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Erscheinung:03.07.2012 00:00 Uhr | Thema Marktmanipulation

Zehn Jahre Überwachung von Marktmanipulation durch die BaFin

Die BaFin begeht 2012 ein doppeltes Jubiläum: Zehn Jahre Allfinanzaufsicht, das bedeutet auch zehn Jahre Überwachung von Marktmanipulation durch die BaFin. Kurz nach ihrer Gründung erhielt sie die in der Wertpapieraufsicht angesiedelte Aufgabe, Manipulationen im Wertpapierhandel zu überwachen.

Mit dem Vierten Finanzmarktförderungsgesetz vom 21. Juni 2002 wurde eine erhebliche Lücke im System der Marktaufsicht in Deutschland geschlossen: Der ehemalige Verbotstatbestand des Kursbetrugs in § 88 Börsengesetz wurde zum 1. Juli 2002 modernisiert und in das Wertpapierhandelsgesetz eingegliedert. Die Verfolgung von Marktmanipulation ist seitdem bei der BaFin konzentriert.

Eine wesentliche inhaltliche Neuerung erfolgte, indem ein zweigleisiges Sanktionssystem eingeführt wurde. Die Vorschrift wurde vom Gefährdungs- zum Erfolgsdelikt, das heißt eine Manipulationshandlung ist seitdem nur dann strafbar, wenn sie zum Erfolg, also einer tatsächlichen Kurseinwirkung führt. Versuchte Manipulationen können seither von der BaFin mit Bußgeldern von bis zu 1 Mio. Euro1) geahndet werden.

Seitdem ist bundesweit gewährleistet, dass alle auftretenden Verdachtsmomente einheitlich untersucht werden. Die Reichweite der zuvor auf diesem Gebiet tätigen Börsenaufsichtsbehörden der Länder war auf das jeweilige Bundesland beschränkt, in Ländern ohne Börse und demzufolge ohne eigene Börsenaufsicht lief § 88 Börsengesetz weitgehend ins Leere. Dies betraf vor allem Sachverhalte, die keinen unmittelbaren Bezug zur Börse hatten, bei denen also die Tathandlung nicht unmittelbar an der Börse erfolgte. Beispiele hierfür sind kurstreibende Äußerungen in Internet-Chatforen oder die falsche Darstellung von Umständen in Unternehmensveröffentlichungen, die für die Bewertung erhebliche Bedeutung haben.

Anlegerschutzverbesserungsgesetz

Das Anlegerschutzverbesserungsgesetz vom 28. Oktober 2004, das die EU-Marktmissbrauchsrichtlinie von 2003 umsetzte, reformierte und verschärfte die Regelungen zur Überwachung von Marktmanipulation. Fortan musste eine Absicht bei einer sonstigen Täuschungshandlung nicht mehr nachgewiesen werden, was den Tatnachweis vereinfachte. Der deutsche Gesetzgeber ging außerdem über den europäischen Anwendungsbereich des Manipulationsverbots hinaus und erweiterte dessen Geltung auch auf den Freiverkehr.

Einzelheiten zum Tatbestand der Marktmanipulation regelt die Marktmanipulations-Konkretisierungsverordnung (MaKonV) des Bundesministeriums der Finanzen, die am 11. März 2005 in Kraft getreten ist und die zuvor geltende Verordnung zur Konkretisierung des Verbots der Kurs- und Marktpreismanipulation (KuMaKV) vom November 2003 abgelöst hat.

Im Wesentlichen gibt es drei Varianten der Marktmanipulation: die informationsgestützte Manipulation, zum Beispiel durch unrichtige Angaben, die handelsgestützte Manipulation, bei der durch die Art und Weise der Ordererteilung an einem Markt die jeweiligen Preise unzulässig gesteuert werden, und Mischformen wie beispielsweise das Scalping mit einer Kombination von interessengesteuerten Empfehlungen und entsprechendem Handelsverhalten.

Vortat einer Geldwäsche

Im Rückblick zeigt sich, dass seit 2002 die Bedeutung dieses einst wenig beachteten Regelungsfeldes stetig zugenommen hat. Marktmanipulation wird mittlerweile auch als das wahrgenommen, was sie häufig ist: schwere bzw. organisierte Kriminalität. Der Gesetzgeber hat 2011 darauf reagiert und den Tatbestand der Marktmanipulation (in gewerbsmäßiger bzw. bandenmäßiger Begehung) in den Katalog der Vortaten einer Geldwäsche nach § 261 Strafgesetzbuch (StGB) aufgenommen. Praktisch relevant dürfte dies beispielsweise werden, wenn über Aktiengeschäfte Gelder ins Ausland verschoben werden, um so deren Herkunft zu verschleiern.

