Erscheinung:02.11.2012 00:00 Uhr
10 Jahre Versicherungsaufsicht in der BaFin
Die Gründung der BaFin am 1. Mai 2002 durch Verschmelzung der Aufsichtsämter für das Kreditwesen, den Wertpapierhandel und das Versicherungswesen fiel in eine Zeit, in der ein schwieriges Marktumfeld alle Aufmerksamkeit gerade auch der Versicherungsaufsicht verlangte.
Der vorliegende Beitrag fasst die wesentlichen Herausforderungen der vergangenen zehn Jahre zusammen und beschreibt, wie sie die Arbeit der Versicherungsaufsicht geprägt haben. So musste die BaFin von Beginn an neue Instrumentarien entwickeln, um die Aufsicht risikoorientierter und effektiver zu gestalten. Sie profitierte dabei von der neuen Struktur einer Allfinanzaufsicht, die den Austausch von Informationen und Methoden zwischen den Aufsichtsbereichen erleichterte. Zudem passte die nationale und europäische Politik die gesetzlichen Rahmenbedingungen in den vergangenen zehn Jahren immer wieder an. Die Aufgaben der BaFin sind dadurch stetig gewachsen und deutlich komplexer geworden.
Dotcom-Blase und 11. September 2001
Bereits 2001 hatte sich mit Platzen der Dotcom-Blase, einer Spekulationsblase der „New Economy“, eine weltweite Rezession abgezeichnet. Dann, am 11. September 2001, verursachten die Terroranschläge in den USA weltweite Turbulenzen an den Börsen. Der zuvor boomende „Neue Markt“ verzeichnete dramatische Einbrüche.
Auch der Deutsche Aktienindex (DAX) erlebte eine ausgeprägte Baisse. Stand der DAX noch im März 2000 bei über 8.000 Punkten auf einem historischen Höchststand, verfielen die Aktienkurse in den folgenden Jahren rasant. Seinen Tiefstand erreichte der DAX im März 2003, als er bei weniger als 2.300 Punkten notierte.
Schieflage der Mannheimer Lebensversicherung AG
Diese dramatische Entwicklung traf insbesondere einige Lebensversicherer hart. Sie hatten ihren Aktienanteil an den Kapitalanlagen – sowohl als Direktbesitz als auch indirekt über Investmentfonds – seit Mitte der 1990er Jahre im Zuge der Aktienhausse deutlich erhöht. Für diese Unternehmen waren die Folgen des Kursrückgangs außerordentlich belastend.
Am stärksten betroffen war die Mannheimer Lebensversicherung AG. Sie geriet 2003 als erste deutsche Lebensversicherung der Nachkriegszeit in existenzbedrohende finanzielle Schwierigkeiten, weil sie ihr Risiko aus Aktienverlusten nur unzureichend begrenzt hatte. Die hohen stillen Lasten des Versicherers führten dazu, dass die versicherungstechnischen Verpflichtungen nicht mehr ausreichend mit zu Zeitwerten bewerteten qualifizierten Kapitalanlagen bedeckt werden konnten.
Gründung der Protektor Lebensversicherungs-AG
Da weder die Mannheimer AG Holding in der Lage war, die benötigten finanziellen Mittel für ihre Tochtergesellschaft bereitzustellen, noch ein starker Investor gefunden werden konnte, musste die BaFin die Mannheimer Lebensversicherung AG 2003 auffordern, ihren Versicherungsbestand auf die neu gegründete Auffanggesellschaft Protektor Lebensversicherungs-AG zu übertragen. Diese Auffanggesellschaft für die Lebensversicherungsbranche war bereits im August 2002 in enger Abstimmung zwischen der BaFin und dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) als Reaktion auf die angespannte Situation in der Lebensversicherungsbranche vorsorglich initiiert worden. Im Dezember 2002 wurde Protektor dann zum Geschäftsbetrieb zugelassen.1)
Finanzierung durch Lebensversicherer
Die Aktionäre von Protektor, also die im GDV organisierten Lebensversicherer, zahlten die Mittel, die zur Sanierung der Versicherungsverträge der Mannheimer Lebensversicherung AG erforderlich waren, in die Kapitalrücklage oder in anderer Form als Eigenmittel ein. So konnten alle Versicherungsverträge übertragen und die Ansprüche gesichert werden. Anders als bei den Banken sah und sieht die Sicherungseinrichtung für Lebensversicherungen die Sanierung insolventer Versicherer selbst nicht vor.
