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Erscheinung:13.07.2020 Anlageentscheidungen im Interesse der Versicherungsnehmer und Anspruchsberechtigten und Umgang mit Interessenkonflikten im Rahmen des Grundsatzes der unternehmerischen Vorsicht (§ 124 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 und 4 VAG)

Anlageentscheidungen im Interesse der Versicherungsnehmer und Anspruchsberechtigten und Umgang mit Interessenkonflikten

I Anwendungsbereich

1 Diese Auslegungsentscheidung befasst sich mit dem Aufsichtssystem Solvency II (Richtlinie 2009/138/EG) und richtet sich deshalb an alle inländischen Erstversicherungsunternehmen gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 7 Nr. 33 und 34 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG), soweit sie nicht Sterbekassen gemäß § 218 Abs. 1 VAG, Pensionskassen gemäß § 232 Abs. 1 VAG oder kleine Versicherungsunternehmen gemäß § 211 VAG sind.

2 Nicht angesprochen sind Erstversicherungsunternehmen, die den Abschluss neuer Versicherungsverträge zum 1. Januar 2016 eingestellt haben und ihr Portfolio ausschließlich mit dem Ziel verwalten, ihre Tätigkeit einzustellen, und die weiteren in § 343 VAG genannten Voraussetzungen erfüllen.

II. Vorbemerkungen

3 Der Grundsatz der unternehmerischen Vorsicht beinhaltet eine explizite Berücksichtigung des Interesses der Versicherungsnehmer und Anspruchsberechtigten (im Folgenden: Versicherten). Dies gilt nach § 124 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 VAG für die Vermögenswerte, die zur Bedeckung der versicherungstechnischen Rückstellungen gehalten werden. Legt das Versicherungsunternehmen gegenüber den Versicherten seine Anlagepolitik offen, können sich auch daraus Einschränkungen für die Anlage ergeben.

4 Treten bei der Anlage von Vermögenswerten Konflikte zwischen den Interessen des Versicherungsunternehmens oder den Inhabern einer bedeutenden Beteiligung auf der einen und den Interessen der Versicherten auf der anderen Seite auf, muss das Unternehmen nach § 124 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 VAG sicherstellen, dass die Anlage im Interesse der letztgenannten erfolgt. Der Gesetzgeber hat damit eine eindeutige Entscheidung zu Gunsten der Versicherten gefällt. Kommt das Unternehmen seiner gesetzlich normierten Verpflichtung nicht nach, verstößt es gegen den Grundsatz der unternehmerischen Vorsicht.

5 Versicherte haben – außerhalb der fonds- und indexgebundenen Lebensversicherung – meist keinen Einfluss auf die konkrete Anlagetätigkeit des Unternehmens. Sie müssen sich darauf verlassen, dass die Anlage von Vermögenswerten im Falle von Interessenkonflikten in ihrem Interesse erfolgt und dass sich ein Versicherungsunternehmen an eine gegebenenfalls veröffentlichte Anlagepolitik hält. Das Unternehmen muss dies durch geeignete Maßnahmen und Prozesse sicherstellen. Hierbei kann das Unternehmen eine eigene Richtlinie zu Interessenkonflikten („Conflict of Interest Policy“) erstellen oder auch entsprechende Maßnahmen in bereits bestehende Prozesse integrieren. Die vom Unternehmen implementierten Maßnahmen und Prozesse sollten regelmäßig überprüft und gegebenenfalls überarbeitet werden, wobei dies auch im Rahmen von bereits bestehenden Aktualisierungsprozessen erfolgen kann.

6 Das Unternehmen hat sich auch mit vermeidbaren und gegebenenfalls unvermeidbaren Interessenkonflikten auseinanderzusetzen, denn nur durch die Implementierung von angemessenen Maßnahmen kann das Unternehmen potentiell widerstreitende Interessen frühzeitig erkennen und zu Gunsten der Versicherten lösen.

7 Die in dieser Auslegungsentscheidung aufgezeigten Grundsätze und Prozesse sind als sinnvolle Verfahrensweisen (Good-Practice-Ansätze) zu verstehen, an denen sich die Unternehmen bei der unternehmensindividuellen Behandlung von Interessenkonflikten orientieren können. Alternative oder ergänzende Verfahrensweisen zu den in dieser Auslegungsentscheidung dargelegten Grundsätzen und Prozessen sind möglich. Sie können geboten sein, wenn dies zu einem angemessenen Umgang mit Interessenkonflikten führt. Gegenstand dieser Auslegungsentscheidung sind nicht die durch die Richtlinie (EU) 2016/97 (Richtlinie über Versicherungsvertrieb / Insurance Distribution Directive - IDD) und im Rahmen ihrer Umsetzung geschaffenen Regelungen zum Produktfreigabeverfahren (vgl. § 23 Abs. 1a bis 1d VAG und die DV (EU) 2017/2358), zum Umgang mit Interessenkonflikten (vgl. § 48a Abs. 2 bis 5 VAG und die DV (EU) 2017/2359) und zur Vergütung von Vertriebstätigkeiten (vgl. § 48a Abs. 1 und 6 VAG und die DV (EU) 2017/2359).

III. Proportionalitätsprinzip

8 Bei der unternehmensindividuellen Umsetzung der Grundsätze und Prozesse im Rahmen des Grundsatzes der unternehmerischen Vorsicht spielt das Proportionalitätsprinzip eine erhebliche Rolle. Die Anforderungen sind von den Unternehmen in einer Art und Weise zu erfüllen, die der Art, dem Umfang und der Komplexität der Risiken angemessen ist, die mit der Tätigkeit des Unternehmens einhergehen (vgl. § 296 Abs. 1 S. 1 VAG). Das Proportionalitätsprinzip knüpft also an das individuelle Risikoprofil eines jeden (Konzern-)Unternehmens an. Ob Methoden und Prozesse ausreichen, hängt insbesondere von der Komplexität der Kapitalanlage (siehe Rn. 9) und dem Zusammenhang zwischen dem Erfolg der Anlagetätigkeit und den Leistungen an die Versicherten ab.

9 Das Proportionalitätsprinzip wirkt sich darauf aus, wie Anforderungen erfüllt werden können. So können bei Unternehmen mit in diesem Sinne schwächer ausgeprägtem Risikoprofil einfachere Strukturen und Prozesse ausreichend sein. Umgekehrt kann das Proportionalitätsprinzip bei Unternehmen mit stärker ausgeprägtem Risikoprofil aufwändigere Strukturen und Prozesse erfordern. Die Einschätzung, welche Gestaltung als proportional anzusehen ist, ist in Bezug auf das einzelne Unternehmen nicht statisch, sondern passt sich im Zeitablauf den sich verändernden Gegebenheiten an. In diesem Sinne haben die Unternehmen und Gruppen zu prüfen, ob und wie die vorhandenen Strukturen und Prozesse weiterentwickelt werden können und gegebenenfalls müssen, wobei dies auch im Rahmen von bereits vorhandenen Aktualisierungsprozessen erfolgen kann (siehe Rn. 5).

IV. Anlage von Vermögenswerten im Interesse der Versicherten

10 Um zu gewährleisten, dass die Anlage von Vermögenswerten im Interesse der Versicherten erfolgt, muss das Unternehmen analysieren, welche Kapitalanlagen, die erworben werden sollen, grundsätzlich die Interessen der Versicherten verletzen können.

11 Das Interesse der Versicherten wird insbesondere darauf gerichtet sein, dass das Unternehmen seine vertraglich zugesicherten Leistungen jederzeit erfüllen kann. Es wird aber auch maßgeblich von Art und Umfang der zugrundliegenden Versicherungsprodukte und -verträge bestimmt. Beispielsweise bei Lebensversicherungsprodukten, bei denen die Versicherten am Kapitalanlagerfolg beteiligt sind, kann es auch aufgrund dieser Beteiligung am Kapitalanlageerfolg zu widerstreitenden Interessen kommen.

12 Das Unternehmen sollte sein Verständnis vom Interesse der Versicherten im Zusammenhang mit der Anlage von Vermögenswerten in seinen Risikomanagementleitlinien in Bezug auf Anlagen unter dem Punkt „wie Vermögenswerte im Interesse von Versicherten auszuwählen sind“ erfassen (vgl. EIOPA-Leitlinie 25 zum Governance-System).

V. Umgang mit Interessenkonflikten und Maßnahmen zu deren Vermeidung

13 Die Unternehmen müssen nach § 124 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 VAG im Fall eines Interessenkonflikts sicherstellen, dass die Anlage im Interesse der Versicherten erfolgt. Um dies zu gewährleisten, muss das Unternehmen prüfen, bei welchen Kapitalanlagen Interessenkonflikte nach § 124 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 VAG möglich sind.

14 In einem ersten Schritt hat das Unternehmen daher Bereiche und/oder Situationen zu identifizieren, in denen Interessenkonflikte bei der Anlage von Vermögenswerten im eigenen Unternehmen entstehen können. Hierbei kann es sinnvoll sein, allgemeine Merkmale und konkrete Tatbestände von Interessenkonflikten zu definieren. Anknüpfungspunkte können zum Beispiel die Art der Vermögenswerte (Asset-Klassen), die Person des Schuldners, Ausfallwahrscheinlichkeit, Volatilität und Liquidität der Anlage sowie die mit der Vermögensanlage verbundenen Kosten (interne Kosten beim Versicherer oder beim Vermögensverwalter) sein.

15 Hat das Unternehmen Bereiche und/oder Situationen festgelegt, in denen grundsätzlich Interessenkonflikte entstehen können, hat es in einem nächsten Schritt zu ermitteln, welche Auswirkungen diese Interessenkonflikte grundsätzlich auf die Versicherten sowie auf das eigene Unternehmen haben.

16 Um zu gewährleisten, dass Vermögenswerte im Falle von Interessenkonflikten im Interesse der Versicherten angelegt werden, sind im Vorfeld Maßnahmen und konkrete Handlungsweisen zum Umgang mit den Konflikten festzulegen. Die festgelegten Maßnahmen und konkreten Handlungsweisen sind laufend zu überwachen und gegebenenfalls zu aktualisieren. Bei im Unternehmen aufgetretenen Interessenkonflikten sind die durchgeführten Maßnahmen zu dokumentieren (vgl. auch EIOPA-Leitlinie 31 zum Governance-System).

17 Ungeklärte Interessenkonflikte bei der Anlage von Vermögenswerten beinhalten Risiken. Das Unternehmen hat daher entsprechend den Erläuterungen zur EIOPA-Leitlinie 27 zum Governance-System Risiken – wie Rechtsrisiken, Reputationsrisiken, wirtschaftliche Risiken und operationelle Risiken – zu berücksichtigen. Das gilt entsprechend den Erläuterungen zur EIOPA-Leitlinie 27 zum Governance-System insbesondere für das fondsgebundene Geschäft von Lebensversicherungsunternehmen.

18 Das Unternehmen hat unternehmensindividuell festzulegen, welche Mitarbeiter oder Gremien zu welchem Zeitpunkt (regelmäßig und/oder anlassbezogen) Offenlegungs- und Berichtspflichten unterliegen. Hierbei sollte das Unternehmen auch definieren, wem gegenüber Offenlegungs- und Berichterstattungspflichten ausgelöst werden. In diesem Rahmen sollte das Unternehmen insbesondere regeln, wann und wie die Versicherten über etwaige Interessenkonflikte informiert werden. Dies kann beispielweise durch eine öffentlich zugängliche Erklärung, etwa auf der Website des Unternehmens – gegebenenfalls auch in Verbindung mit bereits bestehenden Berichten auf der Website des Unternehmens – erfolgen.

