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BaFinPerspektiven 2 | 2019 © Vera Kuttelvaserova/stock.adobe.com / BaFin

Erscheinung:28.05.2019 BaFinPerspektiven 2 | 2019

Finanzen und Nachhaltigkeit: das Ende des „Weiter so“

Nachhaltigkeit, noch vor wenigen Jahren ein Nischenthema, findet sich heute weit oben auf der Prioritätenliste von Führungskräften und Gesetzgebern. Dabei ist sie eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Eine der entscheidenden Fragen lautet, welche möglichen Hindernisse einer Ausrichtung auf Nachhaltigkeit im Wege stehen.

Einleitung

Selten hat es ein Thema gegeben, das sich so vehement auf die Tagesordnung in Finanzkreisen geschoben hat, wie die Nachhaltigkeit. Noch vor wenigen Jahren galt sie als Nischenthema, um das sich in Banken, Versicherungen oder in der Vermögensverwaltung nur wenige Mitarbeiter kümmerten. Nicht anders sah es in der Finanzregulierung aus. Und Vorstände, Aufsichtsräte und Finanzaufsicht beschäftigten sich überhaupt nicht mit dieser Frage.

Das hat sich fundamental geändert. Heute ist Nachhaltigkeit ein Top-Thema, das die Führungskräfte in allen Bereichen ganz oben auf ihre Prioritätenliste gesetzt haben. Gleiches gilt für die finanzpolitische Gesetzgebung und die Europäische Kommission. Sustainable Finance ist eines der wichtigsten Arbeitsfelder für den zuständigen EU-Kommissar Valdis Dombrovskis und die ihm unterstehende Generaldirektion für Finanzregulierung und Finanzstabilität.

Das Ziel des nachhaltigen Wirtschaftens ist die Erhaltung des Wohlstands und seine langfristige Absicherung gegen ökonomische, soziale und auch ökologische Risiken. Eine herausgehobene Rolle spielt dabei der Klimawandel. Aber es gibt auch andere Umweltrisiken, die unseren Wohlstand gefährden. Dazu zählen beispielsweise das fortschreitende Artensterben und der Verlust an fruchtbarem Agrarland durch die industrielle Landwirtschaft. Auch die Überfischung der Meere und ihre zunehmende Verschmutzung gehen an die Substanz unserer endlichen natürlichen Ressourcen. All dies stellt die wirtschaftliche, ökologische und soziale Nachhaltigkeit unseres gegenwärtigen Wohlstands in Frage.

Neben dem ökologischen Aspekt der Nachhaltigkeit darf die soziale Dimension nicht vergessen werden. Ihre Bedeutung spiegelt sich in den politischen Debatten unserer europäischen Nachbarn wider: Die Gelbwesten-Bewegung in Frankreich mahnt eine angemessene Verteilung des Wohlstands zwischen Zentrum und Provinz an; Italien drängt auf ein Grundeinkommen zur Absicherung der Bedürftigen und in Deutschland demonstrieren tausende Menschen, um auf eine angespannte Mietsituation in den Großstädten aufmerksam zu machen. Weitere übergeordnete Themen sind die Erhaltung von Arbeitsplätzen und sozialer Sicherung sowie die zunehmende Verschiebung der Vermögensverteilung zwischen Arm und Reich. Selbst in den USA, der Heimstatt des Kapitalismus, wird über eine Vermögenssteuer diskutiert. Der Grund: Immer mehr Politiker sehen in der ungleichen Verteilung des Wohlstands ein Risiko für Demokratie und soziale Stabilität. Auch dies ist ein Beleg dafür, dass die Wirtschaftsentwicklung der vergangenen Jahre nicht nachhaltig war und so nicht fortgeschrieben werden kann. Ein „Weiter so“ in Wirtschaft und Globalisierung kann es bei all diesen Signalen nicht geben. Es muss eine Umorientierung in der wirtschaftspolitischen und finanzpolitischen Handhabung der Globalisierung stattfinden, der sich auch das Finanzsystem und die beteiligten Parteien nicht entziehen können.

Nachhaltigkeit muss also stets im vollen Dreiklang gedacht werden – wirtschaftlich, ökologisch und sozial. Alle drei Aspekte bilden eine Einheit und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Was ist geschehen, dass Nachhaltigkeit im Allgemeinen und Klimawandel im Besonderen den Marsch durch die Institutionen so schnell geschafft haben und zu einer neuen Herausforderung für das Finanzsystem geworden sind? Wie kommt es, dass die Europäische Kommission im Bereich Finanzen eine hochrangige Expertengruppe eingesetzt hat und deren Empfehlungen im Eiltempo in Regulierungsvorschläge umarbeitet? Wie ist es zu verstehen, dass das Europäische Parlament den Umwelt-, Wirtschafts- und Finanzausschuss damit befasst und seinerseits Initiativen ausgearbeitet hat? Warum haben die Zentralbanken ein Netzwerk gebildet und warum hat der Finanzstabilitätsrat FSB (Financial Stability Board) der G20-Staaten eine Taskforce zu diesem Thema eingerichtet? Warum wurde das Thema von der BaFin, der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung EIOPA (European Insurance and Occupational Pensions Authority) und anderen Aufsehern auf die Tagesordnungen ihrer jüngsten Jahreskonferenzen gesetzt?1

Der Durchbruch im Jahr 2015

Der schnelle Erfolg des Prinzips der Nachhaltigkeit im Finanzsystem ist auf den ersten Blick überraschend. Denn eigentlich ist das Thema in der Wirtschaft ein alter Hut. Rund 30 Jahre ist es her, dass der Club of Rome mit seinem Bericht über die Grenzen des weltweiten Wachstums auf die Bedeutung der Nachhaltigkeit hinwies. Das Wirtschaftswachstum in den meisten Teilen der Welt – so die Kernthese – ist schlicht und einfach nicht nachhaltig und wird zusammenbrechen, weil es die notwendigen natürlichen Ressourcen dauerhaft schädigt oder gar zerstört.