Parallel zu den Entwicklungen im Lebensversicherungsbereich wurde im Juli 2003 auch für die privaten Krankenversicherungen eine Auffanggesellschaft gegründet, die Medicator AG. Sollte ein privater Krankenversicherer in eine finanzielle Notlage geraten oder in die Insolvenz gehen, wird Medicator für die Fortführung der Versicherungsverträge sorgen. Die Medicator AG hat ihren Sitz in Köln und verfügt über ein Haftungskapital von 1 Mrd. Euro. Alleiniger Aktionär der Gesellschaft ist der Verband der privaten Krankenversicherung e.V. (PKV-Verband).
Neue Bewertungsvorschriften für Kapitalanlagen
Eine weitere Maßnahme zur Milderung der Folgen der Aktienkrise war eine Änderung der Bewertungsvorschriften für die Kapitalanlagen der Versicherer. Ursprünglich sahen die gesetzlichen Regelungen vor, dass Versicher sämtliche Wertpapiere wie Umlaufvermögen zu bilanzieren hatten, also nach dem strengen Niederstwertprinzip. Ab März 2002 erhielten sie über die Änderung des § 341b Absatz 2 Handelsgesetzbuch die Möglichkeit, Wertpapiere, die zu Anschaffungskosten ausgewiesen sind und dauerhaft dem Geschäftsbetrieb dienen sollen, dem Anlagevermögen zuzuführen und nach dem gemilderten Niederstwertprinzip zu bilanzieren. Als Folge dieser gesetzlichen Neuregelung mussten die Versicherer Abschreibungen auf diese Kapitalanlagen nur bei einer voraussichtlich andauernden Wertminderung und nicht schon bei kurzfristigen Kursschwankungen vornehmen.
Statt bilanzieller Verluste entstanden damit durch vorübergehende Wertminderungen von Kapitalanlagen stille Lasten (s. Grafik 1). Zur Beurteilung der ausreichenden Bedeckung der versicherungstechnischen Rückstellungen betrachtete die Aufsicht ab 2002 sowohl Buch- als auch Zeitwerte. Zeitgleich erhielt die BaFin durch eine Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) die Möglichkeit, auch bei einer Unterdeckung zu Zeitwerten eine zusätzliche Zuführung zum Sicherungsvermögen zu verlangen. Daher führte die Bewertungsänderung nicht zu einem geringeren Schutz für die Versicherten.
Grafik 1: Entwicklung der stillen Reserven in der Lebensversicherung
Entwicklung der stillen Reserven in der Lebensversicherung
Niedrigzinsphase
Zur Aktienkrise gesellte sich eine weitere Schwierigkeit, die dem Versicherungssektor zunehmend zu schaffen machte: das anhaltend niedrige Zinsniveau an den Kapitalmärkten. Eine Umkehrung des Trends zu sinkenden Zinsen für Anleihen guter Bonität ist bis heute nicht erkennbar.
Besonders davon betroffen waren und sind die Versicherer, die langlaufende Garantien abgeben, also Lebensversicherer und Pensionskassen. Sie sind auf ausreichend ertragreiche und sichere Anlagemöglichkeiten ihrer aktuell rund 860 Mrd. Euro Kapitalanlagen angewiesen, um den Rechnungszins zu erwirtschaften, der ihrer Prämienkalkulation zugrunde liegt. Mit dem sinkenden Zinsniveau erstklassiger Anleihen fällt es den Unternehmen nicht leicht, geeignete Kapitalanlagen mit angemessener Rendite bei ausreichender Sicherheit und Liquidität zu finden.
Dies fiele nicht weiter ins Gewicht, wenn es sich um ein kurzfristiges Phänomen handeln oder wenn die Laufzeit der Verpflichtungen denen der Kapitalanlagen entsprechend würde. Die Duration der Verpflichtungen ist jedoch typischerweise höher als die der vorhandenen Kapitalanlagen. Bei einer lang anhaltenden Phase niedriger Zinsen sinkt jedoch die Ertragskraft des Kapitalanlagebestandes wegen der Wiederanlage auslaufender Kapitalanlagen sukzessive und nähert sich dem niedrigen Marktzinsniveau an. Damit wird sich die Niedrigzinsphase zunehmend zu einer Herausforderung für die Versicherungsbranche entwickeln.
