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Abbildung des Covers und eines aufgeschlagenen Exemplars der ersten Ausgabe der BaFinPerspektiven im Jahr 2019 © BaFin / www.freepik.com

Erscheinung:28.02.2019 | Thema Fintech Big Data trifft auf künstliche Intelligenz – Ergebnisse der Konsultation zum BaFin-Bericht

Zahlreiche Rückmeldungen hat die BaFin zu ihrem Bericht „Big Data trifft auf künstliche Intelligenz – Herausforderungen und Implikationen für Aufsicht und Regulierung von Finanzdienstleistungen“ erhalten. An der Konsultation haben sich Interessensverbände zu Wort gemeldet, aber auch einzelne Institute, nationale wie internationale Behörden und Vertreter der Wissenschaft. Der Artikel gibt einen Überblick über die Antworten, und BaFin-Präsident Felix Hufeld nimmt im Interview eine erste Bewertung vor.

Einleitung

Am 16. Juli 2018 hat die BaFin ihren Bericht „Big Data trifft auf künstliche Intelligenz – Herausforderungen und Implikationen für Aufsicht und Regulierung von Finanzdienstleistungen“1 (kurz: BDAI-Bericht2) öffentlich zur Konsultation3 gestellt. Im Fokus der Konsultation standen insbesondere die in Kapitel „Perspektive der Aufsicht“4 aufgeworfenen strategischen Leitfragen zur Fortentwicklung von Aufsicht und Regulierung in Zeiten der vermehrten Verwendung von Big Data und Artificial Intelligence.

Insgesamt erreichten die BaFin 31 inhaltliche Rückmeldungen. An der Konsultation haben sich Interessensverbände, aber auch einzelne Institute beteiligt. Auch von nationalen wie internationalen Behörden und der Wissenschaft sind Antworten eingegangen. Durch die Bank wurde in den Beiträgen begrüßt, dass die BaFin mit dem Bericht eine sehr offene und breite Diskussion angestoßen habe. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass es wichtig sei, etwaige BDAI-bedingte Anpassung von Aufsicht und Regulierung international abzustimmen. Zudem wurde betont, dass auch in Zeiten von BDAI deutsche Finanzdienstleister nicht mit Bigtechs verglichen werden sollten – etwa im Umgang mit Kundendaten.

In diesem Artikel werden die Rückmeldungen zum BDAI-Bericht anlog zu dessen Aufbau in drei übergeordneten Themen zusammengefasst: Finanzstabilität und Marktaufsicht, Unternehmensaufsicht sowie Kollektiver Verbraucherschutz. Zu jedem dieser Themen und zu jedem Unterthema wird zunächst in einer Box die Position aus dem BDAI-Bericht in komprimierter Form wiedergegeben.5 Daran anschließend werden die bei der Konsultation eingegangen Rückmeldungen zusammenfassend und anonymisiert dargestellt.6

Aufgrund der Diversität der Konsultationsteilnehmer (Unternehmen, Verbände, Behörden, Wissenschaftler) ist es nicht möglich, repräsentative Mehrheiten bei den Antworten anzugeben, da man die Antworten dazu gewichten müsste (zum Beispiel ein einzelnes Unternehmen im Verhältnis zu einem Verband). Zur Vereinfachung wurde daher in diesem Artikel jede Antwort gleich gewichtet.

Dass nicht alle Details der Antworten in diesem Artikel behandelt werden, ist der Notwendigkeit einer verdichteten Darstellung geschuldet. Zu beachten ist auch, dass die BaFin die in diesem Artikel wiedergegebenen Aussagen noch nicht bewertet. Auch gibt dieser Artikel noch keine Antwort auf die Frage, welche der eingegangenen Anregungen in Aufsichtspraxis und Regulierung ihren Niederschlag finden sollten. Dies wird noch Zeit in Anspruch nehmen.

Eine erste Einordnung nimmt BaFin-Präsident Felix Hufeld im Interview zur Konsultation vor.

Finanzstabilität und Marktaufsicht

Konsultationsergebnisse zur Entstehung neuer Unternehmen und Geschäftsmodelle

In Kürze:Kernaussage aus dem BDAI-Bericht

BDAI-getriebene Innovationen rufen im Finanzsektor neue Anbieter auf den Plan. Die Disaggregation der Wertschöpfungskette kann dadurch weiter voranschreiten, insbesondere, wenn exisitierende Unternehmen mit neuen Spezialanbietern kooperieren. Das Phänomen BDAI könnte auch neuartige Geschäftsmodelle und Marktteilnehmer hervorbringen, die regulatorisch noch nicht adäquat erfasst werden. Solche Fälle müssen identifiziert und das Spektrum der zu beaufsichtigenden Anbieter und Unternehmen sollte entsprechend erweitert werden.7

Allgemeine Marktbeobachtung

Branchenübergreifend sei das Entstehen neuer Wertschöpfungsketten zu beobachten, heißt es in vielen Rückmeldungen. Dabei würden insbesondere solche Unternehmen auf den Markt drängen, die durch den Einsatz von BDAI die Datenverarbeitung auf ein neues Level heben könnten. Einzelne Konsultationsteilnehmer gehen davon aus, dass langfristig im Markt nur bestehen könne, wer die digitale Kundenschnittstelle besetze. Insgesamt sei der Trend zu beobachten, dass Anbieter von Suchmaschinen, sozialen Netzwerken oder Online-(Vergleichs-)Plattformen durch intelligente Nutzung von Daten in Bereiche vordrängen, die bisher spezialisierten und häufig auch regulierten Anbietern vorbehalten seien. Dazu zählten auch die Daten, die aufgrund der Zweiten Zahlungsdiensterichtlinie (Payment Services Directive 2 – PSD 2) gewonnen werden können.

Level-Playing Field – Finanzmarktregulierung

In der Mehrzahl der eingegangenen Konsultationsantworten wird die bestehende technologieneutrale und prinzipienbasierte Finanzmarktregulierung als grundsätzlich ausreichend angesehen – auch mit Blick auf Fragen der Finanzstabilität. Man sieht zudem das Risiko, dass bei zu schnellen regulatorischen Reaktionen auf neue Technologien die Technologieneutralität auf der Strecke bleiben könne und ein eher regelbasierter Ansatz verfolgt werde. Angeregt wird ein Abbau von regulatorischen Barrieren. Als Beispiel werden bestehende Papieranforderungen angeführt.

In den Antworten wird aber auch betont, dass die Anwendung bestehender Regulierung ausschließlich auf Institute und Versicherungsunternehmen zu Wettbewerbsverzerrungen führen könne. Insbesondere wird eine Diskrepanz zwischen der aufsichtlichen und regulatorischen Erfassung klassischer Geschäftsmodelle und der neuer Geschäftsmodelle gesehen, die auf der Analyse von Finanz- und alternativen Daten zu eigenen Zwecken oder für Dritte beruhen.8 Es wird vermutet, dass neue Marktteilnehmer künftig bewusst versuchten, Regulatorik zu vermeiden, um Innovationen vorantreiben zu können. In diesem Zusammenhang wird unter anderem eine Prüfung angeregt, inwieweit neue Vertriebskanäle, zum Beispiel zielgerichtete Marketing-Maßnahmen von Plattformanbietern, für eine Beraterhaftung heranzuziehen seien. Vereinzelt wird auch kritisiert, dass neue Player wie Fintechs nicht an der Finanzierung von Aufsichtsbehörden beteiligt seien und dies zu Wettbewerbsverzerrung führe.

Obwohl der erwartete zusätzliche Wettbewerb mit Fintechs und Bigtechs Profite etablierter Anbieter des Finanzmarktes kurzfristig schmälern könnte, werden die bisherigen Instrumente zur Beurteilung der Solvenzsituation beaufsichtigter Finanzdienstleister als ausreichend eingestuft. Es wird aber in einzelnen Rückmeldungen darauf hingewiesen, dass sich ein verstärkter Margendruck insbesondere dann entfalten könne, wenn Bigtechs mit kostenlosen und/oder quersubventionierten Finanzdienstleistungen auf den Finanzmarkt drängten.

Level-Playing Field – Wettbewerbspolitik und -aufsicht

Die Digitalisierung verschärfe, so ist in mehreren Rückmeldungen zu lesen, insgesamt die Gefahr von „The-Winner-takes-it-all“-Marktstrukturen. Solche könnten durch monopolistische Strukturen beim Datenzugang entstehen. Für Versicherungsunternehmen sei daher zum Beispiel der Zugang zu Fahrzeugdaten für das Angebot von Telematik-Tarifen wichtig. Eine effektive Wettbewerbspolitik bzw. -aufsicht sei gerade in Zeiten von BDAI mehr denn je eine Grundvoraussetzung für einen dauerhaft leistungsfähigen Finanzmarkt.

Offene Märkte könnten, insbesondere was den Datenzugang angeht, außerdem über eine daraus folgende stärkere Differenzierung der Marktteilnehmer zu einer Minderung systemischer Risiken führen. Außerdem sei ein ausreichender Wettbewerb auch für eine effektive Preisfindung wichtig.9 In diesem Zusammenhang wird vereinzelt darauf hingewiesen, dass die PSD 2 ein positives Beispiel für die Ermöglichung eines freien Datenzugangs darstelle. Es wird die Idee in den Raum gestellt, ähnlich wie in der PSD 2 Schnittstellen zu den Daten von Bigtechs zu ermöglichen.

Insgesamt wird ein verstärkter Austausch zwischen Wettbewerbsbehörden und der Finanzaufsicht befürwortet.

Level-Playing Field erhalten – Einordnung von Daten als Rechtsgut

In einer Stellungnahme wird gefragt, wie Daten jenseits des Datenschutzrechts als individuelles Rechtsgut/Schutzgut einzuordnen seien. Auf diese rechtspolitisch hochkomplexe Materie müsse eine überzeugende Antwort gefunden werden, um insbesondere primär datenbasierte Geschäftsmodelle adäquat adressieren zu können. Als zielführendend sieht man den Ansatz, Parallelen zum Immaterialgüterrecht herzustellen.

Systemrelevanz und Vernetzung in Zeiten von BDAI

In Kürze:Kernaussage aus dem BDAI-Bericht

Anbieter mit datengetriebenen Geschäftsmodellen könnten aufgrund ihrer Skalierbarkeit und Reichweite schnell an Systemrelevanz gewinnen. Jedoch kann Systemrelevanz auch entstehen, wenn zentrale Daten- oder Plattformanbieter einer Vielzahl von Marktteilnehmern identische oder sehr ähnliche Grundlagen für Prozesse oder Algorithmen zur Verfügung stellen. Systemrelevanz könnte zudem aus der Interaktion verschiedener Marktteilnehmer als Struktur erwachsen. Es stellt sich daher die Frage, ob und wie der bank- und versicherungsfachlich geprägte Begriff der Systemrelevanz weiterentwickelt werden muss, um auch neuen Geschäftsmodellen und Marktstrukturen gerecht zu werden.

