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Erscheinung:15.04.2015 | Thema Eigenmittel, Risikomanagement BaFin-Experte Frank Pierschel: „Am neuen Kreditrisiko-Standardansatz führt kein Weg vorbei“

Der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht BCBS (Basel Committee on Banking Supervision) überarbeitet derzeit den Standardansatz für die Berechnung des Kreditrisikos durch Banken. Bis Mitte März stand der Entwurf zur Konsultation; aktuell wird er in einer umfassenden quantitativen Auswirkungsstudie (Quantitative Impact StudyQIS) von der Industrie unter die Lupe genommen.

Der Standardansatz ist eine der Methoden, die Banken verwenden können, um ihre Risiken und damit ihre regulatorischen Mindesteigenkapitalanforderungen zu bestimmen. Er ist ein einfaches, aufsichtlich vorgegebenes Modell. Neben dem Standardansatz stehen Ansätze zur Verfügung, die auf internen Ratings basieren: der Basis-Ansatz (Foundation Internal Ratings-Based Approach – F-IRBA) und der fortgeschrittene (Advanced) Ansatz (A-IRBA).

Der Standardansatz ist die am häufigsten angewandte Methode. Er wird üblicherweise von kleinen und mittleren Kreditinstituten genutzt, aber auch von großen Banken, die ihre interne Modellierung in Teilen durch Risikogewichte des Standardansatzes ergänzen (Partial Use).

Der neue Standardansatz soll künftig auch als Messlatte für interne Modellansätze für das Kreditrisiko dienen. Denn künftig wird es Untergrenzen für das vorzuhaltende Mindesteigenkapital geben, so genannte Floors, die an die Standardansätze gekoppelt sind. Sie greifen, wenn die internen Modelle geringere Anforderungen ergeben. Die Floors standen ebenfalls bis Mitte März zur Konsultation.

Neben dem Standardansatz für das Kreditrisiko überarbeitet der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht BCBS derzeit auch die Standardansätze für das Marktrisiko und für das operationelle Risiko.

Frank Pierschel, Leiter des BaFin-Referats für Bankenaufsicht in der Abteilung Internationales und Co-Chair der Task Force on Standardised Approaches (TFSA) beim BCBS, erläutert die Hintergründe des neuen Standardansatzes und erklärt, was auf die Banken zukommt.

Herr Pierschel, warum will der BCBS den Standardansatz für die Berechnung des Kreditrisikos überarbeiten?

Der Standardansatz ist die Methode, die die Kreditinstitute am häufigsten zur Berechnung ihrer Eigenkapitalanforderungen nutzen. Im Zuge der unmittelbaren Bewältigung der Finanzkrise stand er zunächst nicht im Fokus. Jetzt ist es aber an der Zeit, sich des Themas anzunehmen. Es gilt, die Defizite des Standardansatzes zu heilen und ihn der neuen Ausrichtung des BCBS anzupassen. Die Kapitalanforderungen sollen einfacher, vergleichbarer und risikosensitiver werden. Außerdem geht es darum, einen Ansatz zu schaffen, der auf alle Banken anwendbar ist. Er soll weltweit gelten – nicht nur in den 27 Staaten, die Mitglied des BCBS sind. Und schließlich soll der neue Standardansatz möglichst ohne Ratings auskommen. Dazu wird die TFSA ergänzende Verfahren zur Risikoklassifizierung entwickeln.

Müssen sich die Banken also auf vollkommen neue Vorgaben einstellen?

Ja und nein. Das Grundkonzept des Standardansatzes, nämlich die Gewichtung nach Risikoklassen, bleibt erhalten. Innerhalb dieser Klassen wird es aber Veränderungen geben müssen. Sie sind sinnvoll und notwendig – etwa dort, wo derzeit externe Ratings genutzt werden, aber auch, was die Risiken bestimmter Forderungen angeht und die Anreizstruktur der Institute. Beides muss besser berücksichtigt werden. Zudem wird der neue Ansatz auch überarbeitete Kreditminderungstechniken enthalten. Der Entwurf, der zur Konsultation stand, geht von einem risikotreiberindizierten Matrixansatz aus. Die TFSA hat große Sorgfalt darauf verwendet, die Treiber auszuwählen, die die Ausfallraten am besten widerspiegeln. Der neue Standardansatz sollte außerdem die Nutzung interner Modellverfahren ausschließen. Darüber hinaus sollen seine Definitionen – wo möglich – an die des Rahmenwerks für die IRB-Ansätze angeglichen werden.

Wird der neue Standardansatz für die Banken teurer?

Die TFSA ist nicht mandatiert, das Volumen der Kapitalanforderungen extrem auszuweiten. Gleichwohl wird der neue Standardansatz Elemente enthalten, die unter Umständen zusätzliche Kapitalanforderungen mit sich bringen können. Ein Beispiel: Es soll einen Risikogewichtsaufschlag für Kredite an Privatkunden geben, die auf eine andere Währung lauten als deren Einkommen. In Deutschland spielt dies nur eine untergeordnete Rolle, aber in Österreich und Ungarn haben beispielsweise viele Banken Kredite in Schweizer Franken ausgegeben. Dieses Risiko hat sich nach der Entkopplung des Schweizer Franken vom Euro manifestiert. Wie hoch der Aufschlag ausfallen soll, ist noch nicht entschieden. Die Risikogewichte, die im Konsultationspapier angesetzt sind, stellen nur eine erste Richtschnur dar. Sobald die QIS, also die quantitative Auswirkungsstudie abgeschlossen ist, wird die TFSA beginnen, die Risikogewichte neu zu kalibrieren.