Doch die Unternehmen haben sich auf die Niedrigzinsproblematik eingestellt und beachten diese in ihrer Steuerung. Das hat die BaFin durch eine branchenweite Abfrage festgestellt. Das Ergebnis: Bei Berücksichtigung der Zinszusatzreserve sollte die Lebensversicherungsbranche unter den Bedingungen, die die BaFin in ihrer Abfrage zugrundegelegt hat, kurz- und mittelfristig ihre vertraglichen Verpflichtungen erfüllen können.
Absenkung des Höchstrechnungszinses
Als Reaktion auf die Niedrigzinsphase hat das Bundesfinanzministerium den in der Deckungsrückstellungsverordnung festgelegten Höchstrechnungszins für Neuverträge in der Lebensversicherung wiederholt gesenkt. Lag er noch im Juni 2000 bei 4 Prozent, wurde er in den Folgejahren in vier Schritten abgesenkt (s. Tabelle 1). Er liegt heute bei 1,75
Prozent. Der durchschnittliche Rechnungszins liegt aktuell bei etwa 3,3 Prozent.
Zeitraum | Höchstrechnungszins |
---|---|
bis etwa 1986 | 3,0 Prozent |
ab 1987 - 28.07.1994 | 3,5 Prozent |
29.07.1994 - 30.06.2000 | 4,0 Prozent |
01.07.2000 - 31.12.2003 | 3,25 Prozent |
01.01.2004 - 31.12.2006 | 2,75 Prozent |
01.01.2007 - 31.12.2011 | 2,25 Prozent |
ab 01.01.2012 | 1,75 Prozent |
Seit 2011 haben die Lebensversicherer außerdem als Reaktion auf die Niedrigzinsphase die oben erwähnte Zinszusatzreserve zu stellen. Damit werden die Reserven verstärkt, bevor die Erträge aus den Kapitalanlagen nicht mehr zur Finanzierung des Rechnungszinses ausreichen. Übersteigt der Rechnungszins eines Vertrages den in der Deckungsrückstellung genannten Referenzzins, muss der Versicherer die Zinslücke für die nächsten 15 Jahre zusätzlich reservieren.
2011 betrug der Referenzzins 3,92 Prozent. Die Versicherer mussten somit alle Verträge mit einem Rechnungszins von 4 Prozent in die Zinszusatzreserve einbeziehen. Der Aufwand dafür betrug 2011 insgesamt 1,5 Mrd. Euro. In den kommenden Jahren wird er voraussichtlich deutlich höher liegen. Die Angemessenheit des Rechnungszinses in der Krankenversicherung nach Art der Lebensversicherung wird seit 2005 unternehmensindividuell durch das Verfahren des Aktuariellen Unternehmenszinses überprüft, das BaFin und Deutsche Aktuarvereinigung entwickelt haben.
Schuldenkrise
Seit etwa 2007 ist die Tätigkeit der Versicherungsaufsicht auch von der Finanz- und der (Staats-) Schuldenkrise geprägt. Bislang hat sich auch in der aktuellen Krise das langfristig orientierte und vorsichtige Geschäftsmodell der Versicherer als widerstandsfähig erwiesen.
Dennoch sind auch die deutschen Versicherer als Verwalter großer Kapitalanlagebestände von den Entwicklungen an den Finanzmärkten betroffen. Sie halten in ihren Portfolien traditionell ein hohes Exposure in Staatsanleihen. Darunter befinden sich auch Anleihen der EU-Staaten, die derzeit an den Kapitalmärkten mit besonderer Aufmerksamkeit beobachtet werden, jedoch in sehr überschaubarer Summe.
In Reaktion auf die hohe Staatsverschuldung entschied die BaFin im Juni 2011, auf „default“ eingestufte Staatsanleihen von Euro-Ländern bis zum Ende der Garantie durch den Europäischen Stabilisierungsmechanismus (2013) im gebundenen Vermögen von Versicherern zu dulden. Auch wird es die BaFin weiterhin nicht beanstanden, wenn Versicherer die 5-prozentige High-Yield-Quote durch die Herabstufung von Staatsanleihen überschreiten. Ziel ist es, prozyklische Effekte zu vermeiden, die Finanzmarktstabilität zu unterstützen und Verluste bei den betroffenen Versicherern zu begrenzen.