19 Grundsätzlich wird dem Interesse der Versicherten bereits durch die bestehenden Anlagegrundsätze Rechnung getragen. Um darüber hinaus sicherzustellen, dass die Anlage von Vermögenswerten im Falle von Interessenkonflikten im Interesse der Versicherten erfolgt, müssen bereits bei der Festlegung des internen Anlagekatalogs und der festgelegten quantitativen Grenzen die Interessen der Versicherten berücksichtigt werden, beispielsweise durch die in Rn. 5. genannten geeigneten Maßnahmen und Prozesse. Diese Aufgabe kommt entsprechend der EIOPA-Leitlinie 25 zum Governance-System dem Risikomanagementsystem zu. Auch bei der Überwachung der gesetzten quantitativen Grenzen verfolgt das Risikomanagementsystem nicht nur das Ziel, entsprechende Risiken des Unternehmens auf angemessene Weise zu managen, sondern auch die Interessen der Versicherten zu schützen (vgl. EIOPA-Leitlinie 25 zum Governance-System).

20 Interessenkonflikte im Zusammenhang mit der Anlage von Vermögenswerten können generell dann entstehen, wenn Vermögensanlagen des Unternehmens direkt oder indirekt in Unternehmen investiert werden, die derselben Gruppe angehören. Eine Möglichkeit, um in diesem Fall zu gewährleisten, dass das Unternehmen im Interesse der Versicherten handelt, ist, dass das Unternehmen sicherstellt, dass die entsprechende Transaktion dem arm‘s-length-Prinzip genügt. Dies wäre dann nicht der Fall, wenn die seitens des Unternehmens zu erbringende Leistung über das hinausgeht, was ein ordentlich und gewissenhaft handelndes Unternehmen unter Berücksichtigung der Belange der Versicherten leisten würde. Hier wäre es beispielsweise denkbar, dass das Unternehmen Wertpapiere an einen gruppeninternen Vertragspartner zu nicht marktgerechten Preisen verkauft oder Darlehen an Gesellschaften innerhalb der Gruppe zu nicht marktgerechten Preisen gewährt.

21 Ein möglicher Konflikt zwischen den Interessen des Unternehmens bzw. seiner Aktionäre und denen der Versicherten kann auftreten, wenn das Versicherungsunternehmen dazu gedrängt wird, in Anleihen eines Konzernunternehmens zu investieren, dessen Risikorenditeprofil ungünstiger als bei möglichen Alternativen ist (vgl. Erläuterungen zur EIOPA-Leitlinie 31 zum Governance-System, Buchstabe b). Besteht der Versicherungsbestand aus Verträgen mit Garantien und aus solchen ohne Garantien, kann eine einseitige Ausrichtung auf Vermögenswerte, welche mindestens in Höhe der Garantie rentieren, die Interessen der anderen Versicherten verletzen (vgl. EIOPA-Leitlinie 31 zum Governance-System, Buchstabe a).

22 Bei der Investition in verbundene Unternehmen, sofern es sich bei diesen nicht um Vermögensholdinggesellschaften handelt, und in strategische Beteiligungen liegt zunächst die Vermutung nahe, dass diese weit überwiegend im Interesse des Unternehmens oder seiner Aktionäre erfolgt. Hier ist die Prüfung, inwiefern diese Anlagen auch den Interessen der Versicherten entsprechen, bezogen auf das jeweilige Geschäftsmodell (Erst- oder Rückversicherungstätigkeit, Holdingfunktion) und die Versicherungssparte (Personen- oder Sachversicherung) durchzuführen. Eine Investition in ein verbundenes Unternehmen, die auch dazu dient, dessen Lage zu verbessern, etwa bei einem von der Niedrigzinsphase betroffenen Lebensversicherungsunternehmen oder einer Pensionskasse, kann im Interesse der Versicherten sein. Im Falle der Zuführung zum Sicherungsvermögen ist zu dokumentieren, dass die Investition dem Interesse der Versicherten nicht entgegensteht.

