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BaFinPerspektiven 2 | 2019 © Vera Kuttelvaserova/stock.adobe.com / BaFin

Erscheinung:28.05.2019 BaFinPerspektiven 2 | 2019

Nachhaltigkeit als globale Aufgabe

Nachhaltigkeitsrisiken werden mehr und mehr zur einer gesamtwirtschaftlichen Bedrohung und Aufgabe mit Finanzstabilitätsdimension. Finanzunternehmen, Regulierung und Aufsicht müssen diese Herausforderung international angehen.

Einleitung

Wie haben Sie den Sommer 2018 erlebt? Waren Sie zuletzt in Peking1 oder Neu Delhi2? Oder aber in Venedig, das aufgrund seiner Konstruktion besonders unter dem steigenden Meeresspiegel leidet3? Wird das von Ihnen bevorzugte Skigebiet auch immer weniger schneesicher4? Selbst wenn sich die kostentreibende Dürre des Sommers 2018 als Ausnahmeerscheinung erweisen sollte, sind die globalen Auswirkungen des Klimawandels und der Umweltzerstörung unübersehbar. Wir erahnen deutlich, dass wir umdenken müssen – und zwar in Richtung Nachhaltigkeit.

Vom Rat für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung stammt der Satz: „Nachhaltiges Wirtschaften beinhaltet wirtschaftliche Tätigkeiten, die die ökologischen Lebensgrundlagen erhalten und dabei Wohlstand und soziale Gerechtigkeit erzielen. Grundlage ist eine Kultur der Nachhaltigkeit, die durch Wertschätzung gegenüber der Natur, gesellschaftlichem Wissen und Kreativität gekennzeichnet ist. Nachhaltiges Wirtschaften vermindert den Verbrauch natürlicher Ressourcen auf ein Niveau, das mit einer nachhaltigen Entwicklung in Einklang steht.“5

Bis ins späte 20. Jahrhundert nahmen die Menschen in ihrem wirtschaftlichen Streben wenig Rücksicht auf die Umwelt – was auch lange nicht zwingend nötig schien. Jetzt beginnt unsere Umwelt, Geld zu kosten. Es gibt eine Vielzahl an Szenarien über diese Kosten: Verlust von bis zu 60 Prozent landwirtschaftlicher Nutzfläche6; bis zu 55 Prozent häufiger starke tropische Wirbelstürme7; Verlust von atemluftreinigendem, borealem und tropischem Wald8; eine um bis zu 150 Prozent steigende Übersäuerung der Ozeane9; Wassermangel, Hitzestress, Ausbreitung von Krankheiten und eine klimabedingte Auswanderung von mehreren hundert Millionen Menschen10. Die Risiken, die auf uns zukommen, sind weitreichender, vielfältiger und stärker in ihrer Auswirkung, als man es in einem solchen Artikel wird beschreiben können.

Da es vermutlich nicht gelingen wird, die Erderwärmung im erforderlichen Rahmen von 1,5 bis 2°C zu halten11, werden die Folgen in vielen Fällen unsere Befürchtungen übertreffen, was neben vielen privaten Verlusten auch erhebliche gesellschaftliche Kosten verursachen12 und beispiellose staatliche wie private Anstrengungen erfordern wird13. Diese Kosten könnten wirkungsvoll durch nachhaltige Investitionen, Verzicht auf Emissionen sowie Umstellung des wirtschaftlichen und privaten Lebens gedämpft werden.

Früher oder später wird es eine gesellschaftliche, politische, wirtschaftstheoretische, soziologische und kulturelle Debatte darüber geben müssen, ob und wie wir unseren Beitrag zur Erhaltung der Lebensgrundlagen bewerten wollen. Wenn der Mehrwert die treibende Kraft der Weltwirtschaft ist, wie kann dann zum Beispiel der Verzicht auf weitere Ressourcenausbeutung und -verschwendung Anerkennung finden? Solange wir Menschen in Geld denken, wird der Erhalt der Erde einen Preis haben müssen. Und das über die gesamte realwirtschaftliche Wertschöpfungskette hinweg. Es ist daher gerade auch die Finanzwirtschaft, die einen wesentlichen Beitrag dazu leisten kann, dass Geld nachhaltig verwendet wird und damit mit dem Erhalt unserer Lebensgrundlagen dient.