Risikoorientierte Aufsicht
Als Reaktion auf die Dotcom-Blase, die Finanzkrise 2007/08 und die (Staats-)Schuldenkrise 2010/11 und im Vorgriff auf das neue europäische Regelwerk Solvency II richtete die BaFin ihre Versicherungsaufsicht in den letzten Jahren neu aus. Sie gestaltete ihre Aufsichts- und Prüfungspraxis deutlich risikoorientierter.
Einen ersten wichtigen Eckpfeiler auf diesem Weg zu einer mehr risikoorientierten Aufsicht stellten die Stresstests dar, die die BaFin seit 2002 regelmäßig durchführt. Die Aufsicht simuliert dabei die Auswirkung möglicher negativer Veränderungen am Kapitalmarkt auf die Aktivseite der Bilanzen der Versicherer. Wie aus Grafik 2 zu entnehmen ist, sank die Zahl der Versicherer, die in einem oder mehreren Szenarien negative Salden aufwiesen, seit 2004 kontinuierlich.
Grafik 2: Zahl der Versicherer mit negativen Ergebnissen
Zahl der Versicherer mit negativen Ergebnissen
Weisen Versicherer negative Ergebnisse aus, kann die BaFin veranlassen, dass die Unternehmen Maßnahmen ergreifen, um ihre Risikotragfähigkeit zu verbessern. Ob sie dies tut und welche Maßnahmen das jeweils sind, entscheidet sie im Einzelfall. Einen Automatismus gibt es nicht.
Die BaFin hat die Methodik der Stresstests immer weiter verfeinert. Insbesondere wurden die Aktienszenarien beim Stresstest 2009 zu einem regelbasierten und antizyklisch wirkenden Szenario weiterentwickelt.
Auf europäischer Ebene führte die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung EIOPA (European Insurance and Occupational Pensions Authority) bzw. ihr Vorgängergremium, der Ausschuss der Europäischen Versicherungsaufseher CEIOPS (Committee of European Insurance and Occupational Pensions Supervisors), mit Unterstützung der Aufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten 2009 und 2011 zwei Stresstests durch. Ziel war es, die Widerstandsfähigkeit des europäischen Versicherungssektors gegen mögliche negative Entwicklungen zu prüfen. Anders als der nationale Stresstest betrachteten EIOPA und CEIOPS nicht nur die Aktivseite der Versicherungsbilanzen, sondern versicherungstechnische Risiken und Kapitalmarktrisiken, hier vor allem die Zins-, Aktien-, Grundstücks- und Spread-Risiken. Außerdem gab es ein Inflationsszenario, in dem neben dem versicherungstechnischen Risiko ein Anstieg der Kapitalmarktzinsen simuliert wurde.
Szenariorechnung
Mit der Szenariorechnung verfügt die BaFin über ein weiteres risikoorientiertes Aufsichtsinstrument. Es kam erstmals 2001 in der Lebensversicherungsaufsicht zum Einsatz. Seither wurde es weiter ausgebaut, zum Beispiel bei der Analyse der Niedrigzinsphase, und auch in anderen Sparten eingesetzt.
Je nach Sparte fragt die BaFin die Unternehmen ein- bis zweimal jährlich nach den Auswirkungen von Aktienkurs- und Zinsänderungen auf das Jahresergebnis. Damit wird frühzeitig sichtbar, inwiefern sich ungünstige Kapitalmarktentwicklungen auf den Unternehmenserfolg, die Solvabilität und die Bewertungsreserven in den Kapitalanlagen auswirken. Dies versetzt die Aufsicht in die Lage, flexibel auf bestimmte Marktumstände zu reagieren. So kann sich die BaFin etwa in der Lebensversicherung schnell einen Überblick darüber verschaffen, ob die jährliche Überschussdeklaration die wirtschaftliche Lage des einzelnen Unternehmens angemessen berücksichtigt.
Risikoklassifizierung
Einen weiteren wichtigen Schritt hin zu einer mehr risikoorientierten Aufsicht vollzog die BaFin 2005 mit der Einführung einer internen Risikoklassifizierung, die seitdem kontinuierlich weiterentwickelt wurde. Mit deren Hilfe ordnet sie die Versicherer und Pensionsfonds anhand der Kriterien „Marktauswirkung“ und „Qualität“ in ein Bewertungsformat ein. Die Marktauswirkung wird anhand der Summe der Kapitalanlagen bzw. der Beitragseinnahmen ermittelt. Die Qualität leitet sich seit 2007 aus den drei Teilbereichen „Vermögens-, Finanz-, Ertragslage“, „Wachstum“ und „Qualität des Managements“ ab.
