BaFin - Navigation & Service

BaFinPerspektiven 2 | 2019 © Vera Kuttelvaserova/stock.adobe.com / BaFin

Erscheinung:28.05.2019 BaFinPerspektiven 2 | 2019

„Nachhaltigkeit im EU-Regelwerk verankern“

Interview mit Elisabeth Roegele, Exekutivdirektorin Wertpapieraufsicht und Vizepräsidentin der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin).

Frau Roegele, Nachhaltigkeit beschäftigt den europäischen Gesetzgeber derzeit sehr stark. Wie steht die BaFin zu den bisherigen europäischen Entwicklungen – insbesondere im Hinblick auf das Investmentrecht – und wie bringt sie sich in deren Gestaltung ein?

Auf einen Blick:Nachhaltigkeit in der europäischen Gesetzgebung

In der europäischen Gesetzgebung ist Nachhaltigkeit derzeit ein sehr präsentes Thema.1 Im Mai 2018 hat die EU-Kommission als Teil ihres Aktionsplans zum nachhaltigen Finanzwesen2 Legislativvorschläge zu Taxonomie, Transparenz, Verhaltens- und Organisationspflichten und zu Benchmarks veröffentlicht.

Daneben hat die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA (European Securities and Markets Authority) im Rahmen eines Arbeitsauftrages der EU-Kommission unter anderem Vorschläge zur Implementierung von Nachhaltigkeitsaspekten in europäische Regelwerke für Investmentfonds und zur Integration von Nachhaltigkeitsaspekten ins Risikomanagement von Wertpapierdienstleistungsunternehmen, in die Zielmarktbestimmung und in die Geeignetheitsprüfung erarbeitet und zur Konsultation gestellt.

Dass nun Nachhaltigkeitsgesichtspunkte im aufsichtsrechtlichen EU-Regelwerk verankert werden sollen, unterstützt und befürwortet die BaFin grundsätzlich. Gerade von einer praktikablen europäischen Taxonomie versprechen wir uns positive Impulse. Dazu muss man wissen, dass sich ein nachhaltiges Finanzwesen nicht auf grüne Investitionen beschränkt, sondern auch soziale Gesichtspunkte, wie etwa den Kampf gegen Kinderarbeit und Grundsätze guter Unternehmensführung, einbezieht. Im EU-Gesetzgebungspaket werden dafür die Begriffe „Environmental“, „Social“ und „Governance“ verwendet, so dass wir oft von „ESG-Kriterien“ sprechen.

Darüber hinaus können die in den Legislativvorschlägen der EU-Kommission3 enthaltenen Regelungen zu erhöhten Transparenzpflichten Anlegern helfen, sich über die Nachhaltigkeit von Finanzprodukten zu informieren und auf dieser Basis ihre Anlageentscheidungen zu treffen. Bei den Transparenzpflichten geht es unter anderem darum, dass Kapitalverwaltungsgesellschaften darüber berichten sollen, wie sie Nachhaltigkeitsrisiken im Investmentprozess berücksichtigen. Außerdem sollen sie beim Vertrieb nachhaltiger Finanzanlagen spezifische Informationen bereitstellen. Verschärfte Transparenz- und Offenlegungspflichten sollten sich allerdings vor allem auf explizit als nachhaltig bezeichnete Finanzprodukte beziehen, also zum Beispiel auf Nachhaltigkeitsfonds. Geraten die Offenlegungspflichten zu umfangreich, könnte man damit kleinere Anbieter vom Vertrieb nachhaltiger Produkte abschrecken.

Was die Investmentaufsicht angeht, arbeitet die BaFin in der ESMA vor allem an deren Vorschlägen zur Implementierung von Nachhaltigkeitsgesichtspunkten in die OGAW-Richtlinie4 und die AIFM-Richtlinie5 und die dazugehörigen Delegierten Rechtsakte mit.

