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Erscheinung:15.06.2015 | Thema Verbraucherschutz Vertriebsanreize: Verantwortung der Versicherer und aufsichtliche Bewertung

Die BaFin beschäftigt sich bei der Aufsicht über Versicherungsunternehmen unter anderem mit deren Vertriebsstrukturen und -systemen. Hierzu gehören auch die Anreize, die Versicherer erfolgreichen Vermittlern gewähren.

Es ist Sache der BaFin zu beurteilen, wie beispielsweise Vertriebsprovisionen oder Bonussysteme auszugestalten sind, damit diese aufsichtskonform sind. Der vorliegende Beitrag erläutert, weshalb die Vorgaben zur ordnungsgemäßen Geschäftsorganisation und zu den Geschäftsleiterpflichten nach § 64a Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) dabei eine entscheidende Rolle spielen und worauf Versicherer achten müssen.

Provisionen und Kostentransparenz

In Deutschland ist es üblich, dass ein Versicherungsvermittler vom Versicherer eine Vergütung (Provision) erhält, wenn er erreicht, dass ein Kunde einen Vertrag abschließt. Vermittler und Versicherer vereinbaren in der Regel, wie diese Vergütung ausgestaltet ist. Sie besteht oft aus einer Abschluss- und einer nachfolgenden Bestandspflegeprovision. Darüber hinaus kann es weitere Vertriebsanreize für besonders erfolgreiche Vermittler oder Vertriebseinheiten geben, beispielsweise Bonuszahlungen oder Reisen.

Gesetzliche Vorgaben, die die Höhe der Provisionen begrenzen, gibt es nur wenige. Dies sind zum einen der so genannte Provisionsdeckel in der substitutiven, also der privaten Krankenversicherung nach § 12 Absatz 7 bis 9 VAG, der sich an der Bruttobeitragssumme des vermittelten Geschäfts orientiert, zum anderen die fünfjährige Stornohaftungszeit gemäß § 80 Absatz 5 VAG. Durch diese hat der Vermittler bei der Lebens- und der substitutiven Krankenversicherung ein Interesse an wenig stornoanfälligen Geschäften, da er seine volle Provision erst nach fünf Jahren verdient hat.

Für den Verbraucher wiederum ist wichtig zu wissen, mit welchen Leistungen er im Versicherungsfall rechnen kann und welche Kosten – nicht nur für den Abschluss des Versicherungsvertrags – in den Versicherungsprämien, also den Beiträgen, einkalkuliert worden sind. Die Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen (VVG-InfoV) gibt vor, wie die Versicherer diese Kosten auszuweisen haben.

Geschäftsorganisation und Geschäftsleiterpflichten

Die Aufsicht kann gut überprüfen, ob Versicherer diese recht klaren Regeln einhalten. Außerhalb der genannten Normen haben die Unternehmen bei der Festlegung der Höhe der Provision oder der Gewährung sonstiger Vertriebsanreize allerdings einen weiten Spielraum. Für Vertriebsanreize, die keine Abschluss- und Bestandspflegeprovisionen für die Vermittlung einzelner Versicherungsverträge darstellen, ergeben sich jedoch durch § 64a VAG zusätzlich qualitative Grenzen.

§ 64a VAG ist keine spezielle Norm für vertriebsbezogene Aktivitäten, sondern befasst sich allgemein mit der ordnungsgemäßen Geschäftsorganisation und den Pflichten der Geschäftsleitung. Beides sind wichtige Aspekte des Risikomanagements von Versicherungsunternehmen. Die BaFin gibt in verschiedenen Veröffentlichungen Hinweise, wie diese Vorschriften auszulegen sind, unter anderem in den Mindestanforderungen an das Risikomanagement von Versicherungsunternehmen (MaRisk VA).

§ 64a VAG enthält zwar viele unbestimmte Rechtsbegriffe, gibt jedoch auch bestimmte Mindestanforderungen vor, zum Beispiel an das interne Kontrollsystem und die interne Revision der Versicherer. Im Kern geht es unter anderem darum, dass Versicherer unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben mit ihren individuellen Risiken angemessen umgehen und die Maßnahmen, die sie dazu ergreifen, transparent und nachvollziehbar darstellen müssen. Dies betrifft auch Risiken aus dem Versicherungsvertrieb. Die Unternehmen müssen sich also im Hinblick auf § 64a VAG mit vertriebsbezogenen Aspekten beschäftigen und entscheiden, wie sie mit Risiken umgehen wollen, die daraus resultieren.

Aufsichtliche Bewertung

Bestimmte vertriebliche Aktivitäten können Reputationsschäden auslösen, die für Versicherer eine nicht zu unterschätzende Gefahr darstellen. Beispiele hierfür sind die Incentivereisen für Vertriebsmitarbeiter, die vor einigen Jahren in den Medien für Schlagzeilen sorgten.

Die dadurch entstandenen Reputationsschäden waren aber nicht nur für die betroffenen Unternehmen schwierig zu bewältigen. Auch für die BaFin sind solche Fälle eine Herausforderung, da sie sie auch auf Grundlage der Vorgaben des § 64a VAG zu bewerten hat. Bei Vergütungssystemen für Vermittler besteht die Herausforderung darin, die allgemeinen aufsichtlichen Kontroll- und Eingriffsmöglichkeiten auf die vertriebsbezogenen Aspekte anzuwenden und sie auf dieser Basis einzuschätzen und gegebenenfalls zu reagieren.

Welche Vertriebsanreize zulässig sind, lässt sich nicht pauschal beantworten und – angesichts der vielen unterschiedlichen Ausgestaltungen von Vergütungssystemen – auch nicht im Vorfeld abschließend festlegen. Die Unternehmen selbst müssen vielmehr jeden einzelnen Fall aufmerksam und nachvollziehbar analysieren und abwägen.

