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BaFinPerspektiven 2 | 2019 © Vera Kuttelvaserova/stock.adobe.com / BaFin

Erscheinung:28.05.2019 BaFinPerspektiven 2 | 2019

„Wir müssen überhaupt erstmal anfangen und zwar jetzt“

Interview mit Professor Dr. Harald Lesch, Physiker, Astronom und Naturphilosoph:
Die Rolle des Finanzsektors wird wichtig sein bei der Transformation zu einer ökologischen, nachhaltigen und dekarbonisierten Gesellschaft

Herr Professor Lesch, „Klimawandel – 5 nach 12?“ – unter dieser Überschrift steht Ihr Auftritt bei der BaFin-Veranstaltung „Nachhaltige Finanzwirtschaft“ am 9. Mai 2019. Bleibt uns nichts anderes mehr übrig, als auf den Untergang zu warten? Oder ist aus wissenschaftlicher Sicht noch etwas zu retten?

Es geht noch was, aber viel Zeit haben wir nicht mehr. 2018 stieg der Kohlendioxid-Ausstoß auf 33,1 Milliarden Tonnen, ein neuer Negativrekord1. Mit anderen Worten, wir müssen überhaupt erstmal anfangen und zwar jetzt.

Welche drei größten Bedrohungen sehen Sie für die Erde und die Menschheit und wie lassen sie sich in den Griff kriegen?

Klimawandel, Klimawandel, Klimawandel. Und wenn man wirklich ernsthaft etwas dagegen unternehmen will, dann muss man alle Weichen konsequent so stellen, dass so schnell wie möglich eine Dekarbonisierung unseres Alltags stattfindet. Hier darf es dann auch nicht bloß um das Konsumverhalten von Einzelpersonen gehen, sondern wir alle als Gemeinschaft müssen uns konsequent umstellen. Ein Instrument, über das immer wieder gesprochen wird, ist die Kohlendioxidsteuer2. Dagegen wird argumentiert: „Wenn wir damit anfangen, dann erleidet unsere Wirtschaft ja Nachteile“. Aber irgendwer muss immer mit etwas anfangen, und Schweden, das Vereinigte Königreich und andere Staaten haben das bereits getan. Natürlich ist Deutschland nur ein kleiner Player auf dem Gebiet, aber wenn wir als großes Industrieland eine solche Steuer einführen, dann können wir zeigen, dass Industrie und Kohlendioxidsteuer kein Widerspruch sein müssen. Genau das könnte andere Länder dazu bringen, relativ schnell nachzuziehen. Sinnvoll wäre für mich auch eine einheitliche Regelung innerhalb der Europäischen Union.

Sie haben einmal sinngemäß gesagt, dass der Shareholder-Value-Gedanke in den nächsten Jahrzehnten scheitern werde. Auf lange Sicht funktioniere nur das europäische System. Was genau meinen Sie damit? Ist das ein Plädoyer für die soziale Marktwirtschaft?

Für eine deutlich genossenschaftlicher organisierte soziale Marktwirtschaft. Diese Konzentration an Vermögen, die sich ganz offensichtlich aus der rein auf Wettbewerb ausgerichteten Ökonomie ergibt, zerstört die Spielräume für gesellschaftlich unbedingt notwendige Investitionen. Was nutzt den Reichen ihr Geld? Sie geben es nicht mehr aus, ihre Anlagewut in Finanzprodukte zerstört die Zukunft. Deshalb mehr Genossenschaft und zwar in einem ganz ideellen Sinne. Und ansonsten, als Symbol, sollten alle Vermögenden auf Gehälter verzichten. DAX3-Manager sind ohnehin schon so reich, dass sie auch für einen Euro pro Jahr tätig sein können.

Welche Rolle soll oder kann der Finanzsektor dabei spielen?

Die Rolle des Finanzsektors wird ganz wichtig sein bei der Transformation hin zu einer ökologischen, nachhaltigen, dekarbonisierten Gesellschaft. Der Ausbau der erneuerbaren Energien, inklusive Netz- und Speicherkapazitäten, braucht sehr viel Geld und das muss jetzt investiert werden und nicht erst demnächst! Also hinein in ethisch saubere, ökologisch anständige Projekte. Raus aus der Kohle, aus dem Öl und aus zu viel Mobilität. Sorry, aber anders wird es nicht gehen.

Wenn sich die Finanzwirtschaft in den Dienst der Nachhaltigkeit stellt, fragt die Finanzaufsicht nicht nur nach den Chancen, sondern auch nach den Risiken. Wie stehen Sie dazu?

Risiken gehören doch ganz offensichtlich zum Geschäft. Klar stecken hier auch Gefahren für die Investitionen, aber es gibt leider keine andere Welt, in der wir was ausprobieren können. Ein business as usual mit dem business as usual risk management wird versagen, denn das Risiko einer Welt mit globaler Erwärmung ist völlig unberechenbar.

In der Debatte über die Frage, wie Unternehmen Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien, kurz: ESG-Kriterien, befolgen, spielt auch die sozial-ethische Komponente eine immer stärkere Rolle. Wenn wir die Verbindung von Nachhaltigkeit und Finanzmarkt bejahen, sollte die Finanzaufsicht dann sozial-ethische Anforderungen an die beaufsichtigten Institute und Unternehmen stellen?

Ja! Klar! Sofort! Und da können die Finanzunternehmen einiges tun. Sie können Gremien schaffen, zum Beispiel einen Ethikrat, der Finanzprodukte und Geschäftsmodelle regelmäßig auf die ESG4-Kriterien hin evaluiert. An allererster Stelle muss es auch in der Finanzwirtschaft darum gehen, einen schnellstmöglichen Ausstieg aus der kohlenstoffintensiven Wirtschaft möglich zu machen. So können Finanzunternehmen entscheidend dazu beitragen, die massive Erhöhung von Kohlenstoff in der Atmosphäre zu verringern. Wenn wir hieran scheitern, brauchen wir über alle anderen Maßnahmen gar nicht erst zu reden.

Herr Professor Lesch, wir danken Ihnen für das Interview.

Fußnoten:

  1. 1 Vgl. dazu Internationale Energieagentur IEA (International Energy Agency), abgerufen am 27.3.2019.
  2. 2 CO2-Steuer.
  3. 3 Deutscher Aktienindex.
  4. 4 ESG steht für Umwelt (Environmental), Soziales (Social) und Unternehmensführung (Governance).

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