Darin geht es um Regelungen zu Organisationspflichten, zu den Voraussetzungen für den Geschäftsbetrieb und zum Risikomanagement. Ich denke, dass die ESMA mit den Vorschlägen vom Dezember 2018 den richtigen Weg eingeschlagen hat. Gerade der prinzipienbasierte Ansatz stellt sicher, dass dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen wird. Wir Aufseher müssen künftig bei den aufsichtsrechtlichen Anforderungen die Größe und die Leistungsfähigkeit der Kapitalverwaltungsgesellschaft und den Umfang des verwalteten Vermögens berücksichtigen. Man darf auch nicht außer Acht lassen, dass wir es bei nachhaltigen Finanzprodukten mit einem relativ jungen und innovativen Markt zu tun haben. Ein prinzipienbasierter Ansatz lässt beispielsweise Raum für Flexibilität bei der Anpassung von Risikomodellen durch die beaufsichtigten Unternehmen, um auf diese Weise auch zukünftige Entwicklungen abbilden zu können. Dies gilt umso mehr, als dass wir uns derzeit zur Identifizierung nachhaltiger Anlagen noch nicht auf eine finale Taxonomie stützen können.

Frau Roegele, die Vorschläge im Gesetzespaket der Europäischen Kommission als Teil ihres Aktionsplans zum nachhaltigen Finanzwesen betreffen auch die Verhaltens- und Organisationspflichten unter MiFID II6. Was bedeutet das für Wertpapierdienstleistungsunternehmen?

Die Vorschläge der Kommission haben eine einheitliche Nachhaltigkeitsdefinition und höhere Investitionen in nachhaltige Anlagen zum Ziel. Sie sehen unter anderem vor, dass ESG-Kriterien in die Zielmarktbestimmung und in die Geeignetheitsprüfung integriert werden. Für Produkthersteller und Vertriebsunternehmen heißt das, dass sie bei der Zielmarktbestimmung und Produktklassifizierung künftig die ESG-Kriterien einbeziehen und Finanzinstrumente unter anderem danach einordnen müssen, ob sie diese Aspekte fördern. Außerdem müssen Wertpapierdienstleistungsunternehmen bei der Finanzportfolioberatung und der Anlageberatung die Kunden fragen, ob ihnen die ESG-Kriterien bei der Finanzanlage wichtig sind, und dies bei der Anlagestrategie und der Anlageempfehlung berücksichtigen. Die ESMA hat zu diesen neuen Anforderungen Ende 2018 ein Konsultationspapier veröffentlicht, zu dem Marktteilnehmer Stellung nehmen konnten. Die Auswertung dieser Stellungnahmen läuft derzeit.7

Welche Änderungen bringt das Gesetzespaket für Kunden mit sich, und wie steht die BaFin dazu?

Schon jetzt müssen Unternehmen in der Anlageberatung die Kriterien berücksichtigen, die der Kunde nennt. Legt er zum Beispiel Wert auf eine grüne Geldanlage, muss dieser Wunsch schon heute bei der Anlageempfehlung berücksichtigt werden. Für die Kunden ist Transparenz wichtig, damit sie vergleichen können. Sie müssen wirklich nachhaltige Anlagen von solchen unterscheiden können, die nur einen grünen Anstrich tragen.

Grundsätzlich unterstützt die BaFin das Vorhaben der Europäischen Kommission, nachhaltige Geldanlagen zu fördern. Sicher werden auch aufgrund der Gesetzgebungsvorschläge der Kommission immer mehr Unternehmen nachhaltige Finanzinstrumente in ihr Angebot aufnehmen. Zudem ist das Thema Nachhaltigkeit gerade „im Trend“, so dass auch die Nachfrage auf Kundenseite steigen dürfte.
Dabei darf aber eines nicht vergessen werden: Die Vorgaben zur Product Governance und zur Geeignetheitsprüfung haben das Ziel, dass Kunden für sie geeignete Produkte erwerben. Das bleibt auch so. Die Nachhaltigkeit einer Anlage kann daher immer nur ein Teilaspekt der Anlageentscheidung des Kunden sein. Stehen die ESG-Kriterien dagegen für den Kunden nicht an erster Stelle, dann muss dies das Unternehmen bei der Anlageempfehlung ebenso berücksichtigen.

Wichtig ist, dass ein einheitliches Begriffsverständnis „nachhaltiger Geldanlagen“ erreicht wird und der Kunde auf dieser Grundlage nachhaltig investieren kann, sofern er dies möchte.

Ein wichtiges Informationsmedium für Anleger ist der Prospekt. Sollten sie daher nicht auch in den Prospekten verstärkt über die Nachhaltigkeitsaspekte ihrer Anlage informiert werden?