Makler: Kunde ist Auftraggeber

Bei der aufsichtlichen Bewertung von Anreizen für Versicherungsmakler, die über die eigentliche Provision für den vermittelten Vertragsabschluss hinausgehen, ist zu beachten, dass der Makler in den Augen des Gesetzgebers nicht für einen Versicherer tätig ist. Sein Auftraggeber ist vielmehr der (künftige) Versicherungsnehmer (§ 59 Absatz 3 Satz 1 Versicherungsvertragsgesetz), obwohl der Versicherer dem Makler typischerweise eine Provision zahlt. Die besondere Stellung des Maklers gegenüber seinem Kunden hat der Bundesgerichtshof (BGH) bereits 1985 in einem Urteil herausgestellt, das den Makler als Sachwalter des Kunden mit besonderen Beratungs- und Aufklärungspflichten definiert. (Urteil vom 22. Mai 1985, Az. IVa ZR 190/83.)

Die BaFin stellt sich bei der Prüfung von Vertriebsanreizen insofern die Frage, ob der Makler dadurch, dass der Versicherer ihm einen über die eigentliche Provisionszahlung hinausgehenden Anreiz in Aussicht stellt, bei der Beratung und Vermittlung in unzulässiger Weise beeinflusst werden könnte und deshalb Gefahr läuft, nicht mehr ausschließlich die Interessen seiner Kunden zu vertreten. Auch beim bloßen Anschein eines potenziellen Interessenkonflikts kann die BaFin beim Versicherer nachfragen. Stellt sich heraus, dass tatsächlich ein Interessenkonflikt vorliegt, kommen im Extremfall der Straftatbestand des § 299 Strafgesetzbuch (Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr) oder eine Geldbuße gemäß § 30 Ordnungswidrigkeitengesetz in Betracht.

Verantwortung der Unternehmen

Im Kern beschäftigt sich die BaFin bei der Bewertung von Vertriebsanreizen mit der Frage, ob sich der jeweilige Versicherer im Rahmen des § 64a VAG angemessen mit dem Thema Vertriebsanreize beschäftigt hat. Bei Prüfungen der Aufsicht hat sich gezeigt, dass die Versicherer potenzielle Probleme und rechtliche Grauzonen in der Vergangenheit möglicherweise früher erkannt hätten, wenn sie intensiver darauf geachtet hätten, ob sie bei der Bezahlung von Vermittlern im Rahmen des Risikomanagements angemessen mit Interessenkonflikten umgehen. Es fehlte oft auch an einer umfassenden, rechtlich fundierten Dokumentation der Risikoanalyse durch die Versicherer.

Zu einem richtigen Verständnis von § 64a VAG gehört, dass sich die Versicherer bei der Geschäftsorganisation präventiv mit dem Thema Vertrieb auseinandersetzen müssen. Dazu gehören nicht nur die Vertriebsanreize, sondern auch die internen Kontrollmechanismen. Kümmert sich ein Versicherungsunternehmen erst dann um vertriebliche Einzelfragen und stellt es sein internes Kontrollsystem erst dann auf den Prüfstand, wenn beispielsweise ein meldepflichtiger Tatbestand im Sinne der Sammelverfügung zu Veruntreuungsmeldungen Anlass dazu bietet, so ist dies aus Sicht der BaFin im Sinne eines wirksamen Risikomanagements zu spät. Gewisse Mindestanforderungen an das Risikomanagement im Vertrieb hat die Aufsicht im Rundschreiben zur Zusammenarbeit mit Versicherungsvermittlern und zum Risikomanagement im Vertrieb formuliert.

Veränderte Sichtweise

Die Versicherer, aber auch Verbände und Vermittler haben inzwischen erkannt, dass es notwendig ist, sich aktiv mit dem Thema Vertriebsanreize auseinanderzusetzen und hier strengere Maßstäbe anzulegen. Diese veränderte Sichtweise wird jedoch – anders als die Skandale der Vergangenheit – von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, da sie sich vorwiegend unternehmens- oder verbandsintern abspielt.

Gleichwohl ist die Beschäftigung mit diesen Fragen für die Versicherungsbranche eine wichtige und lohnende Investition in die Zukunft. Die zunehmende Verbesserung der Vertriebscompliance ist ein wichtiger Baustein, um die Belange des kollektiven Verbraucherschutzes zu stärken und die öffentliche Wahrnehmung der Unternehmen insgesamt positiv zu beeinflussen. Die BaFin wird diese Entwicklung weiterhin kritisch begleiten und die Versicherer bei der Umsetzung unterstützen.

Neue europäische Regeln

Auch auf europäischer Ebene ist das Thema Vertriebsanreize auf der Agenda: Der europäische Gesetzgeber arbeitet derzeit intensiv an der geplanten Versicherungsvermittler-Richtlinie (Insurance Distribution Directive – IDD), die neben Informationspflichten über vermittelte Produkte und der Vergütung von Vermittlern unter anderem auch potenzielle Konflikte zwischen dem Provisionsinteresse von Vermittlern und den Interessen der Verbraucher an einem passenden Versicherungsschutz im Blick hat. Ziel ist es zu verhindern, dass Verbraucher benachteiligt werden.

Die BaFin setzt sich bei der Diskussion um die Richtlinie dafür ein, dass verschiedene Interessen angemessen berücksichtigt und bewährte nationale Eigenheiten bewahrt werden. Auch bei der Umsetzung der künftigen europäischen Vorgaben wird sie dieses Ziel im Auge behalten.

Hinweis

Der Beitrag gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im BaFinJournal wieder und wird nicht nachträglich aktualisiert. Bitte beachten Sie die Allgemeinen Nutzungsbedingungen.

Autor: Olaf Temmen, BaFin

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