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Erscheinung:01.04.2014 Solvency II: Langfristige Kapitalanlagen in der Standardformel

Unter dem künftigen europäischen Aufsichtsregime Solvency II werden Versicherungsunternehmen ihre Kapitalanlagen stärker risikoadäquat als bisher mit Eigenmitteln unterlegen müssen. Die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung EIOPA (European Insurance and Occupational Pensions Authority) hat daher im Auftrag der EU-Kommission einen Bericht zu den Eigenmittelanforderungen erarbeitet, die die Standardformel vorsieht.

Standardformel

Die Versicherer müssen unter Solvency II selbst berechnen, wie hoch ihre Solvenzkapitalanforderung (Solvency Capital RequirementSCR) ist, also ihr Eigenmittelbedarf.

Solvency II - Eigenmittelbedarf nach der Standardformel

Eigenmittelbedarf nach der Standardformel EIOPA; BaFin Solvency II - Eigenmittelbedarf nach der Standardformel

Nutzen sie für diese Berechnung kein individuell entwickeltes internes Modell, haben sie die Standardformel zu verwenden. Diese berücksichtigt sowohl versicherungstypspezifische als auch operationelle Risiken (siehe Grafik; Grafik als PDF-Datei).

Hierzu überprüfte EIOPA, inwiefern die Anforderungen für folgende Kapitalanlagen angemessen sind:

  • Investitionen in kleine und mittlere Unternehmen als Eigen- oder Fremdkapital,
  • Investitionen in Infrastruktur als Eigen- oder Fremdkapital,
  • nachhaltige Kapitalanlagen und Investitionen in Sozialunternehmen als Eigen- oder Fremdkapital sowie
  • Verbriefungen, die sich auf diese drei Anlageklassen beziehen.

EIOPA kommt in dem Bericht bei fast allen untersuchten Kapitalanlagen zu dem Ergebnis, dass die bisher vorgesehenen Eigenmittelanforderungen angemessen sind oder aber keine Daten zur Verfügung stehen, die geänderte Anforderungen rechtfertigen könnten. Lediglich für Verbriefungen hat EIOPA die Berechnungsvorgaben für die Eigenmittelunterlegung vollständig überarbeitet. Für risikoärmere Produkte schlägt EIOPA eine geringere Eigenmittelunterlegung vor als bisher vorgesehen.

Weder zu viel noch zu wenig Eigenmittel

Unter Solvency II wird EIOPA in erster Linie darauf achten müssen, dass die Eigenmittelanforderungen nicht zu niedrig sind, denn vorrangiges Ziel der Regulierung und Beaufsichtigung des Versicherungsgewerbes ist ein angemessener Schutz der Versicherungsnehmer und Anspruchsberechtigten. Die Eigenmittelunterlegung dient daher vor allem dazu, diesen Gruppen zu gewährleisten, dass Zahlungen bei Fälligkeit geleistet werden können. Die Solvency-II-Richtlinie gibt vor, dass die Anforderungen der Standardformel so festgelegt werden, dass ein Versicherer mit einer Wahrscheinlichkeit von höchstens 0,5 Prozent im Laufe des folgenden Jahres insolvent wird. Wird die Standardformel geändert, darf dieses Sicherheitsniveau dadurch nicht sinken. Einzelne Kapitalanlagen sollten daher bei den Eigenmittelanforderungen unter Solvency II nicht aus wirtschaftspolitischen Gründen und ohne fundierte risikotheoretische Rechtfertigung privilegiert werden.

Auf der anderen Seite wären aber übertrieben vorsichtige Eigenmittelanforderungen unangemessen – nicht nur aus Sicht des einzelnen Versicherers, sondern auch für die Gesamtwirtschaft. Die Versicherungsbranche der EU ist mit einem Anlagevolumen von mehr als 5 Billionen Euro ein wichtiger Investor. Die Entscheidung eines Versicherers für ein bestimmtes Investment wird auch von der Höhe der Eigenmittel beeinflusst, die er dafür stellen muss. Zu hohe Eigenmittelanforderungen an Versicherer könnten somit Investitionen unnötig erschweren, die gesamtwirtschaftlich sinnvoll wären.

