwesengesetzes (KWG) Mandatsbeschränkungen für Geschäftsleiter und für die Mitglieder des Verwaltungs- und Aufsichtsorgans beachten, die Anforderungen der Institutsvergütungsverordnung (InstitutsVergV) an das Vergütungssystem einhalten und Risikotragfähigkeitsinformationen nach der Finanz- und Risikotragfähigkeitsinformationenverordnung (FinaRisikoV) häufiger melden als andere Institute. Darüber hinaus müssen PSIs, die zugleich global systemrelevante Institute (G-SRIs) und/oder anderweitig systemrelevante Institute (A-SRIs) sind,1 nach §§ 10f und 10g KWG einen Kapitalpuffer vorhalten.

Potenziell systemgefährdende Institute
Ein Institut ist nach § 20 Absatz 1 Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG) potenziell systemgefährdend, wenn es entweder ein global system-relevantes Institut nach § 10f des Kreditwesengesetzes (G-SRI) oder ein anderweitig systemrelevantes Institut nach § 10g des Kreditwesengesetzes (A-SRI) ist oder wenn für dieses Institut gemäß den Kriterien nach § 19 Absatz 2 SAG keine vereinfachten Anforderungen festgesetzt werden können.

Identifizierung durch BaFin und Bundesbank

Die BaFin hat nun im Einvernehmen mit der Deutschen Bundesbank erstmals 37 Institute als potenziell systemgefährdend identifiziert und darüber informiert, dass sie die zusätzlichen aufsichtlichen Anforderungen erfüllen müssen.

Für die Identifizierung haben BaFin und Bundesbank eine ganzheitliche Methode entwickelt, die verschiedene internationale und nationale aufsichtsrechtliche Anforderungen vereint (PSI-Methode). Ausgehend von der Legaldefinition der PSI in § 20 Absatz 1 Satz 3 SAG gliedert sie sich in drei große Teilbereiche: die Identifizierung von G-SRIs, von A-SRIs und von Instituten, denen keine vereinfachten Anforderungen an die Sanierungsplanung gewährt werden können. Diese ganzheitliche Methode ermöglicht einen konsistenten und kohärenten Aufsichtsansatz. Sie stellt ein einheitliches Verwaltungshandeln sicher und bietet den beaufsichtigten Instituten Rechtssicherheit.

Identifizierung der G-SRIs

Die Identifizierung der G-SRIs richtet sich nach den Kriterien des § 10f Absatz 2 KWG und erfolgt nach der Methode, die die Europäische Kommission in ihrer Delegierten Verordnung Nr. 1222/2014 vorgegeben hat. Sie entspricht der Vorgehensweise des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht BCBS zur Identifizierung global systemrelevanter Banken und beruht auf einem indikatorbasierten Scoringmodell, also einem Punktesystem. In dem Scoringmodell werden Indikatoren der Kategorien Größe, grenzüberschreitende Aktivitäten, Vernetztheit, Ersetzbarkeit und Komplexität verwendet (siehe Tabelle 1).

Tabelle 1: Indikatoren zur Identifizierung global systemrelevanter Institute

Kategorie
Größe
  • Gesamtrisikoposition
Grenzüberschreitende Aktivitäten
  • Forderungen, die Zuständigkeitsgrenzen überschreiten
  • Verbindlichkeiten, die Zuständigkeitsgrenzen überschreiten
Vernetztheit
  • Vermögenswerte innerhalb des Finanzsystems
  • Verbindlichkeiten innerhalb des Finanzsystems
  • Ausstehende Wertpapiere
Ersetzbarkeit
  • Verwahrte Vermögenswerte
  • Zahlungsaktivität
  • Übernommene Transaktionen an Fremd- und Eigenkapitalmärkten
    Komplexität
Komplexität
  • Nominalwert außerbörslicher Derivate
  • Aktiva unter Stufe 3 des Zeitwerts, der gemäß der Verordnung Nr. 1255/2012 der EU-Kommission zu bemessen ist
  • Zu Handelszwecken gehaltene beziehungsweise zur Veräußerung verfügbare Wertpapiere

Quelle: BaFin

Für die Identifizierung wird für jedes in Deutschland zugelassene Institut mit einer Gesamtrisikoposition von über 200 Milliarden Euro – das betrifft derzeit sieben Institute – ein Score ermittelt. Dieser entspricht dem einfachen arithmetischen Mittelwert der Scores der einzelnen Kategorien, die wiederum als einfache arithmetische Mittelwerte der normierten Indikatorwerte berechnet werden. Institute mit einem Gesamtscore von mindestens 130 Basispunkten (BP) sind G-SRIs und damit zugleich PSIs.