Auch die Klimadebatte ist nicht neu, sondern über 20 Jahre alt. Das lässt sich allein daran ablesen, dass das Pariser Klimaabkommen auf der COP 21 entstand. Die Abkürzung COP steht für Conference of the Parties – ein allgemeiner Begriff der Vereinten Nationen, welcher Länder und Institutionen umfasst. Die Zahl 21 bedeutet nichts weiter, als dass die jährliche Konferenz zum 21. Mal stattfand. Allerdings befassten sich 20 Jahre lang nur Wissenschaftler, Ökologen, einige Industriebereiche und manche Umweltpolitiker mit dem Klimawandel und anderen Nachhaltigkeitsthemen.

Was ist also passiert im 21. Jahr, das das Finanzsystem in den Fokus rückte? Es war ein schlichter und einfacher Satz im Art. 2 des Pariser Klimaabkommens vom 15. Dezember 2015. Darin wurde festgehalten, dass zur Erreichung der Klimaziele die Finanzströme umgelenkt werden müssten. Wörtlich heißt es: „Dieses Übereinkommen zielt darauf ab, […] die weltweite Reaktion auf die Bedrohung durch Klimaänderungen im Zusammenhang mit nachhaltiger Entwicklung […] zu verstärken, indem unter anderem […] die Finanzmittelflüsse in Einklang gebracht werden, hin zu einer emissionsarmen und gegenüber Klimaänderungen widerstandsfähigen Entwicklung.“

Es ist bemerkenswert, dass sich die in den globalen Verhandlungen führenden Außenminister dezidiert mit Finanzströmen befassten, denn das tun sie selten. Noch bemerkenswerter ist, dass sie dabei die Frage aufwarfen, wie globale Finanzströme umgelenkt und mit einer nachhaltigen Entwicklung in Einklang gebracht werden könnten, und die Staats- und Regierungschefs dies aufgegriffen haben. Kurze Zeit nach dem Pariser Abkommen stellten viele der Verantwortlichen fest, dass man dieses Umlenken der Finanzströme nicht allein für Klimafragen, sondern für die gesamte wirtschaftliche Nachhaltigkeit braucht. Es war mithin nur ein kleiner Schritt, um die Verbindung mit der viel breiteren Debatte des Club of Rome und den jüngsten Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen herzustellen. Klar wurde: Überall ist zu prüfen, wie Finanzströme so gesteuert werden können, dass nicht nur der Klimawandel verlangsamt wird, sondern sich auch der Wohlstand wirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltig entwickelt.

Das Thema Nachhaltigkeit und Finanzen war geboren.

Die Bedeutung des Finanzsystems in der Nachhaltigkeitsdebatte

Warum ist das Finanzsystem so wichtig für Nachhaltigkeit? Das Finanzsystem nimmt eine zentrale Rolle in der Volkswirtschaft ein mit seinen Banken, Versicherungen und Vermögensverwaltern in ihrer Funktion als Kapitalsammelstellen. Hier bündeln sich sämtliche Investitionsentscheidungen, die nicht durch Eigenmittel finanziert sind.

Da ferner die Finanzinstitutionen tiefgreifend reguliert und individuell beaufsichtigt sind, liegt es für die Politik nahe, einzugreifen und auf ein Umsteuern der Kapitalströme hinzuwirken.

Natürlich dürfen dabei die Grundsätze der Marktwirtschaft und dezentralen Entscheidungsfindungen nicht ausgehebelt werden. Dass Regulierung aber ohnehin in die Marktwirtschaft eingreift und nicht vollständig neutral sein kann, sieht man etwa in der Festlegung der Kapitalanforderungen für Staatsanleihen. Sämtliche Staatsanleihen in der Europäischen Union (EU) dürfen ohne Kapitalhinterlegung von Banken und Versicherern gehalten werden, wohingegen sämtliche Unternehmensanleihen mit Kapital hinterlegt werden müssen. Dies gilt trotz der Umschuldung des EU-Landes Griechenland mit Abschreibungen in dreistelliger Milliardenhöhe. Und es gilt auch, obwohl manche Staaten ohne geldpolitisches Eingreifen zahlungsunfähig wären. Wenn also Regulierung ohnehin nicht völlig neutral sein kann, so fragen sich viele, warum soll sie sich nicht an den Prinzipien der Nachhaltigkeit ausrichten?

Die Bedeutung der Nachhaltigkeit für das Finanzsystem

Warum ist im Gegenzug die Nachhaltigkeit so wichtig für das Finanzsystem? Drei Gründe sind es im Wesentlichen: Erstens sind viele Entscheidungen im Finanzsystem langfristige Festlegungen, etwa bei Investitionen, Krediten und anderen Unternehmensfinanzierungen. Sie können nur dann erfolgreich sein, wenn vorausschauend geprüft wird, ob mittel- oder langfristige Risiken bestehen. Dabei muss oft viele Jahre in die Zukunft geblickt werden. Nicht allein das Einzelinstrument ist entscheidend. Ebenso wichtig sind das Erkennen systemischer Zusammenhänge und der Blick über den Tellerrand der reinen Finanzarithmetik hinaus – bis hin zu einem breiten wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und auch umweltspezifischen Kontext.

Das teuerste Beispiel für fehlende wirtschaftliche Nachhaltigkeit stellte in den vergangenen zwei Jahrzehnten das Desaster mit den amerikanischen Sub-Prime-Anleihen dar. Hunderte Milliarden von Krediten waren weder wirtschaftlich noch gesellschaftspolitisch nachhaltig. Hypothekenkredite wurden an US-Bürger ohne Vermögen, oftmals ohne Einkommen und manchmal gar ohne Arbeit, ausgegeben.

Von Verkaufsmaschinen geblendet, von Ratingagenturen falsch informiert und vom kurzfristigen Gewinndruck geprägt, haben europäische Banken hunderte Milliarden Euro in die USA überwiesen. Sie erhielten im Gegenzug Wertpapiere, die beim Platzen der Blase weitestgehend abgeschrieben werden mussten und zum Teil vom Steuerzahler rückfinanziert wurden. Schon im Sommer 2008 beliefen sich allein die Sofortabschreibungen auf die amerikanischen Subprime-Kredite für die 20 am meisten betroffenen europäischen Banken auf rund 100 Milliarden Euro2 – und es folgten noch viele weitere Abschreibungsrunden im Zuge der gesamten Krise. Die Finanzierung von Ramsch-Hypotheken ist ein dramatisches Beispiel dafür, was passiert, wenn man Nachhaltigkeit ausblendet. Auch die Strukturen und die Praxis der Finanzmarktregulierung und -aufsicht wurden dadurch in Frage gestellt.

