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Thema Eigenmittel, Risikomanagement Neuerungen auf internationaler Ebene

Beitrag aus dem Jahresbericht 2016 der BaFin

Globales Rahmenwerk

Globale Eigenmittelstandards

2016 verfolgte die Internationale Vereinigung der Versicherungsaufsichtsbehörden IAIS (International Association of Insurance Supervisors) mit Nachdruck ihr Ziel, bis 2020 erstmalig einen globalen risikobasierten Kapitalstandard für große, international tätige Versicherungsgruppen (Internationally Active Insurance Groups – IAIGs) zu entwickeln.

Im Zuge dieser Bemühungen entstand das am 19. Juli 2016 veröffentlichte Konsultationspapier, das die Grundlage für eine erste Version des risikosensitiven Kapitalstandards (Insurance Capital Standard – ICS 1.0) ist. Für die Folgejahre bis 2020 soll dieser Kapitalstandard unter anderem die Basis für die erweiterte Feldstudie bilden. Die umfangreichen Rückmeldungen von interessierten Parteien weltweit fließen in die weiteren Überlegungen zum ICS 1.0 ein. Im Sommer 2017 will die IAIS den Standard fertigstellen.

In die Arbeiten einfließen werden auch die Ergebnisse der IAIS-Feldstudie, an der derzeit über 40 Versicherungsunternehmen freiwillig teilnehmen. Sie werden dazu beitragen, einen global vergleichbaren Kapitalstandard zu entwickeln und die Kapitalanforderung angemessen zu kalibrieren. Dabei können sowohl 2017 als auch 2020 nur erste Etappen auf dem Weg zum Ziel, dem so genannten Ultimate Goal sein: der globalen Vergleichbarkeit von Kapitalanforderungen sowie Eigenmitteln für IAIGs.

Im Mittelpunkt der Überlegungen stehen daher nicht nur eine möglichst vergleichbare Bewertung von Aktiva und Passiva sowie deren Diskontierung, sondern auch die Frage, inwiefern Eigenmittel nach einheitlichen Kriterien festgelegt und die Risikokapitalanforderung bestimmt werden können. Dabei werden sowohl versicherungstechnische Risiken berücksichtigt als auch andere Risiken, denen ein Versicherungsunternehmen ausgesetzt sein kann, wie beispielsweise Marktrisiken.

Heute sind weltweit sehr unterschiedliche Kapitalstandards etabliert, die grundsätzlich alle dem gleichen Ziel dienen, nämlich dem Schutz des Versicherungsnehmers, dieses aber mit unterschiedlichen Ansätzen zu erreichen suchen. Es ist daher eine anspruchsvolle Aufgabe, einen einheitlichen Standard zu erarbeiten.

Der geplante ICS ist als Mindeststandard für eine Solvenzanforderung angelegt. Die IAIS-Mitglieder dürfen also bei der nationalen Umsetzung darüber hinausgehen. Die BaFin arbeitet gemeinsam mit den europäischen Kollegen darauf hin, dass der ICS möglichst nah an den Anforderungen von Solvency II liegt, so dass Solvency II am Ende als Implementierung des ICS gesehen werden kann.

Die Überarbeitung der höheren Verlustabsorptionsfähigkeit (Higher Loss Absorbency – HLA) für global systemrelevante Versicherer (Global Systemically Important Insurers – G-SIIs), deren erste Version Ende 2015 veröffentlicht worden war, verfolgt die IAIS derzeit nicht weiter, da der ICS 1.0 Priorität hat. Erst wenn dieser finalisiert ist, nimmt die IAIS die Arbeiten an der HLA zusammen mit ICS 2.0 wieder ins Visier, zumal der ICS langfristig auch die Berechnungsgrundlage für die HLA sein soll.

Identifizierung von G-SIIs

Der Finanzstabilitätsrat FSB (Financial Stability Board) hat am 21. November 2016 das jährliche Update der Liste international systemrelevanter Versicherer (G-SIIs) veröffentlicht.1

Vorangegangen war ein intensiver Analyseprozess, an dem sich eine Vielzahl von Aufsehern verschiedener Länder in den IAIS-Gremien beteiligte. Nachdem eine erste G-SIIs-Identifizierung im Jahr 2013 auf Basis einer damals neuen Methodik erfolgte2, hat die IAIS in den Folgejahren Erfahrungen gesammelt und auf dieser Basis die Identifizierungsmethodik überarbeitet. Am 16. Juni 2016 hat die IAIS die neue Methodik veröffentlicht.3

