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Erscheinung:18.05.2016 | Thema Verbraucherschutz Christian Ahlers, Projektleiter beim Marktwächter Finanzen, und BaFin-Exekutivdirektorin Elisabeth Roegele im Gespräch

Vor etwas über einem Jahr, am 26. März 2015, fiel der Startschuss für das Projekt „Marktwächter Finanzen“, mit dem die Verbraucherzentralen den deutschen Finanzmarkt aus Sicht der Verbraucher beobachten und analysieren. Projektleiter Christian Ahlers und Elisabeth Roegele, Exekutivdirektorin der Wertpapieraufsicht, erläutern im BaFinJournal-Interview den Auftrag des Marktwächters, was ihn in Sachen Verbraucherschutz von der BaFin unterscheidet und wie die Aufgaben der beiden Institutionen ineinandergreifen.

Herr Ahlers, was genau ist der Marktwächter Finanzen?

Ahlers: Der Marktwächter Finanzen ist das neue Frühwarnsystem des Verbraucherzentrale Bundesverbands und der Verbraucherzentralen. Mit diesem Instrument beobachten wir den Markt aus Sicht der Verbraucher und helfen, Fehlentwicklungen rechtzeitig sichtbar zu machen. Denn Verbraucher bewegen sich im Finanzmarkt häufig nicht auf Augenhöhe mit den Anbietern. Viel zu oft schließen sie Verträge ab, die nicht zu ihrer Lebenssituation passen. Mit dem Marktwächter untersuchen wir deshalb systematisch und bundesweit den Finanzmarkt. Das Ziel: Mehr Klarheit über die tatsächliche Situation von Verbrauchern im Finanzmarkt herstellen.

Frau Roegele, seit Juli 2015 gehört der kollektive Verbraucherschutz explizit zu den Aufsichtszielen der BaFin. Warum brauchte es da noch einen Marktwächter Finanzen? Schafft die BaFin das nicht allein?

Roegele: Die BaFin und der Marktwächter Finanzen haben im Hinblick auf den Schutz von Verbraucherinteressen ganz unterschiedliche Aufträge. Sie haben Recht: Die BaFin hat mit dem Kleinanlegerschutzgesetz1 die Aufgabe übertragen bekommen, den kollektiven Verbraucherschutz wahrzunehmen. Das bedeutet, dass sie im Rahmen ihrer Aufsicht darüber wacht, dass die beaufsichtigten Unternehmen die gesetzlichen Regeln zum Schutz der Verbraucher einhalten. Stößt sie auf systematische verbraucherrelevante Missstände, so greift sie ein.

Der Marktwächter Finanzen hingegen beobachtet und analysiert den Finanzmarkt aus der Perspektive der Verbraucher, um Fehlentwicklungen aufzudecken. Anders als die BaFin ist er keine Behörde. Deshalb kann er bei seinen Analysen und Bewertungen flexibler sein und auch Überlegungen anstellen, die gesetzlich nicht ausdrücklich vorgeschrieben sind. Außerdem steht dem Marktwächter Finanzen für seine Marktbeobachtung eine ganz andere Datenbasis zur Verfügung als der BaFin.

Inwiefern?

Roegele: Er stützt seine Analysen in erster Linie auf Erkenntnisse aus Verbraucherberatungen und -beschwerden. Dafür kann er auf Informationen aus einer deutlich sechsstelligen Zahl persönlicher Gespräche und Online-Beschwerden zurückgreifen. Die Zahl der Verbrauchereingaben, die bei der BaFin eingehen, ist naturgemäß viel niedriger: 2015 waren es insgesamt rund 17.000. Die BaFin stützt ihre Analyse von Verbrauchertrends daher nicht allein auf Anfragen und Beschwerden, sondern wertet auch andere Datenquellen systematisch aus – vor allem Erkenntnisse aus ihrer laufenden Aufsicht, aber auch Prüfberichte und Auswertungen anderer Institutionen zum Kundenverhalten.

Ahlers: Richtig, unsere primäre Datengrundlage sind die Verbraucher selbst. Wir erhalten Hinweise durch Gespräche in unseren bundesweit rund 200 Beratungsstellen und über unser Onlineportal. Zusätzlich führen wir mit dem Marktwächter empirische Untersuchungen durch und beobachten aktuelle Marktentwicklungen. Die Erkenntnisse der Verbraucherzentralen setzen sich so zu einem Gesamtbild zusammen. Ihre Arbeit erlangt damit eine neue Qualität: die verbraucherorientierte Marktbeobachtung.

Sie hilft dabei zu erkennen, ob bestimmte Themen bundesweit relevant sind, und eklatanten Fällen gezielt auf den Grund zu gehen. Wir haben dann beispielsweise die Möglichkeit, eine vertiefende Untersuchung durchzuführen oder auch direkt rechtliche Schritte wie eine Abmahnung einzuleiten. Vor allem aber können wir früher über bedenkliche Marktentwicklungen informieren – nicht nur die Politik, sondern auch Behörden wie die BaFin, Anbieter, Verbände, die Wissenschaft und die Zivilgesellschaft.

Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit mit der BaFin?

Ahlers: Ich erlebe die Zusammenarbeit als positiv. Sie zeichnet sich durch einen offenen und vertrauensvollen Umgang aus, bei dem der Schutz der Verbraucher im Finanzmarkt im Mittelpunkt steht. Wir unterstützen die BaFin beispielsweise in ihrer Arbeit, indem wir Erkenntnisse aus dem direkten Kontakt mit Verbrauchern an sie weitergeben.