Systemrelevanz neu definieren und adressieren: Ein geteiltes Meinungsbild

Was eine eventuelle Erweiterung des Begriffs der Systemrelevanz angeht, bietet sich in den Antworten ein geteiltes Bild: Auf der einen Seite wird darauf hingewiesen, dass es zum jetzigen Zeitpunkt, in dem sich viele Technologien noch im Entwicklungsstadium befänden, verfrüht, wenn nicht gar innovationshemmend wäre, neue Definitionen und Kriterien festzulegen. Insbesondere sei nicht klar, ob BDAI das Systemrisiko tatsächlich erhöhe oder ob durch die wachsende Zahl von Marktteilnehmern die Abhängigkeit von Banken und Versicherern nicht sogar abnehmen werde. In jedem Fall müsse empirisch klar belegbar sein, dass bestimmte Risiken in einer Weise auftreten könnten, dass sie die Existenz von Instituten tatsächlich gefährdeten.

Auf der anderen Seite halten viele Konsultationsteilnehmer eine Neudefinition der Systemrelevanz mit Blick auf BDAI für wichtig. Vereinzelt wird sie sogar als möglicher Grund für ein Basel-V-Rahmenwerk gesehen. Konzeptionell seien Kategorien wie Vernetzung und Komplexität zwar bereits unter der aktuellen Definition von Systemrelevanz abgedeckt. Da der Grad an Vernetzung und Komplexität aber im Rahmen der Digitalisierung zunähme, sollte ihnen eine stärkere Gewichtung zukommen. Eine internationale Diskussion im Basler Ausschuss für Bankenaufsicht über die Definition und Messung von Vernetzung wird als sinnvoll erachtet. Weiterhin wird gefordert, dass bei der Messung des Systemrisikos nicht nur auf klassische Finanzdienstleister, sondern auch auf aufsichtlich bisher nicht erfasste Fintechs und Bigtechs abzustellen sei. Insbesondere seien auch solche Geschäftsmodelle zu berücksichtigen, die auf einer Monetarisierung von Daten beruhen.

Adressierung bislang unregulierter Anbieter aufgrund ihrer Vernetzung mit dem Finanzmarkt

Bereits einzelne, bislang in vielen Fällen nicht regulierte Unternehmen könnten essenziell für das Funktionieren der Gesamtbranche sein, ist zu lesen. Beispielhaft genannt werden Cloud-Anbieter, Telekommunikationsanbieter, Automobilhersteller (Stichwort „Telematik-Tarife“; siehe oben), Algorithmen- bzw. Code-Anbieter, aber auch Anbieter von Daten oder Bewertungen wie Scorings und Ratings. Entsprechende Unternehmen könnten aufgrund ihres Wissens monopolartige Strukturen gegenüber Verbrauchern und anderen Marktteilnehmern aufbauen. Zudem wird das Problem gesehen, dass es zu prozyklischen Wirkungen kommen könne, wenn viele Finanzdienstleister zum Beispiel auf die Daten und Auswertungen eines zentralen Anbieters zurückgriffen.10

Eine mögliche Systemrelevanz von bisher nicht beaufsichtigten Unternehmen könne etwa durch eine Erweiterung des Begriffs der kritischen Infrastrukturen adressiert werden. Damit könnten für bisher unbeaufsichtigte Daten-, Plattform- und Algorithmenanbieter dieselben technischen Mindestanforderungen geltend gemacht werden wie für regulierte Banken. Außerdem wird gefordert, den Begriff der Systemrelevanz um funktionale und prozessuale Faktoren zu erweitern. So könnten sich Schlüsselunternehmen selbst einfacher identifizieren und Finanzdienstleister könnten dies berücksichtigen.

Ideen zur Anpassung des Outsourcing-Regimes bei fragmentierten Wertschöpfungsketten

Bei immer stärker fragmentierten Wertschöpfungsketten sei darüber hinaus das heutige Outsourcing-Regime, das als Anlaufstelle nur das Finanzinstitut kenne, ggf. nicht mehr ausreichend. Zudem sei zu berücksichtigen, dass Infrastruktur- und Datenanbieter in vielen Fällen auch direkte Wettbewerber auf dem Finanzmarkt seien. Und insbesondere bei Produkten, die über einen fragmentierten Wertschöpfungsprozess erstellt würden, böte sich eine Art digitale Signatur an. Bei dieser Signatur müsse jedes Unternehmen genannt sein, das am Wertschöpfungsprozess beteiligt sei. Insgesamt sei darüber nachzudenken, den aufsichtlichen Fokus vom einzelnen Unternehmen auf die Aufrechterhaltung von ganzen Wertschöpfungsketten zu verschieben. Zur Aufrechterhaltung von Wertschöpfungsketten könnte es eine Maßnahme sein, per Smart Contract für jede Leistung innerhalb einer Wertschöpfungskette eine Back-Up-Partei zu vereinbaren, die die Leistung beim Ausfall eines Unternehmens übernehme.

Eigenkapitalpuffer seien als mitigierende Maßnahme dagegen wenig geeignet, um Schocks, die außerhalb des Finanzsektors entstünden, wie zum Beispiel der Ausfall eines IT-Anbieters, zu absorbieren. Geeigneter seien Maßnahmen, die darauf abzielten, die Eintrittswahrscheinlichkeit zu minimieren. Genannt werden in diesem Zusammenhang technische Mindeststandards oder gezielte Szenarioanalysen sowie die im folgenden Absatz behandelten technischen Begrenzungen von Fehlentwicklungen. Darüber hinaus könnten Volumenbeschränkungen eine sinnvolle Maßnahme darstellen.

Technische Begrenzung von Fehlentwicklungen

In Kürze:Kernaussage aus dem BDAI-Bericht

Auch außerhalb von Handelsplätzen besteht in stark vernetzten Systemen die Gefahr, dass sich Störungen rasch und unkontrolliert ausbreiten. Es stellt sich die Frage, ob bisher von Handelsplätzen bekannte technische Maßnahmen im Zeitalter von BDAI auch außerhalb von Handelsplätzen erforderlich und sinnvoll anwendbar wären. Beispielsweise könnte über Abkopplungsmechanismen für Datenströme nachgedacht werden, da Datenzulieferungen durch BDAI stark an Bedeutung gewinnen.

Technische Sicherungsmaßnahmen zwar potenziell erforderlich, aber nur bei Gefahr immenser Schäden

Technische Maßnahmen zur Begrenzung von Kaskadeneffekten werden als potenziell erforderlich angesehen. Die Adressierung von Kaskadeneffekten gestaltete sich aber dann schwierig, wenn Teile des Marktes innerhalb der relevanten Kaskade nicht aufsichtlich bzw. regulatorisch erfasst seien. Die Gefahr von Herden- bzw. Kaskadeneffekten wird eher im Bankensektor und am Kapitalmarkt gesehen als im Versicherungssektor, wo zentrale Prozesse – wie Risiko- und Leistungsprüfungen – nur durch den Kunden selbst angestoßen würden. Grundsätzlich sei einmal zu prüfen, wo neue Entwicklungen wie etwa Echtzeitzahlungen in der Realwirtschaft tatsächlich gebraucht würden und das Risiko von Fehlentwicklungen rechtfertigten. Generell begrenze nämlich möglicherweise eine Entschleunigung mit vorgegebenen Mindestzeitfenstern und Rückabwickelbarkeit Fehlentwicklungen.

Technische Sicherungsmaßnahmen seien zum Beispiel dann überlegenswert, wenn bei der Nutzung von BDAI der Grad der algorithmischen Differenzierung zu gering sei. Auch könnten Schnittstellen von Cybernetzwerken ausfindig gemacht werden, um die Gefahr immenser Schäden zu reduzieren. In diesem Zusammenhang könne über den Aufbau redundanter Notfallsysteme nachgedacht werden. Eine Diversifizierung von Datenanbietern wird als weitere (nichttechnische) Maßnahme genannt. Nur in massiven Gefahrensituationen erscheine ein Eingriff in Datenströme gerechtfertigt. Keinesfalls sollten aber zum Beispiel Instrumente wie Volatilitätsunterbrechungen, trotz ggf. genauerer Kalibrierung, von selbstlernenden Algorithmen ausgelöst werden, da in diesem Fall der Zeitpunkt der Unterbrechung für die Marktteilnehmer nicht mehr vorhersagbar wäre.

Technologie auf Seiten der Aufsicht: Transparenz und Kontrolle über neue Strukturzusammenhänge behalten

In Kürze:Kernaussage aus dem BDAI-Bericht

Eine stärkere Vernetzung könnte das Marktgeschehen komplexer machen, indem beispielsweise ehemals interne Prozesse eines einzigen Akteurs über mehrere – auch bislang unregulierte – Marktteilnehmer verteilt werden. Aufsichtlich und regulatorisch gilt es daher, die sich ändernden Strukturen des dynamischen Marktes und die daraus resultierenden Risiken im Blick zu behalten, zu bewerten und zu adressieren.

Verantwortung beim Menschen, nicht beim Computer – auch bei der Aufsicht

In den Konsultationsantworten wird sehr klar die Erwartungshaltung geäußert, dass auch bei der Aufsicht die letztendliche Verantwortung beim Menschen zu verbleiben habe und nicht auf den Computer übertragen werden könne. Der vermehrte Einsatz von Technologie auf Seiten der Aufsicht wird dennoch in den meisten Antworten als zwingend erforderlich eingeschätzt. Zur Erkennung von Systemrelevanz könnte sich die Aufsicht auch verstärkt externer Daten bedienen und diese mittels Methoden wie Netzwerkanalysen berücksichtigen. Interessante externe Daten seien zum Beispiel Konsumausgaben und Sparverhalten von Haushalten, aber auch Open-Source Daten, welche wiederrum auch für die Betrugserkennung von Interesse sein könnten.

Echtzeitdatenzugriff – API-Einsatz bei der Aufsicht

Analysen, die auf einmalig bzw. monatlich oder quartalsweise erhobenen Daten beruhten, verlören aufgrund der steigenden Marktdynamik zunehmend an Relevanz. Die Aufsicht solle sich daher darum bemühen, über Application Programming Interfaces (APIs) einen Zugriff in Echtzeit auf spezifische Unternehmensdaten zu erhalten und damit fortlaufende Analysen – zum Beispiel Geldflussanalysen – durchführen, auch zur Früherkennung neuer Risiken und Geschäftsmodelle. Die Einrichtung von APIs wird auch für den reibungslosen Datenaustausch zwischen verschiedenen (Aufsichts-)Behörden als sinnvoll erachtet. Über das Zusammenspiel von APIs und BDAI lasse sich seitens der Aufsicht auch ein effektiveres Outsourcing-Controlling einrichten. Zudem könnten so auch die Beziehungen der beteiligten Unternehmen in aufsichtlichen Analysen automatisch Berücksichtigung finden.