Die gestiegene Bedeutung dieser Form der Wirtschaftskriminalität spiegelt auch die Statistik der untersuchten Manipulationsfälle wider:

Fallzahlenentwicklung Marktmanipulation

Fallzahlenentwicklung Marktmanipulation (Stand: Juni 2012)

Fallzahlenentwicklung Marktmanipulation (Stand: Juni 2012) Stand: Juni 2012 BaFin Fallzahlenentwicklung Marktmanipulation (Stand: Juni 2012)

Quelle: BaFin (Stand: Juni 2012)

Anfangs ging es in der Praxis im Wesentlichen um zwei Sachverhaltsvarianten. Zum einen gab es häufig unrichtige Angaben etwa in Ad-hoc-Mitteilungen nach § 15 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) oder in Studien zu einzelnen Emittenten. Zum anderen fielen handelsgestützte Manipulationen auf, wie die so genannten Wash-Trades, bei denen ein Handelsteilnehmer mit sich selbst handelt, und abgesprochene Geschäfte. Typischerweise erhält die BaFin in solchen Fällen Hinweise der Handelsüberwachungsstellen der Börsen und leitet daraufhin Untersuchungen ein.

Seit November 2004 sind außerdem Kreditinstitute und Betreiber außerbörslicher Märkte verpflichtet, einen Verdacht auf Verstöße gegen das Verbot des Insiderhandels oder der Marktmanipulation gemäß § 10 WpHG zu melden. Weitere hilfreiche Erkenntnisquellen sind Anlegerbeschwerden und Anfragen der Strafverfolgungsbehörden. Gerade letztere haben in den vergangenen Jahren stark zugenommen, und auch die Kooperation mit den Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden hat sich intensiviert, vor allem mit bestimmten Schwerpunktstaatsanwaltschaften. Der Informationsaustausch der BaFin mit dem Bundeskriminalamt im Bereich Marktmissbrauch wurde darüber hinaus 2009 in einem Kooperationsabkommen dokumentiert.

Grundsatzentscheidung des BGH

Ein von der BaFin untersuchter Sachverhalt führte 2003 dazu, dass sich der Bundesgerichtshof (BGH) in einer Grundsatzentscheidung erstmals mit dem Thema Marktmanipulation befasste.2) Der BGH stellte damals fest, dass Scalping nicht als Insidervergehen (so die Vorinstanz Landgericht Stuttgart), sondern – vor dem Hintergrund der EU-Marktmissbrauchsrichtlinie und dem erforderlichen Drittbezug einer Insiderinformation – als Marktmanipulation zu werten ist. Dabei ging es um einen Täter, der als Journalist und Fondsberater auftrat. Im Wissen um die kursbeeinflussende Wirkung seiner Empfehlungen erwarb er die jeweiligen Aktien zunächst und veräußerte sie nach der Umsetzung seiner Empfehlungen durch die Fonds gewinnbringend.

Rechtsklarheit brachte die Entscheidung auch im Hinblick darauf, dass es bei derartigen eigennützigen Stellungnahmen nicht darauf ankommt, ob die Empfehlungen sachlich gerechtfertigt sind. Diese Weichenstellung hat die weitere Untersuchungspraxis ebenso geprägt wie die Ausführungen des BGH zur Ermittlung des Einwirkens auf den Börsen- oder Marktpreis im Sinne des § 38 WpHG, das die Marktmanipulation erst zur Straftat macht. Danach sind an dieses Tatbestandsmerkmal keine überspannten Anforderungen zu stellen. Regelmäßig genügt es, den Kursverlauf und die Umsatzentwicklung zu betrachten, ohne dass die Marktteilnehmer dazu befragt werden müssten, warum sie die empfohlene Aktie erwarben.

Zahlreiche Scalping-Varianten

Verschiedene Arten des Scalpings beschäftigen die BaFin seit einigen Jahren. Dabei werden meist relativ unbekannte Unternehmen beworben. Mit Empfehlungen in Börsenbriefen, durch Telefonmarketing (Cold Calling), aber auch durch Spam-Kampagnen via E-Mail und Fax wird versucht, Interesse und Nachfrage bei potenziellen Anlegern zu wecken. Oft läuft diese Art der Marktmanipulation über arbeitsteilig organisierte Netzwerke ab. Vermeintlich unabhängig agierende Börsenbriefe bewerben konzertiert die Wertpapiere.

Bei Anlegern entsteht dadurch der fälschliche Eindruck, es handele sich um eine attraktive Anlagemöglichkeit. Tatsächlich nutzen die Täter aber gezielt das Anlegerinteresse, um eigene Bestände zu künstlich überhöhten Kursen abzustoßen. Wenn das Medienfeuerwerk erlischt, stürzen die Börsenpreise der Aktien ins Bodenlose. Häufig merken die Käufer zu spät, dass die Firmen, die bevorzugt den Rohstoffbereich als Tätigkeitsfeld benennen, über ein zumindest zweifelhaftes Geschäftsmodell oder überhaupt kein operatives Geschäft verfügten.

Die BaFin warnt auf ihrer Homepage vor solchen Empfehlungen und fordert die Anleger auf, sich vor einer Anlageentscheidung umfassend über die betreffende Aktie zu informieren. In einigen Fällen setzte zudem die Börse den Handel in den Aktien der betroffenen Gesellschaften aus.