Das Bewertungssystem führt die Noten der Teilbereiche zu einer Gesamtnote zusammen und bildet sie in einer Skala ab. Die Erkenntnisse aus der Risikoklassifizierung lässt die Versicherungsaufsicht in die Aufsichtsplanung einfließen. So plant sie zum Beispiel ihre Vor-Ort-Prüfungen auch unter Berücksichtigung der Einordnung eines Versicherers in die Matrix (siehe Grafik 3).
Grafik 3: Risikoklassifizierung 2011
Risikoklassifizierung 2011
BaFin
Mindestanforderungen an das Risikomanagement
Im Vorgriff auf Solvency II veröffentlichte die BaFin im Januar 2009 im Rundschreiben 3/2009 (VA) die „Mindestanforderungen an das Risikomanagement von Versicherern“ (MaRisk VA). Dieses Rundschreiben legt den seit Januar 2008 geltenden § 64a VAG für die Aufsicht verbindlich aus, der Mindeststandards für eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation und vor allem für ein angemessenes Risikomanagement der Versicherer vorsieht. Dadurch erhielten die beaufsichtigten Unternehmen Planungssicherheit.
In das Rundschreiben flossen auch Erkenntnisse ein, die die Aufsicht aus der Finanzkrise gezogen hatte. Dies betraf beispielsweise Anreiz- und Vergütungssysteme oder die striktere Trennung unvereinbarer Funktionen. Mit der MaRisk VA konnte die BaFin den Versicherungsgesellschaften deutliche Impulse geben, ihr Risikomanagement qualitativ weiterzuentwickeln. Damit sind die deutschen Versicherer gut gerüstet, um die zukünftigen Anforderungen der von Solvency II an die Geschäftsorganisation, insbesondere das Risikomanagement, zu erfüllen.
Risikokomitee
Im Zuge ihrer Fokussierung auf eine stärker risikoorientierte Aufsicht gründete die BaFin im Februar 2011 nach dem Vorbild des „Risikokomitees Bankenaufsicht“ ein internes „Risikokomitee Versicherungsaufsicht“. Aufgabe des Gremiums ist es, Umfeldinformationen und andere risikorelevante Informationen aus unternehmensübergreifenden Quervergleichen danach zu bewerten, welche Relevanz sie für bestimmte Unternehmen, Versicherungsgruppen oder die Stabilität des gesamten Finanzsektors haben. Das Risikokomitee VA spricht Handlungsempfehlungen für die Versicherungsaufsicht der BaFin aus. Auf diese Weise fließen die Erkenntnisse seiner Arbeit in die laufende Aufsicht ein. Das Gremium tagt alle zwei Monate.
Zudem existiert bei der Versicherungsaufsicht bereits seit Januar 2010 das interne „Forum Risikoorientierung“, das der strategischen Weiterentwicklung der risikoorientiert gestalteten Versicherungsaufsicht dient.
Erweiterung des Aufgabenspektrums
Die BaFin hat nicht nur selbst ihre Versicherungsaufsicht neu ausgerichtet. Auch der Gesetzgeber hat ihr eine Vielzahl neuer Aufgaben zugewiesen. Das war notwendig, um Schwachstellen in der Regulierung zu beseitigen, die sich vor allem während der Aktien- und Finanzkrisen gezeigt hatten.
So wurde Ende 2004 in Umsetzung einer EU-Richtlinie die Aufsicht über Rückversicherer deutlich erweitert und verstärkt, um die Erstversicherer besser vor Forderungsausfällen bei Rückversicherern und damit auch die Verbraucher vor finanzielle Schieflagen von Erstversicherern zu schützen. Kernpunkte des neuen Aufsichtssystems waren die Einführung eines Erlaubnisverfahrens mit klar definierten Voraussetzungen und die Schaffung eines effektiven Solvabilitätssystems.
Ebenfalls Ende 2004 wies der Gesetzgeber der BaFin in § 1b VAG die Aufsicht über Versicherungs-Holdinggesellschaften zu und betrat damit Neuland. Bis dahin hatte das VAG solche Gesellschaften nur punktuell erfasst. Der Grund für die Ausweitung der Aufsicht auf Versicherungs-Holdinggesellschaften lag vor allem darin, dass die Aufsicht über gruppeninterne Geschäfte für unzureichend erachtet wurde. Auch sollte bereits auf Holdingebene effektiver verhindert werden können, dass aufgrund der Pflicht zur Berechnung einer bereinigten Solvabilität Eigenmittel in einer Gruppe mehrfach genutzt werden (Double Gearing).