Unternehmensaufsicht

BDAI-Governance

In Kürze:Kernaussage aus dem BDAI-Bericht

BDAI wird weitere Möglichkeiten der Automatisierung marktüblicher Prozesse schaffen. Zur Ausgestaltung (teil-)automatisierter Prozesse ist es wichtig, die Einbettung in eine wirksame, angemessene und ordnungsgemäße Geschäftsorganisation zu gewährleisten. Die Verantwortung auch für automatisierte Prozesse verbleibt bei der Geschäftsleitung des beaufsichtigten Unternehmens. Um dies sicherzustellen, ist eine angemessene Dokumentation erforderlich. Unter Umständen ist es zudem erforderlich, etablierte Governance-Konzepte wie das Vier-Augen-Prinzip weiterzuentwickeln und auf automatisierte Prozesse zu übertragen.

Bestehende Konzepte weitgehend ausreichend – Auslegungen aber erwünscht

In einer Mehrzahl der Antworten wird der bestehende Aufsichtsrahmen auch bei vermehrtem BDAI-Einsatz grundsätzlich als ausreichend eingestuft. BDAI-Anwendungen bedeuteten nicht zwangsläufig ein höheres Risiko und könnten analog zu bestehenden Prozessänderungen betrachten werden. Somit könnten sie auch in die bestehende Geschäftsorganisation und die entsprechende Regulierung eingebettet werden.11 Die aktuellen Anforderungen ermöglichten zudem, dass die Aufsicht die Prozesse risikoorientiert und strichprobenartig prüfe. Auch bezüglich der Geschäftsleitung seien strenge Anforderungen bereits gesetzlich verankert. Darüber hinaus wird betont, dass der Einsatz von BDAI regelmäßig unter die Outsourcing-Bestimmungen falle, die Verantwortung und Haftung für künstliche Intelligenz jedoch nicht ausgelagert werden könne. Sollte es zunehmend Auslagerungen an Regtechs geben, entstehe das Risiko, dass Risikokultur und Wissen innerhalb der beaufsichtigten Unternehmen geschwächt würden.

Es bestehe aber auch zum Teil Klärungsbedarf, wie bestehende Regeln in Bezug auf BDAI anzuwenden seien. Es böte sich an, dass die Aufsicht Vorschriften in Auslegungen spezifiziere. Ungeachtet der Komplexität der zugrundeliegenden Prozesse dürften aber in keinem Fall aufsichtliche Anforderungen aufgeweicht werden.

Ideen zur Erweiterung bestehender Governance-Konzepte

Konträr zu der oben genannten Meinung gibt es aber auch einige Rückmeldungen, die es explizit für geboten halten, die bestehende Regulierung und Aufsichtspraxis mittelfristig zu überarbeiten. So könne zum Beispiel bei Algorithmen über das Erfordernis der Implementierung und gegenseitigen Kontrolle verschiedener Teilsysteme nachgedacht werden. Dies würde bei lernenden Systemen im Regelfall die Nutzung unterschiedlicher Lernverfahren und möglichst auch unterschiedlicher Trainingsdaten bedeuten. Als hilfreich könne sich auch ein „Outlier-Mining“ erweisen, um potenziell fehlerhafte Entscheidungen aufzuspüren. Zudem stelle sich die Frage, ob die Validierung von BDAI-Algorithmen von der derzeitigen Regulierung (hinreichend) abgedeckt sei.

An einzelnen Stellen seien zudem aufgrund des vermehrten BDAI-Einsatzes Veränderungen der bestehenden Geschäftsorganisationen zu beobachten. So sei es wichtig, die Fehlerkultur im Unternehmen an das fortwährende Lernen und die damit verbundene laufende Veränderung von Algorithmen und Modellen anzupassen. Zudem entwickle sich die bislang rein administrative Aufgabe des Data Quality Managements (DQM) zu einer analytischen und konzeptionellen Aufgabe weiter und habe künftig eine Schlüsselrolle im Unternehmen. Vorgeschlagen wird außerdem die Schaffung von Algorithmus-Beauftragten, analog zu Datenschutz-Beauftragten, und die Einrichtung einer Datenethikkommission in den Unternehmen. Insgesamt müsse man dabei aber aufpassen, dass es nicht zu einer unklaren Zuordnung von Verantwortung komme.

Nachvollziehbarkeit und Erklärbarkeit von Algorithmen und Entscheidungen

In Kürze:Kernaussage aus dem BDAI-Bericht

Es liegt in der Verantwortung des beaufsichtigten Unternehmens, die Erklärbarkeit und Nachvollziehbarkeit von BDAI-basierten Entscheidungen zu gewährleisten. Auch bei sehr komplexen Modellen können zumindest Einblicke in die Funktionsweise des Modells und die Gründe für Entscheidungen erzielt werden und Modelle müssen nicht zwangsläufig als Blackbox verstanden werden. Die Aufsicht wird es daher nicht akzeptieren, wenn man ihr ein Modell als unerklärbare Blackbox präsentiert. Aufgrund der Komplexität der Anwendungen ist darüber hinaus zu überlegen, ob künftig neben den Dokumentationsanforderungen auch Prozessergebnisse untersucht werden sollten.

Zwei Ebenen der Erklärbarkeit: Das Modell und die Einzelfallentscheidung

Einleitend wird in den Antworten darauf hingewiesen, dass es bei Erklärbarkeit und Nachvollziehbarkeit zwei Ebenen gebe, an denen man ansetzen könne: Zum einen das generelle Modell, das zur Entscheidungsfindung herangezogen werde, und zum anderen die (Einzelfall-)Entscheidung selbst. Die Erklärbarkeit eines auf maschinellem Lernen basierenden Modells hänge notwendigerweise von der Komplexität der eingesetzten Verfahren und der verwendeten Daten ab. Aufsichtliche Eingriffe oder Regulierungsanpassungen sollten aber nicht ausschließlich in der Komplexität eines Modells bzw. in der Verwendung von BDAI begründet sein. Sie sollten vielmehr immer den jeweiligen Einsatzbereich und die damit erwartete Risikosituation berücksichtigen.

Nachvollziehbarkeit sei insbesondere im Kundenkontakt und damit im Einzelfall wichtig, da Kunden häufig forderten, eine Entscheidung zu begründen. Nur die Begründung versetze Betroffene in die Lage, unzutreffende Daten und darauf basierende Entscheidungen zu korrigieren. Im Sinne eines „Audit-Trails“ müssten einzelne Entscheidungsschritte stets nachvollziehbar sein. Zumindest sollte eine Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen immer soweit durchgesetzt werden, dass sie für forensische Zwecke möglich wäre.

Wie sich Erklärbarkeit und Nachvollziehbarkeit herstellen ließen

Erklärbarkeit und Kontrollierbarkeit von Algorithmen und Modellen sowie nachvollziehbare Prozesse lägen im Eigeninteresse der Unternehmen, heißt es in einigen Antworten. Zu nennen seien hier auch die zahlreichen existierenden (Selbst-)regulierungsmaßnahmen, wie die Product Oversight and Governance Requirements (POG) und das interne Kontrollsystem (IKS). In der Praxis verankere man im Modellfindungs- und Kalibrierungsprozess immer wieder Backtestings und in der folgenden Anwendung Warn- und Alarmsignale, die letztendlich in eine manuelle bzw. menschliche Intervention mündeten. Dass die Möglichkeit (manueller) Korrektur und generell von Revidierbarkeit bestehen müsse, wird in vielen Antworten hervorgehoben. Zudem müssten auch Abschalte-Prozesse für auslaufende oder fehlerhafte BDAI-Anwendungen vorhanden sein.

Zur Herstellung von Nachvollziehbarkeit böte sich zunächst an, bestehende Modelle und solche, die auf BDAI beruhten, parallel auszuführen. Auf diese Weise lasse sich nachvollziehen, welche Einflussfaktoren es gebe. Weiterhin seien komplexe Modelle auch durch einfache Modelle approximierbar. So ließen sich zum Beispiel Approximationen bilden und so Einzelfallentscheidungen lokal durch ein einfaches Modell erklären. Wichtig sei in diesem Zusammenhang die Definition einer Mindestgüte für die Approximation.

Gegenmeinung: Erklärbarkeit und Nachvollziehbarkeit als unangemessene Einschränkung

In einer Reihe von Antworten wird allerdings gegensätzlich argumentiert: Es sei schwer bzw. aufgrund der Natur der BDAI-Verfahren unmöglich, den Entscheidungsweg eines Algorithmus detailliert nachzuvollziehen. Insbesondere bei sehr komplexen Verfahren wie Deep-Learning sei Erklärbarkeit nur sehr schwer darstellbar. Entsprechend bedeute die Forderung nach der Erklärbarkeit von Algorithmen eine unangemessene Einschränkung. Aufgrund der Komplexität der Modelle solle die Validierung der Ergebnisse im aufsichtlichen Fokus stehen. Allerdings sei fraglich, inwiefern etwa der Einsatz von Test-Szenarien zur Überprüfung institutseigener Algorithmen sinnvoll sei. Denn beim Einsatz von Test-Szenarien sei zu beachten, dass das Einbeziehen von vordefinierten Szenarien das Risiko der Überanpassung (Overfitting) auf eben diese Szenarien berge.

Insbesondere sei die Anforderung, jeden Musterkunden – also die Einzelfallentscheidung – nachzurechnen, realitätsfern. Entgegen der im BDAI-Bericht geäußerten Feststellung sei Erklärbarkeit schon allein aufgrund der komplexen Daten eingeschränkt. Wichtig und technisch möglich sei hingegen, einen Nachweis über die Prognosegüte und die Stabilität der verwendeten Modelle zu erbringen. Ein aufsichtlicher Abnahmeprozesses für BDAI-Anwendungen wird in diesem Zusammenhang abgelehnt, da dadurch die Innovation der Unternehmen stark beeinträchtigt würde. Außerdem wird hierin eine unangemessene Benachteiligung von Finanzunternehmen im Vergleich zu anderen (unregulierten) Unternehmen wie zum Beispiel den Bigtechs gesehen.

Ideen zur aufsichtlichen Überprüfung von BDAI-Modellen

Außerdem stelle sich die Frage, wie sich BDAI-Modelle aufsichtlich überprüfen ließen. Sofern BDAI im signifikanten Umfang in geschäftskritischen Prozessbereichen Anwendungen finde, seien hierzu möglicherweise erweiterte Anforderungen erforderlich, zum Beispiel mit Blick auf Code-Review-Verfahren, Simulations- und Penetrations-Tests und die Begutachtung von Musterprofilen. Die Anforderungen zur Dokumentation und Erklärbarkeit und Nachvollziehbarkeit für BDAI-Anwendungen sollten zum Beispiel über Best-Practice Leitlinien konkretisiert werden. Eine effektive Aufsicht müsse außerdem über die Betrachtung von Dokumentation und Einzelfällen hinausgehen.

