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Thema Solvabilität Thema: Ein Jahr Solvency II in der Praxis

Beitrag aus dem Jahresbericht 2016 der BaFin

Meinung: Dr. Frank Grund zur zeitgemäßen Versicherungsaufsicht

Ein Jahr nach der Einführung von Solvency II lässt sich feststellen: Die Marktteilnehmer können immer besser mit dem neuen Aufsichtssystem umgehen, müssen aber noch weiter dazulernen. Alles andere wäre aber angesichts der Komplexität des neuen Regelwerks auch verwunderlich. Die Versicherungsaufsicht wird mit ihren eigenen Veröffentlichungen zu Solvency II weiter dazu beitragen, das Verständnis für das neue System zu fördern.

Der nächste Meilenstein auf dem Weg in die neue Aufsichtswelt wird die Veröffentlichung der Solvabilitäts- und Finanzberichte sein.1 Die Unternehmen müssen für das Geschäftsjahr 2016 bis spätestens 20 Wochen nach dessen Ende der Öffentlichkeit umfangreiche Angaben zu ihren aufsichtlichen Kapitalanforderungen zugänglich machen – und zwar elektronisch, also in aller Regel auf ihren Webseiten.

Die Öffentlichkeit steht dann vor der Herausforderung, diese Angaben richtig zu interpretieren. Die Kennzahlen verlangen nach einer differenzierten Betrachtung, die den Besonderheiten der Unternehmen ebenso Rechnung trägt wie deren Möglichkeiten, bei der Ermittlung dieser Kennzahlen auf Antrag individuelle Gegebenheiten zu berücksichtigen – etwa über interne Modelle und unternehmensspezifische Parameter in der Standardformel. Ein einigermaßen vollständiges Bild wird sich erst mit den Jahren ergeben – wenn entsprechende Zeitreihen vorliegen.

Unterschiedliche Antworten und Ziele

Mit Solvency II ist ein europaweit einheitliches Aufsichtssystem geschaffen worden. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für Versicherer sind damit aber bei Weitem nicht harmonisiert. Man denke nur an das Zivil-, das Handels- und das Steuerrecht. Die Balance zu finden zwischen weiterer Harmonisierung und der Berücksichtigung nationaler Realitäten ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Dies sieht die BaFin täglich bei ihrer Arbeit in den verschiedenen Gremien der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung EIOPA (European Insurance and Occupational Pensions Authority): Die Ansichten der einzelnen Mitgliedstaaten zu Themen wie der Ultimate Forward Rate oder der dynamischen Modellierung der Volatilitätsanpassung gehen auseinander.

In Deutschland hat der Gesetzgeber mit dem Lebensversicherungsreformgesetz bereits auf die Niedrigzinsphase reagiert. Es ist jedoch nachvollziehbar, dass andere Mitgliedstaaten über Solvency II gewisse makro- oder mikroprudenzielle Ziele verfolgen, die etwa in Deutschland schon anderweitig aufgegriffen worden sind.

Man darf auch nicht vergessen, dass die Einführung eines marktwertbasierten Aufsichtssystems das weitere rechtliche und ökonomische Umfeld nicht ändern kann. Zudem wird das Geschäft nicht von jetzt auf gleich dem neuen Aufsichtssystem folgen. Daher hat der europäische Gesetzgeber Übergangsmaßnahmen geschaffen. Diese sorgen dafür, dass Solvency II allmählich auf die Kapitalanforderung wirkt. Parallel dazu baut sich der Bestand ab, den die Versicherer vor Inkrafttreten von Solvency II aufgebaut haben. Die Auswirkungen von Solvency II auf die Geschäftsstrategie der alten Zeitrechnung werden dadurch abgefedert.

Übergangsmaßnahmen für den Kunden

Dies sollte man auch beachten, wenn man die Unternehmen für die Nutzung der Übergangsmaßnahmen kritisiert. Sie ist nicht notwendigerweise ein Zeichen von Schwäche, sondern kann auch eine strategische Entscheidung sein – im Sinne eines weichen Übergangs, auch für die Kunden. Aus diesem Grund ist es auch nicht immer ratsam, darauf zu verzichten. Denn wenn man dies tut, akzeptiert man zugleich die Konsequenz für das eigene Portfolio: stark steigende Kapitalanforderungen für den mit langfristigen Garantien versehenen Bestand. In Kombination mit der Volatilität eines marktwertbasierten Systems wie Solvency II kann eine solche Entscheidung derart hohe Kapitalanforderungen nach sich ziehen, dass ein Versicherer seine Kapitalanlagestrategie zum Nachteil der Kunden anpassen muss – weg von ertragreicheren, hin zu risikoärmeren, aber auch weniger ertragreichen Anlageklassen. Aus diesen Gründen kann man nur davor warnen, Unternehmen zu stigmatisieren, die Übergangsmaßnahmen in Anspruch nehmen. Im Interesse der Kunden kann dies sogar sehr vernünftig sein.

Prinzipienbasierte Aufsicht

Mit Solvency II bewegt sich die Versicherungsaufsicht weg von einem rein regelbasierten hin zu einem eher prinzipienbasierten System. Auf Seiten der Unternehmen herrschte zunächst eine gewisse Unsicherheit im Umgang mit diesem neuen Aufsichtsansatz, was nicht verwunderlich ist, zumal sich die BaFin zunächst auf formale Themen und auf die Plausibilitätsprüfungen des quantitativen Reportings konzentrieren musste. Mit ihren Auslegungsentscheidungen hat die Aufsicht aber erste Leitplanken aufgestellt, die den Versicherern Orientierung geben. Dies gilt beispielsweise für die Themenkomplexe latente Steuern und ORSA2. In einem nächsten Schritt wird sich die Aufsicht verstärkt inhaltlich mit dem ORSA auseinandersetzen. Die bislang eingereichten ORSA-Berichte offenbaren noch Verbesserungsbedarf. Die BaFin wird sich hierzu deutlicher positionieren – natürlich, wie immer, im konstruktiven Dialog mit den Unternehmen.

