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Erscheinung:03.11.2014 Finanzinstrumente: Vertriebsvorgaben für Wertpapierdienstleistungsunternehmen

Das Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz von 2011 hat zwei wesentliche Änderungen bei den Wohlverhaltenspflichten mit sich gebracht, die unmittelbar den Vertrieb von Finanzinstrumenten betreffen. Sie sind in Abschnitt 6 des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) niedergelegt.

Zum einen hat der Gesetzgeber erstmalig den Begriff „Vertriebsvorgaben“ legal definiert. Nach § 33 Absatz 1 Satz 2 Nr. 3a WpHG sind Vertriebsvorgaben „Grundsätze und Ziele, die den Umsatz, das Volumen oder den Ertrag der im Rahmen der Anlageberatung empfohlenen Geschäfte unmittelbar oder mittelbar betreffen“. Zum anderen wird den Wertpapierdienstleistungsunternehmen mit gleicher Norm eine weitere Organisationspflicht auferlegt. Sie müssen Vertriebsvorgaben demnach „derart ausgestalten, umsetzen und überwachen, dass Kundeninteressen nicht beeinträchtigt werden“.

Die Steuerungsmaßnahmen für den Vertrieb von Finanzinstrumenten sind dadurch stärker in den Fokus der Aufsicht gerückt. Obwohl die Norm bereits vor einiger Zeit in Kraft getreten ist, bereitet der Umgang mit ihr in der Praxis noch Schwierigkeiten. Der vorliegende Beitrag will darum mehr Klarheit schaffen.

Potenzieller Interessenkonflikt

Hintergrund für die Einführung der gesetzlichen Regelung war, dass sich die Wertpapierdienstleistungsunternehmen zunehmend dem Spagat ausgesetzt sehen, sowohl zum Wohle der Kunden zu handeln als auch dem Interesse des Unternehmens an der Gewinnerzielung und -maximierung gerecht zu werden. Stellt ein Unternehmen die Interessen seiner Kunden nicht in den Mittelpunkt, drohen Kundenabgänge und aufsichtsrechtliche Konsequenzen. Auf der anderen Seite muss das Unternehmen möglichst profitabel sein, um am Markt zu bestehen.

Um die Profitabilität zu steigern und die Entwicklung des Unternehmens zu steuern, schaffen Unternehmen beispielsweise Systeme, die Mitarbeitern Anreize für eine gute Aufgabenerfüllung bieten, etwa in Form eines Bonus. Die Unternehmen versuchen zudem, mittels Zielvereinbarungen für einzelne Mitarbeiter oder Zweigstellen den Vertrieb zu lenken, um die von der Unternehmensführung gesetzten finanziellen Ziele zu erreichen. Derartige Vorgaben und Maßnahmen bergen jedoch die Gefahr, dass auf dem Weg zur Erreichung des festgesetzten Ziels die Interessen der Kunden in den Hintergrund treten.

Zwar erlegte § 31 Absatz 1 Nr. 1 WpHG den Unternehmen bereits vor Inkrafttreten des Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetzes die Pflicht auf, Wertpapierdienstleistungen und -nebendienstleistungen „mit der erforderlichen Sachkenntnis, Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit im Interesse seiner Kunden zu erbringen“. Der Gesetzgeber hielt es jedoch für erforderlich, diese Pflicht für die Anlageberatung zu konkretisieren, um die Kundeninteressen neben den für den Vertrieb notwendigen Vorgaben stärker in den Blick zu rücken und somit ein Gleichgewicht zwischen beiden Positionen herzustellen.

Anwendungsbereich

Der neue § 33 Absatz 1 Satz 2 Nr. 3a WpHG gab den Steuerungsmaßnahmen für die Vertriebspraxis erstmals einen Namen: Vertriebsvorgaben. In der Folge zeigte sich jedoch, dass vielen Unternehmen nicht klar ist, welche innerbetrieblichen Vorgaben tatsächlich von dem Begriff erfasst werden. Geht es allein um interne Regelungen, die als Zielvorgabe für den Vertrieb von Finanzinstrumenten ein festes Zahlenwerk vorsehen? Oder reicht es schon aus, wenn für die Anlageberater des Instituts nur ausgewählte Produkte zur Verfügung gestellt werden, etwa in Form einer „Empfehlungsliste“ oder als „Hausmeinung“? Auch derartigen Produktbeschränkungen könnten Vorgaben zugrunde liegen, die Einfluss auf den Umsatz, den Ertrag oder das Volumen haben.