Aufseher müssten komplexe Verfahren wie Deep Learning verstehen und die Anwendungen der Unternehmen im Rahmen eines risikosensitiven Ansatzes selbst testen. Erweitert werden sollten Anforderungen aber nur in Abhängigkeit davon, wie kritisch die jeweiligen Prozesse seien, auch im Hinblick auf den Verbraucher. Für die Finanzaufsicht ergebe sich aus der Verwendung algorithmenbasierter Entscheidungssysteme zudem die Chance, aber auch die Verpflichtung, algorithmenbasierte Entscheidungsprozesse und damit weite Teile der Geschäftspraxis auf Konsistenz mit den aufsichtsrechtlichen Vorgaben und der zivilen Rechtssprechung zu prüfen.

Genehmigungspflichtige interne Modelle

In Kürze:Kernaussage aus dem BDAI-Bericht

Eine Verwendung von BDAI bei genehmigungspflichtigen Modellen stünde immer unter dem Vorbehalt einer entsprechenden aufsichtlichen Genehmigung im Einzelfall. Über den Einzelfall hinaus ist zu prüfen, ob bestehende gesetzliche (Mindest-) Anforderungen an die verwendeten Daten und die Modelltransparenz mit Blick auf BDAI hinreichend sind oder erweitert werden sollten. Bei dynamischen BDAI-Modellen stellt sich zudem die Frage, bei welchen generellen Anpassungen eine Modelländerung im aufsichtlichen Sinne vorliegen kann, die eine Bank oder ein Versicherer, etwa entsprechend der Modelländerungsrichtlinie bei Versicherungsunternehmen, bei der Aufsicht anzeigen und unter Umständen genehmigen lassen müsste.

BDAI findet noch keine Anwendung bei genehmigungspflichtigen Modellen

Zunächst einmal ergibt sich aus den Antworten, dass BDAI-Ansätze bei genehmigungspflichtigen internen Modellen bisher noch keine Anwendung finden. Da die Stabilität interner Modelle sehr wichtig sei, seien BDAI-Modelle zudem eher bei Support-Anwendungen zu erwarten. Es wird im Übrigen bezweifelt, dass BDAI-Modelle, bei denen aufgrund veränderter Daten automatisiert anzeigepflichtige Modellanpassungen vorgenommen werden, genehmigungsfähig wären.

Gegensätzliche Meinungen zu bestehender Regulierung

Zur Anwendbarkeit von BDAI in genehmigungspflichtigen Modellen gibt es gegenläufige Auffassungen, insbesondere mit Blick auf den Modelländerungsprozess.

Dem einen Lager zufolge sind BDAI-Anwendungen grundsätzlich für den Einsatz in aufsichtlich abzunehmenden Modellen geeignet. Ihr Einsatz berge eine erhebliche Chance, Risiken besser zu modellieren. Es sei nicht zu erwarten, dass man die Definition einer Modellanpassung ändern bzw. zusätzliche Regulierung schaffen müsse. Dies insbesondere deswegen, weil die Anzeigepflicht einer Modellanpassung eher vom Einfluss auf die risikogewichteten Aktiva als von der eingesetzten (BDAI)-Technologie abhängig sei. Auch eine Erweiterung bestehender (Mindest-)Anforderungen an die Erklärbarkeit der Modelle und Daten wird in diesen Antworten für nicht erforderlich gehalten. Eine erneute Einschätzung könne jedoch erforderlich sein, falls der Einfluss von BDAI-Methoden auf die in diesem Zusammenhang relevanten Kenngrößen wesentlich werde. Unter Umständen könne es dann erforderlich sein, die Technischen Regulierungsstandards zu erweitern.

Das andere Lager schlägt vor, die Abnahmepraxis anzupassen. So solle Unternehmen die Möglichkeit gegeben werden, eingesetzte Modelle flexibler anzupassen, ohne zuvor langwierige Abnahmeprozesse für Modelländerungen durchlaufen zu müssen. Die Aufsicht solle schnellere „Validierungsfeedbackloops“ ermöglichen. Wünschenswert sei darüber hinaus, Modelländerungen durch die Neuschätzung von Parametern nicht als Modelländerung zu betrachten, wenn ein modellinhärentes Verfahren die Notwendigkeit der Neuschätzung bestimme. Vereinzelt wird auch die Meinung vertreten, dass eine Veränderung der Parameter bereits heute zumindest im Versicherungssektor keine Modelländerung darstelle. Darüber hinaus wird vorgeschlagen, für die Überwachung von BDAI-Modellen ein automatisiertes regelmäßiges, stark standardisiertes Monitoring auf BDAI-Basis zu etablieren und über entsprechende Berichte die Kommunikation mit der Aufsicht zu erleichtern. Außerdem könne der vermehrte Einsatz von Validierungsinstrumenten wie Stabilitätsanalyse, Sensitivitätsanalyse und Backtesting hilfreich sein.

Schlussendlich wird jedoch auch darauf hingewiesen, dass bei flächendeckendem BDAI-Einsatz zu prüfen wäre, ob dieser durch eine deutliche Verminderung der risikogewichteten Aktiva zu einer (unerwünschten) Kapitalerleichterung oder zu einer Umgehung aufsichtlicher Anforderungen führe.

Abwehr von Finanzkriminalität und Verhaltensverstößen

In Kürze:Kernaussage aus dem BDAI-Bericht

BDAI kann die Anomalie- und Mustererkennung verbessern, wodurch Compliance-Prozesse wie zum Beispiel die Geldwäscheerkennung und die Betrugsprävention effektiver und effizienter werden könnten. Wird die Geldwäscheerkennung durch den Einsatz von BDAI-Technologien sehr viel effektiver, könnten Täter auf Unternehmen ausweichen, die auf diesem Gebiet nicht so weit entwickelt sind. Es gilt zu beobachten, ob solche Ausweichreaktionen tatsächlich stattfinden. Die Ergebnisse der Algorithmen müssen in einer Weise nachvollziehbar sein, dass die Aufsichtsbehörden sie überprüfen und zuständige Stellen wie Strafverfolgungsbehörden sie verwenden können. Möglicherweise sind hierfür aufsichtlich und regulatorisch Mindeststandards zu entwickeln.

Regulatorik gibt bereits Standards vor – Erweiterungen könnten aber angebracht sein

Die überwiegende Mehrheit der Antwortenden hält es für unangemessen und unverhältnismäßig, den Einsatz von BDAI zur Betrugsabwehr und Geldwäscheverhinderung zu erzwingen. In vielen Antworten wird allerdings befürwortet, allgemeine bzw. Mindeststandards einzuführen, auch über BDAI-Anwendungen hinaus. Solche Standards könnten die Prozesse zur Identifikation von Finanzkriminalität und Verhaltensverstößen effektiver machen bzw. die Identifikation und Vermeidung von Geldwäsche verbessern. Da sich BDAI schnell und individuell weiterentwickle, sollten diese Standards prinzipienbasiert ausgestaltet werden. Zum Beispiel solle die Dokumentation insbesondere bei Sanktions- und Eingriffsmaßnahmen im Einzelnen nachvollziehbar sein, damit sie einer menschlichen Überprüfung standhalten kann. Auch eine aufsichtliche Prüfung der Geldwäscheeffektivität wird vorgeschlagen, zum Beispiel mithilfe von normierten, mindestens jährlich anzupassenden Prüfdatensätzen – analog zum Penetration Testing.

In anderen Antworten wird dagegen darauf verwiesen, dass die bisherige prinzipienbasierte Regulatorik bereits Standards setze und insbesondere mit der Umsetzung der fünften EU-Geldwäsche-Richtlinie ein ausreichender Rahmen vorhanden sei. Zudem seien spezielle BDAI-Standards nicht zwingend erforderlich, da sich diese direkt aus wissenschaftlichen Standards der Machine-Learning-Community ableiten ließen.

Feedbackloops zur Modell-Kalibrierung unerlässlich

Wie effektiv BDAI-Modelle in der Geldwäscheprävention eingesetzt werden könnten, hänge stark davon ab, ob sie mit verlässlichen Daten kalibriert würden. Für die Modell-Kalibrierung und –Verbesserung sei es daher wichtig, Rückmeldungen zu den Modellvorhersagen im Einzelfall zu erhalten. Aktuelle Feedbacks der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (FIU) oder der Strafverfolgungsbehörden seien folglich wünschenswert. Auch sei in diesem Zusammenhang über die Kompatibilität der Datensysteme nachzudenken, was den Datenstandard und die technische Umsetzung ggf. über eine API angehe. Denn nur so sei ein Datenaustausch zwischen Unternehmen und Ermittlungsbehörden ohne Konvertierung möglich.

Vorteile von Pooling-Lösungen, insbesondere für weniger versierte Unternehmen

Darüber hinaus wird ein institutsübergreifendes Datenpooling vorgeschlagen; etwa um kleinere Institute, also solche mit geringerer Datenbasis, zu unterstützen. Dabei könnte auch über ein Pooling von Know-how bzw. der Verwendung gemeinsamer Metriken nachgedacht werden. In der Teilnahme an einem vernetzten Informationspool, in dem geldwäscherelevante Informationen gespeichert und abgerufen werden könnten, sieht man den Vorteil, dass – auch ohne BDAI – ein ganzheitlicher Blick auf das Kundenrisiko ermöglicht würde. Entsprechend wird vereinzelt der Wunsch geäußert, dass Aufsicht bzw. Gesetzgeber solche Know-Your-Costumer-Plattformen (KYC-Plattformen) wohlwollend begleiteten.

Es wird vorgeschlagen, dass die Aufsicht Unternehmen, deren Geldwäscheerkennung mit Blick auf BDAI weniger weit entwickelt sei, unterstützen solle. Die Unternehmen müssten aber auch bereit sein, mehr in neue Technologien zu investieren. Die Aufsicht solle den Unternehmen klarmachen, was sie von ihnen erwarte.

Mehrdimensionale Herangehensweise bei der Geldwäschebekämpfung

Einige Teilnehmer sprechen sich bei der Geldwäschebekämpfung für eine mehrdimensionale Herangehensweise aus, also zum Beispiel für eine Kombination von BDAI-Analysen mit Peergroup-Vergleichen, öffentlichen Daten und KYC-Scores. Darüber hinaus wird vereinzelt der Wunsch geäußert, die bei der Geldwäscheerkennung gewonnen Erkenntnisse auch für andere Zwecke – etwa für das Kreditrisikorating – nutzbar zu machen.

Demgegenüber wird darauf verwiesen, dass bei der Anwendung von BDAI insbesondere das Willkürverbot beachtet werden müsse. Durch BDAI dürften Merkmale nicht willkürlich verknüpft werden, weil sonst Personen fälschlicherweise strafrechtlich verfolgt würden. Auch eine direkte oder indirekte Diskriminierung, wie sie Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz (GG) beschrieben sind, sollte unterbleiben.