Der zweite Grund, warum Nachhaltigkeit auch für das Finanzsystem unverzichtbar ist, liegt in seiner gesellschaftlichen Relevanz. Nachhaltigkeit ist Mainstream; sie erhält politisch und gesellschaftlich einen wahrhaft gigantischen Rückenwind – über nahezu alle Parteien, Altersklassen und gesellschaftlichen Schichten hinweg. Das symbolisiert, dass weder der einzelne Bürger noch die Gesellschaft als Ganzes ohne Zukunftssicherung leben kann oder möchte. Der Mensch als weit vorausschauendes Wesen hat ein fundamentales Bedürfnis, sowohl individuell als auch gemeinschaftlich, die Nachhaltigkeit seiner Existenz gesichert zu wissen. Es ist daher wichtig für das Finanzsystem, dieses Thema aufzugreifen, um nicht auf der falschen Seite der Debatte zu landen.

Der dritte Grund erwächst aus dem zweiten. Nach der Diskreditierung der Finanzwirtschaft im Zuge der Finanzkrise bietet das Thema Nachhaltigkeit die Möglichkeit, wieder eine positive Verbindung zur Gesellschaft zu knüpfen. Es besteht die Chance, sich hier als Teil der Lösung zu positionieren und aktiv an der Umsetzung von mehr Nachhaltigkeit im wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Bereich zu arbeiten.

Was Finanzkrise und Nachhaltigkeit angeht, ist anzumerken, dass die Banken von der Öffentlichkeit und den Wirtschaftsmedien zu Unrecht als Hauptverursacher der Finanzkrise gebrandmarkt wurden. Die Banken waren letztendlich nur diejenigen, bei denen die Krise für den Bürgern sichtbar wurde, weil sie die nichtnachhaltigen Wertpapiere auf der Bilanz hielten. Ursächlich für die Finanzkrise waren jedoch die Finanzmärkte und die Ratingagenturen. Sie hatten minderwertige Hypotheken in komplizierte Strukturen verpackt, sie falsch bewertet und mit irreführenden Ratings bedacht. Nur so konnte der Druck auf die Banken entstehen, diese vermeintlich hochrentierlichen Papiere mit vermeintlich exzellenter Bonität zu kaufen. Natürlich haben sich die Verantwortlichen in den Kreditinstituten dazu hinreißen lassen, unter anderem, weil es schwierig war, sich diesem Sog zu entziehen. Aber wer den eigentlichen Ursprung der globalen Finanzkrise vergisst, erzählt nicht die vollständige Geschichte.

Dies ist auch deshalb wichtig, weil sich bis heute immer wieder zeigt, dass es die Finanzmärkte sind – und nicht die Finanzinstitutionen – die in Bezug auf Nachhaltigkeit des Finanzsystems das größte Risiko darstellen. Dazu zählen das kurzfristige Denken, die Fokussierung auf schnelle Rendite und der permanente Druck auf die Unternehmen, kurzfristige Erträge einer langfristigen Orientierung vorzuziehen. Wer die Umlenkung der Kapitalströme im Sinne eines nachhaltigen Prinzips anstrebt, muss als erstes die Finanzmärkte in den Blick nehmen.

Dieser Punkt ist wichtig, denn die Debatte zielt derzeit noch sehr stark auf die Banken, Versicherer und Pensionsfonds und damit am eigentlichen Problem vorbei. Die größte Gefahr für Stabilität und nachhaltiges Wachstum lauert auf den Finanzmärkten.

Was bisher geschah

Wer sich mit Nachhaltigkeit und Finanzen befasst, wird schnell feststellen, dass das Thema so breit ist, dass man mit dem Bus durchfahren kann und dabei eine nahezu unendliche Zahl von Vorschlägen und Initiativen vorfindet. Die Komplexität lässt sich jedoch reduzieren, wenn man sie in zwei wesentliche Fragen aufteilt: Erstens, wie lassen sich mögliche Nachhaltigkeitsrisiken für das Finanzsystem besser verstehen, transparent machen und kontrollieren? Und zweitens, wie kann das Finanzsystem die Nachhaltigkeit unseres Wohlstandes verbessern, insbesondere über mehr Investitionen? Also „Risiken verstehen“ einerseits und „tätig werden durch Investitionen“ andererseits. Dies sind die beiden Eckpunkte der Debatte über Nachhaltigkeit im Finanzsystem. Um es vorweg zu sagen: Der zweite Themenblock ist der weitaus wichtigere und weitaus schwierigere.

Die EU hat im Jahr 2017 eine hochrangige Expertenkommission (High-Level Expert Group on Sustainable Finance) eingerichtet, die Anfang 2018 einen umfassenden Bericht mit zahlreichen Empfehlungen vorgelegt hat. Daraufhin hat die Europäische Kommission im Frühjahr 2018 einen Aktionsplan3 präsentiert, der eine ganze Reihe dieser Empfehlungen in Regulierungsvorschläge und Politikmaßnahmen gießt. Erste Elemente sind bereits in der Entscheidungsphase, andere befinden sich in der gesetzgeberischen Erörterung. Aufgrund der anstehenden Europawahlen wird ein Großteil dieser Empfehlungen erst nach der Bildung einer neuen Kommission umgesetzt werden.

Zur Debatte steht ein ganzer Strang von Vorschlägen und Maßnahmen, der zum besseren Verständnis von Nachhaltigkeit und damit verbundenen Risiken beitragen soll. Konkretes Ziel: Unternehmen in der Real- wie der Finanzwirtschaft sollen sich intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit befassen und seinen Einfluss auf die Unternehmensstrategie diskutieren und darlegen. Aufsichtsräte sollten sich ebenso in regelmäßigen Abständen mit diesem Thema befassen. Aufseher sollten Methoden entwickeln, um Nachhaltigkeitsrisiken zu identifizieren. Investoren sollen mehr Informationen darüber erhalten, ob Unternehmen an Nachhaltigkeit ausgerichtet sind oder nicht. Das Berichtswesen von Unternehmen sollte Nachhaltigkeitsthemen explizit, und wenn möglich als Teil der Finanzberichterstattung, wiedergeben.

