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Erscheinung:15.04.2016 Frank Pierschel: „Die Überarbeitung des Modelleansatzes ist notwendig“

Am 24. März hat der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht BCBS ein Konsultationspapier veröffentlicht, das die Zukunft interner Modellierung entscheidend beeinflussen wird. Ziel des Vorschlags ist es, die Variabilität regulatorischer Kapitalanforderungen zu reduzieren, indem die Verwendung interner Modelle beschränkt wird.

Frank Pierschel, Leiter des Referats für Bankenaufsicht in der Abteilung für Internationales, Finanzstabilität und Regulierung, vertritt die BaFin in verschiedenen Gremien des Basler Ausschusses, die sich mit dem Thema befassen: Er ist Mitglied der Policy Development Group (PDG) und der Coherence and Calibration Task Force (CCTF) sowie Co-Chair der Task Force on Standardised Approaches (TFSA). Im BaFinJournal erläutert und bewertet er den Vorschlag.

Herr Pierschel, die interne Modellierung kam mit Basel II ins Rahmenwerk regulatorischer Kapitalanforderungen und wurde bereits mit Basel II.5 und III überarbeitet. Warum jetzt ein weiteres Mal, knapp zehn Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise?

Zunächst einmal möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf den Titel des Papiers lenken, der locker übersetzt etwa lautet: „Die Variabilität von Kreditrisikoaktiva reduzieren – Beschränkung der Verwendung interner Modelle“. Hierin verstecken sich zwei Komponenten, die der Basler Ausschuss seit längerem verfolgt. Zum einen sahen wir Aufseher es als kritisch an, wie weit Kreditinstitute die risikogewichteten Aktiva für die Berechnung regulatorischer Kapitalanforderungen theoretisch nach unten drücken konnten. Daher wurde schon in Basel II eine Untergrenze formuliert, der sogenannte Basel-I-Floor. An diesem Konzept halten wir in geänderter Form fest.

Zum anderen hat der Ausschuss die Umsetzung von Basel II, II.5 und III geprüft und dabei festgestellt, dass die Standards selten zu gleichen Kapitalanforderungen für die Kreditinstitute führen. Das war zunächst zu erwarten, da die Modellierung die Risiken ja institutsindividuell reflektieren soll. Individuelle Geschäftsstrategien, daran angepasste Portfolien und – nicht zu vergessen – die unterschiedliche Ausübung nationaler Wahlrechte waren gute Gründe für diese Abweichungen. Was uns aber überraschte, war ihr Ausmaß: Die Kapitalanforderungen von Modellebanken wichen zum Teil extrem von denen der Institute ab, die den Standardansatz rechnen. Daher war es notwendig, den Modelleansatz im Zuge der Neuregelung des Basel-I-Floors zu überarbeiten.

2013 richtete der BCBS daher eine hochrangige Arbeitsgruppe ein, die konkrete Vorschläge zu den Zielen Einfachheit, Vergleichbarkeit und Risikosensitivität machen sollte. Die Neuregelung des Floors und die Kopplung an den Standardansatz bildete eine wesentliche Komponente, Prinzipien für die Nutzung von Modellen zur Berechnung regulatorischer Kapitalanforderungen die andere.

Wie sieht der Vorschlag jetzt im Einzelnen aus?

Modelle für Portfolien sollen nur noch zugelassen werden dürfen, wenn sie drei Kriterien erfüllen: Erstens müssen in quantitativer und qualitativer Hinsicht hinreichend Daten für das jeweilige Portfolio verfügbar sein. Zweitens müssen die Institute bei der Modellierung ihre eigenen Informationen und Erfahrungen nutzen; die Daten dürfen also nicht nur aus öffentlich verfügbaren Quellen stammen. Und drittens müssen die Banken robuste und allgemein gültige Modelltechniken verwenden, die auch validierbar sind.

Anhand dieser Kriterien hat der Basler Ausschuss, wie zuvor schon für den internen Modelleansatz für das operationelle Risiko, die Portfolien für das Kreditrisiko beleuchtet. Es soll generell keine Modellierung mehr geben für Kredite an Kreditinstitute, Finanzunternehmen und Unternehmensgruppen mit mehr als 50 Milliarden Euro Bilanzsumme sowie für Beteiligungen. Für alle anderen Portfolien sieht der Vorschlag Einschränkungen bei der Nutzung interner Modelle vor. Für Kredite an Unternehmensgruppen mit einem Gesamtertrag von mehr als 200 Millionen und einer Bilanzsumme von bis zu 50 Milliarden Euro darf nur noch der Foundation-IRBA, der Basis-Ansatz, verwendet werden. Für Spezialfinanzierungen soll grundsätzlich der Standardansatz Anwendung finden, die Modellierung jedoch im Rahmen des Slotting-Approach möglich sein, der im Rahmenwerk verankert ist. Die internen Modelle für das Kontrahentenrisiko sollen durch einen Output-Floor begrenzt werden, also ein Mindestkapital, gemessen am neuen Standardansatz für das Kontrahentenrisiko. Für die Berechnung der Kapitalanforderungen für CVA-Risiken sollen interne Modelle hingegen künftig nicht mehr zugelassen sein. Die Modellierung für Kredite an Staaten und öffentliche Stellen soll von diesen Regelungen zunächst ausgenommen sein, wird aber im Zuge der Arbeiten zu den Länderrisiken mit geprüft.