Voraussetzung für eine Änderung der Eigenmittelanforderungen sind verlässliche Daten, um das Risiko bestimmen zu können. Deshalb hat EIOPA geprüft, inwieweit für Änderungen an der Standardformel relevante Daten überhaupt verfügbar sind.

Die Möglichkeiten, die Standardformel zu ändern, sind zudem dadurch begrenzt, dass sie nicht noch komplexer werden sollte. Viele kleine und mittlere Unternehmen haben die Berechnungen bereits bei der fünften Auswirkungsstudie (Quantitative Impact Study 5 – QIS 5) als zu komplex angesehen.

Bestimmung des Risikos

Als Risiko einer Kapitalanlage wird unter Solvency II das Risiko verstanden, dass sich der Marktwert vermindert. Für die Bestimmung dieser Risiken sind deshalb Daten von Bedeutung, aus denen die Veränderung von Marktwerten abgelesen werden kann. Bei Wertpapieren, die an der Börse gehandelt werden, stehen hierfür Börsenkurse als Zeitreihen zur Verfügung.

Die von EIOPA untersuchten Anlagen sind jedoch überwiegend nicht börsengehandelt, was die Ermittlung von deren Marktwerten deutlich erschwert. Um möglichst umfassende Informationen über die relevanten Kapitalanlagen zu erhalten, konsultierte die Behörde daher zahlreiche Experten aus Wissenschaft und Praxis, darunter Vertreter der Europäischen Zentralbank, von Instituten, Verbänden und Rating-Agenturen.

Unzureichende Datenbasis

Anfang April 2013 stellte EIOPA ein ausführliches Diskussionspapier mit vorläufigen Ergebnissen zur Konsultation. Es umfasste auch zahlreiche Fragen zu möglichen Datenquellen für einzelne Kapitalanlagen, da das Fehlen von Daten aus den genannten Gründen die Untersuchung der meisten Anlageklassen beeinträchtigte.

Einige Eingaben zu dem Diskussionspapier enthielten auch Vorschläge dazu, wie das Problem gelöst werden könnte. So wurde beispielsweise angeregt, dass die Eigenmittelanforderungen für Investitionen in das Eigenkapital nicht börsennotierter Unternehmen mit Hilfe von Änderungen der Nettovermögenswerte dieser Unternehmen bestimmt werden könnten.

EIOPA bewertete jedoch alle Vorschläge als unbrauchbar, in erster Linie, weil die Veränderung von Marktwerten zu ungenau wiedergegeben werde. Beispielsweise unterlägen Nettovermögenswerte meist weniger starken beobachtbaren Schwankungen als Marktwerte. Deshalb werde das tatsächliche und in der Standardformel zu berücksichtigende Risiko der Veränderung von Marktwerten unterschätzt, wenn man ausschließlich Nettovermögenswerte für die Risikomessung verwendet.

Infrastrukturprojekte

Für Fremdkapitalinvestitionen in Infrastrukturprojekte ohne Rating, bei denen die Rückzahlungen an die Projektgesellschaft nur davon abhängen, ob die Infrastruktur bereitgestellt wird – nicht aber davon, wie stark sie genutzt wird –, stehen zwar keine Marktdaten zur Verfügung, aus denen das Spreadrisiko abgeleitet werden könnte, also das Risiko, dass sich die Risikoabschläge im Preis einer Kapitalanlage erhöhen. Es gibt dazu aber qualitative Untersuchungen. Eine Studie der Ratingagentur Moody’s1 kommt zum Beispiel zu dem Ergebnis, dass solche Anlagen ein ähnliches Kreditrisiko aufweisen wie Unternehmensanleihen mit einem Baa-Rating, was voraussichtlich der Kreditqualitätsstufe 3 im Sinne von Solvency II entspricht. Dies deutet darauf hin, dass solche Anlagen wie Unternehmensanleihen dieser Bonität behandelt werden könnten. Im Ergebnis würde sich dann beispielsweise das Spreadrisiko für eine Anlage mit einer Dauer2 von zehn Jahren von 23,4 auf 20 Prozent vermindern.