Im Detail schlägt die Kommission unter anderem folgendes vor:4

  • Governance: Die Kommission prüft, inwieweit Banken, Versicherungsgesellschaften und Pensionsfonds Aspekte der Nachhaltigkeit hinreichend berücksichtigen, sowohl bei ihren allgemeinen Geschäftsentscheidungen als auch in ihrem Risikomanagement. Für die Versicherungswirtschaft soll EIOPA eine Stellungnahme vorbereiten, ob Nachhaltigkeit hinreichend in der Regulierung abgebildet ist, und die Kommission erwägt, diese Stellungnahme in die Prüfung von Solvency II im Januar 2021 einzubeziehen.
  • Ratings: Die Kommission hat die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA (European Securities and Markets Authority) beauftragt, den Markt von Finanzratings zu analysieren und zu bewerten, in welchem Maße umweltbezogene, soziale und ordnungspolitische Erwägungen hinreichend berücksichtigt werden. Die Kommission erwägt, diese Kriterien in ihre Leitlinien für die Offenlegung für Ratingagenturen aufzunehmen und gegebenenfalls zusätzliche Leitlinien zu verabschieden.
  • Berichtswesen: Die Kommission erwägt, das bereits recht umfangreiche Berichtswesen zu nichtfinanziellen Aspekten des Unternehmens zu erweitern und eine Berichterstattung über mögliche Klimarisiken in der Finanzberichterstattung aufzunehmen, wie es die Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD) des FSB vorgeschlagen hat.
  • Finanzanalysten: Die Kommission plant eine umfassende Studie zur Frage, wie Nachhaltigkeitsaspekte bei Dienstleistern von Finanzanalysen berücksichtigt werden.
  • Treuhänderpflicht: Die Kommission plant, die Pflichten institutioneller Anleger und Vermögensverwalter in Bezug auf Nachhaltigkeitsaspekte neu zu regulieren. Insbesondere zielt sie darauf ab, dass institutionelle Anleger und Vermögensverwalter ausdrücklich Nachhaltigkeitsaspekte in den Entscheidungsprozess einbeziehen, um Endanlegern gegenüber transparenter zu machen, wie diese Nachhaltigkeitsfaktoren berücksichtigt werden.
  • Stärkung der Aufsicht: Sehr viele Aufseher in Europa haben begonnen, sich eingehend mit dem Thema Nachhaltigkeit zu befassen und diesen Aspekt in ihrer Aufsicht stärker zu berücksichtigen. Die Kommission wirkt entsprechend auf die Europäische Bankenaufsichtsbehörde EBA (European Banking Authority), EIOPA und ESMA ein.

Ein zweiter Strang von Vorschlägen und Maßnahmen soll zu mehr Investitionen in Nachhaltigkeit führen. Im Detail schlägt die Europäische Kommission folgendes vor:

  • Einführung eines EU-Klassifikationssystems für nachhaltige Tätigkeiten. Diese EU-Taxonomie soll klimawandelbezogene, Umwelt- und sozialpolitisch nachhaltige Tätigkeiten identifizieren. Dieses Klassifikationssystem soll auch die Grundlage dafür schaffen, dass durch verschiedene Maßnahmen – etwa Normenkennzeichen, Aufsichtsratsvorschriften – nachhaltige Lösungen unterstützt werden können.
  • Die Kommission plant, Maßnahmen zur Eindämmung der Kurzfristigkeit im Finanzsystem zu verstärken. Insbesondere soll die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) die Auswirkungen neuer IFRS5-Richtlinien auf nachhaltige Investitionen bewerten. Die Kommission erwägt, alternative Bilanzierungsmethoden zur Bewertung des Marktwerts heranzuziehen und zu prüfen, ob die Bewertung nach Marktwerten die Kurzfristigkeit im Finanzsystem befördert.
  • Die Kommission plant ferner zu prüfen, ob Kapitalmärkte einen unangemessenen kurzfristigen Druck auf Unternehmen ausüben und ob der hohe Anteil an Umsatz bzw. die kurze Haltedauer – etwa von Aktien – Praktiken sind, die einen übermäßig kurzfristigen Druck auf die Realwirtschaft ausüben.

Nachhaltigkeit als Chancen für das Finanzsystem

Das Thema Nachhaltigkeit ernst zu nehmen und umzusetzen, birgt drei Chancen für das Finanzsystem:

Erstens wird die Verbindung zur Realwirtschaft gestärkt. Denn die wirtschaftliche, ökologische und soziale Nachhaltigkeit unseres Wohlstands ist ein realwirtschaftliches Phänomen und braucht realwirtschaftliche Lösungen. Dem Aufruf des damaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, nach der Finanzkrise, das Finanzsystem sollte sich nicht mit sich selbst beschäftigen, sondern „der Realwirtschaft dienen“6, wird mit der Unterstützung von Nachhaltigkeit Rechnung getragen. Damit werden auch die gesellschaftliche Rolle und Bedeutung des Finanzsystems anerkannt und hervorgehoben.

Zweitens wird der Fokus auf die lange Sichtweise gelenkt. Denn sämtliche Lösungen, den Wohlstand nachhaltig zu sichern, erfordern einen langfristigen Horizont. Das ist offensichtlich im Bereich der Investitionen für Energie, Infrastruktur, Transportwesen. Und das gilt auch für Investitionen in Forschung und Technologie, in Bildung und in Arbeitsplätze. Im Grunde ist alles, was echte wirtschaftliche Werte schafft, langfristiger Natur.