Proportionalität

Das Proportionalitätsprinzip eröffnet den Unternehmen bei der Umsetzung vieler, aber nicht aller Anforderungen einen beachtlichen Gestaltungsspielraum. Proportionalität heißt nicht, dass die Versicherer geltende Anforderungen nicht zu beachten haben. Es geht nicht um das „Ob“, es geht um das „Wie“. Die Befreiung von Anforderungen ist grundsätzlich nicht vorgesehen. Einzige – und auch ausdrücklich normierte – Ausnahme: die quantitativen Berichterstattungspflichten.3 In der Regel sind zunächst die Unternehmen gefordert, dieses Kernelement von Solvency II zu berücksichtigen und die regulatorischen Anforderungen der Art, dem Umfang und der Komplexität ihrer Risiken angemessen umzusetzen. Die Aufsicht wird dann prüfen, ob die Umsetzung tatsächlich angemessen ist, und Anpassungen verlangen, wenn erforderlich. Sofern möglich, gibt die BaFin der Branche auch konkrete Hinweise zur proportionalen Anwendung von Solvency II – so geschehen beispielsweise im Zusammenhang mit versicherungstechnischen Rückstellungen. Eine vereinfachte Vorgehensweise ermöglicht die Aufsicht den Unternehmen bereits für die Berechnung des bei künftigen Prämien einkalkulierten erwarteten Gewinns (Expected Profits Included in Future Premiums – EPIFP) und des Naturkatastrophenrisikos für die Autokaskoversicherung. Auch für die Bewertung der Effekte des Neugeschäfts auf die zukünftigen Überschussbeteiligungen des Bestandes lässt die Aufsicht in einer Auslegungsentscheidung einzelne Vereinfachungen zu.

Treiber der Solvency II-Quoten

Im Jahr 2017 wird sich die Aufsicht verstärkt mit den Treibern der Solvency-II-Quoten auseinandersetzen. Im Sinne einer vorausschauenden Aufsicht wird sie sich vermehrt mit Sensitivitäten der SCR-Quote4 auf Marktschwankungen beschäftigen. Im Fokus stehen vor allem die Lebensversicherer, da deren SCR-Quote aufgrund langfristiger Verpflichtungen sehr zinssensitiv reagiert. Ziel der BaFin ist es, Frühwarnindikatoren und Aufsichtstools zu entwickeln, um frühzeitig auf adverse Entwicklungen reagieren zu können.

Die BaFin ist zwar nicht Gesetzgeber, sondern wendet als Aufsicht Gesetze an. Zugleich wirkt sie aber an der Entwicklung von Regulierung in Deutschland sowie auf europäischer und globaler Ebene mit. In dieser Rolle analysiert sie beispielsweise im Rahmen des laufenden SCR-Reviews potenziellen Anpassungsbedarf der Standardformel. Aus BaFin-Sicht ist es wünschenswert, die Standardformel zu vereinfachen. In aktuarieller Hinsicht gibt es ebenfalls Anpassungsbedarf, etwa was die Kalibrierung des Zinsänderungsrisikos auch für sehr niedrige und negative Zinsen angeht. Dass man im Rahmen des SCR-Reviews auch noch einmal über die Risikounterlegung von Staatsanleihen nachdenkt, ist unwahrscheinlich. Das Thema sollte aber auf der Agenda bleiben.

Verbraucherschutz

Wesentliche regulatorische Weichen werden in den kommenden beiden Jahren auch für den Verbraucherschutz gestellt. Die neuen Anforderungen werden die Unternehmen im wahren Wortsinn fordern.

Etwa die Richtlinie über Versicherungsvertrieb (Insurance Distribution Directive – IDD), die bis zum 23. Februar 2018 in deutsches Recht umzusetzen ist.5 Mit der IDD setzt die Aufsicht über die Vertriebstätigkeit künftig bereits beim Produktentwicklungsprozess an. Schon bei der Entwicklung eines Produkts sollen die Bedürfnisse der Verbraucher berücksichtigt werden. Interessenkonflikte zwischen Vermittlern und Verbrauchern sollen vermieden oder zumindest transparent gemacht werden. Wer gegen die neuen Regelungen verstößt, muss mit deutlich spürbaren Sanktionen rechnen. Gerade vor dem Hintergrund der Digitalisierung dürfte diese Entwicklung besonders interessant werden – auch Insurtechs müssen sich diesen Anforderungen stellen.

Ein weiteres regulatorisches Vorhaben zum Verbraucherschutz ist die PRIIPs-Verordnung, die Verordnung über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte (Packaged Retail Insurance Investment Products)6 . Die PRIIPs-Verordnung soll den Rahmen setzen für das neue Basisinformationsblatt für Kleinanleger, das PRIIPs-KID (Key Information Document).

Was die im deutschen Markt vertriebenen Produkte angeht, ist der Anwendungsbereich der Verordnung leider nicht eindeutig zu bestimmen. Die BaFin wird daher entsprechende Auslegungshinweise hierzu veröffentlichen. Derzeit geht die Aufsicht davon aus, dass neben Versicherungsanlageprodukten, darunter klassischen Kapitallebensversicherungen, fondsgebundenen Lebensversicherungen, Hybridprodukten und Variable Annuities, auch aufgeschobene Rentenversicherungen vom Begriff der Versicherungsanlageprodukte erfasst sein können. Hier hätte man sich einen klareren Bezug der PRIIPS-Verordnung auf reine Kapitalanlageprodukte gewünscht, um Altersvorsorgeprodukte spezifisch zu regeln. Vorbilder gibt es ja bei den Riester-Verträgen.