Es erschien EIOPA zwar denkbar, die Eigenmittelanforderungen bei dieser Anlageklasse geringfügig zu ändern. Dennoch hat EIOPA der Kommission dies nicht vorgeschlagen, da der Aufwand gegenüber dem Nutzen unangemessen hoch wäre: Einer nur geringfügig genaueren Kapitalunterlegung für diese sehr kleine Anlageklasse stünden die komplexere Berechnung der Standardformel und zusätzliche Prüfungen der Versicherer und der Aufsichtsbehörden gegenüber, ob eine Kapitalanlage die Kriterien für risikoarme Infrastrukturanlagen erfüllt.

Verbriefungen

Bei Verbriefungen kam EIOPA zu dem Ergebnis, dass die Eigenmittelanforderungen für einen Teil dieser Anlagen gesenkt werden sollten. Die Überprüfung der vorgesehenen Eigenmittelunterlegung gestaltete sich hier aufgrund der besseren Datenlage deutlich einfacher. EIOPA betrachtete dabei die Eigenmittelanforderungen für sämtliche Verbriefungen, also nicht nur die, die die Kommission genannt hatte.

Bisher ist vorgesehen, die Eigenmittelunterlegung nur in Abhängigkeit vom Rating und der Dauer einer Verbriefung zu bestimmen. Ausgangspunkt der Untersuchungen war die Frage, ob dies ausreicht. Betrachtet man zum Beispiel Verbriefungen privater Hypothekendarlehen (Residential Mortgage-Backed Securities – RMBS), so zeigen sich ganz erhebliche Unterschiede beim Risiko, beispielsweise zwischen amerikanischen Subprime-RMBS, die während der Subprime-Krise teilweise erheblich an Wert verloren haben, und europäischen RMBS mit gleichem Rating, deren Wert vergleichsweise stabil geblieben ist. Dieses Beispiel zeigt zugleich, dass es auch nicht ausreicht, nach der Art der verbrieften Forderung zu unterscheiden, denn in beiden Fällen handelt es sich um private Hypothekendarlehen, die verbrieft wurden.

Um weniger risikoreiche Verbriefungen identifizieren zu können, hat EIOPA eine Liste von 15 Kriterien entwickelt, die gemäß dem Änderungsvorschlag von EIOPA nach einer Übergangsfrist erfüllt sein müssen, damit die Tranche einer Verbriefung als hochwertig im Sinne der Vorschriften zur Standardformel für die Eigenmittelunterlegung anzusehen ist. Dabei griff EIOPA in erster Linie auf Kriterien zurück, die die Europäische Zentralbank verwendet, um zu entscheiden, ob sie die Tranche einer Verbriefung als Sicherheit akzeptiert. Hinzu kommen Kriterien, die Ratingagenturen oder Marktteilnehmer entwickelt haben. Bei der Auswahl der Kriterien kam es zum einen darauf an, hochwertige Verbriefungen effektiv von den übrigen Verbriefungen zu unterscheiden, zum anderen darauf, dass sowohl die Versicherungsunternehmen als auch die Aufsichtsbehörden sie ohne größeren Aufwand überprüfen können. Die Feststellung, ob ein Kriterium erfüllt ist, muss zudem möglichst frei von Interpretationsmöglichkeiten sein.

Die Werte für Verbriefungen, die die Kriterien erfüllen, sind gegenüber der bisher vorgesehenen Eigenmittelunterlegung deutlich geringer. Für die übrigen Verbriefungen mit sehr gutem Rating sind sie höher als ursprünglich geplant.

Hinweis

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Fußnoten

  1. 1 Moody's Investors Service (2013): Default and Recovery Rates for Project Finance Bank Loans, 1983-2011.
  2. 2 Modifizierte Duration.
Autor: Roland Limp, BaFin

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