Drittens, Nachhaltigkeit stärkt die Stabilität des Finanzsystems. Wer sich über langfristige Risiken Gedanken macht, wer Aspekte außerhalb des Finanzsektors, wie Umweltverbrauch und soziale Fragen, einbezieht und wer den Vorsorgegedanken in seine Strategie integriert, leistet letzten Endes einen Beitrag zur Stabilisierung des gesamten Systems. Und viel wichtiger noch als Risiken, die etwa mit der Verbrennung fossiler Energien zusammenhängen, ist wirtschaftliche Nachhaltigkeit. Wie oben erwähnt, wäre bei einem strikten Fokus auf Nachhaltigkeit die amerikanische Subprime-Krise womöglich anders verlaufen.

Risiken und Hindernisse auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit im Finanzsystem

Nachhaltigkeit im Finanzsystem zu verankern birgt allerdings nicht nur Chancen, sondern auch Risiken – insbesondere bei der Umsetzung. Hier bestehen drei Hauptrisiken, die in der Diskussion über zukünftige Maßnahmen bedacht werden sollten.

Erstens könnte die Verankerung von Nachhaltigkeit das ohnehin schon sehr dichte europäische Finanzregulierungsnetz noch weiter verknoten. Im weltweiten Vergleich ist der europäische Sektor schon heute das Finanzsystem mit den stärksten Regulierungen. Das zeigt sich sowohl im Volumen der entsprechenden Regelungen als auch in ihrer Detailschärfe.

Dieser hohe Regulierungsgrad mag zum Teil der europäischen Konstruktion selbst geschuldet sein. Schließlich müssen über 25 verschiedene nationale Systeme mit diesem Regelwerk gesteuert werden. Da bekanntermaßen jedes nationale System seine Besonderheiten aufweist, müssen auf EU-Ebene zunächst einmal jegliche Komponenten, Vorgänge und Abläufe definiert werden. Anschließend müssen sie in einer gewissen Weise vereinheitlicht werden. Schließlich ist das Bestreben, einen einheitlichen Markt über diese nationalen Systeme hinweg zu schaffen, sowie einen möglichst einheitlichen Wirkungsgrad im Sinne des Verbraucherschutzes. All dies bringt ein großes Maß an Vorschriften mit sich.

Eine noch komplexere Regulierung aufgrund der Nachhaltigkeits-thematik wäre aber nicht nur der Funktionsweise des Finanzsystems abträglich, sondern womöglich auch nicht zielführend. Denn die vielfältigen Nachhaltigkeitsinitiativen der vergangenen Jahre wurden nicht durch Regulierung gesteuert. Sie wären womöglich mit Regulierung nicht in diesem Maße erfolgt. Die Europäische Kommission ist sich dieser Thematik bewusst.

Das zweite Risiko besteht darin, dass neue Regulierungen „oben draufgepackt“ werden, anstatt bestehende Regulierungen anzupassen. Letzteres ist ebenfalls vorgesehen, doch erweisen sich Anpassungen stets als der schwierigere Weg. Wenn man die Unterstützung von Nachhaltigkeit im Banken- oder Versicherungssektor verbessern will, sollen auch begrenzte Anpassungen der Basel-III-, Solvency-II- und IFRS-Regeln angegangen werden, etwa um Langfristigkeit zu fördern. Insbesondere die IFRS-Regeln mit dem Anspruch, Eigenkapitalwerte in der Realwirtschaft nach Tagespreisen auf der Bilanz auszuweisen (IFRS 9), dämpfen solche Investitionen erheblich, weil sie zu beträchtlicher Bilanzvolatilität führen.

Das dritte Risiko besteht darin, sich auf einige Themen zu fokussieren, aber womöglich andere wichtige Themen außer Acht zu lassen, vielleicht sogar den berühmten Elefanten im Raum, wie man im Englischen sagt. Wenn das Ziel ist, das Finanzsystem als Ganzes auf Nachhaltigkeit umzustellen, hat es wenig Sinn, nur einzelne Bereiche anzufassen. Das größte Thema hierbei ist Kurzfristigkeit, und diese wird im Wesentlichen von den Kapitalmärkten gedrängt. Damit sind nicht Investitionen oder Handel mit kurzfristigen Papieren gemeint, sondern der kurzfristige Handel mit langfristigen Papieren, bzw. mit Papieren, deren Ertrag sich über die lange Frist zeigt, wie bei Aktien und Anleihen. Das Problem der Kurzfristigkeit besteht darin, dass eine Reihe von Akteuren am Finanzmarkt langfristige Instrumente gebrauchen – man möchte sagen missbrauchen –, um kurzfristige Gewinne zu erzielen.

Worin besteht nun die kurze bzw. die lange Frist? Die Antwort lautet: Die lange Frist ist die, in der sich reale bzw. fundamentale wirtschaftliche Ergebnisse im Finanzinstrumentarium widerspiegeln. Bei Aktien würde man dies zumindest bei einem Jahr, vermutlich sogar bei mehreren Jahren sehen. Gewiss gibt es am kurzen Ende Unschärfen, aber es dürfte Konsens sein, dass ein massiver Aktienhandeln auf Tages-, Wochen- oder Monatsfristen der Kurzfristigkeit zuzuordnen ist. In den USA gibt es für Aufsichtsräte daher die „Short-Swing Profit Rule“, die Aktienverkäufe innerhalb von sechs Monaten steuerlich besonders belastet.7 Dem liegt die Idee zugrunde, dass Aktiengeschäfte mit einer kürzeren Haltefrist als sechs Monate der Kurzfristigkeit zuzuordnen sind. Wie enorm das Problem mit dem kurzfristigen Handel von Aktien in der EU ist, zeigen die offiziellen Statistiken der Kommission. Die durchschnittliche Haltedauer dieses Instruments liegt bei acht Monaten. Wenn man sich vor Augen hält, dass viele Investoren Aktien über Jahre halten, gibt dieser Durchschnittswert einen Eindruck davon, wie groß der Markt für Kurzfristigkeit ist.