Risikotransfer in den Finanzmarkt

Es ist sicher weniger das Risiko eines vom Sturm abgedeckten Dachs, das Regulierer, Aufseher und Zentralbanker auf den Plan ruft oder das überflutete Rechenzentrum eines Kreditinstituts. Es sind die indirekten Risiken, also die Risiken, die sich aus der Kundenstruktur dieser Finanzunternehmen ergeben. Es sind die indirekten physischen und transitorischen Risiken von Versicherern und Banken.14 Denn gebündelt können diese Risiken durchaus Finanzstabilität gefährden15.

Nachhaltigkeitsrisiken werden mehr und mehr zur einer gesamtwirtschaftlichen Bedrohung und Aufgabe mit Finanzstabilitätsdimension. Finanzunternehmen, Regulierung und Aufsicht müssen diese Herausforderung angehen. So erwartet die BaFin schon seit Längerem von Versicherern und insbesondere Rückversicherern, sich mit den physischen Risiken zu befassen. Versicherungsunternehmen müssen stets in der Lage sein, die von ihnen versicherten Schäden zu regulieren16. Ein weiterer Aspekt ist die langfristige Anlage von Versichertengeldern, bei der die Versicherungsunternehmen immer mehr auf Nachhaltigkeit setzen17. Für Kreditinstitute und Wertpapierfirmen steht natürlich zunächst die Rendite ihrer Anlage, beziehungsweise Investition im Fokus. Aber zunehmend preisen sie auch die oben beschriebenen indirekten physischen und transitorischen Risiken, also zum Beispiel die Wirkung von Nachhaltigkeitsrisiken bei Kreditnehmern, in ihre Entscheidungen ein.

Wir sprechen jedoch nicht nur über die Risiken, die wir in puncto Nachhaltigkeit im Auge behalten müssen. Wir sehen auch große Chancen, welche die Finanzwirtschaft bei der Generierung und Umleitung von Mitteln für die Erfüllung der Nachhaltigkeitsziele18 erschließen kann. Wenn schon eine gesellschaftliche Aufgabe in die Bilanzen von Finanzinstituten verlagert werden soll, dann muss man sich selbstverständlich auch über entsprechende Anreiz- und Absicherungssysteme unterhalten.

Wie aber soll sich die Finanzaufsicht zu dieser gesamtgesellschaftlichen Herausforderung positionieren? Einige globale Regulierungsinitiativen beschäftigen sich intensiv mit dieser Frage19. Sie sollen im Folgenden beschrieben werden.

Globale Regulierungsinitiativen

Handlungsempfehlungen des Central Banks and Supervisors Network for Greening the Financial System

Das Central Banks and Supervisors Network for Greening the Financial System (NGFS), dem sowohl die BaFin als auch die Deutsche Bundesbank angehören, hat Handlungsempfehlungen für Aufsichtsbehörden und Zentralbanken aufgestellt20.

Erwartungen an Zentralbanken und Aufsichtsbehörden

Als erstes müssten klimabezogene Risiken in die bestehenden Mandate von Aufsichtsbehörden und Zentralbanken einbezogen werden. Diese sollen sich sehr schnell mit diesem Thema befassen und Nachhaltigkeitsrisiken in ihre Analysen einbauen, sei es auf Finanzinstituts- oder auf makroprudenzieller Ebene. Hierzu wären die Übertragungskanäle physischer und transitorischer Risiken zu identifizieren und zentrale Risikoindikatoren (Key Risk Indicators) für deren Überwachung zu entwickeln. Eine einheitliche Taxonomie nachhaltiger und weniger nachhaltiger Risikopositionen wäre eine wunderbare Grundlage. Wartete man jedoch auf eine weltweit gültige Taxonomie, würde man der Dringlichkeit dieses Themas nicht gerecht.