Als Beschränkung für die Modellierung der verbleibenden Portfolien sind auf Ebene der Parameter Input-Floors, ansonsten Output-Floors vorgesehen. Bei den Input-Floors werden die Ausfallwahrscheinlichkeit und die Verlustquote bei Ausfall – kurz PD, für Probability of Default, und LGD, Loss-Given Default – aufsichtlich begrenzt. Die PD-Floors hat der BCBS für die Konsultation zunächst auf fünf Basispunkte, für sich verlängernde Kredite auf zehn Basispunkte festgelegt. Die LGD-Floors variieren in Abhängigkeit von der Existenz und Höhe einer Besicherung zwischen 0 und 25 Prozent. Zusätzlich sollen bei der Berechnung des LGD-Floors die Sicherheitenwerte durch aufsichtliche Haircuts, also prozentuale Abschläge, beschränkt werden. Der Output-Floor seinerseits wird eine an den Standardansatz zu koppelnde prozentuale Bremse sein, unter den die Kapitalanforderung nicht sinken darf. Hier ist im Konsultationspapier eine Spanne von 60 bis 90 Prozent angegeben.

Was heißt das für die Kalibrierung, führen die Vorschläge nicht zu einer höheren Kapitalanforderung? Und steht eine solche nicht im Widerspruch zur Presseerklärung der Governors and Heads of Supervisors, dem Lenkungsgremium des Basler Ausschusses, vom Januar dieses Jahres?

Ja, vergleicht man die Modellierungsergebnisse miteinander, also die bisherige Regulierung und den aktuellen Vorschlag, lassen die derzeitigen Parameter im Konsultationspapier eine höhere Kapitalanforderung erwarten. Ich gebe aber zu bedenken, dass die Floors bei der Berechnung der Gesamtkapitalanforderung eine wesentliche Komponente darstellen. Für das Kreditrisiko bedeutet das, dass der neue Standardansatz das Maß setzen dürfte. Dieser wird derzeit ebenfalls neu kalibriert.1) Die Gesamtkalibration unterliegt einer sehr breit angelegten Quantitativen Auswirkungsstudie. Fällt dort die Kalibration für Modellebanken zu hoch aus, muss über den Output-Floor, den Skalierungsfaktor, der derzeit 1,06 beträgt, oder andere Nachjustierungen gegengesteuert werden. Ich glaube nicht, dass der Basler Ausschuss seinem Lenkungsgremium einen Vorschlag präsentieren würde, der diese wichtige Anforderung ignoriert, die den GHOS immerhin eine Pressemitteilung wert war.

Hätte man interne Modellansätze lieber gar nicht erst zulassen dürfen, wenn sie jetzt solche Probleme bereiten?

Grundsätzlich sehe ich die Nutzung von Modellen positiv. Sie helfen insbesondere komplexen Kreditinstituten, die Risikosituation besser zu beurteilen, ihre Entscheidungen danach auszurichten und Vorsorge gegen potenzielle Risiken zu treffen. Es gibt aber natürlich Modellrisiken. Niemand weiß genau, ob sich die Parameter-Schätzungen tatsächlich so realisieren. In Rückvergleichen sind die tatsächlichen Ausfallquoten gegen die geschätzten zu validieren und gegebenenfalls in einem iterativen Prozess anzupassen. Wir in Deutschland setzen daher stark auf den sogenannten Use-Test, bei dem Risikokennzahlen, die mit internen Modellen ermittelt wurden, auch für bankinterne Risikomanagementprozesse verwendet und die Modelle-Annahmen so laufend einem wirtschaftlichen Lackmustest unterzogen werden. Daneben wurde mit der Leverage-Ratio ein Instrument eingeführt, dass null- beziehungsweise niedrig risikogewichtete Aktiva puffern soll.

