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Thema: Kostentransparenz und Product Governance

Beitrag aus dem Jahresbericht 2016 der BaFin

Meinung: Elisabeth Roegele zur Product Governance

Unter dem Begriff „Product Oversight and Governance“ (POG) werden neue Regelungen zusammengefasst, die nahezu die gesamte Finanzbranche berühren. Der europäische Gesetzgeber hat mit der POG einen Paradigmenwechsel vollzogen, denn die Organisationsanforderungen mit Kundenbezug und Anlegerschutzregelungen konzentrierten sich bislang im Wesentlichen auf den Vertriebsprozess und den Zeitpunkt, zu dem eine Dienstleistung gegenüber dem Kunden erbracht wird. Die neuen Normen bilden den gesamten Lebenszyklus der betroffenen Finanzprodukte ab: von der Wiege bis zur Bahre – von der Produktherstellung über die Produktbeobachtung im Nachgang zum Vertrieb bis zum Ende des Produktes – zum Beispiel bei Rückzahlung und bei Laufzeitende.

Am umfassendsten wurde das Thema POG bislang in der Wertpapierregulierung aufgegriffen – und zwar in der MiFID II1, der Novelle der Finanzmarktrichtlinie, die vom 3. Januar 2018 an angewendet werden soll. In der MiFID II finden sich unter dem verkürzten Schlagwort Product Governance zahlreiche Vorgaben für Finanzinstrumente bzw. strukturierte Einlagen.

Bekenntnis zu mehr Anlegerschutz

Mit den Product-Governance-Vorschriften in Artikel 16 Absatz 3 und Artikel 24 Absatz 2 der MiFID II hat sich der europäische Gesetzgeber zu einem deutlichen Mehr an Anlegerschutz bekannt. Der deutsche Gesetzgeber hatte mit dem Kleinanlegerschutzgesetz vom Juli 2015 bereits einige dieser Regelungen vorweggenommen. Das Gesamtpaket der europäischen Vorgaben wird nun mit dem zweiten Finanzmarktnovellierungsgesetz – soweit erforderlich – in deutsches Recht umgesetzt. Hersteller von Finanzprodukten und die vertreibenden Stellen müssen künftig entsprechende Prozesse implementieren.

Kundeninteressen als Maßstab

Die MiFID II erhebt die Kundeninteressen zum wesentlichen Maßstab, an dem sich ein Produkt und die begleitende Vertriebsstrategie künftig messen lassen müssen. Ob den Kundeninteressen genügt wird, hängt allerdings von vielen verschiedenen, zum Teil veränderbaren Faktoren ab, wie beispielsweise dem Adressatenkreis und der aktuellen Marktlage. Zudem lassen sich Kundeninteressen nur dann umfassend wahren, wenn sie sowohl bei der Herstellung als auch beim Vertrieb des Produktes berücksichtigt werden und sich Herstellung und Vertrieb dabei aufeinander abstimmen und ergänzen. So wird nicht nur der Produktfreigabeprozess beim Hersteller sondern auch der äquivalente Prozess zur Aufnahme eines Produktes in das Produktuniversum eines Vertriebsunternehmens zahlreiche Prozessschritte enthalten müssen, mit deren Hilfe die Wahrung der Kundeninteressen und die Tauglichkeit des Produktes für die Bedürfnisse der jeweiligen Kundengruppe sichergestellt werden können. Darüber hinaus bedarf es eines Beobachtungsprozesses, mit dem die Entwicklung des Produktes kontinuierlich verfolgt wird, und eines Überarbeitungsprozesses, mit dem Produkte und Vertriebsstrategien – wenn erforderlich – im Nachgang angepasst werden können.

Produktfreigabeverfahren

Konkret führen die Product-Governance-Vorgaben dazu, dass Hersteller (Manufacturer) im Anwendungsbereich der MiFID II künftig ein Produktfreigabeverfahren einrichten und regelmäßig überprüfen müssen. Kein Produkt darf zum Vertrieb freigegeben werden, ohne dieses Verfahren durchlaufen zu haben. Das Verfahren soll darüber hinaus sicherstellen, dass die Hersteller die Charakteristika und Risiken der von ihnen hergestellten Produkte und deren Bedeutung für den Endkunden hinreichend verstehen und berücksichtigen. Zudem zielt das Produktfreigabeverfahren darauf ab, dass das Management mehr Verantwortung für die eigenen Produkte übernimmt. Dies ist zum Beispiel möglich, indem wichtige Entscheidungen innerhalb des Verfahrens der Unternehmensleitung vorbehalten werden.