Zudem sollen Zentralbanken und Aufsichtsbehörden selbst Kapazitäten für die Beurteilung von Nachhaltigkeitsrisiken aufbauen sowie Analysetools und -verfahren entwickeln. Es bedarf auf der einen Seite eines mehr datengetriebenen Ansatzes, auf der anderen Seite jedoch zukunftsbezogener Betrachtungen und Prognosen. Nachhaltigkeitsszenarien werden, auch wenn sie Raum für Interpretationen bieten, eine sehr bedeutende Rolle spielen, wenn es darum geht, mögliche Entwicklungen für die weltweiten Finanzmärkte, aber auch für die einzelnen Sparten und Unternehmen der Finanzwirtschaft vorherzusagen.

Aufsichtsbehörden sollen entsprechende Strategien von den beaufsichtigten Unternehmen erwarten. Nachhaltigkeitsrisiken müssen vor allem auch auf Vorstandsebene verstanden werden, um in eine gute Unternehmensführung und -steuerung sowie in ein angemessenes Risikomanagement zu münden. Auch in der internen und externen Kommunikation der Unternehmen hat dieses Thema eine klare Rolle zu spielen. Hierzu zählen selbstverständlich auch die Anforderungen an die Offenlegungs- und Berichtspflichten und deren Beitrag zur Marktdisziplin in Sachen Nachhaltigkeit.

Risikomanagement

In der direkten Aufsicht über Finanzunternehmen verfügt die Aufsicht über Ansätze, die sich bewährt haben: Ist das Risiko identifiziert – und davon darf man bei Nachhaltigkeitsrisiken ausgehen – gilt es, die Aufmerksamkeit für dieses Risiko zu schaffen. Ob Bank, Sparkasse, Versicherungsgesellschaft oder Asset Manager, sie alle müssen ihre Geschäfte, Portfolien und Prozesse analysieren, um zu erkennen, ob sie Nachhaltigkeitsrisiken ausgesetzt sind. Die Auswirkungen werden so vielfältig sein, wie es die Nachhaltigkeitsrisiken selbst sind. Dabei gibt es eine neue Dimension: Sicherheiten, die zuvor Risiken abzudecken halfen, sind den gleichen oder sogar noch größeren physischen und transitorischen Risiken ausgesetzt und somit eine zusätzliche Belastung21.

Schließlich sollen die Regulierer und Aufsichtsbehörden prüfen, welche Anforderungen an die Behandlung von Nachhaltigkeitsrisiken man in der Säule 122 und in der Säule 223 stellen oder neu formulieren könnte. Am Ende müssen Regulierung und Aufsicht sicherstellen, dass die Risiken, die aus einer sich verändernden Umwelt resultieren, auch abgedeckt werden. Natürlich sollen sie aber auch selbst mit gutem Beispiel vorangehen: Zentralbanken sollen bei ihrem Portfoliomanagement genauso auf Nachhaltigkeit achten, wie sie das von den Instituten fordern. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Prüfauftrag des Staatssekretärsausschusses für Nachhaltige Entwicklung, ob Nachhaltigkeit bei bundesnahen Anlagen und der Emission von grünen oder nachhaltigen Bundesanleihen ein wesentliches Entscheidungskriterium sein soll24.

Daten, Daten, Daten

Eine der wesentlichsten Empfehlungen des NGFS ist das „Bridging the Data Gap“. Nur auf Basis solider Daten und Prognosen werden sich die physischen, transitorischen und Finanzstabilitätsrisiken verlässlich einschätzen lassen. Wer zum Beispiel einen Säule-1-Risikoabschlag wünscht, muss glaubhaft darlegen können, dass Investitionen in nachhaltige Gebäude, Unternehmen, Fonds etc. weniger risikobehaftet sind, als es die derzeitigen regulatorischen Anforderungen zur Ermittlung regulatorischen Eigenkapitals vorgeben. Nachhaltigkeitsrisiken sind in der Datenhistorie jedoch relativ neu. Zudem ist problematisch, dass gerade im Hinblick auf den Klimawandel historische Daten das zukünftige Risiko nicht verlässlich abbilden. Dies trifft vor allem dann zu, wenn es keine lineare Funktion, beispielsweise zwischen einem Klimaereignis und einem Forderungsausfall, gibt. Wir wissen nicht, ob ab einem bestimmten Temperaturanstieg die Risiken nicht mehr linear, sondern progressiv oder gar exponenziell ansteigen. Man kann auch nur schwer vorhersagen, wo, wie heftig und wie oft Klimaereignisse eintreten. Und ob ein Tornado über einen bestimmten Ort hinweg- oder vorbeizieht, kann auch für Investoren einen erheblichen finanziellen Unterschied machen. Das Erwartbare in Daten auszudrücken, kommt einer Mission Impossible gleich. Dennoch kann man anhand von Datenhistorien und Bestandsgrößen zumindest die möglichen Auswirkungen verschiedener Szenarien ableiten; plausible Rückschlüsse sind möglich, Ausblicke ebenso. Die große Herausforderung liegt darin, die Anforderungen an Daten und Szenarien zu formulieren.