Identifizierung der A-SRIs

Die Identifizierung der A-SRIs erfolgt in Deutschland nach § 10g Absatz 2 KWG und steht im Einklang mit den Leitlinien der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde EBA zur Bewertung anderer systemrelevanter Institute, die wiederum die Rahmenregelung des BCBS für den Umgang mit national systemrelevanten Banken berücksichtigt. Die Identifizierung erfolgt anhand der Kategorien Größe, wirtschaftliche Bedeutung für den Europäischen Wirtschaftsraum und Deutschland, grenzüberschreitende Aktivitäten sowie Vernetztheit mit dem Finanzsystem.

Der Ansatz zur Bestimmung der A-SRIs besteht aus zwei Stufen. In Stufe 1 werden die Institute zunächst nach einem von der EBA vorgegebenen Scoringmodell bewertet, um eine vergleichbare und transparente Ermittlung der A-SRIs in allen EU-Mitgliedstaaten sicherzustellen. Institute, die einen bestimmten Gesamtwert erreichen, sind automatisch als A-SRIs klassifiziert. In Stufe 2 können die nationalen Aufsichtsbehörden weitere Institute als A-SRIs einstufen (Supervisory Assessment). Der nationale aufsichtliche Ermessensspielraum soll sicherstellen, dass den Spezifika des jeweiligen Bankensystems Rechnung getragen werden kann.

Stufe 1: Scoringmodell mit EBA-Standardindikatoren

In Stufe 1 wird für jedes Institut anhand des einheitlichen Scoringmodells der EBA ein Gesamtscore ermittelt. Die dabei anzuwendenden Indikatoren sind in Tabelle 2 dargestellt. Sind diese Indikatoren aufgrund der Regeln, nach denen das jeweilige Institut bilanziert, nicht verfügbar, werden Ersatzindikatoren (Proxies) verwendet.

Tabelle 2: Indikatoren zur Identifizierung anderweitig systemrelevanter Institute

Kategorie
Größe
  • Bilanzsumme
  • Bilanzsumme + Eventualverbindlichkeiten
Verflechtung
  • Verbindlichkeiten gegenüber Finanzinstituten
  • Forderungen gegenüber Finanzinstituten
  • Verbriefte Verbindlichkeiten
  • Verbindlichkeiten gegenüber Banken
  • Verbindlichkeiten gegenüber Versicherern und sonstigen Finanzierungsinstitutionen
  • Forderungen gegenüber Banken
  • Forderungen gegenüber Versicherern und sonstigen Finanzierungsinstitutionen
  • Verbriefte Verbindlichkeiten
Bedeutung
(einschließlich Ersetzbarkeit / Infrastruktur des Finanzinstituts)
  • Volumen abgewickelter Zahlungstransaktionen im Inland (Proxy: Volumen abgewickelter Zahlungstransaktionen für Nichtbanken im Inland)
  • Einlagen des Privatsektors in der EU (Proxy: Einlagen des Privatsektors in Deutschland)
  • Kredite an den Privatsektor in der EU (Proxy: Kredite an den Privatsektor in Deutschland)
  • Anzahl der über Target 2* angeschlossenen indirekten Teilnehmer
  • Volumen abgewickelter Zahlungstransaktionen für Nichtbanken im Inland
  • Stückzahl abgewickelter Zahlungstransaktionen für Nichtbanken im Inland
  • Einlagen des Privatsektors in Deutschland
  • Kredite an den Privatsektor in Deutschland
Komplexität
(einschließlich grenzüberschreitender Aktivitäten)
  • Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland
  • Forderungen gegenüber dem Ausland
  • Nominalwert der Over-the-Counter-Derivate (Proxy: Derivatebuchwert von Forderungen und Verbindlichkeiten im Handelsbestand)
  • Forderungen gegenüber ausländischen Nichtbanken
  • Verbindlichkeiten gegenüber ausländischen Nichtbanken
  • Forderungen gegenüber ausländischen Banken
  • Verbindlichkeiten gegenüber ausländischen Banken
  • Anzahl rechtlich selbstständiger Tochterunternehmen im In- und Ausland

* Zweites Trans-European Automated Real-time Gross Settlement Express Transfer System. Zahlungssystem der Zentralbanken des Eurosystems für die schnelle Abwicklung von Überweisungen in Echtzeit.

