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Erscheinung:03.07.2013 08:32 Uhr Manipulation von Referenzzinssätzen: Regulierung und Suche nach Alternativen

Die Manipulation des Referenzzinssatzes LIBOR (London Offered Interbank Rate) hat dem Vertrauen in das Bankensystem immens geschadet. Standardsetzer und Aufseher haben daraufhin verschiedene Neuregelungen angestoßen.

So wird der Referenzzinssatz Euribor (Euro Interbank Offered Rate), der ähnlich berechnet wird wie der LIBOR und daher ebenfalls anfällig für Manipulationen ist, künftig nur noch für die gängigsten Laufzeiten ermittelt. Dies geht auf Empfehlungen zurück, die die Europäische Bankenaufsichtsbehörde EBA (European Banking Authority) und die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA (European Securities and Markets Authority) im Januar 2013 an den Europäischen Bankenverband EBF (European Banking Federation) richteten (siehe BaFinJournal, Ausgabe Februar 2012). Seit dem 1. Juni 2013 ist außerdem die Teilnahme von Banken an der Ermittlung des Referenzzinssatzes EONIA (Euro Overnight Index Average) nicht mehr von einer Teilnahme an der Ermittlung des Euribor abhängig. EBA und ESMA gaben Anfang des Jahres auch Empfehlungen an die nationalen Bankenaufsichtsbehörden heraus. Sie betreffen die Aufsicht über Kreditinstitute, die im Euribor-Panel vertreten sind, und entsprechen weitgehend den deutschen Mindestanforderungen an das Risikomanagement der Banken (MaRisk).

Prinzipien für die Ermittlung von Referenzgrößen

Anfang Juni veröffentlichten die beiden europäischen Aufsichtsbehörden zudem Prinzipien für die Ermittlung von Referenzgrößen, die für Banken und Versicherer verbindlich sind. Ziel ist es, die Referenzgrößen weniger anfällig für Manipulationen, aussagekräftiger und transparenter zu machen. Die Prinzipien regeln den gesamten Prozess von der Lieferung der Daten bis hin zu deren Veröffentlichung und Nutzung der Referenzgrößen. Sie gelten nicht nur für Interbankenzinssätze, sondern auch für Indizes und Preise anderer Produkte wie Aktien, Rohstoffe, Währungen und Derivate. Die Referenzgrößen sollen demnach möglichst aus Geschäften abgeleitet werden, die tatsächlich getätigt wurden. Die Europäische Kommission plant zudem, die Manipulation von Benchmarks über eine Ergänzung der Marktmissbrauchsrichtlinie unter Strafe zu stellen. Außerdem will sie einen Vorschlag zur Regulierung von Referenzgrößen vorlegen.

Auf globaler Ebene erarbeitet – analog zu EBA und ESMA – derzeit auch die Internationale Vereinigung der Wertpapieraufsichtsbehörden IOSCO (International Organization of Securities Commissions) Prinzipien für die Prozesse rund um Referenzgrößen. Die Arbeiten stehen kurz vor dem Abschluss. Die Referenzzinssätze sind zudem Thema beim Finanzstabilitätsrat FSB (Financial Stability Board). Er hat angekündigt, dazu eine Arbeitsgruppe zu gründen, die unter anderem sicherstellen soll, dass neu entwickelte Benchmarks internationalen Standards entsprechen.

Interview mit Dr. Elke König

BaFin-Präsidentin: „Euribor und LIBOR ersetzen“

Frau Dr. König, was halten Sie von den Ansätzen der europäischen und globalen Behörden und Gremien zur Regulierung der Referenzzinssätze?

Was bisher getan und angestoßen wurde, ist im Großen und Ganzen richtig. Aber es genügt nicht, die Regeln für Euribor und LIBOR zu überarbeiten. Unser finales Ziel muss sein, Alternativen für diese Referenzzinssätze zu finden. Das globale Finanzsystem kann es sich nicht leisten, mit Referenzgrößen zu arbeiten, die zu großen Teilen auf Schätzungen basieren. Das ist eine konzeptionelle Schwachstelle, die auch mit noch so guter Governance nicht zu beheben ist.

Warum ersetzt man sie dann nicht gleich? Wozu der mühsame Umweg über neue Regularien für die alten Systeme?

Natürlich wäre das auch mir lieber. Aber Euribor und LIBOR sind nun mal sehr große und wichtige Referenzgrößen, auf denen viele Produkte basieren. Wir können diese Benchmarks nicht von jetzt auf gleich abschaffen, sondern müssen für einen geordneten Übergang sorgen. Das ist nicht ganz einfach. Aber es geht voran: Die Suche nach geeigneten Alternativen hat bereits begonnen, also nach Referenzgrößen, die direkt auf getätigten und beobachtbaren Geschäften in liquiden Märkten basieren. Wir werden dieses Thema weiter vorantreiben. Eines muss aber klar sein: Es ist in erster Linie Aufgabe der Privatwirtschaft, dafür zu sorgen, dass das Kapitel Euribor/LIBOR so bald wie möglich der Vergangenheit angehört. Denn wer heute Verträge abschließt, die auf LIBOR, Euribor oder vergleichbaren Benchmarks beruhen, tut dies im Wissen um die Schwachstellen.