Modelle sind in Deutschland zuzulassen, wenn sie den Voraussetzungen der Modellabnahme genügen. Haben wir Zweifel, so fordern wir Unterlagen nach oder formulieren Auflagen, deren Erfüllung wir auch nachhalten. Ein gutes Modell führt zu einer risikogerechteren Kapitalunterlegung und sollte daher auch erhalten bleiben. Es gibt andererseits Portfolien, die nach dem Rahmenwerk modelliert werden dürfen und bei denen sich der aufsichtliche Nutzen der Modellierung nach extremer Optimierung nicht mehr nachvollziehen lässt. Aber man darf auch nicht vergessen, dass standardisierte Ansätze ebenfalls so ihre Probleme mit sich bringen. Insgesamt überwiegen für mich jedenfalls die Vorteile interner Modellierung.

Wie geht es jetzt weiter?

Die Vorschläge im Konsultationspapier sind bereits ein Kompromiss: zwischen denen, die jedweder Modellierung misstrauen, und jenen, die am Rahmenwerk am liebsten gar nichts ändern wollen. Das sollten die Marktteilnehmer berücksichtigen, wenn sie dazu Stellung nehmen. Für den Ausschuss sind ihre Reaktionen sehr wichtig, um die Folgen der Regulierungsänderung abschätzen zu können. Ich kann daher alle nur ermuntern, ihre Kritik – und die wird es sicher reichlich geben – gut zu begründen und möglichst mit Zahlen zu belegen. Diejenigen, die glauben, es sei sowieso schon alles gegessen, möchte ich an die Wiedereinführung der externen Ratings im zweiten Konsultationspapier zum Kreditrisikostandardansatz erinnern, die auf die Konsultation zurückging. Klar ist aber auch, dass es hier insbesondere um die technischen Details gehen wird. Die nicht mehr für die Modellierung zugelassenen Portfolien und der Einsatz von In- und Output-Floors stehen bei der Konsultation grundsätzlich nicht mehr zur Debatte.

Ich gehe davon aus, dass wir Anfang 2017 mit der Veröffentlichung des finalisierten Basel-III-Regulierungspakets rechnen können. Dazu zählen neben der neuen Regulierung des internen Modelleansatzes für das Kreditrisiko die Standardansätze für Kredit-, Markt- und operationelles Risiko und die finale Kalibrierung der Leverage-Ratio.

Fußnote:

  1. 1) Das zweite Konsultationspapier wurde im Dezember 2015 veröffentlicht. Zum Hintergrund siehe auch BaFinJournal April 2015.

Weiteres Vorgehen

Stellungnahmen zum Konsultationspapier nimmt der BCBS bis zum 24. Juni 2016 entgegen. Parallel zur Konsultation startet zudem eine Quantitative Auswirkungsstudie (Quantitative Impact StudyQIS). Die Ergebnisse von Konsultation und QIS werden in die endgültige Ausgestaltung des Regelwerks einfließen.

Interne Modellierung nach Basel

  • Internes Modell: Institutsindividuelles Modell zur Berechnung der Kapitalanforderungen; alternative Möglichkeit zum Standardansatz
  • Advanced IRBA: Fortgeschrittener IRBA (Internal Ratings-Based Approach – interner ratingbasierter Ansatz); alle Parameter werden vom Kreditinstitut geschätzt
  • Foundation-IRBA: Basis-IRBA; lediglich die Ausfallwahrscheinlichkeit wird intern geschätzt
  • Slotting-Approach: Ansatz mit vom Kreditinstitut zu bestimmenden risikogewichtsverändernden Parametern
  • Basel-I-Floor: Mindestkapitalanforderung für die nach Basel II zugelassenen IRBA-Kapitalanforderungen, gemessen am Ausweis der Basel-I-Kapitalanforderung
  • Input-Floor: Mindestparameter, die bei der Berechnung der Kapitalanforderungen zu verwenden sind und die Modellparameter begrenzen
  • Output-Floor: Mindestkapitalanforderung für ein modelliertes Portfolio als prozentualer Anteil der nach dem Standardansatz ermittelten Kapitalanforderung
  • CVA-Risiko: Credit-Valuation-Adjustment-Risiko. Risiko einer Wertveränderung von Geschäften mit Over-the-Counter-Derivaten aufgrund von Bonitätsveränderungen beim Kontrahenten aus dem Derivat
  • PD: Probability of Default – Ausfallwahrscheinlichkeit
  • LGD: Loss-Given Default – Verlustquote bei Ausfall
  • Use-Test: Praxistest interner Modelle vor Zulassung
  • Leverage-Ratio: Am Verschuldungsgrad orientierte Kapitalanforderung zur Abdeckung von Modellrisiken bei null- beziehungsweise gering risikogewichteten Aktiva

Hinweis

Der Beitrag gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im BaFinJournal wieder und wird nicht nachträglich aktualisiert. Bitte beachten Sie die Allgemeinen Nutzungsbedingungen.

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