Anzuwenden ist die PRIIPS-Verordnung ein Jahr später als geplant, nämlich vom 1. Januar 2018 an. Erst dann müssen die Unternehmen das europäische Basisinformationsblatt bereitstellen. Verschoben wurde die Anwendung, weil das Europäische Parlament die Technischen Regulierungsstandards dazu kritisiert hatte und diese nun überarbeitet werden müssen. Außerdem wollte man den Unternehmen mehr Zeit für die Vorbereitung geben.

Diese und weitere regulatorische Vorgaben zum Verbraucherschutz – auch jenseits der Versicherungsaufsicht – sind von dem Grundgedanken getragen, dass Verbraucher den Anbietern und Unternehmen des Finanzmarkts strukturell unterlegen sind. Das ist sicher richtig. Und doch sollte man zwei Dinge nicht aus den Augen verlieren: das Leitbild des mündigen Verbrauchers und die Angemessenheit jeder Regulierung. Verbraucherschutz darf nicht in Gängelei münden. Und wenn es zu teuer wird oder unkalkulierbare Rechtsrisiken mit sich bringt, Finanzprodukte anzubieten, werden sich Anbieter möglicherweise aus der Fläche zurückziehen. Damit wäre Verbrauchern nicht geholfen.

Ausblick

Auf globaler Ebene bleibt es spannend, ob es der Internationalen Vereinigung der Versicherungsaufsichtsbehörden IAIS (International Association of Insurance Supervisors) gelingen wird, sich auf die Grundzüge eines ersten globalen Solvenzregimes zu einigen.7 Die BaFin setzt sich sehr für eine weitgehende Kompatibilität mit Solvency II ein, muss aber sicher auch die Bereitschaft zu Kompromissen aufbringen.

Vielleicht weiß man Ende 2017 auch mehr über das künftige Verhältnis zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich und die Auswirkungen auf die Versicherungswirtschaft. 2017 ist und bleibt ein spannendes Jahr.

HGB und Solvency II: Unterschiede im Berichtswesen

Es gehört zu den allgemeinen Pflichten von Versicherungsunternehmen und Versicherungsgruppen, regelmäßig über ihre ökonomische Situation zu berichten – der Öffentlichkeit gegenüber und der Aufsicht. In unterschiedlichen gesetzlichen Anforderungen ist geregelt, was wann, wie oft und an wen zu berichten ist. Hinzu kommen Regelungen, nach welchen Methoden die Vermögenswerte und Verpflichtungen zu bewerten und welche Daten-Übertragungswege zu wählen sind.

Bis zum Start von Solvency II am 1. Januar 2016 bildete das Berichtswesen auf Basis der Rechnungslegung nach dem Handelsgesetzbuch (HGB) die Grundlage für die Finanzaufsicht über Versicherungsunternehmen. Nun gilt europaweit für alle betroffenen Versicherungsunternehmen das aufsichtliche Solvency-II-Bewertungssystem. Damit kommt ein einheitliches und auf europäischer Ebene gemeinschaftlich gestaltetes Berichtswesen zum Tragen, das sehr umfangreich und komplex ist. Umfang und Komplexität sind unter anderem der Tatsache geschuldet, dass verschiedene Länder ihre unterschiedlichen Erfahrungen eingebracht haben. Das einheitliche elektronische Meldeverfahren ermöglicht die Weiterleitung der Daten an die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung EIOPA (European Insurance and Occupational Pensions Authority).

Berichtswesen nach HGB

Grundsätzlich gelten weiterhin auch für Versicherungsunternehmen die Berichtspflichten des HGB. Versicherungsunternehmen haben gemäß § 341a HGB in den ersten vier Monaten des Geschäftsjahres einen Jahresabschluss und einen Lagebericht für das vergangene Geschäftsjahr aufzustellen und dem Abschlussprüfer zur Prüfung vorzulegen. Innerhalb von 15 Monaten sind diese Unterlagen zudem im Bundesanzeiger offenzulegen.

Für die Berichterstattung gegenüber der Öffentlichkeit muss – neben den Vorschriften des HGB – auch die Verordnung über die Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen (RechVersV) berücksichtigt werden. Diese basiert auf § 330 Absatz 3 HGB, enthält darüber hinaus aber Gliederungsschemata für die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) von Versicherungsunternehmen sowie spezielle Vorschriften dazu, wie die einzelnen Posten in der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung auszuweisen und zu bewerten sind.

Den Bewertungsvorschriften nach HGB und der RechVersV liegen im Wesentlichen der Gedanke des Gläubigerschutzes und das Vorsichtsprinzip zugrunde. Vermögensgegenstände sind generell höchstens auf Basis der Anschaffungskosten – vermindert um Abschreibungen und Verpflichtungen – mit ihrem Erfüllungsbetrag anzusetzen. § 341e HGB stellt allgemeine Bilanzierungsgrundsätze für die versicherungstechnischen Rückstellungen auf.

Die Berichterstattung gegenüber der BaFin ist wesentlich detaillierter. Die Vorgaben für die Berichte über die wirtschaftliche Lage finden sich vor allem in der Verordnung über die Berichterstattung von Versicherungsunternehmen gegenüber der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BerVersV). Da diese allerdings auf dem bis Ende 2015 gültigen Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) beruhte, musste sie zunächst aufgehoben werden. Eine entsprechende Novelle soll im zweiten Quartal 2017 erscheinen. Zwischenzeitlich entstandener Änderungsbedarf kann dabei direkt berücksichtigt werden.