Zielmarkt bestimmen

Kernstück des Produktfreigabeverfahrens ist es, einen Zielmarkt für das Produkt zu bestimmen, bevor es an Endkunden vertrieben wird. Hierzu müssen u.a. die Anlageziele des Endkunden sowie seine Fähigkeit, mögliche Verluste tragen zu können, berücksichtigt werden. Des Weiteren sind alle relevanten Risiken des Produkts zu bewerten – insbesondere das Verlust- und Ausfallrisiko sowie das Wertschwankungsrisiko. Darüber hinaus muss das Wertpapierdienstleistungsunternehmen sicherstellen, dass die beabsichtigte Vertriebsstrategie dem Zielmarkt entspricht. Mit dieser Vorgabe zur Festlegung des Zielmarktes soll ein gewisses Umdenken bei Herstellern und Vertrieb erreicht werden. Es ist ebenso selbstverständlich wie legitim, dass Hersteller und Vertriebsunternehmen Gewinne erzielen wollen. Mit der Fokussierung auf den Zielmarkt soll aber verhindert werden, dass diese Interessen schon den Produktherstellungsprozess so sehr beherrschen, dass die Interessen der Endkunden aus dem Blick geraten. Da künftig bereits zu Beginn des Herstellungsprozesses festgelegt werden muss, für welche Kunden das Produkt gedacht ist, wird deren Bedürfnissen besonderes Gewicht verliehen.

Konvergenz in Europa

Um eine europaweite Konvergenz bei der Anwendung dieser Vorgaben zu gewährleisten, hat die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA (European Securities and Markets Authority) in ihrem Entwurf für Product-Governance-Leitlinien vom Oktober 20162 den Pflichtenkreis von Herstellern und Vertrieb im Hinblick auf den Zielmarkt konkreter gezeichnet. Demnach müssen die Hersteller den Zielmarkt mindestens nach den folgenden sechs Kriterien bewerten, wobei die Detailtiefe der Prüfung – abhängig von der Komplexität des Produkts und dem beabsichtigten Vertriebsweg – variieren kann: Einzubeziehen sind die Kundenkategorie – Privatkunde, professioneller Kunde oder geeignete Gegenpartei –, die Kenntnisse und Erfahrungen, die finanzielle Situation des Kunden und seine Fähigkeit, mögliche Verluste zu tragen. Angesichts des Risiko- und Ertragsprofils des Produkts muss zudem die Risikotoleranz des Zielkunden bestimmt werden. Letztendlich gehören zu den Mindestkriterien auch die Anlageziele und die Bedürfnisse des Endkunden. Denkbar wäre zum Beispiel, dass ein Anleger seine Altersvorsorge mittels ethisch unbedenklicher Anlageprodukte gestalten möchte.

Zielmarktbestimmung des Vertriebs

Um die erforderliche Verzahnung von Produktherstellung und Vertrieb (Distributor) zu erreichen, sind Hersteller künftig verpflichtet, Informationen aus ihrem Produktfreigabeverfahren – insbesondere über den Zielmarkt – an die Vertriebsunternehmen zu übermitteln. Vom Vertrieb wird erwartet, dass dieser den vom Hersteller vorgegebenen Zielmarkt kritisch prüft, angesichts seines Kundenstamms konkretisiert und dann praktisch umsetzt, dass er also ein Produkt, abgesehen von besonders begründeten Fällen, nur an Kunden vertreibt, die als Zielkunden ausgewiesen sind. Zusätzlich zu der bei der Anlageberatung geforderten Geeignetheitsprüfung oder der im beratungsfreien Geschäft für komplexere Produkte erforderlichen Angemessenheitsprüfung muss der Vertrieb daher für seinen Kunden feststellen, ob dieser zu dem festgelegten Zielmarkt gehört.