Bei der EU-Kommission gibt es solche Bestrebungen, und grundsätzlich unterstützen wir diesen Ansatz. So sollen Kapitalverwaltungsgesellschaften nach einem Verordnungsentwurf8 der Kommission unter anderem im Prospekt offenlegen, wie sie mit Nachhaltigkeitsrisiken umgehen. Der Aktionsplan der Kommission zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums aus dem Jahr 2018 sieht darüber hinaus vor, dass spezielle Mindestangaben in die Wertpapierprospekte für Green Bonds aufgenommen werden. Jetzt darf man natürlich nicht auf diesem Wege für Emittenten nachhaltiger Finanzprodukte unverhältnismäßig strenge Regeln schaffen. Es wäre nicht vertretbar, wenn sie mehr Informationspflichten erfüllen müssten als Emittenten traditioneller Anleihen. Damit würde man die Emission grüner Anleihen unattraktiv machen, was das genaue Gegenteil von dem ist, was man erreichen möchte. Wir sind der Ansicht, dass ein ausgewogener Ansatz gefunden werden muss, einer, der dem Informationsbedürfnis der Anleger gerecht wird und zugleich die Emittenten nicht über Gebühr mit zusätzlichen Pflichten belastet.

Sollten die Ratingagenturen verpflichtet werden, Nachhaltigkeitskriterien bei ihren Ratings stärker zu berücksichtigen?

Die Ratingagenturen sind schon jetzt dazu verpflichtet, alle Faktoren zu berücksichtigen, die für die Beurteilung der Kreditwürdigkeit eines Unternehmens oder eines Finanzinstruments relevant sind. Dazu zählen selbstverständlich auch ESG-Faktoren. Das ergibt sich aus der aktuellen Fassung der EU-Ratingverordnung9. Wenn Nachhaltigkeitskriterien ohne Relevanz für die Kreditwürdigkeit sind, bei der Bewertung des Kreditrisikos aber stärker ins Gewicht fallen, dann kann das zu Fehlern in den Analysen führen – und damit auch zu Fehlallokationen im Markt. Einen solchen Ansatz unterstützt die BaFin daher nicht.

Die Nachhaltigkeit von Unternehmensentscheidungen oder Finanzinstrumenten lassen sich für private und institutionelle Anleger auch auf andere Weise transparent machen, nämlich mit speziellen ESG-Ratings. Die gibt es bereits. Was fehlt, sind einheitliche Standards für solche Ratings. Hier wäre zu überlegen, ob man es der Branche überlässt, sich mit eigenen Standards selbst zu regulieren, oder ob doch der Gesetzgeber gefragt ist. Eine Frage, über die man auf europäischer Ebene diskutieren sollte.

Frau Roegele, wir danken Ihnen für das Interview.

Fußnoten:

  1. 1 Vgl. dazu auch Beitrag von Dr. Levin Holle.
  2. 2Financing Sustainable Growth“, abgerufen am 11.4.2019.
  3. 3 https://ec.europa.eu/info/publications/180524-proposal-sustainable-finance_en, abgerufen am 18. März 2019.
  4. 4 Richtlinie zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW).
  5. 5 Richtlinie über die Verwalter alternativer Investmentfonds. Das Kürzel AIFM steht für „Alternative Investment Fund Managers“.
  6. 6 Markets in financial instruments directive. RL 2014/65/EU, ABl. EU L 173/349.
  7. 7 Siehe Infokasten „Nachhaltigkeit in der europäischen Gesetzgebung“.
  8. 8 https://ec.europa.eu/info/publications/180524-proposal-sustainable-finance_en#investment, abgerufen am 12.4.2019.
  9. 9 Verordnung (EG) Nr. 1060/2009, ABl. EU L 302/1.

Zusatzinformationen

BaFinPerspektiven 2 | 2019 (Download)

Hinweis

Fanden Sie den Beitrag hilfreich?

Wir freuen uns über Ihr Feedback

Es hilft uns, die Webseite kontinuierlich zu verbessern und aktuell zu halten. Bei Fragen, für deren Beantwortung wir Sie kontaktieren sollen, nutzen Sie bitte unser Kontaktformular. Hinweise auf tatsächliche oder mögliche Verstöße gegen aufsichtsrechtliche Vorschriften richten Sie bitte an unsere Hinweisgeberstelle.

Wir freuen uns über Ihr Feedback