Der Entwurf der novellierten BerVersV enthält unter anderem Vorschriften über den Inhalt, die Form, die Frist und die Stückzahl des bei der Aufsicht einzureichenden internen Berichts. Er besteht aus einer für Aufsichtszwecke gegliederten Bilanz und einer nach Versicherungszweigen und -arten gegliederten Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) sowie besonderen Erläuterungen. Die Formulare der BerVersV können in Papierform oder elektronisch vorgelegt werden.

Berichtswesen nach Solvency II

Das Berichtswesen unter Solvency II gilt EU-weit für alle Versicherer, die unter die Solvency-II-Richtlinie fallen. Es gibt aber nicht nur neue Berichtspflichten; für deutsche Unternehmen sind auch einige entfallen, etwa die vierteljährlichen Nachweise sowie Anzeigen und Berichte über die Kapitalanlagen und die Prognoserechnungen. Weiterführende Informationen zum Berichtswesen hat die BaFin im „Merkblatt zum Berichtswesen für Erst- und Rückversicherungsunternehmen, Versicherungsgruppen und Pensionsfonds“ veröffentlicht.

Ein Delegierter Rechtsakt8 und zwei technische Durchführungsstandards9 konkretisieren die Berichtspflichten unter Solvency II (siehe Grafik 5 „Rechtsgrundlagen unter Solvency II“):

  • Die Delegierte Verordnung (EU) 2015/35 enthält unter anderem Vorschriften für die Bewertung der Positionen, die in der Solvabilitätsübersicht10 zu erfassen sind. Dabei gilt natürlich das Solvency II zugrunde liegende Prinzip, dass alle Vermögenswerte und Verpflichtungen nach Zeitwerten unter der Annahme der Unternehmensfortführung bewertet werden. Die Zeitwertbilanzierung ist ein entscheidender Unterschied zu der Bewertung unter HGB.
  • In der Durchführungsverordnung (EU) 2015/2450 finden sich unter anderem die Berichtsformulare und die Erläuterungen hierzu.
  • Die Durchführungsverordnung (EU) 2015/2452 regelt im Wesentlichen, welche quantitativen Informationen in welcher Form im Bericht über Solvabilität und Finanzlage (Solvency and Financial Condition Report – SFCR) enthalten sein müssen.

Neben diesen Verordnungen sind zwei EIOPA-Leitlinien relevant.11 Die Anforderungen auf Ebene der Erst- und Rückversicherungsunternehmen im Sinne der Solvency-II-Richtlinie12 gelten grundsätzlich analog auch auf Gruppenebene (siehe Infokasten „Informationen zu Solvency II“).

Jedes Versicherungsunternehmen, das unter die Solvency-II-Vorschriften fällt, muss jährlich einen Bericht über seine Solvabilität und Finanzlage (SFCR) einschließlich der dazugehörigen quantitativen Formulare veröffentlichen und der Allgemeinheit zugänglich machen. Der Bericht ist auch an die Aufsicht zu übermitteln. Nur diese erhält darüber hinaus – auf elektronischem Wege – jährliche und vierteljährliche quantitative Berichte. Zusätzlich müssen der Aufsicht jedes Jahr oder alle zwei bzw. drei Jahre ein regelmäßiger aufsichtlicher Bericht (Regular Supervisory Report – RSR) und – nach jeder unternehmenseigenen Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung (Own Risk and Solvency Assessment – ORSA)13 – ein ORSA-Bericht (ORSA Supervisory Report – OSR) übermittelt werden, beides ebenfalls elektronisch.

Bis 2019 gelten noch verlängerte Vorlagefristen, danach sind die in Artikel 312 der Delegierten Verordnung festgelegten endgültigen Fristen einzuhalten. Die Unternehmen müssen zudem die formalen Anforderungen der Meldebögen beachten, auf die in der Versicherungs-Meldeverordnung (MeldeV) Bezug genommen wird. Entsprechen die elektronisch zu übermittelnden Daten nicht diesen Anforderungen, weist die BaFin sie zurück und betrachtet sie als nicht eingereicht, denn für die Aufsicht ist wichtig, dass die Unternehmen die Fristen und Vorgaben einhalten. Zudem gibt die BaFin die Solvency-II-Daten – anders als die HGB-Zahlen – zeitnah an EIOPA weiter.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Berichtswesen nach Solvency II komplex ist und zum Beispiel mit der Zeitwertbilanzierung andere Schwerpunkte setzt als die Berichterstattung nach HGB. Da die Bewertung unter Solvency II nach Zeitwerten unter der Annahme der Unternehmensfortführung erfolgt, schwanken die Unternehmenskennzahlen zudem stärker. Nur ein Jahr nach Einführung des neuen Aufsichtsregimes Solvency II befindet sich dessen Berichtswesen noch in der Einführungsphase – und wird sich weiter entwickeln.

Schadenrückstellung – neue Bewertungsgrundlagen unter Solvency II

Für die Schaden- und Unfallversicherungsunternehmen ist der handelsrechtliche Posten der Schadenrückstellung von zentraler Bedeutung. Er ist im Einklang mit dem Vorsichtsprinzip und gemäß § 341e Absatz 1 HGB so zu bemessen, dass zwingend sichergestellt ist, dass der Versicherer seine Verpflichtungen dauerhaft erfüllen kann.