Umgang mit Informationssicherheitsrisiken

In Kürze:Kernaussage aus dem BDAI-Bericht

Das Management von Informationssicherheitsrisiken steht durch die BDAI-bedingt zunehmende Komplexität dieser Risiken vor neuen Herausforderungen. Die von BDAI unterstützte Disaggregation von Wertschöpfungsketten und das wachsende Datenvolumen vergrößern zudem die Angriffsfläche für externe Zugriffe und verringern zugleich die Möglichkeiten eines einzelnen Anbieters, die genutzten und verteilten Daten zu kontrollieren. Zusätzlich kann es bei bestimmten BDAI-Algorithmen auch zu Angriffen durch Datenmanipulation kommen. Beispiele sind Adversarial und Poison Attacks. BDAI ließe sich aber auch in der Abwehr von Informationssicherheitsrisiken nutzen, zum Beispiel bei der Analyse und Entdeckung von Gefahren. Auch bestimmte Verschlüsselungsverfahren, welche die Anwendung von BDAI-Methoden direkt auf verschlüsselten Daten erlauben, könnten genutzt werden, um die Resilienz gegenüber solchen Risiken zu stärken.

Prinzipienbasierte Regulierung für Informationssicherheitsrisiken auch auf BDAI anwendbar

Angemerkt wird, dass Informationssicherheitsrisiken beim Einsatz von BDAI-Techniken zunehmen könnten – und zwar insbesondere durch die zunehmende Vernetzung und die daraus resultierenden vermehrten Angriffspunkte. Dem Grunde nach handele es sich hierbei aber um ähnliche Sicherheitsaspekte, wie sie auch bei anderen Softwarelösungen zu beachten seien. Es wird daher kein (weitgehender) regulatorischer Anpassungsbedarf gesehen. Zahlreiche Regularien, wie die Bankaufsichtlichen Anforderungen an die IT (BAIT) und die Versicherungsaufsichtlichen Anforderungen an die IT (VAIT), aber auch die MaRisk oder bestimmte ISO-Standards fänden bereits heute beim Einsatz von BDAI Berücksichtigung. Vereinzelt wird dennoch gefordert, einzelne Regularien wie etwa die BAIT hinsichtlich BDAI weiter zu konkretisieren. Sollten künftig weitere Ergänzungen erforderlich sein, so sollten diese möglichst prinzipienbasiert ausgestaltet sein und nur bei Bedarf mit regelbasierten Vorgaben ergänzt werden. Insgesamt sei es aber riskant, Standards festzuschreiben, da sich die Informationstechnologie sehr schnell weiterentwickle.

Die Möglichkeit, BDAI zur Bewältigung bzw. Erkennung von Cyberattacken zu nutzen, wird in den Antworten insgesamt bestätigt.

Verschlüsselung ist kein Allheilmittel

Um die Auswirkungen von Schäden bei Sicherheitsvorfällen zu minimieren, sollten Daten prinzipiell möglichst umfassend anonymisiert oder pseudonymisiert werden. Allerdings wird deutlich hervorgehoben, dass die Vorstellung, BDAI-bedingte Datenschutzrisiken könnten durch kryptographische Verfahren abschließend gelöst werden, unrealistisch sei. Verschlüsselungsverfahren könnten auch Schein-Sicherheit suggerieren. Aus technischer Sicht sei nicht zu erwarten, dass maschinelles Lernen auf verschlüsselten Daten außerhalb spezieller Anwendungen erfolgreich nutzbar sein werde. In einer einzelnen Rückmeldung wird vorgeschlagen, den Datenhandel im Sinne einer Monetarisierung von Daten generell zu untersagen, um so neben dem Datenschutz auch die Informationssicherheitsrisiken zu minimieren.

Kollektiver Verbraucherschutz

Ausnutzung der Zahlungsbereitschaft und -fähigkeit der einzelnen Kunden

In Kürze:Kernaussage aus dem BDAI-Bericht

BDAI könnte Anbietern eine kostengünstige (Massen-) Individualisierung von Produkten und Dienstleistungen und der entsprechenden Preise erleichtern. So wären auch kundenindividuell höhere Preise ohne höhere Kosten für die Unternehmen denkbar. Die Individualisierung könnte Preisvergleiche tendenziell erschweren. Zudem könnte sie ermöglichen, bei der Preissetzung die (situative) Zahlungsbereitschaft und -fähigkeit des Kunden auszunutzen, falls diese dem Anbieter bekannt ist. Gerade die BDAI-getriebene Verknüpfung von finanzwirtschaftlichen Transaktions- und Verhaltensdaten mit anderen Daten-(quellen) kann die Einschätzung der Zahlungsbereitschaft erleichtern. Auch außerhalb des regulierten Finanzsektors könnten diese Daten somit theoretisch eine Abschöpfung der Konsumentenrente12 begünstigen. Eine BDAI-bedingte Entstehung von wenigen zentralen Kundenschnittstellen („The-Winner-takes-it-all“-Marktstrukturen) könnte diese Entwicklungen durch verbesserten Datenzugriff sowie Auswertungs-Synergien zusätzlich fördern. Verbraucher sind daher stärker dafür zu sensibilisieren, wie ihre (Finanz-)Daten genutzt werden können und welche Bedeutung sie haben.

Abgrenzung von risikoadäquater Preisdifferenzierung und Ausnutzung der individuellen Zahlungsbereitschaft

Abzugrenzen von einer Preissetzung in Abhängigkeit der individuellen Zahlungsbereitschaft seien im Finanzsektor die generell erforderlichen Preisdifferenzierungen aufgrund der individuell entstehenden Risikokosten.

Diese Art der Preisdifferenzierung, so ist in den Antworten zu lesen, müsse auch künftig zur risikoadäquaten Bepreisung möglich sein. Es wird auch darauf hingewiesen, dass zum Beispiel der situative Versicherungsschutz regelmäßig auf einen (Mehr-)Jahresbeitrag hochgerechnet werde und teurer sei als langfristiger Versicherungsschutz, da er häufig auf einen Zeitraum mit erhöhten Risiken ausgerichtet werde.

Wettbewerb und langfristige Geschäftsbeziehungen sprechen gegen eine Abschöpfung der Konsumentenrente am Finanzmarkt

Die Möglichkeit, durch den Einsatz von BDAI die Konsumentenrente besser abschöpfen zu können, wird in der Mehrzahl der Antworten verneint. Als Gegenargument wird insbesondere ein intensiver (Preis-)Wettbewerb um den Kunden angeführt. Bei der Vermeidung einer einseitigen Preisgestaltung käme damit vor allem einer effektiven Wettbewerbspolitik bzw. -aufsicht eine Schlüsselrolle zu: Grundvoraussetzung für die Abschöpfung der Konsumentenrente sei ein Marktversagen – also etwa die Bildung von Mono- und Oligopolen bzw. Preisabsprachen und wettbewerbsbeschränkende Absprachen.

Für den Bankensektor fänden darüber hinaus Regelungen wie die Preisangabenverordnung Anwendung. Vermeintlich willkürliche bzw. rein personenabhängige Preisgestaltungen in der Breite des Kundengeschäfts seien daher schwer vorstellbar. Zudem seien für Finanzdienstleister Fairness gegenüber den Kunden und deren Vertrauen von existenzieller Bedeutung für die Kundenbeziehung. Eine faire Preisgestaltung liege daher im eigenen Interesse und sei häufig bereits im Code of Conduct der Unternehmen angelegt. In anderen Antworten hingegen wird die Position vertreten, dass Verbraucher eine eventuelle Ausnutzung ihrer Zahlungsbereitschaft und -fähigkeit selbst verantworteten, wenn sie ihre Daten freigäben. Der These einer breiten Nutzung der Finanz- und Verhaltensdaten außerhalb des Kerngeschäfts wird zudem entgegengehalten, dass eine solche derzeit nicht zu beobachten sei.

BDAI könnte Transparenz für Produktalternativen erhöhen

Gegen die Abschöpfung der Konsumentenrente spreche auch die verbesserte Möglichkeit, als Kunde über BDAI einen Überblick über verfügbarer Produktalternativen und Preise zu erlangen. Eine von BDAI befeuerte hohe Marktdynamik könne sogar sinkende Preise zur Folge haben. Auch könnten insbesondere Kunden mit geringer Zahlungsbereitschaft durch BDAI-Anwendungen neue Konsummöglichkeiten eröffnet werden.

Verstärkte Marktkonzentration könnte künftig neue Gefahren entstehen lassen

Dagegen wird in einigen Antworten darauf hingewiesen, dass eine teilweise Abschöpfung der Konsumentenrente bereits heute möglich sei, da es nur wenige Online-Plattformen gebe. Wenn Methoden der datenbasierten Preisdifferenzierung breitere Anwendung fänden, könne dies die Informationsasymmetrie zwischen Verbrauchern und Unternehmen verstärken – zu Ungunsten der Verbraucher. Sollten hierbei neue Gefahren entstehen, wäre über die Initiierung von aufsichtlichen oder regulatorischen Maßnahmen nachzudenken. Zudem sollten einheitliche Anforderungen an die Pflicht zur Angabe von Daten gestellt werden, die zur Preisbestimmung herangezogen würden. Ebenso sollten sachgerechte Regelungen für die Nutzung von Daten getroffen werden, die im Internet of Things anfallen.

Verstärkte Verbraucheraufklärung ist nötig

In einigen Antworten wird explizit betont, dass es wichtig und notwendig sei, Verbraucher aufzuklären und auszubilden. Verbraucher müssten nämlich in der Lage sein, aufgeklärtere Entscheidungen zu treffen, was ihre persönlichen Daten und Finanzprodukte angehe. Eine wichtige Rolle spielten dabei unter anderem Verbraucherschutzorganisationen, welche die Kunden über Veränderungen im Marktangebot und mögliche Fallstricke in der Produktauswahl aufklären sollten. Außerdem sei es förderlich, die Datenhoheit der Kunden zu stärken.

Differenzierung und mögliche Diskriminierung

In Kürze:Kernaussage aus dem BDAI-Bericht

Durch den Einsatz von BDAI kann sich die Gefahr von Diskriminierung erhöhen: Algorithmen könnten Merkmale nutzen, die aus rechtlichen Gründen nicht zur Differenzierung verwendet werden dürfen. Und selbst wenn unzulässige Merkmale nicht genutzt werden, ist eine Approximation möglich, da sehr viele andere Daten zur Verfügung stehen, die Rückschlüsse zulassen. Es besteht zudem das Risiko, dass die Differenzierung auf Basis falscher Annahmen bzw. der daraus resultierenden Schlussfolgerungen der Algorithmen erfolgt, dass also Verbraucher de facto – wenn auch unbeabsichtigt –diskriminiert werden. Bei der Programmierung der Algorithmen und bei der Kontrolle der Ergebnisse müssen Anbieter entsprechend verstärkt darauf achten, dass einzelne Verbraucher nicht diskriminiert werden. Es stellt sich die Frage, welche Kontroll- und Transparenzmechanismen ihnen dabei helfen könnten.