Wann ist es so weit?

Ich rechne damit, dass schon im Juni erste Ergebnisse der QIS vorliegen werden. Die QIS ist wie das Konsultationspapier bewusst offen gehalten. Wir fragen diverse Risikoindikatoren ab, um herauszufinden, welche am besten geeignet sind – oder ob es sogar noch bessere gibt. Es ist darum sehr wichtig, dass die Industrie intensiv an der Studie mitwirkt.

Wie geht es dann weiter? Wann werden die Banken den neuen Standardansatz anzuwenden haben?

Wir gehen davon aus, dass wir bis zum Herbst alle Beiträge zur Konsultation und die Ergebnisse der QIS in den Entwurf eingearbeitet haben werden. Die TFSA wird dem BCBS im Dezember 2015 den neuen Ansatz vorlegen. Ob er dann für alle beschlussreif sein wird, bleibt abzuwarten. Danach werden noch einmal gut zwei Jahre vergehen, bis der neue Standardansatz tatsächlich angewandt werden kann – die Staaten brauchen ja auch eine gewisse Zeit, um ihn rechtlich zu implementieren.

Warum die Skepsis? Gibt es besondere Fallstricke, mit denen Sie bei der Überarbeitung des Standardansatzes zu kämpfen haben?

Unsere Aufgabe ist insofern nicht ganz einfach, als die Task Force nicht nur aus den Mitgliedern des BCBS besteht. Auch die Weltbank und zahlreiche Nicht-BCBS-Staaten wie Polen, Thailand, Chile, die Vereinigten Arabischen Emirate und Jersey – stellvertretend für die Offshore-Zentren – sitzen mit am Tisch. Insgesamt sind 33 Länder und fünf multilaterale Organisationen in der TFSA vertreten. Das ist einerseits sinnvoll, um möglichst breite Erfahrungen mit dem Standardansatz zu berücksichtigen, hat aber andererseits zur Folge, dass wir in der TFSA eine sehr heterogene Interessenlage haben. Mit 90 Prozent des Papiers können alle wunderbar leben – die jeweils problematischen 10 Prozent sind nur leider nicht deckungsgleich und über den gesamten Ansatz verteilt.

Welche Themen sind besonders umstritten?

Wir müssen für den neuen Standardansatz einen Kompromiss finden, wie externe Ratings durch einen aufsichtlichen Ansatz ersetzt werden können. Hier ergeben sich die größten Probleme. Manche Länder wollen nicht auf externe Ratings verzichten, andere hingegen müssen es sogar, weil nationale Gesetze dies vorgeben. Das beste Beispiel ist der Dodd-Frank-Act in den USA. Wieder andere sind nicht von den vorgeschlagenen Risikoindikatoren überzeugt oder glauben, dass die Basel-III-Terminologie – etwa der Risikoindikator für das harte Kernkapital CET 1 – nicht für Kontrahenten aus Ländern funktionieren kann, die Basel I oder II nutzen.

Ein weiteres Problem sind die Schwellenwerte zur Abgrenzung von Privatkunden und Unternehmen. Seit Basel II gilt ein aggregiertes Kreditvolumen von 1 Million Euro. Privatkunden werden mit 75 Prozent Risikogewicht belegt, während ungeratete Unternehmen mit 100 Prozent Risikogewicht angesetzt werden müssen. Mit einer höheren Eintrittsschwelle könnten auch kleine Unternehmen mit einem Kreditvolumen von etwas mehr als einer Million Euro von dem günstigeren Risikogewicht für Privatkunden profitieren. Einige höher entwickelte Finanzmärkte, darunter die meisten EU-Staaten, möchten daher eine höhere Schwelle durchsetzen; verschiedene weniger entwickelte Finanzmärkte wie etwa Indonesien oder die Philippinen wollen sie hingegen absenken. Auch die Behandlung der Risiken aus Finanzierungen für Gewerbeimmobilien ist streitig, da der bisherige Ansatz nur das Unternehmensrisiko der Immobilienfirma, des Entwicklers oder der Vermietungsgesellschaft widerspiegelt, ohne den Wert der Immobilie als Sicherheit in die Risikobetrachtung einzubeziehen.

Ein offenes Konsultationspapier, viele Differenzen. Sind Sie zuversichtlich, eine Einigung herbeizuführen?

Ja. Unabhängig von der Dauer des Projekts wird es am Ende des Tages eine internationale Einigung geben müssen. Viele Länder haben ihre rechtlichen Grundlagen in Reaktion auf die Finanzkrise so angepasst, dass sich auch die Voraussetzungen für den Standardansatz geändert haben – Stichwort externe Ratings. Hinzu kommt, dass die Standardansätze an die neue Philosophie des BCBS angepasst werden müssen, die Aufsichtsanforderungen einfacher und vergleichbarer, aber hinreichend risikosensitiv zu gestalten. All das wird aber nur zu erreichen sein, wenn alle Seiten kompromissbereit sind. Wir stehen in einem engen Austausch mit allen Parteien, auch mit der Finanzwirtschaft. Wir sind auf gutem Wege.

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