Hieran ändert sich aufgrund des § 294 Absatz 4 VAG auch unter dem neuen Aufsichtssystem Solvency II nichts. In der Solvabilitätsübersicht (Solvency II Balance Sheet) wird allerdings der beste Schätzwert, der Best Estimate, für die Verpflichtungen aus dem Nicht-Lebensversicherungsgeschäft ausgewiesen. Dieser setzt sich aus den besten Schätzwerten für die Schaden- und die neu eingeführte Prämienrückstellung zusammen, die jeweils gesondert zu berechnen sind. Dies stellt die Schadenrückstellung – wie auch die nun vorzunehmende Berechnung einer Risikomarge – abweichend vom handelsrechtlichen Ansatz auf eine neue Bewertungsgrundlage.

Der Best Estimate der Schadenrückstellung umfasst die wahrscheinlichkeitsgewichtete Schätzung der zukünftigen Zahlungsströme für eine homogene Risikogruppe (HRG) bis zum Vertragsende. Implizite oder explizite Sicherheitszuschläge werden beim Ansatz ökonomischer Werte nicht berücksichtigt. Die Bewertung muss marktkonsistent sein. Dies hat zur Konsequenz, dass die geschätzten Schadenzahlungsströme unter Berücksichtigung des Zeitwerts des Geldes mit der risikofreien Zinsstrukturkurve zu diskontieren sind (Barwertsicht). Folglich wird der Best Estimate als Gegenwartswert in der Regel unterhalb des HGB-Werts liegen.

Das Prinzip der Einzelbewertung, das bei der Schadenregulierung nach dem HGB für die Reservierung eingetretener und gemeldeter Schäden zum Erfüllungswert zu beachten ist, gilt weiterhin. Dies schließt jedoch nicht aus, dass die zahlungsbezogenen Daten der bekannten Einzelschäden aus der HGB-Welt in die Schätzung des Best Estimate für eine homogene Risikogruppe einfließen.

Dem Best Estimate der Schadenrückstellung liegt eine stärker in die Zukunft gerichtete Sichtweise zugrunde und damit eine ökonomische Ultimate-Sicht: Versicherer schätzen also mit teils stochastischen Reservierungsverfahren die Schadenentwicklung unter expliziter Zuweisung auf die einzelnen Folgejahre bis zum Endschadenstand. Dies setzt genaue Prognosen über Umfang und Zahlungszeitpunkte künftiger Zahlungsströme voraus, so genannte Cashflow-Projektionen. Erste Anhaltspunkte für die Beurteilung solcher Berechnungen sowie die Robustheit und Prognosegenauigkeit des Best Estimate können sich aus der unternehmensinternen Validierung ergeben. Dazu analysieren die Unternehmen mindestens einmal jährlich ihre Daten, Annahmen, Methoden und Höhe der Best Estimates. Beurteilungsmaßstab ist wieder die homogene Risikogruppe. Instrumente dieser unternehmensinternen Qualitätssicherung sind unter anderem das Backtesting und Sensitivitätsanalysen.

ORSA in der Unternehmenssteuerung

Mit Inkrafttreten von Solvency II sind die Versicherungsunternehmen zur regelmäßigen Durchführung unternehmenseigener Risiko- und Solvabiliätsbeurteilungen (Own Risk and Solvency Assessment – ORSA) verpflichtet. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse müssen kontinuierlich in die Unternehmenssteuerung einfließen. Den ORSA als Bestandteil des Risikomanagementsystems zu implementieren und zu nutzen, ist – auch angesichts der großen Freiheitsgrade – für die Unternehmen eine Herausforderung. Zum 1. Januar 2016 hat die Aufsicht ihre Erwartungen in einer Auslegungsentscheidung zum ORSA zusammengefasst.

Sicherstellung jederzeitiger Bedeckung

Die Versicherungsunternehmen müssen dafür sorgen, dass sie ständig ihre Solvabilitätskapitalanforderung (Solvency Capital Requirement – SCR) und ihre Mindestkapitalanforderung (Minimum Capital Requirement – MCR, siehe Infokasten „SCR und MCR“) mit anrechnungsfähigen Eigenmitteln bedecken können. Daher sind gemäß § 27 VAG regelmäßig (mindestens jährlich) und bei wesentlichen Änderungen im Risikoprofil (Ad-hoc-)ORSA durchzuführen.

Der ORSA ist als Bestandteil der Säule II von Solvency II (Governance-System) ein bedeutendes Element des Risikomanagementsystems. Zeichnet sich bei der Analyse ab, dass ein Unternehmen sein SCR unterschreitet, muss es gegensteuern, indem es rechtzeitig und angemessen sein Risikoprofil anpasst und/oder zusätzliche anrechnungsfähige Eigenmittel bereitstellt.

Die zentrale Aufgabe des ORSA ist damit, zu beurteilen, ob die aufsichtsrechtlichen Kapitalanforderungen jederzeit eingehalten werden. Gleichermaßen wichtig ist auch die vorausschauende Ermittlung des Solvabilitätsbedarfs auf ökonomischer Grundlage – also losgelöst von den regulatorischen Kapitalanforderungen. Diese orientiert sich am allgemeinen Planungshorizont der Unternehmen (i.d.R. drei bis fünf Jahre) und berücksichtigt neben aktuellen Risiken auch solche, die sich gegebenenfalls erst langfristig manifestieren. Ferner stellt der ORSA ein Korrektiv zur Säule I von Solvency II (Solvabilitätskapitalanforderung) dar: Die vorzunehmende Abweichungsanalyse zwischen der Unternehmensrealität, das heißt dem tatsächlichen Risikoprofil, und den Annahmen, die der SCR-Berechnung zugrunde liegen, dient der Feststellung, ob das SCR alle materiellen quantifizierbaren Risiken angemessen berücksichtigt. Damit sind sowohl Risiken gemeint, denen das Unternehmen bereits ausgesetzt ist, als auch solche, denen es ausgesetzt sein könnte. Bleiben Risiken in wesentlichem Umfang unberücksichtigt, kann die Aufsichtsbehörde eingreifen.