Gefahr indirekter Diskriminierung nimmt zu – Nachweis von Diskriminierungsfreiheit erforderlich

Die Gefahr indirekter Diskriminierung (wie einleitend beschrieben) könne bei der Verwendung von BDAI zunehmen, heißt es in einigen Antworten. Anbieter sollten daher einen Nachweis über die diskriminierungsfreie Funktion ihrer Systeme und die Relevanz der verwendeten Variablen führen. Es wird befürwortet, Algorithmen einer regelmäßigen Prüfung zu unterziehen – unternehmensintern und durch Dritte. In einer Antwort wird sogar ein staatliches Kontrollsystem für alle BDAI-Algorithmen auch außerhalb der Finanzbranche gefordert. Zudem müsse man einer möglichen Diskriminierung bereits bei der Modellentwicklung begegnen, zum Beispiel durch Verwendung von Methoden wie Bias-Correction. Insgesamt sei die Durchsetzung von Diskriminierungsverboten im Kontext von BDAI aber eine technisch anspruchsvolle Aufgabe, für die es noch keine insgesamt befriedigende Lösung gebe. Derzeit sei eine nachträgliche, stichprobenhafte Kontrolle von Einzelfallentscheidungen den einzig gangbaren Weg.

Im Versicherungssektor sind viele Antidiskriminierungsregeln etabliert

Im Versicherungssektor seien bereits – neben allgemeinen Vorgaben wie dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und dem Gendiagnostikgesetz – eine Reihe sektorspezifischer Vorschriften zu beachten. Genannt wird hier insbesondere der Gleichbehandlungsgrundsatz für Lebensversicherungen (§ 138 Absatz 2 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG)) und Versicherungsvertragsgesetz (VvaG) (§ 177 Absatz 1 VAG). Außerdem verfüge die Aufsicht in der Missstandsaufsicht über umfangreiche Instrumente, die als ausreichend angesehen werden. Darüberhinausgehende Mikroregulierung oder Mikrosteuerung von Produktgestaltung und Bepreisungsmodellen wirkten innovationshemmend. Im Übrigen sei unzulässige Diskriminierung im Versicherungssektor leichter zu vermeiden als in anderen Branchen, da, bis auf das Merkmal Geschlecht, jedes Merkmal nur ein differenzierender Faktor sei, solange dieser risikorelevant sei.

Definition von Diskriminierung bzw. Diskriminierungsfreiheit

Diskriminierungsfreiheit bezogen auf ein Merkmal mit nur zwei Ausprägungen (zum Beispiel Raucher / Nichtraucher) liege dann vor, wenn beide Gruppen die gleiche Erfolgswahrscheinlichkeit für den Abschluss eines Vertrages (zu gleichen Konditionen) hätten. Anders ausgedrückt müssten also zwei Verbraucher mit den gleichen risikorelevanten Eigenschaften den gleichen Preis zahlen. Insgesamt sei es für nicht erhobene Merkmale unmöglich zu garantieren, dass das Ergebnis einer Modellentscheidung unabhängig von diesem Merkmal sei. Wenn das Merkmal allerdings bekannt sei, könne die Modellentscheidung weitestgehend zur Vermeidung von Diskriminierung bereinigt werden. Um eine unzulässige Diskriminierung auszuschließen, ist nach Meinung einiger Konsultationsteilnehmer ein Datensatz erforderlich, der genau das auszuschließende Merkmal enthält.

Weitergehender gesellschaftlicher Diskurs erscheint notwendig

Um gewollte Differenzierung und nicht zu akzeptierende Diskriminierung voneinander abzugrenzen, brauche man künftig einen gesellschaftlichen Diskurs. Auf diese Weise könne man die Akzeptanz der neuen Technologien fördern. Dabei sei aber zu berücksichtigen, dass die durch BDAI ermöglichte weitere Differenzierung Phänomenen wie Moral Hazard und adverser Selektion entgegenwirken könne. Würden diese Möglichkeiten nicht genutzt, könne es zu unfairen Verteilungen bzw. Bedingungen kommen, wenn es sich um risikorelevante Informationen handele. Mit Blick auf Differenzierung wird darauf verwiesen, dass sehr stark segmentierende Tarife in der Vergangenheit wenig erfolgreich gewesen seien. Einige sahen den Grundgedanken des Versicherungsschutzes durch verfeinerte Segmentierung gefährdet.

4.3. Zugang zu Finanzprodukten

In Kürze:Kernaussage aus dem BDAI-Bericht

Gerade eine Verknüpfung von vielfältigen Daten-(quellen) könnte die Risikobeurteilung der Finanzbranche verbessern. Kunden könnten daher künftig damit konfrontiert werden, in größerem Umfang (neue) Daten(-quellen) freizugeben– etwa Social Media Accounts. Es ist also denkbar, dass künftige Datenanforderungen deutlich über die bisher üblichen hinausgehen und der Preis einer Finanzdienstleistung von der Bereitstellung dieser Daten abhängt. Zudem könnten BDAI-Selektionsmechanismen generell einzelnen Verbrauchern den Zugang zu bestimmten Finanzdienstleistungen unverhältnismäßig erschweren. Das kann besonders prekär werden, wenn der Verbraucher durch eine geringere Produktauswahl benachteiligt wird, aber nicht nachvollziehen kann, dass seine personenbezogenen Daten der Grund sind. Es stellt sich daher die Frage, wie der Zugang zu (erschwinglichen) Finanzleistungen erhalten werden kann, wenn Kunden umfangreiche (neue) Datenquellen nicht freigeben können oder wollen.

In diesem Themenblock lag der Schwerpunkt der Konsultationsteilnehmer auf Versicherungsprodukten. Viele Argumente lassen sich aber generell auf Finanzdienstleistungen ausweiten.

Daten sind zur Risikobeurteilung essenziell

In einem Großteil der Antworten wird darauf hingewiesen, dass die Daten-Bereitstellung zur Risikoprüfung im Finanzsektor (zum Beispiel Kreditwürdigkeitsprüfung) unerlässlich sei. So sei das Grundprinzip einer privaten Versicherung, dass sich Prämien am versicherten Risiko orientierten. Denn die private Versicherung basiere – anders als die Sozialversicherung – darauf, dass sich das Versichertenkollektiv lediglich das Zufallsrisiko aufteile. Vom individuellen Risiko hänge daher ab, ob und zu welchen Konditionen ein Kunde (privaten) Versicherungsschutz – bzw., allgemein gesprochen, eine Finanzdienstleistung – erhalten könne.13 Es wird betont, dass Kunden, die weniger risikorelevante Daten bzw. Informationen offenlegten, über ein anderes Risikoprofil verfügten. Dementsprechend müssten sich die Konditionen von Tarifen in Abhängigkeit der Verfügbarkeit relevanter Daten unterscheiden.

Festlegung risikorelevanter Daten entscheidend

Es wird vorgeschlagen, dass der Gesetzgeber, die Aufsicht oder die Branche (über Selbstverpflichtungen) verbindlich definieren solle, welche Daten zur sachgerechten Differenzierung tatsächlich erforderlich seien. Staatliche Stellen könnten dann auch sicherstellen, dass Verbrauchern, die in eine Datenverarbeitung über das erforderliche Maß hinaus nicht einwilligen, nicht der Zugang zu Finanzdienstleistungen verwehrt werde. Es sei jedoch unklar, in welche Risikoklasse solche datensparsamen Verbraucher einzuordnen wären, ob es also im Sinne einer Diskriminierungsfreiheit ausreichend sei, wenn diese Kunden nicht gänzlich von einer entsprechenden Dienstleistung ausgeschlossen würden, aber dennoch Dienstleistungen zu ggf. schlechteren Konditionen erhielten. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Möglichkeit, durch die Freigabe zusätzlicher Daten den Preis für ein Finanzprodukt zu senken, unter Umständen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung untergrabe.

Wettbewerb regelt den Zugang zu Finanzprodukten auch für datensparsame Kunden

Der Wettbewerb regle den Zugang zu Finanzprodukten auch für datensparsame Kunden, ist zu lesen. Es sei zunehmend zu beobachten, dass Anbieter einen datensparsamen und bequemen Vertragsabschluss als Leistungsmerkmal herausstellten. In welchem Umfang und in welcher Form Kunden bei Abschluss eines Vertrages Daten bereitstellen müssten, sei somit bereits heute ein Wettbewerbsfaktor. Andererseits wird auch darauf hingewiesen, dass generell ein Spannungsverhältnis zwischen den Vorgaben zur Datensparsamkeit und den Anforderungen der BDAI-Systeme an eine hinreichend große Datenbasis bestehe. Es sei keine Lösung, Unternehmen zu verpflichten, Produkte anzubieten, die nicht mehr dem Marktstandard entsprächen und auf veralteten Technologien beruhten. Diese Produkte wären für Kunden nicht von Interesse, gesetzliche Eingriffe entsprechend obsolet.

Gegenmeinung: Vorschlag zur Ausweitung von Basisprodukten

Um den Ausschluss von Kunden zu verhindern, die sich datensparsam bzw. nichtdigital verhalten, werden auf der anderen Seite gesetzliche Regelungen gefordert, die Anbieter verpflichten, auch analoge Verträge anzubieten. Eindeutig zu definieren, wann ein Vertrag analog bzw. konventionell sei, erscheine jedoch sehr komplex. Der Gesetzgeber könne – analog zur Einführung eines Anspruchs auf Einrichtung eines Basiskontos – eine Basisversorgung garantieren, etwa für die Kranken- und Pflegeversicherung, Privathaftpflichtversicherung, Berufsunfähigkeitsversicherung und Kfz-Haftpflichtversicherung. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass die zunehmende Differenzierung dazu führen könne, dass bestimmte Kundengruppen nicht mehr oder nur noch zu sehr hohen Preisen versicherbar seien. Dies wäre insbesondere für Kunden problematisch, die das Risiko nicht selbst beeinflussen könnten. Auch könne die Aufsicht ein Zertifikat für datensparsame Finanzdienstleistungen aufsetzen, welches, sofern als Gütesiegel akzeptiert, die Risiken eines Ausschlusses von datensparsamen Kunden minimieren könne. Demgegenüber wird aber auch davor gewarnt, dass eine spezielle gesetzliche Verpflichtung zu datensparsamen bzw. konventionellen Finanzprodukten suggerieren könne, dass bei anderen (Finanz)produkten das Prinzip der Datensparsamkeit nicht gelte.