Nach § 33 Absatz 1 Satz 2 Nr. 3a WpHG umfasst der Begriff „Vertriebsvorgaben“ alle „Grundsätze oder Ziele“, die „unmittelbar oder mittelbar“ den Ertrag, das Volumen oder den Umsatz von Geschäften betreffen, die im Rahmen der Anlageberatung empfohlen werden. Vorgaben zu finanziellen Zielen in diesem Segment, insbesondere in Form von Zahlen, fallen daher schon nach dem Wortlaut in den Anwendungsbereich der Norm. Der Gesetzesbegründung lässt sich entnehmen, dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich bewusst sehr weit gefasst hat und umfassend verstanden wissen will: Möglichst alle Vertriebsmodelle, die es im Markt gibt und die Einfluss auf die Kundeninteressen haben könnten, sind demnach Vertriebsvorgaben.

Entsprechend sieht die BaFin auch diejenigen Maßnahmen als Vertriebsvorgaben an, die lediglich eine mittelbare Beziehung zu den Geschäften aufweisen, die Anlageberater empfehlen. Folglich ist es für sie unerheblich, ob sich die Ziele des Wertpapierdienstleistungsunternehmens auf die konkreten Geschäfte auswirken können, die der Anlageberater empfiehlt.

Hausmeinung

Manche Unternehmen erteilen ihren Mitarbeitern nur für ausgewählte Finanzinstrumente die Erlaubnis, Anlageempfehlungen auszusprechen. Sie schaffen also ein „Produktuniversum“ oder eine „Hausmeinung“. Dient die Produktbeschränkung allein dazu, die Qualität der Anlageberatung zu sichern, indem etwa die Mitarbeiter zu den ausgewählten Produkten gezielt geschult und nur für diese Produkte ein Research durchgeführt wird, so stellt die Maßnahme aus Sicht der BaFin grundsätzlich keine Vertriebsvorgabe dar. Kundeninteressen werden hier nicht durch das Streben nach Gewinnmaximierung tangiert, so dass die Ziele des Gesetzgebers gewahrt bleiben.

Dient die Auswahl von Produkten dagegen nicht ausschließlich der Qualitätsverbesserung der Beratung, sondern etwa auch dazu, die finanziellen Einnahmen zu erhöhen, so handelt es sich um eine Vertriebsvorgabe. Dann spielen Erwägungen zum Umsatz, Volumen oder Ertrag der Geschäfte, die im Rahmen der Anlageberatung empfohlen werden, eine Rolle. Eine interne Anweisung dürfte beispielsweise dann nicht allein der Qualitätssicherung der Anlageberatung dienen, wenn bei der Produktauswahl für das „Produktuniversum“ oder die „Hausmeinung“ auch das mögliche Absatzvolumen als Parameter herangezogen wird. In diesem Fall spielen Ertragsaspekte eine Rolle. Gleiches gilt, wenn speziell Produkte mit erhöhter Marge ausgewählt werden.

Vergütungsmodell

Auch das Vergütungsmodell eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens kann Umsatz, Ertrag oder Volumen der Geschäfte beeinflussen, die bei der Anlageberatung empfohlen werden. Sieht das Vergütungsmodell beispielsweise vor, das Grundgehalt eines Anlageberaters spürbar zu kürzen, wenn er die vorgegebenen Verkaufsziele – ein rein quantitatives Kriterium – verfehlt, so besteht die Gefahr, dass der Berater auch ungeeignete Finanzinstrumente empfiehlt, um eine höhere Vergütung zu erzielen.

Wegen seiner zumindest mittelbaren Einflussnahme auf die genannten Parameter ist ein solches Vergütungsmodell als Vertriebsvorgabe zu werten. Hinzu kommt, dass es nicht den Mindestanforderungen an die Compliance-Funktion und die weiteren Verhaltens-, Organisations- und Transparenzpflichten nach §§ 31 ff. WpHG (MaComp) an Vergütungssysteme im Zusammenhang mit der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen und -nebendienstleistungen entspricht (MaComp BT 8.3.3).

Negative Konnotationen?