Finanzkonglomerate
Des Weiteren entstanden zunehmend Finanzgruppen, die ihre Dienstleistungen und Produkte in verschiedenen Finanzbranchen anboten. Diese Finanzkonglomerate unterlagen ursprünglich keiner zusätzlichen Aufsicht über die Solvabilität, die Risikokonzentrationen, die gruppeninternen Transaktionen sowie die internen Kontrollmechanismen und das Risikomanagement auf Konglomeratsebene. Die Einzelaufsicht, die das Risiko eines einzelnen Instituts bzw. Versicherers betrachtet, und die Gruppenaufsicht, die das Gesamtrisiko einer Banken- oder Versicherungsgruppe überwacht, waren die einzigen Aufsichtsebenen.
Dies änderte sich zum Januar 2005 mit Umsetzung der EU-Finanzkonglomeraterichtlinie in das Kreditwesengesetz und das Versicherungsaufsichtsgesetz. Mit diesen gesetzlichen Regelungen und den konkretisierenden Bestimmungen der Finanzkonglomerate-Solvabilitäts-Verordnung vom September 2005 wurde die Aufsichtslücke auf Konglomeratsebene geschlossen. Die Risiken, die Finanzkonglomerate mit sich bringen, werden nunmehr von der BaFin mit überwacht.
Versicherungsvermittler
Im Mai 2007 setzte der deutsche Gesetzgeber die EU-Versicherungsvermittler-Richtlinie in nationales Recht um und gestaltete die Versicherungsvermittlung zu einem erlaubnispflichtigen Gewerbe um. Jeder, der als Versicherungsvermittler tätig sein will, muss seitdem in einem zentralen Vermittlerregister bei der Zentralstelle der Industrie- und Handelskammern verzeichnet sein.
Die BaFin ist – neben den Industrie- und Handelskammern – mittelbar für die Aufsicht zuständig, indem sie darauf achtet, dass die Versicherer nur mit zugelassenen freien Vermittlern oder zuverlässigen und qualifizierten gebundenen Vermittlern zusammenarbeiten.
Versicherungs-Zweckgesellschaften
2008 ermöglichte der Gesetzgeber die Ansiedlung von Versicherungs-Zweckgesellschaften in Deutschland. Diese Gesellschaften übernehmen Versicherungsrisiken und geben sie über die Emission von Schuldtiteln oder anderen Finanzierungsmechanismen vollständig an den Kapitalmarkt weiter.
Die Aufsicht über Versicherungs-Zweckgesellschaften entspricht im Prinzip der Aufsicht über Rückversicherer. Im Vergleich dazu werden jedoch erheblich geringere Anforderungen gestellt, etwa hinsichtlich Rechtsform, Eigenkapital und Geschäftsleiterqualifikation.
Wichtige Funktionsträger
Eine weitere wesentliche Aufgabe wurde der BaFin 2009 zugewiesen: die Kontrolle der Zuverlässigkeit und Sachkunde von Mitgliedern der Aufsichts- und Verwaltungsorgane von Banken und Versicherern. Das VAG führte diese zusätzliche Aufsicht für alle Erst- und Rückversicherer, Pensionsfonds, Versicherungs-Holdinggesellschaften, Versicherungs-Zweckgesellschaften und gemischte Finanzholding-Gesellschaften ein. Darüber hinaus schreibt das Gesetz vor, dass die genannten Personen regelmäßig maximal fünf Aufsichtsratsmandate bei Unternehmen innehaben dürfen, die der Aufsicht der BaFin unterstehen. Das sektorübergreifende Merkblatt auf der BaFin-Internetseite enthält Hinweise zur Sachkunde und zu den Anzeigepflichten.