Derzeit ist es kaum möglich, den oben geforderten Nachweis zu führen, dass zum Beispiel nachhaltige Aktiva weniger risikobehaftet sind als nicht-nachhaltige. Wir erahnen eine Korrelation zwischen Nachhaltigkeit und Forderungsausfall. Aber wie verlässlich ist diese Ahnung? Woher rührt sie? Bei Wohnimmobilien wird sich – davon kann man ausgehen – eine bestimmte Klientel für Nachhaltigkeitsstandards entscheiden, die über die gesetzlichen Forderungen hinausgehen. Sie ist an Nachhaltigkeit im Sinne von Werterhaltung interessiert, zudem in der Regel gut ausgebildet und verdienend. Entsprechend wird die Finanzierung aussehen: wohlüberlegt durchkalkuliert und mit genügend Eigenkapital ausgestattet. Solche Finanzierungen sind wahrscheinlich weniger ausfallgefährdet als andere. Aber wir haben keine Erfahrung damit, was passiert, wenn auch die Durchschnittskundschaft ökologisch nachhaltige Immobilienfinanzierungen in Anspruch nimmt.

Eine weitere Datenlücke besteht in puncto Langfristigkeit. Wir wissen nicht, wie sich Investitionen in nachhaltige Aktiva über einen gesamten Wirtschaftszyklus – geschweige denn einen gesamten Kreditzyklus – entwickeln. Langfristige Finanzierungen sind keine Seltenheit. Infrastrukturprojekte, Industrieanlagen und Immobilien werden eher langfristig finanziert. Dabei muss einkalkuliert werden, dass sich Preisentwicklungen verschärfen und Zuliefer- oder Absatzkonditionen ändern können. Auch künftige CO2-Abgaben müssen einkalkuliert werden. Durch die neuen physischen und transitorischen Risiken wird die Prognose von Ausfallwahrscheinlichkeiten und Verlustquoten jedoch komplexer. In jedem Fall sollte vor Einführung neuer Datenanforderungen der Nachweis erbracht werden, dass die Anforderung auch das gewünschte Ziel einer genaueren Prognose erreicht.

Transparenz

Eng mit der Datenproblematik verbunden ist die Erarbeitung eines international konsistenten Offenlegungs- und Berichtsrahmens für Klima- und Umweltrisiken: eine weitere Empfehlung des NGFS. Für einen gut funktionierenden Kapitalmarkt bedarf es eines transparenten Preissystems, basierend auf Informationen über das Risikomanagement in den einzelnen Finanzinstituten und einer Vorstellung davon, welche klimatischen Veränderungen für die Regionen zu erwarten sind, in der Investitionen getätigt werden. Es findet derzeit noch eine Auseinandersetzung darüber statt, wie verbindlich die Anforderungen an die Offenlegung und Berichterstattung zu nachhaltigkeitsbezogenen Informationen gestaltet werden sollen. Jedoch sind sich die im NGFS verbundenen Zentralbanken und Aufsichtsbehörden einig, dass Mindestanforderungen an die auf Nachhaltigkeit bezogene Unternehmensstrategie, Klimaziele, messbare Risikofaktoren und Kennzahlen gestellt werden sollten. Sollte es keine international harmonisierte Lösung geben, ist zu befürchten, dass die Anforderungen auseinanderlaufen und wir keine Vergleichbarkeit herstellen können.