Und die Referenzgröße EONIA? Sie ist ja ein wichtiges Maß für den Preis sehr kurzfristiger, unbesicherter Geldmarktgeschäfte.

Nein, der EONIA ist nicht Teil des Problems. Es gibt hier einen entscheidenden Unterschied: Der EONIA wird von der Europäischen Zentralbank berechnet, und zwar auf Basis tatsächlich getätigter Interbankengeschäfte. Das ist bei Euribor und LIBOR nicht der Fall. Allerdings konnten bisher nur Banken an EONIA teilnehmen, die auch am Euribor mitwirken. Das war aus unserer Sicht mehr als unglücklich. Wir haben uns darum dafür stark gemacht, die beiden Panels zu trennen. Das hat der Europäische Bankenverband EBF Ende Mai erfreulicherweise aufgegriffen.

Eingangs sagten Sie, Sie seien mit den regulatorischen Schritten „im Großen und Ganzen“ einverstanden. Woran hapert es aus Ihrer Sicht?

„Hapern“ ist nicht ganz das richtige Wort. Es geht eher um Details, wenn auch sehr wichtige. Die Empfehlungen von EBA und ESMA zum Risikomanagement entsprechen dem, was wir ohnehin von den Banken verlangen. Allerdings vertreten wir – anders als die EBA – die Ansicht, dass es allein Sache der einzelnen Bank ist, ob sie an der Ermittlung einer privatwirtschaftlichen Referenzgröße mitwirken will. Wir werden kein Institut dazu drängen.

Ich begrüße auch die Prinzipien von EBA und ESMA für die Ermittlung von Referenzgrößen. Sie sind ein wichtiger Schritt in eine Richtung, die die BaFin von Anfang an einschlagen wollte, nämlich hin zu Referenzgrößen, die sich auf tatsächlich abgeschlossene Geschäfte gründen. Bei dem Thema sehe ich ganz klar auch die Privatwirtschaft in der Verantwortung. Das große Aber: Nur Banken und Versicherer müssen sich an diese Prinzipien halten. Wir Aufseher können somit an Bankenverbände, Börsen und andere Akteure lediglich appellieren, sie ebenfalls zu berücksichtigen. Für mehr fehlen in der EU derzeit noch die gesetzlichen Grundlagen. Das könnte sich bald ändern: Die Kommission hat bereits vorgeschlagen, die Manipulation von Benchmarks über die Marktmissbrauchsrichtlinie unter Strafe zu stellen, und sie wird einen Regulierungsentwurf für Referenzgrößen vorlegen. Natürlich werden wir darauf achten, dass die Regulierungsintensität stimmt und dass die Aufgaben zwischen nationalen und europäischen Institutionen sinnvoll verteilt sind.

Auch auf globaler Ebene tut sich etwas: Der Finanzstabilitätsrat FSB wird untersuchen, ob und welche Alternativen für LIBOR und Euribor in Frage kommen. Ist das also ganz in Ihrem Sinne?

Grundsätzlich ja. Ich bin froh, dass wir die anderen FSB-Mitglieder davon überzeugen konnten, nicht vor progressiven Ideen zurückzuscheuen. Es ist auch richtig, dass die Privatwirtschaft hier mit im Boot ist. Letztlich ist es ihre Aufgabe, tragfähige Alternativen zu problematischen Benchmarks und auch Übergangsregelungen zu entwickeln. Das FSB wird diese Arbeiten begleiten und insbesondere die Qualität der Benchmarks, die Governance und die Prozesse kritisch hinterfragen. Eine welke Pflanze wird nicht dadurch gesund, dass man einzelne Blätter kuriert. Wir müssen das Problem an der Wurzel packen.

Parallel dazu untersucht die BaFin, ob es auch bei deutschen Panelteilnehmern Unregelmäßigkeiten gab. Ist an dieser Befürchtung etwas dran?

Wir haben bereits im vergangenen Jahr begonnen, uns die Abläufe bei den Instituten genau anzuschauen, die in den LIBOR- und Euribor-Panels mitwirken, und wir führen auch Sonderprüfungen durch. Dieser Prozess braucht seine Zeit. Schließlich sind die Sachverhalte sehr komplex – sie haben sich über viele Jahre entwickelt und betreffen teilweise mehrere Standorte eines Instituts. Endgültige Ergebnisse gibt es darum noch nicht. Es sieht momentan aber nicht so aus, als hätten sich deutsche Institute systematisch kriminell verhalten. Vielmehr scheint es so zu sein, dass einzelne Händler versucht haben, die Schwächen von Sätzen wie LIBOR und Euribor zu ihrem eigenen Vorteil auszunutzen. Denn schon eine kleine Veränderung eines Referenzzinssatzes kann bei einem großen Derivateportfolio beträchtliche Gewinne einbringen. Die fehlenden Risikoprozesse in den Instituten haben dies im Einzelfall erleichtert.

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