Souveränität der Verbraucher

In Kürze:Kernaussage aus dem BDAI-Bericht

Das Potential von BDAI lässt sich für Finanzdienstleistungen nur nutzen, wenn es gelingt, das Vertrauen der Verbraucher in die wunschgemäße und gesetzeskonforme Nutzung ihrer Daten zu gewinnen und zu erhalten. Die Anbieter sollten dazu insbesondere sicherstellen, dass Verbraucher souveräne Entscheidungen treffen können, indem sie sie angemessen über die potenzielle Reichweite und die Konsequenzen der Nutzung ihrer Daten aufklären und ihnen verlässliche Kontrollmöglichkeiten und wirkliche Wahlfreiheit ermöglichen. Es wird also nicht genügen, Verbrauchern hochkomplizierte Nutzungsbedingungen zur Verfügung zu stellen, welche meist ungelesen akzeptiert werden. Vor allem auch technische (Datenschutz-) Möglichkeiten (z.B. Privacy-preserving-Data-Mining) bzw. ein Privacy-by-design-Konzept, könnten dazu beitragen, das Verbrauchervertrauen in BDAI-Innovationen zu stärken.

Datensouveränität wird als entscheidendes Thema angesehen

In der Mehrzahl der Antworten wird klar herausgestellt, dass die Datensouveränität der Verbraucher ein sehr relevantes Thema sei – nicht nur mit Blick auf den Finanzmarkt, sondern auch branchenübergreifend. Es sei sicherzustellen, dass Verbraucher über den Zweck der Datenverwendung in verständlicher Weise informiert würden und eine bewusste und sensibilisierte Entscheidung über ihre Datenweitergabe treffen könnten. Wirkliche Wahlfreiheit sei hierfür eine essenzielle Voraussetzung. Problematisch bzw. kontraproduktiv seien hingegen zum Beispiel sozialer und finanzieller Druck, Lock-in- und Netzwerkeffekte. Bei eventuellen regulatorischen Maßnahmen seien diese Faktoren und allgemein eine eingeschränkte Informationsaufnahme- und -verarbeitungskapazität der Verbraucher zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang wird ein Mindestmaß an Datenschutz vorgeschlagen, das auch dann greife, wenn eine Einwilligung vorliege. Sofern aber alle Anforderungen erfüllt seien, solle der Gestaltungsspielraum der Finanzdienstleister nicht weiter eingeschränkt werden.

Finanzaufsicht nicht primär zuständig – Dialog mit anderen Behörden aber nötig

In denselben Antworten wird aber auch betont, dass eine Stärkung der Datensouveränität der Verbraucher nicht in der Zuständigkeit der Finanzaufsicht gesehen werde. Diese solle sich in diesem Punkt auf die Missbrauchsaufsicht konzentrieren bzw. beschränken. Gefragt seien andere Behörden bzw. die Gesellschaft als Ganzes. So wird beispielsweise vorgeschlagen, über digitale Bildung, Verbraucheraufklärung sowie Schul- und Erwachsenenbildung auch über den Wert und Gegenwert beim „Bezahlen mit persönlichen Daten“ aufzuklären. In diesem Zusammenhang wird allerdings auch ein intensiverer Dialog von Finanz- und Datenschutzaufsichtsbehörden für nötig erachtet.14

Ideen zur Stärkung bzw. Gewährleistung von Datensouveränität

Datensouveränität könne grundsätzlich durch eine Einhaltung von gesetzlichen Rahmenwerken wie der DSGVO und eine transparente Informationspolitik gegenüber dem Verbraucher gewährleistet werden. Um Verbrauchern einen besseren Überblick über die von ihnen freigegeben Daten zu gewähren, wird zum Beispiel die Einrichtung eines Datenschutzcockpits vorgeschlagen. Generell sei zu gewährleisten, dass eine Verwendung von personenbezogenen Daten nur über klar definierte und dokumentierte Prozesse erfolgen sollte. Auch solle Verbrauchern ein Ansprechpartner genannt werden, unabhängig davon, wo in der Wirkungskette der Schaden oder ein Problem entstanden sei. Verbraucher bräuchten auch in fragmentierten Wertschöpfungsketten eine lückenlose Haftungshandhabe.

Zudem wird auf die Möglichkeit hingewiesen, dass Industriestandards der Finanzbranche zu De-facto-Minimalanforderung an die Verwendung persönlicher Daten werden könnten, wenn diese vom Kunden akzeptiert bzw. wahrgenommen würden. Der Kunde könne sich so zuverlässige Partner für die Erbringung von Finanzdienstleistungen selber auswählen. Zum Beispiel hätten sich die Versicherer erst kürzlich in Zusammenarbeit mit den Datenschutzbehörden in einem veröffentlichten Code of Conduct zur Datensparsamkeit verpflichtet. Abschließend wurde die Vermutung geäußert, dass es künftig Dienstleister geben werde, die sich auf die Durchsetzung der informationellen Selbstbestimmung spezialisierten. Solche Anbieter könnten mit Hilfe von BDAI-Methoden ausfindig machen, wo personenbezogene Daten eines Nutzers gespeichert seien. Sofern der Nutzer dies wünsche, könnte der Dienstleister anschließend beantragen, solche Daten zu löschen.

Technische Datenschutzmöglichkeiten

Die Verwendung von Verfahren wie Privacy-Preserving-Data-Mining und eine möglichst umfangreiche Pseudonymisierung bzw. Anonymisierung können, so die generelle Ansicht, das Vertrauen stärken. Die Forderung, Privacy-Preserving-Data-Mining als unbedingt einzuhaltende Grundanforderung zu etablieren, wird aber als problematisch angesehen, da dies oft eine erhebliche Einschränkung bei der Entwicklung von Algorithmen bedeute.15 Was das Privacy-Preserving-Data-Mining angeht, wird darauf hingewiesen, dass dieses in der Praxis auf eine vertrauenswürdige dritte Partei („Trusted Third Party“) angewiesen sei. Hier könnten Finanzinstitute eine wichtige Rolle einnehmen. Unter Umständen seien aber aufgrund des potentiell hohen Haftungsrisikos auch staatliche Stellen gefordert, die Rolle einer vertrauenswürdigen dritten Partei zu übernehmen.

Interview mit Felix Hufeld, Präsident der BaFin:Wir werden künftig nicht mehr nur einzelne Unternehmen betrachten

Herr Hufeld, die Teilnehmer an der Konsultation der BaFin weisen darauf hin, dass Anbieter von Suchmaschinen, sozialen Netzwerken und Online (Vergleichs-)Plattformen durch intelligente Datennutzung in Bereiche vordrängen, die bisher nur spezialisierten und häufig auch regulierten Anbietern vorbehalten seien. Wie beurteilen Sie diese Aussagen?
Sollten solche und andere technologie- und plattformbasierte Bigtechs regulierte Finanzdienstleistungen anbieten, müssten sie selbstverständlich dieselben aufsichtlichen und regulatorischen Anforderungen erfüllen wie alle anderen Institute. Aber auch wenn sie selbst keine regulierten Finanzdienstleistungen anbieten, weisen die Konsultationsteilnehmer zu Recht darauf hin, dass diese Unternehmen essenziell für das Funktionieren der Gesamtbranche sein können – zum Beispiel als Anbieter von Cloud-Dienstleistungen, von Algorithmen, aber auch von Daten und Bewertungen, wie Scorings und Ratings. Die gab es auch vorher schon, aber wenn dann noch BDAI und automatische Schnittstellen zum Einsatz kommen, kann sich die Auswirkung dieser Dienstleistungen auf den Finanzmarkt noch unmittelbarer entfalten.
Es werden in den Antworten einige interessante Ideen ins Spiel gebracht, wie man diese zunehmende Relevanz für den Finanzmarkt aufsichtlich und regulatorisch aufgreifen könnte. Ein Vorschlag lautet, dass Outsourcer-Unternehmen dann vergleichbare technische Mindestanforderungen erfüllen müssten wie regulierte Banken. Vorgeschlagen wird auch eine Art digitale Signatur am Produkt, die alle bei der Erstellung oder Bereitstellung beteiligten Unternehmen erfasst. Dann könne auch der Kunde klarer erkennen, wer hinter einem Angebot steht. Vor allem nehme man damit – neben dem beteiligten Finanzdienstleister – auch andere Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette in die Verantwortung. Darüber hinaus könne für jede Leistung innerhalb einer Produkt-Wertschöpfungskette eine Back-Up-Partei vereinbart werden, die einspringen müsse, wenn eines der Unternehmen ausfalle. Technische Lösungen wie blockchainbasierte Smart Contracts könnten dabei eine Rolle spielen.
All diese Überlegungen bestätigen die These, die wir in unserem BDAI-Bericht aufgeworfen haben, nämlich, dass wir künftig nicht mehr nur einzelne Unternehmen regulatorisch und aufsichtlich betrachten, sondern zunehmend Wertschöpfungsketten, die auf mehrere Unternehmen verteilt sind. Der aufsichtliche Fokus würde sich dann auch auf die Aktivitäten von Unternehmen richten, die nicht zum regulierten Finanzsektor zählen, die aber Einfluss auf das Kundenvertrauen und die Integrität des Finanzmarkts als solchen haben können. Damit will ich nicht sagen, dass die BaFin auch Bigtechs, die keine Finanzdienstleistungen erbringen, als Ganzes beaufsichtigen sollte. Mir geht es eher um einige Aktivitäten und Verhaltensweisen solcher Unternehmen, um insoweit ein direktes aufsichtliches Mandat zu etablieren.

Lassen Sie uns bei den Wertschöpfungsketten bleiben. Vor allem aus der Verknüpfung von Daten verschiedenen Ursprungs lässt sich Wert schöpfen – etwa an zentralen Kundenschnittstellen auf Plattformen. Wie könnte man dieser steigenden Bedeutung von (Finanz-)Daten Rechnung tragen?
In dieser Frage sind wir uns mit den meisten Antwortenden einig. Die steigende Relevanz von Daten im Zeitalter der Digitalisierung gründet ja auch in dem Umstand, dass Daten aus verschiedenen Quellen verknüpft und in Relation zueinander gebracht werden und man so neue Kenntnisse gewinnen kann. Wer finanzwirtschaftliche Transaktionsdaten und Daten zum Verhalten von Verbrauchern miteinander verknüpft, kann sich ein ziemlich genaues Bild davon machen, wofür Kunden wie viel Geld auszugeben bereit und in der Lage sind. Zusätzlich werden durch das Aufkommen von plattformbasierten Geschäftsmodellen Informationssilos aufgebrochen, und Informationen aus einem Bereich können Auswirkungen auf andere Bereiche haben. Da ist es nur folgerichtig, wenn auch die Behörden, die verschiedene Bereiche des Wirtschaftslebens beaufsichtigen, enger zusammenarbeiten und ihre Informationssilos ebenfalls aufbrechen – natürlich soweit das rechtlich zulässig ist. Aufgrund der vermehrten Anwendung von BDAI sind für uns Finanzaufseher die Datenschutzbehörden und Wettbewerbshüter besonders wichtig. Nicht zu vergessen sind auch unsere Aufsichtskollegen im Ausland.
Natürlich sehen die Marktteilnehmer in der Hebung von Datenschätzen großes wirtschaftliches Potenzial. Aber auch beim Data-Mining müssen wir – wie bei jedem klassischen Schürf-, Abbau- und Verwertungsprozess – die damit verbundenen Risiken im Blick behalten. Für uns Aufseher ist vor allem entscheidend, dass Verbraucher und Anbieter darauf vertrauen können, dass der Finanzmarkt stabil ist und dass es dort mit rechten Dingen zugeht. Wir müssen auch bedenken, welche negativen Ausstrahlungseffekte es haben kann, wenn Finanzdaten – auch mit formal juristisch korrekter Einwilligung – außerhalb des Finanzmarktes in Wertschöpfungsprozessen genutzt werden. Gesellschaftliche Errungenschaften wie der Schutz der Privatsphäre und die informationelle Selbstbestimmung sollten nicht unter dem Deckmantel der Innovation ausgehöhlt werden – etwa indem man scheinbar alternativlose Einwilligungen zur Datenfreigabe einholt. Nicht alles was technisch möglich, innovativ und wirtschaftlich kurzfristig sinnvoll ist, ist es auch aus einer ganzheitlichen und nachhaltigen Perspektive.