Die IAIS-Mitglieder hatten sich darauf geeinigt, ein fünfstufiges Verfahren einzuführen, das auf einzelne Gruppen abzielt (sogenannte Entity Based Assessment – EBA), welches 2016 erstmals angewendet wurde. Dabei setzt die IAIS beim zentralen quantitativen Scoring, welches auf Grundlage einer Datenabfrage einer Stichprobe von etwa 50 Versicherungsgesellschaften durchgeführt wird (Phase I), nun absolute Referenzwerte (Absolute Reference Values – ARVs) für drei von 17 Indikatoren der Identifizierungsmethodik ein (Phase II). Auf diese Weise trägt sie der Tatsache Rechnung, dass die Stichprobe für einzelne Aktivitäten der Firmen in der Stichprobe nicht repräsentativ für den Gesamtmarkt ist oder eine Aktivität seit der Krise wesentlich an Bedeutung verloren hat. Die IAIS überprüft dabei fortwährend, ob weitere Indikatoren angepasst werden sollten. Zusätzlich berücksichtigt sie für eine Teilmenge der Stichprobe, das heißt Unternehmen mit einem Punktwerk oberhalb einer jährlich zu bestimmenden Grenze, im Rahmen einer tiefergehenden Betrachtung weitere Aspekte, die gegebenenfalls nur unzureichend in den verwendeten Indikatoren abgebildet sind (Phase III). Dies unterstreicht, dass eine Identifikation von G-SIIs über die Anwendung eines reinen Algorithmus hinausgeht und die IAIS die jeweiligen Ergebnisse in einem breiteren Kontext als bislang analysiert. Hervorzuheben als besondere Verbesserung ist zudem, dass betroffene Versicherungsgruppen durch das neue Verfahren bereits früher in ihre Beurteilung mittels eines intensiven Informations- und Meinungsaustauschs eingebunden werden (Phase IV), ehe die IAIS dann – basierend auf einer Gesamtschau aller Erkenntnisse der unterschiedlichen Phasen – eine Empfehlung an den FSB abgibt (Phase V). Nach erfolgter Designierung durch den FSB hat sich die IAIS zudem verpflichtet, wesentliche Informationen aus dem Prozess zu veröffentlichen.

Eine weitere Überarbeitung der Methodik zur Identifizierung von G-SIIs strebt die IAIS für 2019 an.

Activity Based Assessment

In einem neuen Projekt beschäftigt sich die IAIS zudem mit einer Methodik zur Identifizierung von systemischen Risiken, die auf Aktivitäten (Activity Based Assessment – ABA) basiert und nicht auf Einzelunternehmen. Die IAIS geht dabei der Frage nach, welche weiteren Aspekte von Systemrelevanz es gibt, die bei der Identifizierung von G-SIIs bislang außen vor geblieben sind.

Direktes systemisches Risiko

Hintergrund: Der FSB hatte die IAIS nach der Finanzkrise beauftragt, systemrelevante Versicherer zu identifizieren und hierfür, ähnlich wie im Bankensektor, eine Methodologie zu entwickeln. Ein solcher Ansatz adressiert das direkte systemische Risiko, also das Risiko, das von einem einzelnen Versicherer oder einer einzelnen Versicherungsgruppe ausgehen und sich auf das gesamte Finanzsystem auswirken kann.

Die Ursachen dafür können in den Aktivitäten oder Produktmerkmalen des Unternehmens liegen. Je nach Größe und Verflechtungsgrad eines Versicherers kann dieser direkt systemweite Störungen auslösen. Bei einem direkten Systemrisiko entsteht also ein Erstrundeneffekt: Das Versicherungsunternehmen selbst setzt das Gesamtsystem einer unmittelbaren systemischen Gefahr aus.

Indirektes systemisches Risiko

Ein solches direktes Systemrisiko ist vom indirekten Systemrisiko abzugrenzen. Ein indirektes Systemrisiko beschreibt die potenziellen negativen Folgen für das gesamte Finanzsystem, die durch Aktivitäten eines oder mehrerer Versicherer ausgelöst werden, wenn diese gleichzeitig auf negative externe Ereignisse oder Schocks reagieren, denen sie selbst ausgesetzt waren. Beim indirekten Systemrisiko entsteht ein Zweitrundeneffekt: Erst die gebündelten Aktivitäten oder Reaktionen mehrerer Versicherer auf negative Ereignisse oder Schocks haben systemische Folgen für das globale Gesamtsystem.4

ABA für indirekte Systemrisiken

Nachdem die IAIS die direkten Systemrisiken durch die G-SII-Designierung bereits seit 2013 beobachtet, befasst sie sich nun im Rahmen des ABA auch mit den indirekten Systemrisiken. Die Arbeiten am ABA haben jüngst erst begonnen und sind längerfristig angelegt.

Es wird unter anderem darum gehen, die Aktivitäten zu identifizieren, die im Falle einer kollektiven Reaktion zu Zweitrundeneffekten führen können. Dabei kann die IAIS bereits auf eine Vielzahl von Vorarbeiten zurückgreifen, unter anderem auf Erkenntnisse aus dem bisherigen G-SII-Prozess. Auch die EBA betrachtet einzelne Aktivitäten. Es erscheint auch sinnvoll, einen ABA als Ergänzung zu einem EBA zu konzipieren, so dass ein hybrider Gesamtansatz für den Versicherungssektor zur Verfügung steht, der alle Aspekte des Systemrisikos erfasst.