Roegele: Auch ich schätze die Zusammenarbeit sehr, denn die fundierten Analysen über Marktentwicklungen aus Verbrauchersicht sind für uns eine wichtige Informationsquelle. Seitens der BaFin wird die Zusammenarbeit mit dem Marktwächter Finanzen von der neu geschaffenen Abteilung Verbraucherschutz2 koordiniert. Sie steht mit dem Marktwächter im regelmäßigen Dialog.

Wie beeinflussen die Erkenntnisse des Markwächters Finanzen die Arbeit der BaFin?

Roegele: Die Analysen helfen uns, Missstände frühzeitig zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken. Der Marktwächter Finanzen kann uns außerdem wichtige Hinweise liefern, wo wir als Aufsicht weiter nachhaken müssen, etwa in Form risikoorientierter Untersuchungen, bei denen wir bei den beaufsichtigten Unternehmen gezielt weitergehende Informationen zur jeweiligen Thematik erfragen.

Und noch ein ganz wichtiger Punkt: Die BaFin kann bei Missständen natürlich nur eingreifen, wenn sie dazu den gesetzlichen Auftrag hat. Deckt der Marktwächter Finanzen Sachverhalte auf, bei denen dies nicht der Fall ist, können solche Erkenntnisse dem Gesetzgeber wichtige Impulse zur Verbesserung des Verbraucherschutzes liefern.

Herr Ahlers, was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Erkenntnisse nach einem Jahr Marktwächter Finanzen?

Ahlers: Der Bedarf an neuer Marktbeobachtung aus Verbrauchersicht ist definitiv da – aus meiner Sicht eine ganz wichtige Erkenntnis. Unsere jüngste Untersuchung zur Werbung für Produkte des Grauen Kapitalmarkts zeigt beispielsweise, dass viele Anbieter die Vorteile und Risiken nicht ausgewogen darstellen. Häufig heben sie nur die Vorteile einer Geldanlage hervor und verharmlosen die Risiken. Bei knapp der Hälfte der untersuchten Werbeanzeigen fehlte der Hinweis auf erhebliche Risiken beziehungsweise Wertschwankungen sogar gänzlich.

Wir haben außerdem herausgefunden, dass Verbraucher nicht bedarfsgerecht mit Anlage- und Vorsorgeprodukten ausgestattet sind. Die Auswertung von Beratungsgesprächen ergab, dass 45 Prozent der untersuchten Verträge nicht zu den aktuellen Lebensumständen der Verbraucher passen. Schließlich haben wir auch Werbung für 1.346 Girokonten analysiert und festgestellt, dass Banken und Sparkassen Verbraucher häufig unzureichend über die Konditionen für Dispositionskredite informieren. Darüber hinaus haben wir seit Projektstart ein Onlineportal für Verbraucher aufgebaut und einen Beirat konstituiert.

Frau Roegele, Sie sind Mitglied im Beirat. Was ist dort Ihre Aufgabe?

Roegele: Aufgabe des Beirats ist es, dem Marktwächter Finanzen für seine Arbeitsplanung zu ausgewählten Themenschwerpunkten Impulse zu geben und ihn zu beobachteten Trends zu beraten. Er setzt sich aus 24 Vertretern aus Verwaltung, Politik, Verbänden, Zivilgesellschaft und Wissenschaft zusammen. Als Vertreterin der BaFin habe ich im Beirat einen reinen Beobachterstatus.

Herr Ahlers, können Sie uns schon sagen, welche Themen der Marktwächter als nächstes untersuchen wird?

Ahlers: Wir schauen uns aktuell zum Beispiel das Thema Standmitteilungen bei Lebensversicherungen genauer an und arbeiten an einer Untersuchung zum Thema Immobilienfinanzierung. Außerdem planen wir Untersuchungen zu Fragen der Geldanlage und Altersvorsorge.

Wie ist Ihre Bilanz nach dem ersten Jahr Marktwächter Finanzen?

Ahlers: Schon jetzt ist klar: Mit dem Marktwächter können wir die realen Markterfahrungen von Verbrauchern besser analysieren als zuvor und dadurch gezielt nach strukturellen Problemen im Markt suchen. Die bundesweite Bündelung von Erfahrungen und Kapazitäten ist eine wichtige Basis für einen besseren Verbraucherschutz in Deutschland.

Roegele: Diese Einschätzung kann ich nur bestätigen. Die Erkenntnisse des Marktwächters Finanzen liefern uns wichtige Anhaltspunkte für unsere verbraucherschützende Aufsichtstätigkeit. Ich freue mich daher auf eine weiterhin offene und vertrauensvolle Zusammenarbeit.

Zur Person
Christian Ahlers ist als Projektleiter des Marktwächters Finanzen beim Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) seit April 2015 für die Koordination der Marktbeobachtung durch die Verbraucherzentralen verantwortlich. Zuvor war er im Team Finanzmärkte beim vzbv mit der politischen Interessenvertretung zur europäischen Banken- und Kapitalmarktunion betraut.

Hinweis

Der Beitrag gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im BaFinJournal wieder und wird nicht nachträglich aktualisiert. Bitte beachten Sie die Allgemeinen Nutzungsbedingungen.

Fußnoten

  1. 1 Siehe dazu unter anderem BaFinJournal Januar 2015, Juli 2015 und März 2016.
  2. 2 Siehe dazu BaFinJournal April 2016.

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