Darüber hinaus erhielt die BaFin dadurch zusätzliche Aufgaben, dass die Zahl der Geschäftsleitermandate beschränkt wurde, die eine Person gleichzeitig ausüben darf. Insbesondere wegen des Spartentrennungsgrundsatzes sind Versicherungsvorstände in Gruppen häufig für mehrere Unternehmen tätig. Im Juli 2009 gab der Gesetzgeber das Leitbild von regelmäßig nur noch zwei Mandaten bei Erst- und Rückversicherern, Pensionsfonds, Versicherungs-Holdinggesellschaften und Versicherungs-Zweckgesellschaften vor (§ 7a Absatz 1 Satz 5 VAG). Die BaFin kann jedoch mehr Mandate genehmigen, wenn es sich um Unternehmen derselben Versicherungs- oder Unternehmensgruppe handelt (§ 7a Absatz 1 Satz 6 VAG). Auch hierzu hält die BaFin auf ihrer Internetseite ein Merkblatt bereit.
Solvency II
Von Beginn an war die Arbeit der Versicherungsaufsicht der BaFin geprägt von der Mitgestaltung des neuen europäischen Aufsichtsregimes Solvency II. Das Regelwerk wird die Aufsichtspraxis noch risikoorientierter gestalten und für eine stärkere Harmonisierung der Aufsicht in den Mitgliedstaaten der EU sorgen. Die Aufsicht wird sich künftig an drei Säulen ausrichten:
- Säule I: quantitative Anforderungen an die Kapitalausstattung der Unternehmen
- Säule II: qualitative Anforderungen an die Geschäftsorganisation, insbesondere das Risikomanagement
- Säule III: Anforderungen an die Offenlegung
Die Anfänge des europäischen Projekts Solvency II reichen bis Dezember 1998 zurück, als der Versicherungsausschuss der Europäischen Kommission den „Unterausschuss Solvabilität“ errichtete. Bereits weit vor der Finanzkrise war der Entschluss gereift, ein neues Solvabilitätssystem für den europäischen Versicherungsmarkt zu etablieren, das den Risiken, denen ein Versicherer ausgesetzt ist, besser Rechnung tragen sollte.
Zwei Phasen
In einer ersten Phase beschloss der Versicherungsausschuss im Jahr 1999, das Anforderungsprofil für die ganzheitliche Messung der Faktoren, die die finanzielle Lage eines Versicherers beeinflussen, umfassend zu analysieren (Solvabilität-II-Projekt). Im Mai 2002, also kurz nach Gründung der BaFin, veröffentlichte die EU-Kommission dann den so genannten Sharma-Bericht, eine Studie zur Sammlung erster Ideen für die Neustrukturierung eines künftigen europäischen Aufsichtssystems, sowie die KPMG-Studie 2002. Basierend auf diesen Untersuchungen entschieden die Mitgliedstaaten und die Kommission, für die Versicherungsaufsicht eine von Basel II inspirierte Drei-Säulen-Struktur für die Versicherer zu konzipieren, die allerdings auf die Besonderheiten der Versicherungsaufsicht zugeschnitten ist.
Nach Festlegung der allgemeinen Grundstruktur im April 2003 begann die zweite Phase, die mit der Umsetzung von Solvency II in nationales Recht enden wird. Ein wesentlicher Meilenstein war die Verabschiedung und Veröffentlichung der Solvency-II-Rahmenrichtlinie am 17. Dezember 2009 im Amtsblatt der Europäischen Union. Sie fasste 13 bestehende Versicherungsrichtlinien zusammen und fixierte die grundlegenden Prinzipien für das neue Aufsichtssystem.
Omnibus II
Um die Solvency-II-Rahmenrichtlinie an den Lissabon-Vertrag und das neue Europäische System der Finanzaufsicht anzupassen, auf das dieser Beitrag an späterer Stelle noch eingeht, und um Übergangsvorschriften zu etablieren, veröffentlichte die EU-Kommission im Januar 2011 den Entwurf der Omnibus-II-Richtlinie. In die Trilog-Verhandlungen zwischen Europäischem Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der EU-Kommission haben inzwischen auch zentrale Sachthemen Eingang gefunden, die zunächst Gegenstand der Level-2-Verhandlungen waren, wie etwa die angemessene Abbildung von Versicherungsgeschäften mit langfristigen Garantien.
