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BaFinPerspektiven 2 | 2019 © Vera Kuttelvaserova/stock.adobe.com / BaFin

Erscheinung:28.05.2019 BaFinPerspektiven 2 | 2019

"Die EU kann sich global zum Leitmarkt für nachhaltige Geldanlagen machen."

Interview mit Sven Giegold, Mitglied der Grünen Fraktion im Europaparlament:
Der Finanzsektor existiert nicht losgelöst von der Gesellschaft, sondern ist ein Teil von ihr und sollte damit auch einen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz leisten

Herr Giegold, die Europäische Kommission hat im März 2018 ihren „Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums“ vorgelegt.1 Rat und Europäisches Parlament gehen unterschiedlich an das Thema Nachhaltigkeit im Finanzsektor heran. Wie erklären Sie sich das?

Im Parlament haben wir uns mit Blick auf die Vollendung der Kapitalmarktunion erfolgreich für eine gesamteuropäische Perspektive für nachhaltige Finanzmärkte eingesetzt. Die EU2 kann sich mit guten Standards global zum Leitmarkt für nachhaltige Geldanlagen machen. Der Rat hat sich dagegen insgesamt für schwächere und weniger verbindliche Regeln eingesetzt als das Europaparlament. Dabei stand leider der Schutz nationaler und altindustrieller Interessen, zum Beispiel bei fossiler und nuklearer Energiegewinnung, oft im Vordergrund. Die EU muss ihre Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen einhalten und den Finanzsektor einbeziehen in den gemeinsamen Umwelt- und Klimaschutz. Deshalb haben wir uns im Parlament starkgemacht für die Verknüpfung der Gesetzgebung von nachhaltigem Finanzwesen mit dem Pariser Klimaabkommen. Dazu gehört auch, den Begriff Nachhaltigkeitsrisiken über finanzielle Risiken hinaus zu begreifen, damit er auch tatsächliche Risiken für Mensch und Umwelt berücksichtigt.

Warum möchte das Parlament die Vergütung von Vorständen auch an deren Umgang mit Nachhaltigkeit ausrichten?

Unserer Wirtschaft ginge es besser, wenn sich die variable Vergütung von Vorständen noch stärker am langfristigen Erfolg eines Unternehmens orientieren würde. Kurzfristige Gewinnmaximierung hat sich als Maß für Unternehmenserfolg dagegen als schädlich erwiesen. Nachhaltigkeit, so zum Beispiel die Vermeidung von Umweltschäden, aber auch von hohen Rechtskosten durch Gesetzesbrüche, wirkt sich erheblich auf den zukünftigen Erfolg oder Misserfolg von Unternehmen aus. Dabei kann es allerdings zu Inkonsistenzen kommen, wenn schädliches unternehmerisches Handeln kurzfristig lukrativ ist und Risikoträger die Spätfolgen aber selbst nicht mehr zu spüren bekommen. Die Anreize für gute Unternehmensführung sollten daher insgesamt in Einklang gebracht werden mit Nachhaltigkeit und drängenden gesellschaftlichen Aufgaben wie dem Klimaschutz.

Ist die Rettung der Umwelt nicht primär eine gesellschaftliche Aufgabe?

Der Finanzsektor existiert nicht losgelöst von der Gesellschaft, sondern ist ein Teil von ihr und sollte damit auch einen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz leisten. Ein nachhaltiges Finanzsystem kann als Rahmenordnung Anreize schaffen und Marktsignale stärken, um Kapital in grüne Investitionen zu bringen. Von zentraler Bedeutung ist die Transparenz von Nachhaltigkeitsrisiken, damit Anlegerinnen und Anleger die realen Risiken hinter ihren Investitionen besser einschätzen und ihre Anlagestrategie frühzeitig anpassen können. Ein grüner Finanzsektor ist aber keine Alternative zu grünen Zukunftsinvestitionen und entschiedener Umweltgesetzgebung. Im Gegenteil: Finanzmärkte können nur Investitionen finanzieren, die sich rechnen. Wenn durch eine hohe ökologische Transformationsgeschwindigkeit insgesamt mehr investiert wird, nützt das dem Finanzsektor. Deshalb suchen wir Partner in der Finanzwirtschaft, um zum Beispiel eine konsequente Klimapolitik durchzusetzen.

Mit welchen Anreizen will das Europäische Parlament dafür sorgen, dass nun auch privates Geld zur Rettung der Umwelt verwendet wird? Welche Rolle sprechen Sie dabei der Finanzregulierung zu? Konkret: Sprechen Sie sich für eine finanzregulatorische Privilegierung von „Geen Finance“ aus, unabhängig von ihrem Risikogehalt?