Empfehlungen der Wertpapieraufseher

Sind im NGFS vor allem Zentralbanken und Bankaufsichtsbehörden vertreten, beherbergt es doch auch Versicherungs- und Wertpapieraufseher – auch weil integrierte Behörden wie die BaFin und Twin-Peak-Aufsichtsbehörden wie die niederländische Zentralbank DNB (De Nederlandsche Bank) vertreten sind. Aber auch darüber hinaus gibt es in der Wertpapier- und der Versicherungsregulierung Initiativen zur Nachhaltigkeit.

Die Internationale Organisation der Wertpapieraufsichtsbehörden IOSCO (International Organisation of Securities Commissions), genauer gesagt, das IOSCO’s Growth and Emerging Markets Committee (GEMC), hat beispielsweise bis zum 1. April 2019 ein Papier mit dem Titel „Sustainable finance in emerging markets and the role of securities regulators” konsultiert25. Hierin sollen insbesondere Wertpapieraufsichtsbehörden von Entwicklungs- und Schwellenländern an das Thema Nachhaltigkeitsrisiken herangeführt werden, aber auch Investoren und Kapitalanlagegesellschaften. Es werden nachhaltige Kapitalmarktprodukte, wie zum Beispiel grüne und Nachhaltigkeitsfonds, sozialethische Fonds und Investitionen in erneuerbare Energien beleuchtet. Und selbstverständlich ist auch in diesem Bericht die Veröffentlichung von Informationen ein Schwerpunktthema. In elf Empfehlungen beschreibt die IOSCO ihre Erwartungen zu Nachhaltigkeitsaspekten an Aufsichtsbehörden, Firmen und Produkte:

  • Emittenten und beaufsichtigte Unternehmen sollen ESG-spezifische Aspekte26 in ihren Risikoappetit und ihre Unternehmensführung integrieren (Empfehlung 1);
  • ESG-spezifische Offenlegungs- und Berichtspflichten (Empfehlung 2);
  • Datenqualität (Empfehlung 3);
  • Definition und Taxonomie nachhaltiger Instrumente (Empfehlung 4);
  • Spezifische Anforderungen an nachhaltige Instrumente (Empfehlungen 5 bis 9);
  • Integration von ESG-spezifischen Aspekten in die Analyse und Strategien der Investments und die gesamte Unternehmensführung bei institutionellen Investoren (Empfehlung 10) und
  • Aufbau von Kapazität und Expertise für ESG-Belange (Empfehlung 11).

Zusammenarbeit von UNO und Versicherungsaufsicht

Auch in der globalen Versicherungsregulierung gibt es internationale Anstrengungen für mehr Nachhaltigkeit. So haben die Vereinten Nationen UN (United Nations) zusammen mit einer Gruppe von Versicherungsaufsehern das UN Sustainable Insurance Forum (SIF) gegründet. Im Jahr 2016 nahm das SIF seine Arbeit auf27. Es kooperiert mit der Internationalen Vereinigung der Versicherungsaufsichtsbehörden IAIS (International Association of Insurance Supervisors). Gemeinsam haben beide 2018 einen Bericht zu Klimarisiken für den Versicherungssektor veröffentlicht28. Anfang 2019 haben das SIF und die IAIS ein neues Projekt in Angriff genommen: Sie analysieren die Umsetzung der Empfehlungen der Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD) des Finanzstabilitätsrats FSB (Financial Stability Board). Ziel der Umfrage ist es, einen repräsentativen Überblick über die Sensibilität für und das Verstehen von Nachhaltigkeitsrisiken sowie den Grad der Umsetzung der TCFD-Empfehlungen29 in den verschiedenen Jurisdiktionen zu erhalten. Das Ergebnis soll ein Bericht sein, der die Informationen der Versicherungswirtschaft auswertet und gegebenenfalls Defizite in der Implementierung aufzeigt. Dieser Bericht soll noch 2019 erscheinen.

Immer nur die Finanzindustrie?