In der gesamten zweiten Phase des Solvency-II-Projekts spielten die Quantitativen Auswirkungsstudien (Quantitative Impact Studies – QIS) eine wichtige Rolle. Mit diesen Studien untersucht EIOPA (bis 2010 die Vorgängerbehörde CEIOPS2)), wie sich die Solvency-II-Vorschläge auf die Versicherer auswirken und ob die geplanten Regelungen praxistauglich sind. Für den deutschen Markt führte die BaFin die insgesamt fünf EIOPA-Studien durch. Eine weitere Studie (Long-Term Guarantee Assessment – LTGA) wird voraussichtlich noch im Dezember 2012 beginnen. Darin wird untersucht, wie das Versicherungsgeschäft mit langfristigen Garantien angemessen abgebildet werden kann.
Interne Vorbereitung der BaFin
Die deutsche Versicherungsaufsicht bereitet sich seit Herbst 2011 mit Hilfe eines groß angelegten Projekts intensiv auf die Einführung von Solvency II vor. Dieses erstreckt sich auf fünf Teilbereiche:
- Mitgestaltung der Regulierung (Teilnahme an europäischen Konsultationen und Mitarbeit bei der Umsetzung der Regulierung in nationales Recht)
- Definition und Ausgestaltung der Prüfungsaufgaben in der operativen Prüfung (Prüfungsleitfäden, Checklisten, Konzeption für IT-gestützte Auswertungen)
- Konzeption notwendiger Anpassungen an die IT-Landschaft und Steuerung der Umsetzung
- Identifikation und Umsetzung notwendiger Personalmaßnahmen in der operativen Aufsicht (insbesondere Schulungen, Wissensmanagement)
- Vorbereitung der Versicherer auf die neue Regulierung
Seit 2009 beschäftigt sich die BaFin zudem mit der Entwicklung Interner Modelle bei einigen Versicherungsgruppen mit Sitz in Deutschland.
BaFin und EIOPA
Mit Blick auf die Auswirkungen der letzten weltweiten Finanzkrise sahen der Rat der Europäischen Union, die EU-Kommission und das Europäische Parlament als Beteiligte des europäischen Gesetzgebungsprozesses die Notwendigkeit, eine effektive Finanzaufsicht für den europäischen Binnenmarkt zu schaffen. Daher einigten sich die EU-Organe auf die Gründung des Europäischen Systems der Finanzaufseher ESFS (European System of Financial Supervision) zum 1. Januar 2011. Zu diesem Aufsichtssystem gehört auch EIOPA als Nachfolgebehörde von CEIOPS.
Bereits bei CEIOPS hatte sich die BaFin beispielsweise durch die Mitarbeit in Arbeitsgruppen stark engagiert. Von 2007 bis 2009 war der damalige BaFin-Exekutivdirektor für die Versicherungsaufsicht, Dr. Thomas Steffen, Vorsitzender von CEIOPS. Die BaFin spielt auch in EIOPA eine aktive Rolle und engagiert sich in besonderem Maße bei der Einführung des neuen Aufsichtsregimes Solvency II. Im Entscheidungsgremium von EIOPA, dem Rat der Aufseher (Board of Supervisors), wird die BaFin derzeit durch ihre Präsidentin Dr. Elke König vertreten.
Ausblick
Die Versicherungsaufsicht hat sich in den vergangenen zehn Jahren stark gewandelt. Es ist zu erwarten, dass sich dieser Trend auch künftig in gleichem Tempo fortsetzt. Ein wichtiger Meilenstein wird die Neuausrichtung der Aufsicht durch Solvency II sein. In einer Zeit, die sich durch immer komplexer werdende Produkte auszeichnet, ist ein entsprechendes risiko- und prinzipienbasiertes Aufsichtsregime wichtiger denn je. Ob 2015 oder 2016, mit der Einführung von Solvency II steht der Versicherungswirtschaft und ihrer Aufsicht auf europäischer und nationaler Ebene die umfassendste regulatorische Reform der vergangenen Jahrzehnte bevor.
Hinweis
Der Beitrag gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im BaFinJournal wieder und wird nicht nachträglich aktualisiert. Bitte beachten Sie die Allgemeinen Nutzungsbedingungen.
Fußnoten
- 1) Im Mai 2006 übernahm die Protektor Lebensversicherungs-AG zusätzlich die Aufgaben und Befugnisse des seit Dezember 2004 gesetzlich vorgeschriebenen Sicherungsfonds für die Lebensversicherung. Damit obliegt Protektor nunmehr eine Doppelfunktion: Sie ist freiwillige Auffanggesellschaft und Sicherungsfonds.
- 2) Committee of European Insurance and Occupational Pensions Supervisors - Ausschuss der Europäischen Aufsichtsbehörden für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung.