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Erscheinung:27.08.2024 11:45 Uhr | Thema Versicherungsaufsicht Häufige Fragen zum Merkblatt 01/2023

In diesem Schreiben werden häufig gestellte Fragen zum Merkblatt 01/2023 beantwortet. Der FAQ-Katalog soll fortlaufend aktualisiert und ggf. um weitere Fragen ergänzt werden.

Wie wählt die BaFin beim risikoorientierten Aufsichtsansatz die zu prüfenden Lebensversicherer und Produkte aus?

Für die operative Prüfungstätigkeit hat die BaFin einen zweistufigen Ansatz entwickelt, um risikoorientiert die zu prüfenden Produkte zu bestimmen. Im ersten Schritt werden Daten zu den im Neugeschäft des Vorjahres angebotenen und weiterhin verfügbaren Produkten erhoben. Da Versicherungsanlageprodukte (VAPs) im Vergleich zu sonstigen kapitalbildenden Lebensversicherungsprodukten bei den geprüften Unternehmen deutlich dominieren, hat sich die Datenerhebung bisher auf VAPs beschränkt.

Abgefragt werden getrennt nach „klassischen VAPs“ und „fondsgebundenen VAPs“ (reine fondsgebundene Produkte, statische und dynamische Hybride) sowie nach laufenden Beiträgen und Einmalbeiträgen die meistverkauften und teuersten Produkte. Bei fondsgebundenen Produkten unterscheidet die BaFin zudem zwischen verschiedenen Anlageoptionen. Die verschiedenen Kombinationen aus Versicherungshülle und Anlageoption werden als „Produktkombinationen“ bezeichnet.

Für diese Produktarten und Kategorien erhebt die BaFin Daten zu den Effektivkosten (durchschnittliche jährliche Renditeminderung durch Kosten), Aufwendungen für Vermittler sowie, bei fondsgebundenen Produkten, Daten zu Rückvergütungen an die Lebensversicherungsunternehmen und deren Vertriebspartner. Zudem erfasst die BaFin die vertragliche Beitragssumme und die Anzahl der Verträge des betrachteten Jahres.

Diese umfangreiche Datenerhebung dient dazu, die Produkte (gegebenenfalls bei fondsgebundenen Produkten auch die Produktkombinationen) zu bestimmen, für die das produktindividuelle Produktfreigabeverfahren geprüft wird. Entsprechend dem risikoorientierten Aufsichtsansatz wählt die BaFin Produkte anhand der vertraglichen Beitragssumme der Produkte oder der Anzahl der Verträge eines definierten Neugeschäftszeitraums aus.

So liegt der Fokus auf Produkten, die im Neugeschäft eines Lebensversicherungsunternehmens eine hohe Bedeutung haben und bei denen etwaige Mängel entsprechend große Auswirkungen haben können. Ein weiteres Kriterium sind die Kosten eines Produkts. So kann es sinnvoll sein, ein Produkt mit signifikantem Neugeschäft und hohen Kosten näher zu prüfen, auch wenn es nicht das meistverkaufte Produkt ist.

Im zweiten Schritt erhebt die BaFin bei den näher geprüften Produkten die Effektivkosten zum „maßgeblichen Zeitpunkt“, zu dem die Hälfte der Angehörigen des Zielmarkts ihre Verträge voraussichtlich beendet haben wird (vgl. Merkblatt 01/2023, Rn. 24).

Was bedeutet „angemessener Kundennutzen“?

Nach den Vorschriften zum Produktfreigabeverfahren müssen die Produkthersteller für ein Produkt einen Zielmarkt bestimmen und das Produkt muss den Bedürfnissen des Zielmarkts entsprechen. In ihrem Merkblatt 01/2023 hat die BaFin formuliert, dass ein angemessener Kundennutzen (Value for Money) unter Berücksichtigung von vorzeitigen Vertragsbeendigungen zumindest für die Hälfte der Angehörigen des Zielmarkts gegeben sein muss. Für diese Kundinnen und Kunden muss das für den Zielmarkt formulierte Renditeziel (Rendite nach Kosten) mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erreicht werden. Diese Anforderung ist besonders wichtig bei Produkten mit einer langen Ansparphase, da es dann vermehrt zu vorzeitigen Vertragsbeendigungen kommt.

Einen angemessenen Kundennutzen der Produkte anzustreben und die Geschäftsorganisation darauf auszurichten, liegt auch im Interesse der Versicherungsunternehmen selbst. So vermeiden sie nicht nur überhöhte Abschluss- und Verwaltungskosten, sondern auch Reputationsschäden – sowohl für sich selbst als auch für den Vertrieb.

Bedeutet angemessener Kundennutzen auch immer individueller Kundennutzen?

Ein angemessener Kundennutzen setzt nicht voraus, dass jede einzelne Kundin und jeder einzelne Kunde stets einen Vorteil aus dem Produkt zieht. Es geht also nicht darum, dass jede Kundin oder jeder Kunde einen individuellen Nutzen hat. Entscheidend ist der Nutzen des Produkts für den Zielmarkt insgesamt. Die Hersteller müssen für den jeweiligen Zielmarkt ein Renditeziel formulieren, das mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erreicht werden muss (vgl. Merkblatt 01/2023, Rn. 15).

Gerade bei Produkten mit langer Ansparphase beenden Kundinnen und Kunden Verträge oft vorzeitig. Die Hersteller müssen daher Stornoerwartungen für die Ansparphase formulieren, um diesem Bedürfnis gerecht zu werden. Sie müssen prüfen, zu welchem Zeitpunkt zu erwarten ist, dass ein wesentlicher Anteil der Angehörigen des Zielmarkts Verträge vorzeitig beendet. Das Produkt muss ab diesem Zeitpunkt für alle, die kündigen, einen angemessenen Nutzen bieten. Andernfalls ist das Produkt insgesamt für den Zielmarkt ungeeignet. Ein wesentlicher Anteil dürfte mindestens die Hälfte der Angehörigen des Zielmarkts sein (vgl. Merkblatt 01/2023, Rn. 24).

Wenn die vorzeitige Vertragsbeendigung den Bedürfnissen der Kundinnen und Kunden des Zielmarkts entspricht und daher die Stornoerwartung höher anzusetzen ist, muss die Verteilung der Kosten auf die Zeit möglicherweise angepasst werden.

Für welche Produkte gelten die Vorgaben zum Produktfreigabeverfahren in zeitlicher Hinsicht?

Die Vorgaben zum Kundennutzen beruhen auf dem Produktfreigabeverfahren, wie die BaFin es in ihrem Merkblatt 01/2023, Abschnitt C. (Rn. 6 ff.) beschreibt. Das Produktfreigabeverfahren gilt – zeitlich gesehen – für Produkte, die seit dem 23. Februar 2018 neu konzipiert oder wesentlich geändert wurden (vgl. § 23 Absatz 1a Versicherungsaufsichtsgesetz – VAG). An diesem Tag trat das Umsetzungsgesetz zur Versicherungsvertriebsrichtlinie (Insurance Distribution DirectiveIDD) in großen Teilen in Kraft.

Wann gilt ein Produkt als „neu“?

Zu beachten ist: Ein Produkt gilt auch dann als „neu“, wenn bei einer Bestandsübertragung das übernehmende Unternehmen den Vertrieb des Produkts fortführt. Für das übernehmende Unternehmen ist es ein neues Produkt, das ein Produktfreigabeverfahren erfordert. Das übernehmende Unternehmen kann sich jedoch das Produktfreigabeverfahren des abgebenden Unternehmens auch „zurechnen“. Dies ist möglich, weil man das Produktfreigabeverfahren auch einem Dritten im Wege der Ausgliederung übertragen kann. Eine „Zurechnung“ ist allerdings ausgeschlossen, wenn feststeht, dass das Produkt des abgebenden Unternehmens nicht den Bedürfnissen der Angehörigen des Zielmarkts entspricht.

Wann sind Änderungen „wesentlich“ oder „nicht wesentlich“?

Die BaFin sieht eine „wesentliche Änderung“ eines kapitalbildenden Lebensversicherungsprodukts im Sinne des Merkblatts 01/2023 zumindest in folgenden Fällen:

Bei einer Änderung des Garantiezinses und anderen Produktänderungen muss geprüft werden, in welchem Umfang dieser Schritt Auswirkungen auf den jeweiligen Zielmarkt hat. Sind die Auswirkungen aus Sicht des Zielmarkts wesentlich, ist ein Produktfreigabeverfahren nötig. Gleiches gilt, wenn die Änderung den Zielmarkt erweitert. Eine Änderung gilt regelmäßig als wesentlich, wenn sie beworben wird. Es spielt keine Rolle, ob die Änderung des Garantiezinses durch ein externes Ereignis wie die Änderung des Höchstrechnungszinses ausgelöst wird oder nicht.

Ganzheitliche Betrachtung

Zu berücksichtigen sind auch, die Änderungen des Produkts seit dem letzten Produktfreigabeverfahren bzw. seit dem 23. Februar 2018. Nicht jede Änderung ist wesentlich und erfordert ein Produktfreigabeverfahren. Entscheidend ist die kumulierte Wirkung. Sobald mehrere Änderungen des Produkts, die für sich genommen keine „wesentlichen“ Änderungen sind, die Schwelle zur wesentlichen Änderung des Produkts überschritten haben, muss – im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung – ein Produktfreigabeverfahren durchgeführt werden.

Angemessenes Verhältnis zur Änderung

Ausgestaltung und Umfang des Produktfreigabeverfahrens müssen in einem angemessenen Verhältnis stehen zum Gewicht der Änderung am Produkt und zu ihren Auswirkungen auf die Kundinnen und Kunden. Hier ist der Einzelfall entscheidend. Dies bedeutet unter anderem, dass für Aspekte, die nicht von der Änderung des Produkts betroffen sind, auf Erkenntnisse und Analysen aus dem vorhergehenden Produktfreigabeverfahren zurückgegriffen und ggf. verwiesen werden kann. Voraussetzung ist, dass für das Produkt in der Vergangenheit bereits ein Produktfreigabeverfahren durchgeführt wurde.

Beispiele für wesentliche und nicht wesentliche Produktänderungen

  • Für klassische kapitalbildende Lebensversicherungsprodukte, die in erster Linie dem langfristigen Sparen dienen, gilt: Ändert sich der Garantiezins für die Erlebensfallleistung am Ende der Vertragslaufzeit oder am Ende der Ansparphase, ist dies in der Regel eine wesentliche Änderung, wenn sie der Änderung des Höchstrechnungszinses entspricht.
  • Wird bei rein fondsgebundenen Rentenversicherungen mit einer klassischen Rentenbezugsphase der Garantiezins geändert, kommt es auf die konkrete Produktgestaltung an, ob diese Änderung für einen garantierten Rentenfaktor eine wesentliche Produktänderung ist. Denkbar ist folgende Konstellation: Der Garantiezins für die Rentenbezugsphase wird erst zu Rentenbeginn auf Basis der dann im Neugeschäft für sofort beginnende Rentenversicherungen verwendeten Rechnungsgrundlagen festgelegt, und bei Vertragsbeginn wird nur ein sehr niedriger Rentenfaktor garantiert, der mit hoher Wahrscheinlichkeit bei der Verrentung keinen Effekt hat. In einer solchen Konstellation wäre die Änderung des Garantiezinses für den ab Vertragsbeginn garantierten Rentenfaktor für sich genommen gegebenenfalls keine wesentliche Produktänderung.
  • Bei Hybridprodukten können neben expliziten oder impliziten Garantiezinssätzen für die Ansparphase und die Verrentung auch andere Kalkulationszinssätze, etwa für einen Umschichtungsalgorithmus, eine wichtige Rolle spielen. Implizite Garantiezinssätze ergeben sich meist in Form einer prozentualen Beitragserhaltungsgarantie oder einer Nominalgarantie der Rente oder Versicherungssumme. Ob die Änderung eines Garantiezinses oder Kalkulationszinses eine wesentliche Produktänderung darstellt, hängt vom Einzelfall ab. Bei Hybridprodukten, deren Zinsgarantien einem rein klassischen Produkt ähneln, ist eine Zinsänderung im Umfang einer Änderung des Höchstrechnungszinses in der Regel eine wesentliche Produktänderung. Bei einem Produkt, das aufgrund einer niedrigen Garantie einem rein fondsgebundenen Produkt nahekommt, stellt ein solcher Fall hingegen gegebenenfalls keine wesentliche Produktänderung dar.
  • Bei dynamischen Hybridprodukten beeinflussen Änderungen an einem Garantie- oder Kalkulationszins meist nicht nur die garantierte und erwartete Höhe der Leistungen, sondern auch den Verlauf der Topfaufteilung des Vertragsguthabens und somit das Chance-Risiko-Profil (z. B. die Aktienquote). Hinweise darauf, ob eine wesentliche Produktänderung vorliegt, könnten durch einen Vergleich des alten und des geänderten Produktes mittels stochastischer Simulationen gewonnen werden. Solche Simulationen ermöglichen den Vergleich der Ablaufleistung und der Entwicklung der Topfaufteilung für viele Szenarien.

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