Lassen Sie uns nochmal auf den Finanzmarkt schauen. Sehen Sie auch hier hinsichtlich der Verwendung von Daten ein wichtiges Thema, das durch BDAI an Relevanz gewinnt?
Mit dem Argument, dass Daten zur Einschätzung des Risikos erforderlich seien, ließe sich bei der Erbringung von Finanzdienstleistungen die Erhebung nahezu aller Daten rechtfertigen. Eine solche Praxis beobachten wir auf dem deutschen Finanzmarkt jedoch bisher nicht. Die Rückmeldungen zu unserer Konsultation haben uns aber eines klar widergespiegelt: Wir müssen uns verstärkt fragen, welche Daten tatsächlich für eine sachgemäße Einschätzung von Risiken erforderlich sind – also für eine sachgerechte und aufsichtlich geforderte Differenzierung. Versicherer, die sich an unserer Konsultation beteiligt haben, haben sich in Zusammenarbeit mit den Datenschutzbehörden bereits in einem veröffentlichten Code of Conduct zur Datensparsamkeit verpflichtet. Interessant finde ich in diesem Zusammenhang aber die grundsätzliche Frage, wo die Grenzen der Datenerhebung und Auswertung bei BDAI liegen sollen. Ab wann rechtfertigt eine marginale Verbesserung der Risikoeinschätzung die Erhebung zusätzlicher Daten? Bei welchen Daten können wir sagen, dass sie wirklich einen nachhaltigen und wesentlichen Nutzen haben und zugleich ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem erforderlichen Erkenntnisgewinn und anderen Zielen wie der Datensparsamkeit besteht? Ich denke, wir müssen mit allen Beteiligten einen breiten Dialog führen, aber wir müssen uns auch als Gesellschaft fragen, wo wir in der schönen neuen Datenwelt die roten Linien ziehen möchten.

Wenden wir uns der Verantwortung im Rahmen von selbstlernenden Entscheidungsunterstützungssystemen zu. Auch im BDAI-Bericht weist die BaFin darauf hin, dass die letztendliche Verantwortung immer beim Menschen und nie bei der Maschine liegen darf. Dies gilt laut den Konsultationsteilnehmern auch für die Aufsicht. Wie stehen Sie dazu?
Bei der Arbeit an unserem BDAI-Bericht hat uns unter anderem das Fraunhofer Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme unterstützt. Fraunhofer hat dabei betont, dass die Erfolge des maschinellen Lernens bislang nur in sehr spezifischen Anwendungsbereichen zu finden und dass Ansätze zur generellen Nachbildung von menschlicher Intelligenz nach wie vor nicht erkennbar seien. Wir werden also auf absehbare Zeit auf ein Zusammenspiel von künstlicher und menschlicher Intelligenz angewiesen sein. Auch bei der Finanzaufsicht wird und muss daher die Verantwortung beim Menschen bleiben. Aufsicht ist und bleibt ein flexibler Prozess, bei dem die Bewertung komplexer Sachverhalte im Vordergrund steht. Künstliche Intelligenz kann uns Aufseher aber unterstützen und ermöglichen, bessere und schnellere Prozesse zu etablieren und Entscheidungen vorzubereiten. In stark datengetriebenen Bereichen – etwa bei Marktmissbrauchsanalysen und eventuell künftig bei der Geldwäscheprävention – wird Aufsicht auf BDAI nicht verzichten können.

In den Rückmeldungen zu unserer Konsultation wird für Entscheidungsunterstützungssysteme, die auf künstlicher Intelligenz basieren, auch eine manuelle bzw. menschliche Intervention gefordert. Andererseits wird aber die Forderung nach der Erklärbarkeit von Algorithmen als unangemessene Einschränkung gesehen. Wie stehen Sie dazu?
Blindes Technik-Vertrauen halte ich für gefährlich. Menschen müssen intervenieren und automatisierte Prozesse müssen sich abschalten lassen können. Wie gesagt, der Mensch trägt die Letztverantwortung, nicht die Maschine. Das müssen wir uns vor Augen halten, wenn wir neue Verfahren bewerten.
Zur Erklärbarkeit von KI-Systemen haben wir schon in unserem Bericht hervorgehoben, dass man zwischen Erklärbarkeit und Transparenz unterscheiden sollte. Transparenz bedeutet, dass das Verhalten des gesamten Systems vollständig nachvollziehbar ist. Laut Fraunhofer kann diese Forderung oft nicht erfüllt werden, da viele Modelle notwendigerweise sehr komplex seien. Das Kriterium der Erklärbarkeit hingegen sei technisch deutlich leichter zu erfüllen, denn dabei gehe es darum, für eine konkrete Entscheidung des Systems die wesentlichen Einflussfaktoren aufzuzeigen.
Auch in den Antworten zu unserer Konsultation vertritt man die Ansicht, dass sich für uns Aufseher die Frage stelle, ob und wie sich BDAI-Modelle prüfen lassen. Es werden erweiterte Anforderungen für geschäftskritische Prozessbereiche vorgeschlagen, etwa dass Code-Review-Verfahren, Simulations- und Penetrations-Tests und die Begutachtung von Musterprofilen eingesetzt werden. Man fordert uns auch auf, konkrete Anforderungen an Dokumentation und Erklärbarkeit von BDAI-Anwendungen zu formulieren. Aufsichtliche Schnellschüsse werden Sie allerdings nicht erleben. Wir sollten erst einmal den Dialog mit Wissenschaft und Praxis vertiefen und zusehen, dass die Industrie Best-Practices entwickelt. Wenn wir wissen, ob und wie die wirken, können wir in einem weiteren Schritt überlegen, inwieweit wir daraus Standards ableiten.

Wie geht es nach der Konsultation für die BaFin weiter?
Wir haben bereits begonnen, die Rückmeldungen auszuwerten, die wir hier in diesem Artikel zusammengefasst haben. Es kristallisieren sich inhaltliche Stränge heraus, die wir – je nach Dringlichkeit und Bedeutung – priorisieren und abarbeiten möchten. Um dem anspruchsvollen Thema in allen Facetten gerecht zu werden, müssen wir uns hier und da noch intensiver mit der Branche, der Wissenschaft und anderen Behörden austauschen. Das wollen wir in der nächsten Zeit in Angriff nehmen. Wir haben mit unserem BDAI-Bericht und der Konsultation aber schon jetzt etwas erreicht: Wir haben die brennenden Fragen rund um das Thema platziert – auch in der Öffentlichkeit.

Autoren

Jörn Bartels
Referat Strategieentwicklung, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)

Dr. Thomas Deckers
Referat Finanztechnologische Innovationen, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)

  1. 1 BaFin, Big Data trifft auf künstliche Intelligenz – Herausforderungen und Implikationen für Aufsicht und Regulierung von Finanzdienstleistungen, www.bafin.de/dok/10985478, abgerufen am 23.1.2019. Die BaFin hat den Bericht unter Mitwirkung von PD – Berater der öffentlichen Hand GmbH, der Boston Consulting Group GmbH und Fraunhofer – Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme erarbeitet.
  2. 2 Das Kürzel „BDAI“ steht für „Big Data und Artificial Intelligence“.
  3. 3 BaFin, Konsultation des BDAI-Berichts, www.bafin.de/dok/11137698, abgerufen am 23.1.2019.
  4. 4 BaFin, a.a.O. (Fn. 1), Seite 166 ff.
  5. 5 Die in diesem Artikel wiedergegebenen Positionen des BDAI-Berichts finden sich dort überwiegend in Kapitel „Perspektive der Aufsicht“.
  6. 6 Falls passend, wurden zu jedem Thema auch Hinweise berücksichtigt, die sich in Rückmeldungen zu anderen Themenblöcken wiederfanden.
  7. 7 Diese und die weiteren in diesem Artikel wiedergegebenen Positionen des BDAI-Berichts finden sich dort überwiegend in Kapitel „Perspektive der Aufsicht“.
  8. 8 Vgl. hierzu auch Abschnitt 2.2.
  9. 9 Vgl. auch Abschnitt 4.1.
  10. 10 Hier ist einschränkend zu erwähnen, dass in einer weiteren Antwort argumentiert wird, dass zumindest Kreditrisikomodelle geschlossene Systeme einzelner Institute seien, die keine institutsübergreifenden Kaskadeneffekte verursachen könnten.
  11. 11 Beispielsweise seien laut Ziffer 164 der Mindestanforderungen an die Geschäftsorganisation von Versicherungsunternehmen (MaGo) Analysen zu operationellen Risiken vor der Einführung oder wesentlichen Änderung von Produkten, Prozessen und Systemen durchzuführen und die Ergebnisse dieser Analyse in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Im Bankensektor seien die Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) hinsichtlich Organisation und Dokumentation (AT 5 und AT 6) zu berücksichtigen.
  12. 12 Als Konsumentenrente versteht man die Differenz zwischen dem Preis, den ein Verbraucher für ein Produkt oder eine Dienstleistung maximal zu zahlen bereit ist, und dem Preis, den er tatsächlich am Markt zahlen muss.
  13. 13 Kunden mit gleichem Risiko erhielten gleiche Konditionen, Kunden mit unterschiedlichem Risiko unterschiedliche Konditionen. Dies werde im Gleichbehandlungsgrundsatz in § 138 Absatz 2, § 146 Absatz 2, §§ 147 und 161 VAG vorgeschrieben.
  14. 14 Ein intensiverer Austausch wird zudem zwischen Finanzaufsicht und Wettbewerbsbehörden bzw. Wettbewerbsaufsicht gefordert – siehe Abschnitt 2.1.3.
  15. 15 Hierzu gibt es auch die Gegenmeinung, dass häufig trotz Verwendung dieser Verfahren das BDAI-Potenzial voll genutzt werden könne.

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