Verknüpfung mit Managementprozessen

Aus unternehmerischen Entscheidungen und externen Faktoren können sich relevante Änderungen des Risikoprofils ergeben. Konsequenterweise sind Rückkopplungen der ORSA-Erkenntnisse mit der Geschäfts- und Risikostrategie vorgesehen und die Ergebnisse des ORSA sollen kontinuierlich bei strategischen Entscheidungen berücksichtigt werden. Vor wesentlichen Maßnahmen müssen die Unternehmen die Auswirkungen auf das Risikoprofil und damit auf die aufsichtsrechtlichen Kapitalanforderungen und den Gesamtsolvabilitätsbedarf beurteilen. Insbesondere sind die ORSA-Ergebnisse bei der Geschäftsplanung und dem Kapitalmanagement sowie bei der Produktentwicklung zu berücksichtigen. ORSA-Prozess und -Bericht tragen damit zum nachhaltigen Management des Geschäfts bei.

Die zentrale Verantwortung für den ORSA obliegt daher dem Vorstand und darf nicht auf einzelne Vorstandsmitglieder oder gänzlich an Ausschüsse übertragen werden. Die Aufsicht erwartet von jedem Mitglied des Vorstands – wenn auch nicht in der gleichen Detailtiefe – tiefgreifende Kenntnisse über das Risikoprofil und daraus resultierende Kapitalbedarfe. Ein allgemeines Verständnis der SCR-Berechnung wird ebenfalls vorausgesetzt. Auf dieser Basis muss der Vorstand aktiv den ORSA-Prozess steuern, über die Unternehmensrisiken und Kapitalbedarfe diskutieren und die BaFin mit dem ORSA-Bericht über die Ergebnisse und Schlussfolgerungen des ORSA informieren.

Aufsichtliche Praxis

Angesichts der herausragenden Bedeutung des ORSA legte die BaFin bereits in der Vorbereitungsphase ein besonderes Augenmerk auf dessen Implementierung. Und doch zeigt sich im ersten Anwendungsjahr von Solvency II ein heterogenes Bild, was den Umgang mit dem ORSA angeht. Einige Unternehmen stellt er vor große Herausforderungen (siehe Infokasten „Jahreskonferenz der Versicherungsaufsicht“). Im Einklang mit dem Proportionalitätsprinzip muss jedes Versicherungsunternehmen angemessene, individuelle ORSA-Prozesse einrichten und einen entsprechenden ORSA-Bericht aufsetzen. Gewisse Mindestanforderungen sind verhältnismäßig leicht im ORSA abbildbar. Dazu gehören zum Beispiel durchzuführende Stresstests und Szenarioanalysen und die Hinterfragung der SCR-Berechnung. Auch die angemessene Erfüllung derartiger Anforderungen kann gut beurteilt werden.

Wesentlich anspruchsvoller gestaltet sich hingegen die Übersetzung zweier ORSA-Grundprinzipien in die Unternehmenspraxis: die Mehrjahresperspektive und – damit einhergehend – die Nutzung des ORSA für die Unternehmenssteuerung.

Mehrjahresperspektive

ORSA-verantwortliche Personen in den Versicherungsunternehmen stehen der erforderlichen Mehrjahresbetrachtung zuweilen skeptisch gegenüber. Eine vorausschauende Beurteilung bindet Kapazitäten, und Prognosen sind immer mit Unsicherheit behaftet. Diese Prognosen zu bewerten und ausführlich – und damit für sachkundige Dritte nachvollziehbar – zu dokumentieren, ist eine Herausforderung. Dabei dürfte auch die Sorge der Verantwortlichen eine Rolle spielen, sich zu einem späteren Zeitpunkt Vorwürfen im Falle von Fehleinschätzungen ausgesetzt zu sehen. Die BaFin achtet sorgfältig auf die Angemessenheit der Beurteilung der künftigen Risikotragfähigkeit und auf die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen, die dann Basis für strategische Entscheidungen des Unternehmens sind.

Nutzung für Unternehmenssteuerung

Der ORSA soll kein Pflichtprogramm gegenüber der Aufsicht sein, sondern ist – wie oben beschrieben – für die Unternehmenssteuerung zu nutzen. Die Unternehmen arbeiten weiterhin an der Implementierung angemessener ORSA-Prozesse und führen Risikomanagementprozesse, die sie unter Solvency I etabliert haben, mit dem ORSA zusammen. Auch die Kommunikation der ORSA-Ergebnisse an relevante Einheiten in den Unternehmen mit dem Ziel, diese bei wesentlichen Managemententscheidungen zu berücksichtigen, entwickelt sich fort.

Gleiches gilt für die Durchführung von ORSAs, die in Vorbereitung strategischer Entscheidungen durchzuführen sind. Ein solches Ad-hoc-ORSA sollte beispielsweise vor einer beabsichtigten Bestandsübertragung stattfinden – zumindest dann, wenn diese eine bedeutsame Auswirkung auf das Risikoprofil und damit die langfristige Risikotragfähigkeit erwarten lässt. Dabei kann die Festlegung hinreichend konkreter, Ad-hoc-ORSA auslösender Sachverhalte in den unternehmenseigenen ORSA-Leitlinien zuweilen im Konflikt mit den von den Unternehmen gewünschten Freiheitsgraden bei der ORSA-Durchführung stehen.

Ausblick

Der ORSA ist ein entscheidendes Instrument, mit dem sich Unternehmen und Aufsicht einen umfassenden Überblick über die aktuellen und künftigen Risiken und den entsprechenden Kapitalbedarf verschaffen. Die ORSA-Erkenntnisse werden zunehmend als Grundlage für strategische Managemententscheidungen genutzt. Die Aufsicht wird den Dialog mit den Versicherungsunternehmen fortsetzen, um den ORSA weiterzuentwickeln.

Jahreskonferenz der Versicherungsaufsicht

Am 26. Oktober 2016 trafen sich rund 250 Vertreter von Versicherungsunternehmen und Branchenverbänden in Bonn, um auf der traditionellen Jahreskonferenz der Versicherungsaufsicht über ihre ersten Erfahrungen mit Solvency II zu berichten. „Die Branche ist im neuen Aufsichtsregime angekommen“, lautete das positive Zwischenfazit von Dr. Frank Grund, Exekutivdirektor der Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht. Er merkte allerdings auch an, der Lernprozess sei bei Weitem noch nicht abgeschlossen. Gastredner Ulrich Leitermann, Vorsitzender der Vorstände der SIGNAL IDUNA-Gruppe, lobte die konstruktive Zusammenarbeit von Branche und Aufsicht. Gabriel Bernardino, Vorsitzender der europäischen Versicherungsaufsichtsbehörde EIOPA, rief in seinem Vortrag den europäischen Gedanken und damit ein gemeinsames Verständnis von Gesetzen und Aufsichtszielen in Erinnerung. Als essenzielle Ziele benannte er die Gewährleistung der Umsetzung der EU-Regulierung, die Etablierung einheitlicher Wettbewerbsbedingungen sowie einen vergleichbaren Verbraucherschutz in allen EU-Staaten. Podiumsdiskussionen über das Kapitalanlageverhalten der Versicherer unter Solvency II und über die Auswirkungen des neuen Aufsichtsregimes auf Verbraucherschutz und Versicherungsvertrieb rundeten das Veranstaltungsprogramm ab.

Anpassungen des rechtlichen Rahmens

Änderung der Delegierten Verordnung (EU) 2015/35

Die Europäische Kommission hat bereits im November 2014 eine Investitionsoffensive für Europa beschlossen. Ziel der Offensive ist es, den Versicherern, bei denen es sich um große institutionelle Anleger handelt, Investitionen in die Infrastruktur zu erleichtern. Daher sollte innerhalb des neuen Aufsichtsregimes Solvency II eine neue Anlageklasse für Infrastrukturinvestitionen mit verminderten Eigenmittelanforderungen geschaffen werden. Dazu musste die Delegierte Verordnung14 geändert werden (siehe Grafik 5 „Rechtsgrundlagen unter Solvency II“).

Grafik 5 Rechtsgrundlagen unter Solvency II

Rechtsgrundlagen unter Solvency II

Diese Grafik bietet einen Überblick über die Rechtsgrundlagen unter Solvency II (Level I bis Level III). Quelle: BaFin Rechtsgrundlagen unter Solvency II

Eine entsprechende Änderungsverordnung15 hat die Europäische Kommission am 1. April 2016 erlassen. Im Februar 2015 hatte die Kommission hierzu einen Call for Advice, ein Konsultationsersuchen, an EIOPA gerichtet. Ein besonderer Schwerpunkt sollte auf der Schaffung eines stärker vernetzten Binnenmarkts liegen. Die neue Anlageklasse sollte zudem nicht auf bestimmte Wirtschaftszweige oder physische Strukturen beschränkt werden, sondern alle Systeme und Netze umfassen, die grundlegende öffentliche Dienste erbringen und unterstützen.

Die Änderungsverordnung korrigiert auch redaktionelle Fehler der ursprünglichen Delegierten Verordnung. Außerdem machte sie eine Anpassung der Meldebögen für die Übermittlung von Informationen über Infrastrukturinvestitionen an die Aufsichtsbehörde erforderlich. Die Kommission hat auch hierzu nach öffentlicher Konsultation am 21. Oktober 2016 eine entsprechende Änderungsverordnung im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht.16

Überprüfung der Solvency-II-Standardformel

Die Europäische Kommission hat EIOPA Mitte Juli 2016 einen Call for Advice vorgelegt, in dem sie ihre Pläne für die Überprüfung der Standardformel nach Solvency II erläutert. Das Konsultationsersuchen der Kommission beruht im Wesentlichen auf dem Erwägungsgrund 150 aus der Delegierten Verordnung und auf einem zuvor von der Kommission durchgeführten Call for Evidence17, einer Sondierung, bei der die europäische Versicherungsbranche die Möglichkeit hatte, der Kommission Kritik und Verbesserungsvorschläge zur Standardformel begründet darzulegen.

Die Konsultation zu dem Call for Advice begann im Dezember 2016 und endete im März 2017. Im Laufe des Jahres 2018 soll die Kommission die Prüfung der Standardformel abschließen.