Es stellt sich daher folgende Frage: Kann ein Finanzsystem als nachhaltig gelten, in dem Hochfrequenzhandel mit sehr großen Aktienvolumina an der Tagesordnung ist?8 Kann man es zulassen, dass Milliardenwerte und ganze Unternehmen, hinter denen Tausende von Arbeitsplätzen stehen, in Bruchteilen von Sekunden hin und her gehandelt werden, oder Hedgefonds Aktienspekulation in Tages- und Monatsfrist betreiben? Die vermeintliche Liquidität, die ein solcher Handel mit sich bringt, ist kein schlagendes Argument, denn diese Liquidität verschwindet bei Instabilität oder Krisen als erstes und führt sogar – Stichwort Flash Crash – zu Systeminstabilität. Ferner sind Gewinne des Hochfrequenzhandels die Verluste der Langfristinvestoren.

Die personellen und finanziellen Ressourcen, die in das kurzfristige Finanzgeschäft gehen, haben zwar privaten, aber keinen gesellschaftlichen Nutzen. Ein florierendes Finanzsystem braucht sie nicht. Wenn also etwa über Sand im Getriebe der Kurzfrist-Handel eingedämmt wird – sei es über eine geringfügige Transaktionssteuer oder eine Art „Short-swing Profit Rule“ –, ist das eine gute Nachricht für ein nachhaltigeres Finanzsystem.

Drei Grundsätze für eine gelungene Umsetzung von Nachhaltigkeit im Finanzsystem

Wie lassen sich nun Chancen und Risiken in Einklang bringen? Dazu drei Grundsätze als Vorschlag.

Erstens, wie bereits betont, muss Nachhaltigkeit stets in den drei Dimensionen Ökologie, Soziales und Wirtschaft gedacht werden. Mit anderen Worten: Es geht dabei nicht nur um ökologische Nachhaltigkeit oder gar nur um die Verlangsamung des Klimawandels, sondern immer auch um soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit. Eine einseitige Ausrichtung wirtschafts- oder finanzpolitischer Systeme auf Ökologie zu Lasten der sozialen oder der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit kann für eine starke und soziale Wirtschaftsnation wie Deutschland keine tragfähige Lösung sein.

Ein gutes Beispiel dafür ist der aktuelle Stand der deutschen Energiewende. Zwar konnte der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung auf über 30 Prozent erhöht werden. Aber die Errichtung von 27.000 Windrädern und der Bau großer Stromtrassen waren mit gravierenden Umweltschäden durch Waldrodungen und Eingriffe in die Artenvielfalt verbunden. Nicht zu vergessen ist auch die Verdopplung des Strompreises zum Nachteil privater wie gewerblicher Kunden. Hinzu kommen große finanzielle Verluste durch die abrupten Abschreibungen auf funktionierende Anlagen. Aufgrund des raschen Wandels konnte sich eine lokale Produktion der Technologie hierzulande nicht aufbauen, sodass insbesondere Solaranlagen fast alle aus China kommen – mit entsprechenden Auswirkungen für hiesige Arbeitsplätze und die dortige Umwelt. Und die CO2-Emissionen sind bekanntlich kaum gesunken, weil die Verbrennung von Kohle und Gas nicht im selben Umfang reduziert werden konnten, da diese Energieträger den Ausstieg aus der Atomkraft kompensieren mussten. Insgesamt also eine sehr gemischte Bilanz der Energiewende, trotz rund 250 Milliarden Euro an Subventionen, und wenig Nachhaltigkeit in puncto Wirtschaft und Umwelt und Emissionen.

Überhaupt wird man in den nächsten Jahren sehen, ob die EU-weite Festlegung und deutschen Klimaziele auf einen derart rapiden Rückgang der CO2-Emssionen binnen weniger Jahre ein (Verhandlungs-) Fehler waren oder nicht. Ein Verhandlungsfehler wären sie, wenn sie umweltpolitisch, sozialpolitisch und wirtschaftspolitisch nicht erreichbar sind, wohingegen die jeweiligen Ziele der Verhandlungspartner durchaus erreichbar sind.

Denn man darf nicht vergessen, dass die länder- bzw. EU-spezifischen Klimaziele nicht wissenschaftlich untermauert sind, sondern reine Verhandlungsergebnisse darstellen.

Die EU hat in Paris verhandelt, die Emissionen vom heutigen Stand rund 30 Prozent zu senken;9 China hingegen hat verhandelt, dass es seine Emissionen bis 2030 noch erhöhen darf, und keine Obergrenze genannt; Wissenschaftler gehen von zehn bis 20 Prozent mehr Emissionen des weltgrößten Emittenten bis dahin aus, womit die Emissionen dann rund 380 Prozent über dem Niveau von 1990 liegen werden. Und die USA haben in Paris verhandelt, dass sie die Emissionen um rund zehn Prozent unter das Niveau von 1990 senken werden, bevor Donald Trump das Pariser Abkommen aufkündigte.10 Dies zeigt, wie unterschiedlich das Globalziel auf die unterschiedlichen Regionen heruntergebrochen wurde. Entscheidend für die Erreichung dieser Ziele wird sein, und hier kommt die Rolle des Finanzsystems ins Spiel, massiv in Forschung und Entwicklung von neuen Technologien zu investieren. Dies braucht aber einen langen Atem und kann nicht im Umfeld von kurzfristigem Kapitalmarktdruck realisiert werden.

Zweiter Grundsatz: Es muss Klarheit herrschen über das verbindliche Ziel aller Bemühungen. Der Wunsch zur Kontrolle heutiger Risiken ist verständlich und richtig; sollte dies aber der dominante oder gar alleinige Ansatz zum Thema Nachhaltigkeit und Finanzen sein, wäre dies grob falsch. Denn es geht im Kern, wie die Herausforderung der CO2-Ziele zeigt, um die Mobilisierung des Finanzsystems für deutlich mehr Langfrist-Investitionen.

Eine Versuchung für Regulierer und Aufseher beim Thema Nachhaltigkeit wird sein, das aktuelle Finanzsystem auf existierende Nachhaltigkeits- und Klimarisiken zu untersuchen. Gerade in Bezug auf Klimarisiken könnte eine Welle losbrechen, die suggeriert, es gäbe im heutigen Finanzsystem möglicherweise große, bislang unentdeckte Klimarisiken, die mit neuen Berichtspflichten oder neuen aufsichtsrechtlichen Mitteln wie Klima-Stresstests aufgedeckt werden müssten. Dass es gewisse Risiken geben könnte, kann man theoretisch nicht ausschließen, wird aber in der Praxis kaum relevant sein.