Besonders häufig waren diese dubiosen Emittenten im Freiverkehr anzutreffen, insbesondere im First Quotation Board der Frankfurter Wertpapierbörse. Dieses Segment wird nun, wie im BaFinJournal 05/12 berichtet, zum Jahresende 2012 geschlossen. Abzuwarten bleibt, ob dadurch die Fallzahlen zurückgehen oder ob die Täter Ausweichstrategien entwickeln und beispielweise an anderen Börsen auftreten.

Unbefugte Ordererteilungen

Ein weiteres Phänomen, das bundesweit auftritt, ist der Marktmissbrauch durch unbefugte Telefonorders. Dabei verschaffen sich die Täter zunächst Informationen über ein Wertpapierdepot sowie die entsprechenden Zugangs- bzw. Identifizierungsdaten, wie zum Beispiel Depotnummer oder Geburtsdatum des Depotinhabers. Bisweilen sind es die Depotinhaber selbst, die leichtgläubig ihre Kontodaten an Dritte weitergeben. Anschließend geben sich die Täter im telefonischen Kontakt mit dem Kreditinstitut als Depotinhaber aus und erteilen zu Lasten von dessen Konto großvolumige Kaufaufträge für Aktien, die regelmäßig wenig bekannt sind und im Freiverkehr gehandelt werden.

Bislang sind 40 überwiegend ausländische Emittenten betroffen. Der entstandene Schaden beträgt mehr als 6 Mio. Euro. Die BaFin warnt auf ihrer Internetseite, wenn neue Aktienwerte Gegenstand solcher unbefugten Telefonorders werden. Die Kreditinstitute nehmen diese Werte regelmäßig auf die interne Beobachtungsliste und überprüfen entsprechende Ordererteilungen, so dass die Taten immer häufiger im Versuch steckenbleiben. Dadurch konnte bereits ein potenzieller Schaden von mehr als 3 Mio. Euro vermieden werden. Parallel zu diesen präventiven Maßnahmen laufen die strafrechtlichen Ermittlungen.

Immer mehr Manipulationen durch organisierte Gruppen

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass immer mehr größere Manipulationsfälle aufgedeckt werden können, die Gruppen von Tätern organisiert begehen, zum Teil über einen längeren Zeitraum, sukzessive in verschiedenen Wertpapieren und mit Schadenssummen in Millionenhöhe. Die internationale Dimension der Marktmanipulation ist nach wie vor beachtlich. Verdächtige Geschäfte haben oft ihren Ursprung bei Instituten im Ausland, speziell in Staaten außerhalb der Europäischen Union wie zum Beispiel der Schweiz.

Auch wenn die Ermittlungen dadurch aufwändiger und langwieriger sind, so ist es doch in der Regel möglich, auch in solchen Fällen die Täter zu identifizieren. Erste Verurteilungen wegen Scalpings in so genannten Börsenbriefnetzwerken mit empfindlichen Freiheitstrafen nach mehr als einem Jahr Untersuchungshaft zeigen, dass auch die Justiz dieser Form der Wirtschaftskriminalität heute eine große Bedeutung beimisst.

Generell ist ein Anstieg der Verurteilungen wegen strafbarer Marktmanipulation zu erkennen. Während in den Jahren 2003 bis 2008 jährlich bis zu fünf Verurteilungen durch Strafgerichte erfolgten, waren es 2009 14 Urteile, 2010 neun Urteile und 2011 zwölf Verurteilungen. Parallel dazu steigt auch die Zahl der Einstellungen gegen Zahlung einer Geldauflage nach § 153 a StGB. 2012 wurden bis einschließlich Juni bereits neun Verfahren auf diese Weise eingestellt. 2011 gab es insgesamt 13, 2010 gab es 16 und 2009 nur neun Verfahrensabschlüsse dieser Art.

Neue Herausforderungen

Neue Entwicklungen an den Märkten verändern auch die Verfolgung von Missbrauch. So rückt der automatisierte bzw. algorhythmische Handel zunehmend ins Visier der Aufsicht. Auf europäischer Ebene wird derzeit die Marktmissbrauchsrichtlinie als das maßgebliche Regelwerk für Marktmissbrauch überarbeitet, um unter anderem manipulative Strategien in diesem Bereich zu erfassen. Die Aufklärung derartiger Fälle, bei denen große Datenmengen auszuwerten sein werden, stellt eine der aktuellen Herausforderungen bei der Überwachung von Marktmanipulation dar.

Hinweis

Der Beitrag gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im BaFinJournal wieder und wird nicht nachträglich aktualisiert. Bitte beachten Sie die Allgemeinen Nutzungsbedingungen.

Fußnoten

  1. 1) 2002 lag der Bußgeldrahmen zunächst bei 1,5 Mio. Euro, wurde dann aber im Zuge der bundesweiten Vereinheitlichung von Bußgeldrahmen auf 1 Mio. Euro reduziert.
  2. 2) BGH-Urteil vom 6. November 2003: 1StR 24/03, BGHSt48/373.
Autor: Regina Schierhorn, BaFin

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