Global gibt es eine zentrale Anforderung, die sich durch die regulatorischen Analysen und Empfehlungen zieht: Investoren und Verbraucher müssen um den Nachhaltigkeitsgedanken wissen und die Risiken verstehen, die ihm innewohnen. Alle Stakeholder müssen in die Lage versetzt werden, Nachhaltigkeitsrisiken zu erkennen und zu steuern, unabhängig davon, ob sie ein Kreditinstitut oder ein Versicherungsunternehmen leiten, als Asset-Manager mit dem Geld ihrer Kunden arbeiten oder ihr eigenes Portfolio zusammenstellen. Das Wissen, die gesammelte Erfahrung und die Voraussage möglicher Entwicklungen machen es auch möglich, die Chancen zu erkennen, die mit der Transformation hin zu nachhaltigerem Wirtschaften verbunden sind. So trübe die Aussichten für die Einhaltung der Klimaschutzziele sind, so klar ist auch, dass bis zu einem absoluten Point of no Return – und wahrscheinlich noch darüber hinaus – der Mensch versuchen wird, sein Schicksal zu bestimmen. Kommunikation, Bildung sowie eine faire Berichterstattung und Aufklärung erhöhen unsere Zukunftsaussichten. Denn nur so schaffen wir es, uns dem Minsky-Effekt zu widersetzen. Dieser besagt, dass, auch wenn wir die Ursachen von Finanzkrisen im Nachgang erkennen, Finanzsysteme dennoch im Laufe der Zeit immer wieder automatisch auf eine Krise zusteuern30.

Und damit sind wir bei der Verantwortung der Finanzbranche, die sich beim Thema Nachhaltigkeit bisweilen zu Unrecht in Geiselhaft genommen fühlt. Politik und Gesellschaft erwarten zu Recht von Finanzinstituten einen Beitrag zur Nachhaltigkeit31. Sie sind neben dem Staat die wichtigsten Spieler bei der Lenkung von Investitionsströmen. Aber sie sind beileibe nicht die Einzigen, die einen Beitrag leisten und sich auf verschärfte Anforderungen einstellen müssen: Ab 2021 werden die unter dem Emissions Trading Scheme (ETS) gehandelten Zertifikate jährlich um 2,2 Prozent reduziert32. Die kostenfreie Vergabe von Zertifikaten an Unternehmen der produzierenden Industrie wird von 80 Prozent der Emissionsrechte im Jahr 2013 auf 30 Prozent im Jahr 2020 gesenkt33. Damit wächst der Preisdruck auf die Verursacher von Emissionen34 Der CO2-Ausstoß von Neuwagen soll bis zum Jahr 2030 um 37,5 Prozent im Vergleich zu 2021 sinken. Dadurch müssen automatisch mehr Elektroautos produziert werden, anders wären die Flottengrenzwerte nicht einzuhalten35. Bis 2050 strebt die Europäische Union (EU) sogar eine Reduzierung auf null Emissionen an36 . Der Vorwurf, nur die Finanzindustrie müsse das politische Klimaziel erfüllen, stimmt also so nicht.

Natürlich wäre eine verursachergerechte Lastenteilung die bestmögliche Lösung. Natürlich wären starke öffentliche Haushalte, die den Erhalt eines lebenswert bewohnbaren Planeten auch ohne Einsatz privater Mittel meistern könnten, wünschenswert. Am Ende wird es aber auch um die Frage gehen, wer in seinem Verantwortungsbereich was getan oder unterlassen hat. Das nennen wir Aufseher Reputationsrisiko. Unser Verantwortungsbereich – für die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Finanzmarkts zu sorgen – weitet sich mit den neuen finanziellen Risiken jedenfalls aus.

Fußnoten:

  1. 1 Vgl. zur Umweltsituation in China: Fang, Yu et al., Climate change, human impacts, and carbon sequestration in China, in; PNAS April 17, 2018, 115 (16), pp. 4015-4020.
  2. 2 Vgl. zur Umweltsituation in Indien: Agarwal, Indiens umweltpolitische Herausforderungen – Ist das Wirtschaftswachstum des Landes nachhaltig?, abgerufen am 15.4.2019.
  3. 3 UNESCO/UNEP, World Heritage and Tourism in a Changing Climate, 2018.
  4. 4 Vgl. hierzu Deutsche Welle, Wintersport ohne Schnee: Skigebiete rüsten sich für Klimawandel, abgerufen am 15.4.2019.
  5. 5 Rat für Nachhaltige Entwicklung, Nachhaltiges Wirtschaften : Zehn Forderungen, abgerufen am 15.4.2019.
  6. 6 CRO-Forum, The heat is on – Insurability and resilience in a Changing Climate, abgerufen am 15.4.2019.
  7. 7 a.a.O. (Fn. 6).
  8. 8 a.a.O. (Fn. 6).
  9. 9 NOAA, Ocean acidification, abgerufen am 15.4.2019.
  10. 10 Watts, Amann, et al., The 2018 report of the Lancet Countdown on health and climate change: shaping the health of nations for centuries to come. in: The Lancet 392 (10163), 2018.
  11. 11 a.a.O. (Fn. 6).
  12. 12 The Economist Intelligence Unit, The cost of inaction: Recognising the value at risk from climate change. 2015.
  13. 13 Vgl. Europäische Kommission, A Clean Planet for all - A European strategic long-term vision for a prosperous, modern, competitive and climate neutral economy, 2018.
  14. 14 Zu den direkten und indirekten Nachhaltigkeitsrisiken siehe Beitrag von Raimund Röseler.
  15. 15 ESRB, Reports of the Advisory Scientific Committee, Too late, too sudden: Transition to a low-carbon economy and systemic risk, No. 6, 2016; Finansinspektionen, Climate change and financial stability, 2016.
  16. 16 Vgl. § 75 Absatz 1 und § 97 Absatz 2 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG).
  17. 17 GDV, Berücksichtigung von Nachhaltigkeit in der Kapitalanlage, abgerufen am 15.4.2019; Seekings, Almost half the global reinsurance market divests from coal, in: TheActuary, 20. Juni 2018, abgerufen am 15.4.2019.
  18. 18 Vgl. Artikel 2 Absatz 1 lit. c des Pariser Klimaabkommens; European Commission, Action Plan: Financing Sustainable Growth, 2018.
  19. 19 Zur europäischen Ebene vgl. Beitrag von Dr. Levin Holle.
  20. 20 NGFS Report, April 2019.
  21. 21 PRA, Transition in thinking: The impact of climate change on the UK banking sector, abgerufen am 15.4.2019.
  22. 22 In der novellierten europäischen Eigenmittelverordnung (Capital Requirements Regulation 2 – CRR 2) zu finden in Artikel 501c.
  23. 23 In der novellierten europäischen Eigenmittelrichtlinie (Capital Requirements Directive V – CRD V) zu finden in Art. 98 Absatz 8. CRR und CRD setzen das Baseler Rahmenwerk in der Europäischen Union um.
  24. 24 Pressemitteilung Nr. 63/19 des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung, abgerufen am 15.4.2019.
  25. 25 IOSCO, Sustainable finance in emerging markets and the role of securities regulators – Consultation report, abgerufen am 15.4.2019.
  26. 26 E steht für Environmental (Umwelt-), S für Social und G für Governance (Unternehmensführung).
  27. 27 Sustainable Insurance Forum.
  28. 28 IAIS, Issues Paper on Climate Change Risks to the Insurance Sector, July 2018, abgerufen am 15.4.2019.
  29. 29 TCFD, Final Report: Recommendations of the Task Force on Climate-related Financial Disclosures, June 2017, abgerufen am 15.4.2019.
  30. 30 Gabler Wirtschaftslexikon, Minsky-Effekt, abgerufen am 15.4.2019.
  31. 31 a.a.O. (Fn. 12).
  32. 32 European Commission, EU Emissions Trading System ( EU ETS), abgerufen am 15.4.2019.
  33. 33 European Commission, Free allocation, abgerufen am 15.4.2019.
  34. 34 ZDF, EU-Parlament für Emissionshandel-Reform, abgerufen am 15.4.2019.
  35. 35 Heise Online, EU: Strengere CO2-Grenzwerte kommen, abgerufen am 15.4.2019.
  36. 36 European Commission, A Clean Planet for all - A European strategic long-term vision for a prosperous, modern, competitive and climate neutral economy, 2018.

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