Dies wird am Beispiel der AXA deutlich, die im Jahr 2015 ihren Ausstieg aus Kapitalanlagen im Bereich der Kohle ankündigte und damit für die Versicherungsbranche ein weltweites Signal für klimabewusste Investitionspolitik setzte. Die betroffenen Investitionen von 500 Millionen Euro entsprachen 0,1 Prozent des von der AXA verwalteten Vermögens.11 Selbst wenn es in diesem Bereich Ausfälle gegeben hätte, hätte es keine Auswirkungen auf die Finanzstabilität gegeben, denn die Investitionen waren entsprechend mit Kapital hinterlegt und wurden laufend beobachtet.

Ein aufsichtsrechtlicher Dialog mit den Unternehmen über Nachhaltigkeitsthemen ist wünschenswert. Aber darin liegt nicht die eigentliche Herausforderung. Zudem bestünde durch die Einführung komplizierter Klima-Stresstests das Risiko, mit Kanonen auf Spatzen zu schießen.

Die zentrale Frage lautet vielmehr, wie Investitionen gefördert werden. Investitionsmobilisierung ist in erster Linie ein Thema für die Regulierung und natürlich für die Wirtschaftspolitik. Hierbei sollte bewusst Diversität zugelassen werden, weil momentan in Bezug auf viele Nachhaltigkeitsthemen technologische Offenheit besteht. Es ist nicht ausgemacht, dass etwa das batteriebetriebene elektrische Fahren die dominante Lösung sein wird.12 Ebenso könnten es beispielsweise Brennstoffzellen oder synthetische, emissionsfreie Gase sein. Nachhaltigkeit im Energiebereich wird nur dann gelingen, wenn Deutschland und die EU in großem Stil in neue Technologien investieren.

Drittens sollte man angesichts der Tatsache, dass die EU eines der am stärksten regulierten Finanzsysteme der Welt hat, mit zusätzlicher Regulierung sehr zurückhaltend sein. Der Grund ist, dass der Aufwand bei den Finanzinstituten mit jeder zusätzlichen Regulierung nicht additiv, sondern multiplikativ zunimmt, weil sämtliche Regeln miteinander zusammenhängen.

Von daher ist es wichtig zu verstehen, dass der Aktionsplan der Europäischen Kommission nicht allein auf Regulierungen beruht, sondern viele andere Maßnahmen und auch freiwillige Ansätze enthält. Denn schließlich liegt Nachhaltigkeit im inhärenten Interesse sämtlicher Finanzinstitutionen mit langlaufenden Vermögenswerten und langlaufenden Verbindlichkeiten. Viele Initiativen von Unternehmen, so auch der oben genannte Kohleausstieg der AXA, beruhten allein auf unternehmerischer Einsicht und nicht auf Regulierung. Die Unternehmen sehen sehr wohl sämtliche Chancen und Risiken, und es obliegt ihrer Entscheidung und ihrem Geschäftsmodell, daraufhin angemessen zu reagieren.

Zudem sollte das Nachdenken über neue Regulierung immer einschließen, bestehende Regulierung kritisch zu überprüfen. Das heißt konkret, bestehende Regulierungen sollte daraufhin untersucht werden, ob sie ausreichend Langfristinvestitionen fördern oder doch etwa behindern. Betrachtet werden sollten die große Komplexität der Regulierungen und ihr Fokus auf einen recht kurzen Zeithorizont. So liegt der Zeithorizont der meisten Regulierungen, wie Basel III und Solvency II, bei einem Jahr – also weit unter einem Nachhaltigkeitshorizont. Nicht zuletzt ist IFRS9 überhaupt nicht auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Zudem sollte der kurzfristige Druck des Kapitalmarkts auf Unternehmen untersucht werden. Viele Investoren haben einen viel kürzeren Zeithorizont als das Management. Die meisten Analysten basieren ihre Unternehmensempfehlung auf einen Zeithorizont von einem bis drei Jahren – auch dieser liegt weit unterhalb des Nachhaltigkeitshorizonts. Nachhaltigkeit in die Hände von Investoren zu legen, ist daher vermutlich nicht die beste Idee.

Schlussbemerkung

Das Thema Nachhaltigkeit ist deswegen so interessant, weil es eigentlich eine Selbstverständlichkeit darstellt. Der Mensch als vorausschauendes Wesen, die bürgerliche Gesellschaft als stabilitätsstiftender Verbund und auch das Eigeninteresse der Wirtschaft drängen im Grunde nach Nachhaltigkeit. Insofern ist es eine der interessantesten Fragen, warum Nachhaltigkeit in der modernen Wirtschaftsordnung wieder als Thema erfunden werden muss, und welche möglichen Hindernisse einer natürlichen Ausrichtung auf Nachhaltigkeit im Wege stehen. In diesem Beitrag sind einige Bereiche angesprochen worden, insbesondere das kurzfristige Handeln mit langfristigen Finanzinstrumenten. Solange es in der heutigen Form gestattet bleibt, wird es kein nachhaltiges Finanzsystem geben. Auch hier also darf es im Grunde kein „Weiter so“ geben.

Das Thema Nachhaltigkeit ist auch deswegen so aktuell, weil es letztlich um die Globalisierung und ihre bessere Steuerung geht. Vermutlich sind weder die deutschen Diesel die Klimakiller noch die restlichen Kohlekraftwerke hierzulande; zumal China 15 Mal mehr Kohle verstromt und hunderte von weiteren Kohlekraftwerken plant. Vermutlich ist der echte Klimakiller die Globalisierung selbst, und zwar durch den Raubbau an natürlichen Ressourcen und die internationalisierten Produktionsketten mit ihrem unvorstellbaren globalen Transportvolumen an Zwischen- und Fertiggütern. Die globale Schifffahrt zum Transport all dieser Güter rund um den Globus stößt alleine über eine Milliarde Tonnen CO2 aus. Leider aber sieht man es den Waren nicht an, wenn sie in Elektronikmärkten, Supermärkten, Baumärkten und Kleidungsgeschäften im Regal liegen.