23 Auch können Interessenkonflikte dann entstehen, wenn das Unternehmen Investmentvermögen von einer Kapitalverwaltungsgesellschaft (KVG) derselben Gruppe erwirbt. Ist das Interesse des Unternehmens hierbei beispielsweise darauf gerichtet, die KVG mit finanziellen Mitteln auszustatten, ist es grundsätzlich möglich, dass beispielsweise Preise und/oder Investmentgebühren nicht marktgerecht sind oder das Investmentvermögen unangemessene und/oder intransparente Kosten beinhaltet. Das Unternehmen sollte sich daher mit entsprechenden potentiellen Interessenkonflikten auseinandersetzen und geeignete Maßnahmen (zum Beispiel Einhaltung des arm‘s-length-Prinzips, vgl. Rn. 20) implementieren, die sicherstellen, dass diese Fälle im Interesse der Versicherten gelöst werden.

24 Gliedert das Unternehmen die Anlage oder Anlageverwaltung unter Berücksichtigung der gesetzlichen Anforderungen und der im Rundschreiben 2/2017 (VA) – Mindestanforderungen an die Geschäftsorganisation von Versicherungsunternehmen (MaGo) normierten Voraussetzungen an einen Assetmanager oder eine KVG aus, kann es ebenfalls zu Interessenkonflikten kommen. Das Unternehmen sollte daher bereits bei der Auswahl eines Assetmanagers oder einer KVG geeignete Maßnahmen implementieren, die sicherstellen, dass dem Interesse der Versicherten Rechnung getragen wird. Hierbei sollte das Unternehmen bei der Ausgliederung der Anlage oder Anlageverwaltung an einen Assetmanager oder eine KVG derselben Gruppe dokumentieren, welche Erwägungsgründe für die Auswahl entscheidend waren. Dies betrifft nicht den direkten Erwerb von Fonds durch das Versicherungsunternehmen, da der direkte Erwerb von Fondsanteilen – offene Fonds sowie geschlossene Fonds – durch das Unternehmen im Rahmen der Vermögensanlage keine Ausgliederung darstellt.

25 Hat das Unternehmen die Anlage oder Anlageverwaltung an einen Assetmanager oder eine KVG ausgelagert, sollte das Unternehmen zudem die Performance der Investmentvermögen (zum Beispiel anhand einer geeigneten Benchmark) überprüfen.

26 Es kann auch zu widerstreitenden Interessen zwischen den Aktionären des Unternehmens und den Interessen der Versicherten kommen, wenn das Unternehmen beispielsweise gesteigerten Renditeerwartungen der Aktionäre ausgesetzt ist. Für entsprechende Fälle hat das Unternehmen geeignete und angemessene Maßnahmen zu implementieren, die sicherstellen, dass entsprechende Interessenkonflikte im Interesse der Versicherten gelöst werden.

VI. Besonderheiten beim Betrieb der Lebensversicherung auf Rechnung und Risiko der Versicherungsnehmer

27 Entsprechend der EIOPA-Leitlinie 32 zum Governance-System sollte das Unternehmen sicherstellen, dass insbesondere die Anlagen fondsgebundener und indexgebundener Verträge des Unternehmens im Interesse der Versicherten sowie unter Berücksichtigung etwaiger offengelegter strategischer Ziele ausgewählt werden. Dies gilt zunächst für alle Produkte, bei denen die Auswahl der Fonds bzw. Indices nicht durch den Versicherungsnehmer erfolgt. Das Unternehmen sollte dokumentieren, nach welchen Kriterien die Auswahl erfolgt und wie dabei etwaige vertragliche Vereinbarungen und Kenntnisse über die Bedürfnisse des Versicherungsnehmers (zum Beispiel über die Risikoneigung des Versicherungsnehmers) konkret umgesetzt werden. Dabei ist bei externen Fonds, d.h. Fonds im Sinne des Kapitalanlagegesetzbuches (KAGB), also Investmentvermögen, die nach den Vorschriften des KAGB gebildet und verwaltet werden, auf die Auswahl der KVG und die Eigenschaften der ausgewählten Fonds (Anlagebedingungen, Benchmark, Managementgebühren und andere Kosten, historische Wertentwicklung, Größe, Liquidität, Fungibilität usw.) einzugehen.