Quelle: BaFin

In die Analyse werden alle mehr als 1.700 Institute in Deutschland einbezogen. Auch hier ergibt sich der Gesamtscore für jedes Institut aus dem einfachen arithmetischen Mittel der Scores der einzelnen Kategorien, diese wiederum aus den normierten Indikatorwerten der jeweiligen Kategorie. Für die Indikatoren werden auf Konzernebene konsolidierte Daten per 31. Dezember des Vorjahres verwendet, vornehmlich aus dem bankaufsichtlichen Meldewesen.

Anhand der Gesamtscores der Institute wird eine Rangordnung der Systemrelevanz erstellt. Institute mit einem Gesamtscore von mindestens 350 BP werden gemäß den EBA-Vorgaben automatisch als A-SRIs eingestuft. Alle anderen Institute mit mindestens 4,5 BP können auf nationaler Ebene in Stufe 2 als A-SRIs klassifiziert werden.

Stufe 2: Scoringmodell in Deutschland

Der quantitativen Analyse der Stufe 2 liegt in Deutschland ein erweitertes indikatorbasiertes Scoringmodell zugrunde (siehe Tabelle 2), das sich ebenfalls an den Anforderungen der EBA-Leitlinien orientiert. Es basiert zum einen auf den Pflichtindikatoren des einheitlichen Scoringmodells, die zum Teil detaillierter gefasst wurden, zum anderen auf zusätzlichen Indikatoren aus Anhang 2 der Leitlinien. Dies soll sicherstellen, dass die Spezifika des deutschen Bankensystems adäquat berücksichtigt werden. Als Datengrundlage für das erweiterte Scoringmodell dienen ebenfalls auf Konzernebene konsolidierte Daten, vornehmlich aus dem bankaufsichtlichen Meldewesen. Um eine Verzerrung der Bewertung der Systemrelevanz zu vermeiden, werden auch hier alle Institute in Deutschland berücksichtigt.

Mittels der errechneten Gesamtscores wird erneut eine Rangordnung der Systemrelevanz erstellt. Institute ab einem Gesamtscore von 100 BP werden – zusätzlich zu den bereits in Stufe 1 klassifizierten Instituten – als A-SRIs eingestuft. Das betrifft etwa 1 Prozent der Institute in Deutschland, die zusammen circa 62 Prozent des Geschäftsvolumens (Bilanzsumme zuzüglich Eventualverbindlichkeiten) aller Institute aufweisen.

Das Ergebnis wird anschließend durch Experten von BaFin und Bundesbank plausibilisiert. Sie analysieren insbesondere die Institute, die den Schwellenwert von 100 BP nicht ganz erreicht haben, und bewerten anhand bestimmter Kennzahlen, ob sie ebenfalls als A-SRIs zu designieren sind.

Identifizierung der Institute ohne vereinfachte Anforderungen

Die Identifizierung der Institute, für die keine vereinfachten Anforderungen für den Sanierungsplan festgesetzt werden können, richtet sich nach den Kriterien des § 19 Absatz 2 SAG und berücksichtigt die Leitlinien der EBA zur Anwendung vereinfachter Anforderungen. Demnach sind bei der Festlegung vereinfachter Anforderungen die Auswirkungen zu berücksichtigen, die der Ausfall eines Instituts abhängig von seiner Größe, der Art, dem Umfang und der Komplexität der Geschäftsaktivitäten, der Eigentümerstruktur, der Rechtsform, dem Risikoprofil, der Vernetztheit und der Mitgliedschaft in einem institutsbezogenen Sicherungssystem hätte. Außerdem ist zu berücksichtigen, ob eine Abwicklung in einem Insolvenzverfahren negative Auswirkungen auf die Finanzmärkte, auf andere Unternehmen der Finanzbranchen einschließlich deren Refinanzierung oder auf die Realwirtschaft haben kann.

Die Identifizierung der Institute, für die keine vereinfachten Anforderungen festgesetzt werden können, erfolgt durch eine quantitative Analyse, die gegebenenfalls durch eine weitergehende Analyse ergänzt wird.