Aus Sicht der BaFin sind in erster Linie die folgenden Themen des Konsultationspapiers besonders wesentlich für den deutschen Markt:

  • Überprüfung des Zinsänderungsrisikomoduls
  • Vereinfachungen allgemeiner Natur
  • Vereinfachungen in bestimmten Risikomodulen (insbesondere Gegenparteiausfallrisiko, Katastrophenrisikomodul, Nicht-Leben-Stornorisiko)
  • Überprüfung und potenzielle Rekalibrierung von Risikofaktoren im Prämien- und Reserverisikomodul
  • potenzielle Erweiterung des Anwendungsbereichs für unternehmensspezifische Parameter
  • Überprüfung des Katastrophenrisikomoduls (insbesondere zu menschengemachten Katastrophenrisiken)
  • Überprüfung/Rekalibrierung des Volumenmaßes für das Prämienrisiko im Prämien- und Reserverisikomodul

Soweit wie möglich wurden bei der Überprüfung der Standardformel Daten aus den quantitativen Berichtsformularen (Quantitative Reporting Templates – QRTs) verwendet, um den zusätzlichen Aufwand für die nationalen Aufseher und insbesondere für die Unternehmen so gering wie möglich zu halten. Für einige wenige Analysen und potenzielle Rekalibrierungen brauchte EIOPA jedoch zusätzliche Daten der (Rück-)Versicherungsunternehmen.

Die BaFin hat diese Daten bei allen unter Solvency II fallenden Unternehmen abgefragt. Die Unternehmen hatten bis zum 29. März 2017 Zeit, sie bei der BaFin einzureichen.

Eine Teilnahme an dieser Datenerhebung war für die Unternehmen zwar rechtlich nicht verpflichtend, lag jedoch auch im Interesse der deutschen Versicherungsbranche. Dank der Daten deutscher (Rück-)Versicherer kann deren Risikoprofil in der europäischen Standardformel besser berücksichtigt werden. Die BaFin hat den Unternehmen daher eine Teilnahme nahegelegt.

Überarbeitung der Methodik zur Bestimmung der Ultimate Forward Rate

Seit Inkrafttreten von Solvency II bewerten alle (Rück-)Versicherer ihre versicherungstechnischen Rückstellungen mit einer einheitlichen, von EIOPA berechneten und von der Europäischen Kommission erlassenen risikolosen Zinsstrukturkurve. Diese basiert auf Marktdaten zu Swap- und Bondzinssätzen. Zinsen für Laufzeiten, zu denen keine verlässlichen Marktdaten mehr verfügbar sind, werden durch Extrapolation festgelegt, die auf einem langfristigen Terminzinssatz basiert, der Ultimate Forward Rate (UFR).

Im März 2015 hat EIOPA beschlossen, die Methodik zur Bestimmung der UFR zu überarbeiten. Hauptkritikpunkt war, dass die Rohdaten und die Details der Methodik privat und nicht per Lizenz verfügbar waren. EIOPAs Ankündigung zu den Arbeiten an der UFR folgte unmittelbar auf die Einführung der monatlichen Veröffentlichung der risikofreien Zinsstrukturkurven.

Nach der ersten Konsultation im Sommer 2015 hat EIOPA die Methodik neu definiert. Basis dafür sind Daten der Kommission (Annual macro-economic database – AMECO) und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development). Die neue Methodik sieht eine UFR als Summe des Inflationsziels der jeweiligen Zentralbank und eines Mittelwertes aus historischen Daten zu Realzinsen vor. Sie liefert UFR-Werte, die unterhalb der Werte der alten Methodik liegen. Die vorgeschlagene UFR-Methodik wurde von April bis Juli 2016 konsultiert.

Zentrale Kritik in den Konsultationskommentaren: Der UFR mangele es an Stabilität, wie sie in Artikel 47 der Delegierten Verordnung 2015/35 gefordert wird.

Das Board of Supervisors von EIOPA hat sich Ende März 2017 auf einen Kompromiss für die neue Methodik verständigt, der die Interessen der verschiedenen Länder ausgleichen soll. Gegenüber dem konsultierten Entwurf wurden einige stabilisierende Elemente aufgenommen.

Die neue Methodik soll ab 2018 zur Berechnung der risikolosen Zinsstrukturkurve angewendet werden. Die Europäische Kommission kann dann im Wege eines Durchführungsrechtsakts die von EIOPA errechnete Zinskurve für rechtlich verbindlich erklären.

Fußnoten:

  1. 1 Vgl. HGB und Solvency II: Unterschiede im Berichtswesen.
  2. 2 Own Risk and Solvency Assessment (unternehmenseigene Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung).
  3. 3 Vgl. HGB und Solvency II: Unterschiede im Berichtswesen.
  4. 4 Das Kürzel SCR steht für Solvency Capital Requirement.
  5. 5 Vgl. Umsetzung der Richtlinie über den Versicherungsvertrieb.
  6. 6 Vgl. Informationsblätter.
  7. 7 Vgl. Globale Eigenmittelstandards.
  8. 8 Vgl. Delegierte Verordnung (EU) 2015/35, ABl. EU L 12/1.
  9. 9 Vgl. Durchführungsverordnung (EU) 2015/2450, ABl. EU L 347/1, Durchführungsverordnung (EU) 2015/2452, ABl. EU L 347/1285.
  10. 10 Es handelt sich bei der Solvabilitätsübersicht um eine Aufstellung der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten vergleichbar einer Bilanz.
  11. 11 Leitlinien über die Berichterstattung und die Veröffentlichung und die Leitlinien zu den Methoden für die Bestimmung von Marktanteilen für die Berichterstattung.
  12. 12 RL 2009/138/EG, ABl. EU L 335/1.
  13. 13 Vgl. ORSA in der Unternehmenssteuerung.
  14. 14 Delegierte Verordnung (EU) 2015/35.
  15. 15 Delegierte Verordnung (EU) 2016/467, ABl. EU L 85/6.
  16. 16 Durchführungsverordnung (EU) 2016/1868, ABl. EU L 286/35.
  17. 17 http://ec.europhtta.eu/finance/consultations/2015/financial-regulatory-framework-review/index_en.htm.

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