Die Zielmarktbestimmung als ein zentrales Element der Product Governance war dem europäischen Gesetzgeber so wichtig, dass er sie auch auf Produkte erstreckt, die nicht den Herstellervorgaben der MiFID II unterliegen. Für diese Fälle ordnet er gewissermaßen eine ersatzweise Verantwortlichkeit der Vertriebsunternehmen an, die in diesen Fällen nicht auf Informationen aus dem Produktfreigabeverfahren des Herstellers zurückgreifen können: Möchte ein Vertriebsunternehmen Produkte anbieten, ohne dass der Hersteller des Produkts einen Zielmarkt vorgegeben hat, weil dieser den Vorschriften der MiFID II bzw. des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) nicht unterworfen ist, muss das Vertriebsunternehmen den Zielmarkt eigenständig bestimmen. Liefert ein Drittstaatenunternehmen die erforderlichen Informationen nicht, könnten diese beispielsweise aus verlässlichen öffentlich zugänglichen Quellen wie etwa einem Wertpapierprospekt entnommen werden. Dies wäre etwa denkbar bei Aktien oder Unternehmensanleihen, die in einem Drittstaat emittiert wurden und in Europa im Rahmen eines reinen Ausführungsgeschäfts gehandelt werden sollen.

Lebenslange Produktüberwachungspflichten

Die neuen Product-Governance-Regeln begründen produktlebenslange Überwachungspflichten für Hersteller und Vertrieb. Die Verantwortung für das Produkt endet also nicht am Point of Sale sondern erstreckt sich künftig auch auf die Folgen für Anleger und das Finanzsystem, die sich daraus ergeben, dass Hersteller und Vertrieb ein Produkt gemeinsam in Verkehr gebracht haben. Ziel dieser Überwachungspflichten ist es, dass Unternehmen frühzeitig erkennen können, wenn sich die Produktmerkmale in ihrem Markt- und Kundenumfeld entgegen den Kundeninteressen entwickeln.

Da eine effektive Überwachung entsprechende Informationen über das Produkt erfordert, liegt ein weiterer Schwerpunkt der neuen Vorgaben auf den Kommunikationsprozessen zwischen Hersteller und Vertrieb. So empfangen Vertriebsunternehmen einerseits die Informationen des Herstellers aus dem Produktfreigabeverfahren. Andererseits senden sie zur Produktüberwachung geeignete Informationen an den Hersteller zurück (z.B. Erfahrungen mit dem Produkt, etwaige Beschwerden, Zielmarkterreichung). Ergeben dieser Austausch oder eigene Analysen des Herstellers oder Vertriebs relevante Veränderungen die sich negativ auf Produkte auswirken können, müssen angemessene Maßnahmen ergriffen werden. Dies können zum Beispiel die Information von Kunden und die Anpassung der Vertriebsstrategie sein.

Rolle der BaFin

Die BaFin gestaltet die Arbeiten der ESMA rund um das europäische Gesetzgebungsverfahren und die Bildung einer einheitlichen europäischen Verwaltungspraxis aktiv mit. So führt sie eine Vielzahl von bi- und multilateralen Gesprächen mit Verbandsvertretern und Verbraucherschützern und thematisiert das Product-Governance-Konzept der MiFID II in öffentlichen Vorträgen. Bei ihrer Aufsicht wird die BaFin die organisatorische Umsetzung der Product-Governance-Regeln in den Wertpapierdienstleistungsunternehmen eng begleiten und – mit Augenmaß – darauf achten, dass das wesentliche Anliegen dieser Neuerung – nämlich die frühestmögliche Vermeidung von Konflikten mit Kundeninteressen – verwirklicht wird. Gewünschte Nebenwirkung: Die Risiken für die Unternehmen sinken und der europäische und der deutsche Finanzmarkt und ihre Akteure werden gestärkt.

Fazit

Die neuen Vorschriften zur Product Governance, insbesondere die Vorgaben zum Zielmarkt und das jetzt geforderte enge Zusammenwirken von Hersteller und Vertrieb, ergänzen die bereits bestehenden Wohlverhaltensregeln und stärken damit den kollektiven Schutz der Verbraucher. Zudem ergänzen die Vorgaben zur Product Governance die aufgrund der Vorwegnahme durch das Kleinanlegerschutzgesetz schon jetzt bestehenden Befugnisse der BaFin zur Produktintervention: Eine präzise und korrekte Bestimmung des Zielmarktes durch Hersteller und Vertrieb kann – als interne Kontrolle – sicherstellen, dass Finanzinstrumente nur an die passenden Zielgruppen vertrieben werden.