Quantitative Analyse

Die Beurteilung zur Gewährung vereinfachter Anforderungen knüpft an die Systemrelevanz der Institute an. Daher sind viele Indikatoren der beiden genannten EBA-Leitlinien identisch. Somit kann das national erweiterte indikatorbasierte Scoringmodell zur Identifizierung der A-SRIs teilweise auch zur Identifizierung der Institute verwendet werden, für die keine vereinfachten Anforderungen festgesetzt werden können. Die mittels der berechneten Gesamtscores erstellte Rangordnung bildet daher die Grundlage für die Bestimmung dieser Institute.

Institute mit einem Gesamtscore zwischen 20 und 100 BP können keine vereinfachten Anforderungen in Anspruch nehmen und sind daher als PSIs einzustufen. Den Schwellenwert von 20 BP überschreiten in Deutschland rund 2 Prozent aller Institute, die zusammen circa 71 Prozent des Geschäftsvolumens aufweisen. Einer oder mehrere Indikatoren sind bei diesen Instituten so ausgeprägt, dass sich ihr Ausfall und ihre Abwicklung in einem Insolvenzverfahren sehr negativ auf die Finanzmärkte, andere Institute und deren Refinanzierung oder die Realwirtschaft auswirken dürfte. Eine ausführliche Beurteilung dieser Institute anhand der anderen Kriterien der EBA-Leitlinien ist hier entbehrlich, da offenkundig ist, dass sie für vereinfachte Anforderungen nicht in Betracht kommen.

Weitergehende Analyse

Um sicherzustellen, dass alle Institute identifiziert werden, deren Ausfall und Abwicklung negative Auswirkungen auf die Finanzmärkte, auf andere Unternehmen der Finanzbranche, auf deren Refinanzierung oder die Realwirtschaft haben kann, führen BaFin und Bundesbank bei Instituten mit einem Gesamtscore unter 20 BP eine weitere Analyse durch. Dabei beurteilen sie die möglichen Auswirkungen des Ausfalls und der Abwicklung dieser Institute anhand der Kriterien des § 19 Absatz 2 SAG, die zuvor nicht berücksichtigt wurden, nämlich

  • das Risikoprofil des Instituts,
  • seinen Rechtsstatus,
  • die Art der Geschäftstätigkeit,
  • die Eigentümer- und Beteiligungsstruktur,
  • die Rechtsform
  • und die Mitgliedschaft in einem institutsbezogenen Sicherungssystem oder einem anderen gemeinsamen System der wechselseitigen Solidarität gemäß Artikel 113 Absatz 7 der europäischen Eigenmittelverordnung (Capital Requirements RegulationCRR).

Zur Beurteilung werden sachgerechte Indikatoren unter Beachtung der EBA-Leitlinien verwendet. Bei ihrem Gesamturteil berücksichtigen BaFin und Bundesbank immer die speziellen Umstände des Einzelfalls. So kann es vorkommen, dass auch Institute mit einem Gesamtscore unter 20 BP als PSIs eingestuft werden.

Hinweis

Der Beitrag gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im BaFinJournal wieder und wird nicht nachträglich aktualisiert. Bitte beachten Sie die Allgemeinen Nutzungsbedingungen.

Fußnote

  1. 1 Äquivalente Bezeichnungen der europäischen Eigenmittelrichtlinie (Capital Requirements Directive IV – CRD IV): G-SRIs = G-SIIs (Global Systemically Important Institutions), A-SRIs- = O-SIIs (Other Systemically Important Institutions); äquivalente Bezeichnungen des Baseler Rahmenwerks: G-SRIs = G-SIBs (Global Systemically Important Banks), A-SRIs = D-SIBs (Domestic Systemically Important Banks).
Autor: Dr. Björn Ludwig, BaFin

Zusatzinformationen

Fanden Sie den Beitrag hilfreich?

Wir freuen uns über Ihr Feedback

Es hilft uns, die Webseite kontinuierlich zu verbessern und aktuell zu halten. Bei Fragen, für deren Beantwortung wir Sie kontaktieren sollen, nutzen Sie bitte unser Kontaktformular. Hinweise auf tatsächliche oder mögliche Verstöße gegen aufsichtsrechtliche Vorschriften richten Sie bitte an unsere Hinweisgeberstelle.

Wir freuen uns über Ihr Feedback