Regulatorische Antworten

Ein letzter, aber entscheidender Baustein zur Eindämmung systemischer Risiken ist die Festlegung regulatorischer Antworten, der Policy Measures, zu denen auch die höhere Verlusttragfähigkeit (Higher Loss Absorbency Capacity – HLA) von G-SIIs zählt.

Für das indirekte systemische Risiko muss überlegt werden, ob die Aufsicht bereits ausreichende Werkzeuge hat oder ob sie Spezialwerkzeuge braucht. Der Schutz des Versicherungsnehmers steht auch weiterhin im Fokus – und das derzeit geltende Recht bietet bereits eine Vielzahl effektiver Mittel, die zugleich auch zur Finanzstabilität beitragen.

Aufgrund der Komplexität von indirekten systemischen Risiken und deren Zusammenspiel mit direkten systemischen Risiken müssen die Aufseher relevante Aktivitäten und mögliche regulatorische Antworten sorgfältig analysieren. Mit kurzfristigen Änderungen oder Ergänzungen ist daher nicht zu rechnen.

Europäisches Rahmenwerk

Pan European Pension Products

Die EU-Kommission plant, im Verlauf des Jahres 2017 einen Vorschlag für ein einfaches, effizientes und wettbewerbsfähiges EU-Produkt zur privaten Altersvorsorge vorzulegen – ein paneuropäisches privates Altersvorsorgeprodukt (Pan-European Personal Pension Product – PEPP). Diese Idee findet sich unter anderem in dem Grünbuch der Europäischen Kommission zur Kapitalmarktunion5 wieder. Erreichen will die Kommission damit, dass EU-Bürger mehr Ersparnisse für die private Altersvorsorge aufwenden. Zusätzlich will sie auf diese Weise den Binnenmarkt stärken, da eben dieses für die private Altersvorsorge aufgewendete Kapital wiederum zur Finanzierung der Wirtschaft beitragen kann.

Aus diesem Grund hat die Kommission bereits 2014 ein Beratungsersuchen an EIOPA gerichtet. Das Papier, das EIOPA daraufhin bis Mitte 2016 erarbeitete,6 enthält erste konkrete Vorschläge zur möglichen Ausgestaltung eines PEPP. Im Anschluss konsultierte die Europäische Kommission öffentlich einen EU-Rechtsrahmen für die private Altersvorsorge. Die Konsultation endete im Oktober 2016. Parallel dazu fand eine öffentliche Anhörung der Kommission zu einem möglichen gesamteuropäischen Altersvorsorgeprodukt statt. Die Initiative der Kommission stieß dabei durchweg auf große Zustimmung.

Nach derzeitigem Stand würde ein solches europäisches Produkt neben die bereits existierenden Alterssicherungssysteme treten und auf EU-Ebene durch eine Verordnung definiert.

Eine Herausforderung besteht in der konkreten Ausgestaltung der Anforderungen: Diese müssen so formuliert sein, dass das Produkt in allen Mitgliedstaaten als Pensionsprodukt zulässig ist und darüber hinaus auch als solches anerkannt wird. Die Anerkennung kann beispielsweise von Bedeutung sein, wenn die Möglichkeit eingeräumt werden soll, steuerliche Vorteile in Anspruch zu nehmen. Weiterhin muss sichergestellt sein, dass die Grenze zwischen den Altersvorsorgeprodukten (Langzeitinvestment mit dem Ziel, dem Kunden ein Einkommen im Alter zu generieren) und reinen Investmentprodukten (rein auf Rendite ausgerichtet) nicht verschwimmen. Hier muss nach Auffassung der BaFin weiterhin eine klare Abgrenzung erkennbar sein.

Fußnoten:

  1. 1 http://www.fsb.org/2016/11/2016-list-of-global-systemically-important-insurers-g-siis.
  2. 2 Vgl. Activity Based Assesment.
  3. 3 Vgl. Jahresbericht 2015, S. 170f.
  4. 4 Zum direkten und indirekten systemischen Risiko vgl. Felix Hufeld, „A Regulatory Framework for Systemic Risk in the Insurance Sector“; in: „The Economics, Regulation and Sytemic Risk of Insurance Markets”, hrsg. von Felix Hufeld, Ralph S.J. Koijen, Christian Thimann, Oxford, 2017.
  5. 5 Zur Kapitalmarktunion vgl. auch Kapitalmärkte und Abschnitt Kapitalmarktunion.
  6. 6 Consultation paper on EIOPA's advice on the development of an EU Single Market for personal pension products (PPP); abrufbar unter https://eiopa.europa.eu.

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