Die Nachfrage nach nachhaltigen Geldanlagen besteht bereits heute. Was fehlt, sind eindeutige Begriffe und Transparenz über Investitionen, um Greenwashing effektiv zu verhindern. Zentral für Green Finance ist daher vor allem die EU-Klassifikation, also die Taxonomie, und die neuen Offenlegungsregeln. Die Taxonomie ist der wichtigste Baustein für die Initiative Nachhaltiges Finanzwesen, denn sie schafft Klarheit für alle Akteure darüber, was eine nachhaltige Geldanlage ist. Die Taxonomie sollte aus unserer Sicht nicht nur grüne nachhaltige, sondern auch braune, klima- und umweltschädliche Bereiche definieren. Klare Offenlegungsregeln für Anlagestrategien und Finanzprodukte schaffen Transparenz und stärken das Vertrauen in grüne Finanzmärkte. Die Stabilität der Finanzmärkte wird verbessert, wenn kleine wie große Investoren die Umweltrisiken ihrer Anlagen kennen und sie frühzeitig berücksichtigen können.

Wichtig ist zudem, dass die Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen künftig standardmäßig in die Kundenberatung integriert wird. Nur so können Anlegerinnen und Anleger eine informierte Entscheidung über ihre Investition treffen, unter Berücksichtigung ihrer Präferenz bezüglich der Auswirkung ihrer Anlage auf Mensch und Umwelt. Auch die beiden kürzlich beschlossenen grünen Benchmarks sind ein großer Erfolg für das nachhaltige Finanzwesen und gegen Greenwashing, da die beteiligten Unternehmen verpflichtet sind, ihre Klimaschutzmaßnahmen zu dokumentieren.

Neben den bisherigen Initiativen fordern wir Grüne3 einen EU-Standard für Grüne Anleihen (Green Bonds) und ein EU-Label für grüne Finanzprodukte, vergleichbar mit dem EU-Umweltlabel, um das nachhaltige Finanzwesen voranzubringen. Damit würden auch die Endkunden Druck für ein nachhaltiges Finanzsystem ausüben.

Die Forderung nach Eigenkapitalerleichterungen für nachhaltige Anlagen von Banken und Versicherungen lehnen wir ab. Eigenkapitalvorschriften für grüne Investitionen dürfen nur erleichtert werden, wenn sich deren geringeres Risiko tatsächlich nachweisen lässt. Innovative Technologien und Investitionen sind aber in aller Regel nicht risikoärmer. Die BaFin4 muss hier bald aktiv werden und Umwelt-, Sozial- und Governance-Risiken (ESG)5 im SREP6 berücksichtigen. Banken, die ESG-Risiken vernachlässigen oder Menschenrechte verletzen, haben ein höheres Risiko und sollten mehr Eigenkapital vorhalten müssen.

Bei den ESG-Kriterien liegt die Betonung zurzeit noch auf dem E, das für „environment“ steht, also für Themen wie Umweltverschmutzung, Treibhausgasemissionen und Energieeffizienz. Welche Vorstellungen haben Sie von S und von G7?

In der beschlossenen Umwelt-Taxonomie gibt es bereits Minimum-Standards für die soziale Dimension, die wir im Vergleich zum Kommissionsvorschlag erheblich gestärkt haben. Unternehmen, die sich als nachhaltig ausgeben, müssen sich deshalb auch an den UN8-Menschenrechtsrahmen halten. Um die soziale Dimension zukünftig noch besser zu berücksichtigen, braucht es mittelfristig auch dafür eine Klassifizierung, die gemeinsame Begriffe und Standards festlegt. Dabei steht neben Menschenrechten im Vordergrund, dass die Rechte von Arbeiterinnen und Arbeitern respektiert werden. Die Kommission sollte in ihrem angekündigten Vorschlag einer sozialen Klassifizierung auf die Europäische Säule sozialer Rechte aufbauen. Für die Governance-Klassifizierung wären unter anderem Aspekte wie eine funktionierende Compliance-Abteilung, Vermeidung von Geldwäscherisiken oder interne und externe Kommunikationskanäle für Whistleblower von großer Relevanz.

Herr Giegold, wir danken Ihnen für das Interview!

Fußnoten:

  1. 1 Europäische Kommission, Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums, COM (2018) 97, vom 8.3.2018, abgerufen am 14.4.2019.
  2. 2 Europäische Union.
  3. 3 Bündnis 90/Die Grünen.
  4. 4 Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht.
  5. 5 Das Kürzel „ESG“ bedeutet: „Environmental“ (Umwelt-), „Social“ (Sozial) und „Governance“ (Unternehmensführung).
  6. 6 SREP steht für den aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozesses (Supervisory Review and Evaluation Process).
  7. 7 S steht für „social“, also für „sozial“, und G für „governance“, also Unternehmensführung.
  8. 8 Vereinte Nationen.

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