Informationspflichten und Kostentransparenz

Eine Kommunikation auf Augenhöhe zwischen Wertpapierdienstleistungsunternehmen und Kunden – das will der Anlegerschutz mit Hilfe von Wohlverhaltensregeln ermöglichen, ohne aber den Verbraucher zu entmündigen. Leitbild auf nationaler wie auf europäischer Regulierungsebene ist nach wie vor der informierte und eigenverantwortlich handelnde Verbraucher. Darüber hinaus erlangen andere, beispielsweise verhaltenspsychologische Aspekte, mehr und mehr an Bedeutung. Aus diesem Grund werden die Informationspflichten der Unternehmen in der Finanzmarktrichtlinie MiFID II teilweise deutlich ausgeweitet. Ein Schwerpunkt der neuen Regelungen ist die Transparenz der Kosten, die mit einer Wertpapierdienstleistung verbunden sind.

Das heutige Wertpapierhandelsgesetz (WpHG)3 sieht entsprechend der MiFID I bereits eine detaillierte Kostenoffenlegung vor. Diese betrifft jedoch eher den Gesamtpreis, den der Kunde zu zahlen hat; die anfallenden einmaligen und laufenden Kosten stehen bislang weniger im Fokus. Das soll sich nun ändern. Ein weiterer Punkt: Viele Anbieter haben in der Vergangenheit Informationen zu Preisen und Gebühren über zahlreiche Dokumente (zum Beispiel das Preis- und Leistungsverzeichnis, die Basisinformationen oder den Beratungsvertrag) verteilt und nur durch Verweise miteinander verbunden, was ihr Verständnis umso schwerer macht.

Gesamtsumme ausweisen

Nach Artikel 24 Absatz 4c MiFID II sollen künftig grundsätzlich alle Kosten und Gebühren von Produkt und Wertpapierdienstleistung in einer Gesamtsumme zusammengefasst werden. Eine Regelung, die Verbraucherschützer begrüßen. Dieser Kostenausweis erfolgt dabei sowohl vor Erbringung der jeweiligen Dienstleistung (ex-ante) als auch – soweit erforderlich – im Nachgang (ex-post). Die Vorabangaben dürfen, soweit sie nicht genau bestimmt werden können, möglichst genau geschätzt oder auf Modellrechnungen gestützt werden. Die nachträglichen Angaben müssen sich auf die tatsächlich angefallenen Kosten beziehen. Damit der Kunde das Gesamtergebnis im Auge behalten kann, müssen neben ex-ante- und ex-post-Angaben auch die Auswirkungen der Kosten auf die Rendite erläutert werden.

Darstellung komplexer

Insgesamt wird die Darstellung der Kosten mit ihren detaillierten Angaben zu den verzweigten Kostenstrukturen auch innerhalb der Produkte und Dienstleistungen, Szenarien und Diagramme transparenter, damit aber auch komplexer. Besonders deutlich wird dies am Zusammenspiel mit der Kostendarstellung nach der PRIIPs-Verordnung, der Verordnung über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte (Packaged Retail Insurance Investment Products)4. Gemeinsam mit anderen Aufsichtsbehörden, unter anderem der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA (European Securities and Markets Authority), arbeitet die BaFin daran, dass die Angaben nach den beiden Regelwerken praktikabel und verständlich bleiben. Ein vollständiger Gleichlauf wird sich hierdurch aber kaum erzielen lassen: Dies liegt vor allem auch an Aspekten, die durch die PRIIPs-Verordnung nicht abgedeckt werden, die aber nach den MiFID-II-Regelungen Bestandteil der Kostentransparenz sein müssen. Ein Beispiel hierfür sind die Kosten der Dienstleistung.

Fußnoten:

  1. 1 Markets in financial instruments directive. RL 2014/65/EU, ABl. EU L 173/349.
  2. 2 Consultation Paper on Draft guidelines on MiFID II product governance requirements (die zum Redaktionsschluss vorliegende Fassung).
  3. 3 § 31 Absatz 3 Satz 3 Nr. 4 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) in Verbindung mit § 5 Absatz 2 Nr. 5 der Wertpapierdienstleistungs-Verhaltens- und Organisationsverordnung (WpDVerOV).
  4. 4 Verordnung (EU) Nr. 1286/2014, ABl. EU L 352/1.

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