Wer also das Thema Nachhaltigkeit zu Ende denkt, wird sich fragen müssen, wie man die Globalisierung besser steuert, sodass die enormen Vorteile erhalten bleiben, aber die Nachteile für die lokale Wirtschaft, den Sozialstaat und die Umwelt reduziert werden können. Stichworte hier sind „lokale Produktion“, „regionale Beschäftigung“, „Umstellung der industriellen Landwirtschaft auf biologische Landwirtschaft“ und vieles mehr.

Ein kritischer Blick sollte auch auf die Scheineffizienz globaler Märkte und auf Preise gerichtet werden, die den Umweltverbrauch ausblenden. Mehr Investition in lokale Fertigung von Waren aller Art bringt nicht nur Klimavorteile sondern auch wirtschaftliche und soziale Vorteile. Global denken und lokal investieren – so könnte das Schlagwort lauten. Auch hier gibt es große Chancen für das Finanzsystem, für Investitionen und für die Finanzstabilität. Es wird eine spannende Reise.

Autor

Dr. Christian Thimann
Vorsitzender der Geschäftsleitung von Athora Deutschland, stellvertretender Vorsitzender der Taskforce zu Klimarisiken des Finanzstabilitätsrats FSB und Vorsitzender der EU-Expertenkommission für nachhaltige Finanzierung

Fußnoten:

  1. 1 Die jeweiligen Bezeichnungen lauten in ihrer englischen Originalfassung: EU High-Level Expert Group on Sustainable Finance (HLEG Sustainable Finance); Financial Stability Board Task Force on Climate-Related Financial Disclosures (TCFD); Central Bank Network on Greening the Financial System (NGFS).
  2. 2 Diese Ziffer ist nur ein Teil der Gesamt-Abschreibungen in der globalen Finanzkrise und umfasst die unmittelbaren Abschreibungen auf Subprime-Kredite von Banken wie Deutsche Bank, Dresdner Bank, Commerzbank, IKB, Landesbank Bayern, WestLB sowie von HSBC, Lloyds, Royal Bank of Scotland, Credit Agricole, Société Générale und anderen. Quelle: Bloomberg, 12. August 2008.
  3. 3 Europäische Kommission, Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums, COM (2018) 97, vom 8.3.2018, abgerufen am 14.4.2019. Vgl. dazu auch Dr. Levin Holle, Sustainable Finance auf globaler, europäischer und nationaler Ebene – eine Einschätzung des Bundesministeriums der Finanzen.
  4. 4 a.a.O. (Fn. 3).
  5. 5 International Financial Reporting Standards.
  6. 6 Vgl. etwa „The financial sector must not forget that it is to serve the real economy, not the other way around”, Jean-Claude Trichet, Rede beim Bankenkongress „ After the Crisis”, Frankfurt am Main, 20.11.2009.
  7. 7 Die „Short-Swing Profit Rule” ist eine Regulierung der Securities and Exchange Commission (SEC), die es Insidern untersagt, Gewinne aus An- und Verkaufgeschäften mit einer Haltedauer von weniger als sechs Monaten zu machen. Interessant ist dabei die Definition der kurzen Frist als sechs Monate. Manche Investoren, insbesondere Hedge-Fonds und sogenannte aktivistische Investoren, versuchen oft, sich durch direkte Kontakte mit dem Unternehmen Insider-Informationen zu beschaffen, auch wenn sie nicht formell zum Kreise der Insider gehören.
  8. 8 Hochfrequenzhandel (HFH) ist nicht zu verwechseln mit elektronischem Handel. Zwar ist Hochfrequenzhandel notwendigerweise elektronisch, aber er ist eine Sonderform dieses Handels mit einer Haltedauer im Bereich des Bruchteils einer Sekunde. Selbstverständlich gibt es bei dieser Frist keinen ökonomischen Ertrag, sondern es ist reine Technik, bei dem Computerprogramme mit Computerprogrammen handeln und letztlich den Käufen und Verkäufen von „echten“ Investoren vorauslaufen (front running) und dabei Gewinne über große Volumina (quote stuffing, flash orders) abschöpfen. Das deutsche Gesetz von 2013 hat versucht, diese Praxis einzupflegen, hat sie aber in ihrer Grundstruktur aufrechterhalten. Eine einfache Maßnahme, diesen hochriskanten, instabilen und intransparenten Hochfrequenzhandel zu unterbinden, wäre die Auflage, dass eine Order nicht binnen einiger Minuten wieder aus dem System genommen werden kann. Es bleibt zu erwarten, wann die Politik sich zu einer solch einfachen, aber effektiven Maßnahme durchringt.
  9. 9 Das präzise Verhandlungsergebnis für die EU wurde formuliert als die Senkung der CO2-Emissionen bis 2030 um 40 Prozent unter die Emissionen von 1990, was in etwa einer Absenkung von 30 Prozent vom heutigen Niveau entspricht.
  10. 10 Die jeweiligen Zusagen in Paris waren jeweils auf unterschiedlicher Basis formuliert; manche Länder legten sich auf Ziele für das Jahr 2025 oder 2030 fest; manche nahmen als Basis 1990 oder den Stand von 2014. Die Angaben im Text sind Schätzungen, um die Werte ungefähr vergleichbar zu machen.
  11. 11 Siehe die Ankündigung des damaligen Vorstandsvorsitzenden Henri de Castries, Climate change: it’s No Longer About Whether, it’s About When, 22.5.2015, abgerufen am 16.4.2019.
  12. 12 Die Batterie eines Pkw mit Elektroantrieb wiegt zwischen 300 und 800 Kilogramm. Rund fünf Kilo davon sind reines Lithium. Eine Umstellung aller Pkw der Welt würde rund 5 Mio. Tonnen Lithium benötigen. Der Abbau von Lithium geht allerdings mit enormen Umweltbelastungen und -zerstörungen einher; rund zwei Millionen Liter Wasser werden für den Abbau einer Tonne Lithium benötigt, was in den wasserarmen Vorkommen ein enormes Problem darstellt und angrenzenden Gebieten wertvolles Trinkwasser entzieht.

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BaFinPerspektiven 2 | 2019 (Download)

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