Welche Konsequenzen ergeben sich daraus, dass interne Maßnahmen eines Unternehmens als Vertriebsvorgabe zu qualifizieren sind? Einige Institute haben gegenüber der BaFin die Sorge geäußert, dass der Begriff „Vertriebsvorgabe“ negative Konnotationen hervorrufen könnte – etwa die, dass ein Unternehmen, das mit Vertriebsvorgaben agiere, Druck auf seine Mitarbeiter ausübe.

Diese Sorge ist jedoch unbegründet. Da der Begriff sehr weit gefasst ist, dürften nahezu alle Wertpapierdienstleistungsunternehmen bei der Anlageberatung mit Vertriebsvorgaben im gesetzlich definierten Sinn arbeiten. Zu einem negativen Alleinstellungsmerkmal oder gar einer Stigmatisierung einzelner Unternehmen kommt es daher nicht.

Ferner hat der Gesetzgeber die Einstufung als Vertriebsvorgabe gerade nicht davon abhängig gemacht, ob durch die Regelung im jeweiligen Unternehmen Vertriebsdruck aufkommen kann. Dies zeigt deutlich, dass Vertriebsvorgaben nicht unerwünscht sind oder unterbunden werden sollen. Auch enthält der Rechtsbegriff an sich keine Wertung.

Organisations- und Dokumentationspflicht

Dass die Besorgnis einer negativen Konnotation unbegründet ist, zeigt nicht zuletzt die Tatsache, dass aus der Einordnung einer Maßnahme als Vertriebsvorgabe „lediglich“ eine Organisationspflicht resultiert: Die Maßnahme ist derart auszugestalten, umzusetzen und zu überwachen, dass keine Kundeninteressen tangiert werden.

Ferner schreibt § 14 Absatz 3a der Wertpapierdienstleistungs-Verhaltens- und Organisationsverordnung (WpDVerOV) vor, dass sowohl die Vertriebsvorgaben selbst aufzuzeichnen sind als auch die Maßnahmen zu deren Umsetzung und Überwachung, die Erfüllung der Vertriebsvorgaben, die Kriterien zur Überprüfung der Vereinbarkeit der Vertriebsvorgaben mit den Kundeninteressen sowie die Ergebnisse dieser Überprüfung. Diese Dokumentationspflicht gab es vor Inkrafttreten des Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetzes nicht.

Neue europäische Vorgaben

Die neue europäische Finanzmarktrichtlinie MiFID II (Markets in Financial Instruments Directive) enthält zwar keine unmittelbaren Vorgaben für den Vertrieb. Einige der Regelungen dürften den Vertrieb jedoch zumindest mittelbar tangieren.

So soll es den Wertpapierdienstleistungsunternehmen nach Artikel 24 Absatz 7b der MiFID II künftig untersagt sein, monetäre oder größere nicht-monetäre Zuwendungen von Dritten für die unabhängige Anlageberatung anzunehmen. Kleinere nicht-monetäre Zuwendungen, die geeignet sind, die Qualität der Dienstleistung zu verbessern, sind gegenüber Kunden offen zu legen. Gleiches soll für Portfoliomanagement-Dienstleistungen gelten (Artikel 24 Absatz 8). In Deutschland unterliegen Wertpapierdienstleistungsunternehmen zwar schon jetzt durch § 31d WpHG einer ähnlichen Regelung. Neu ist, dass der Umfang der Zuwendungen in diesen Fällen künftig begrenzt ist.

Noch bedeutender könnte jedoch für die Unternehmen sein, dass sie nach Artikel 24 Absatz 2 künftig für den Vertrieb von Finanzinstrumenten einen Zielmarkt von Endkunden festlegen müssen. Zudem werden sie dafür zu sorgen haben, dass „die Strategie für den Vertrieb der Finanzinstrumente mit dem bestimmten Zielmarkt vereinbar ist“ und das Produkt entsprechend vertrieben wird. Auch sollen die Wertpapierdienstleistungsunternehmen die Instrumente, die sie anbieten oder vermarkten, regelmäßig überprüfen und beurteilen, ob die Vertriebsstrategie nach wie vor geeignet ist (Artikel 16 Absatz 3).

Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA (European Securities and Markets Authority) wird die Vorgaben der MiFID II durch Technische Regulierungs- und Durchführungsstandards konkretisieren.

Hinweis

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Autor: Kerstin Rüsche, BaFin

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