28 Interessenkonflikte können sich daraus ergeben, dass das Unternehmen von der KVG sogenannte Kickback-Zahlungen erhält. In der Regel ist es nicht im Interesse der Versicherten, wenn diese Zahlungen die Fondsauswahl beeinflussen. Anreize und Vergütungen von KVGen sind in der Regel im Zusammenhang mit der Berechnung der Mindestzuführung zur Rückstellung für Beitragsrückerstattung (im Weiteren: RfB) (vgl. § 4 Abs. 1 der Verordnung über die Mindestbeitragsrückerstattung in der Lebensversicherung (MindZV)) dem übrigen Ergebnis des überschussberechtigten Bestandes (vgl. § 8 MindZV) zuzuordnen. Weitere Einzelheiten ergeben sich aus der diesbezüglichen Auslegungsentscheidung zur Mindestzuführung in der fondsgebundenen Lebensversicherung der BaFin vom 22.12.2009. Hierdurch fließen die erhaltenen Anreize und Vergütungen grundsätzlich mindestens zur Hälfte in die Mindestzuführung zur RfB.

29 Bei Produkten, bei denen die Fondsauswahl durch den Versicherungsnehmer erfolgt, ist das Anlagemanagement im Unternehmen so auszugestalten, dass die vertraglichen Bestimmungen (zum Beispiel über die Berechnung der Kauf- und Rückgabepreise der Anteile) eingehalten werden können. Für den möglichen Fall der Schließung eines Fonds oder der Beschränkung der jederzeitigen Rückgabemöglichkeit sind geeignete Festlegungen, wie zum Beispiel die Information und Aufklärung des Versicherten, zu treffen. Hier ist zu beachten, dass ältere Tarife – insbesondere solche, die vor dem Inkrafttreten des Aufsichtsregimes Solvency II eingeführt wurden – von dieser Anforderung ausgenommen sind.

30 Das Unternehmen hat sicherzustellen, dass aus der Lebensversicherung auf Rechnung und Risiko der Versicherungsnehmer keine zusätzlichen Kapitalanlagerisiken entstehen, die zu einer unangemessenen Benachteiligung anderer Versicherter führen können. Das Unternehmen hat daher zu ermitteln, welche zusätzlichen Risiken potentiell aus diesen Verträgen erwachsen können und mit welchen Prozessen und Maßnahmen es sicherstellt, dass keine Benachteiligung anderer Versicherter erfolgt. Diese Anforderungen unterliegen dem Proportionalitätsprinzip (siehe dazu auch Rn. 8 und 9).

31 Aus der Lebensversicherung auf Rechnung und Risiko der Versicherungsnehmer können Liquiditätsrisiken für andere Verträge erwachsen, wenn es zum Beispiel bei dynamischen Hybridprodukten zu massiven Umschichtungen aus der Fondsanlage in das allgemeine Sicherungsvermögen kommt oder, wenn fondsgebundene Verträge, denen nicht fungible Anteile zugrunde liegen, im großen Umfang gekündigt werden. Derartige Liquiditätsrisiken können zudem Auswirkungen auf die Kapitalanlageallokation im allgemeinen Sicherungsvermögen haben. Mögliche negative Auswirkungen auf andere Verträge sind zu beobachten und zu quantifizieren. Materielle Nachteile auf die Überschussbeteiligung der übrigen Verträge sind im Zweifel aus Unternehmensmitteln auszugleichen, wenn sie nicht durch andere Maßnahmen, wie zum Beispiel eine geeignete Ausgestaltung von Umschichtungsalgorithmen, vermieden werden können.

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