BaFin - Navigation & Service

Erscheinung:15.12.2015 | Thema Sanierung/Abwicklung Bankenabwicklung: Vorrang nicht bail-in-fähiger Verbindlichkeiten in der Insolvenz erleichtert das Verfahren

Wie stark die Insolvenz eines Kreditinstituts die Finanzmärkte erschüttern kann, hat der Kollaps der US-Investmentbank Lehman gezeigt. Seit der Finanzkrise arbeiten Regulierer daher national und international unter Hochdruck daran, Banken widerstandsfähiger und die Finanzmärkte stabiler zu machen. Banken dürfen beispielsweise nicht mehr zu groß zum Scheitern sein (Too Big to Fail), und Steuerzahler sollen nicht mehr die Rechnung für das Scheitern eines Instituts zahlen müssen.

Es muss daher möglich sein, systemrelevante Institute geordnet abzuwickeln, also solche, die aufgrund ihrer Größe, Vernetzung oder Geschäftstätigkeit kritische Funktionen für die Finanzstabilität ausüben. Das Ziel ist, die kritischen Funktionen zumindest vorübergehend aufrechterhalten zu können, um eine Ansteckung innerhalb des Finanzsystems und der Realwirtschaft zu vermeiden. Ein reguläres Insolvenzverfahren könnte dies nicht gewährleisten. Es birgt zudem die Gefahr, dass Vertrauen am Markt zerstört wird und dadurch Vermögenswerte vernichtet werden.

Vorteil geordneter Abwicklung

Eine geordnete Abwicklung indes bietet den Vorteil, dass kritische Funktionen einer strauchelnden Bank weitergeführt und von den unkritischen getrennt werden. Hierfür muss das Institut selbst oder eine Brückenbank, auf die solche Funktionen übertragen werden, rekapitalisiert werden. Um zerstörtes Marktvertrauen wiederherzustellen, muss dies schnell geschehen. Rekapitalisierung und Trennung der Funktionen finden in der Regel an einem Wochenende statt, damit eine funktionstüchtige und ausreichend kapitalisierte Bank bereit steht, wenn am Montag darauf die Märkte wieder eröffnen.

Für diese Zwecke bedarf es zusätzlich zu den regulatorischen Eigenmitteln einer Kapitalschicht, die man bei einer Abwicklung heranziehen kann, um Verluste aufzufangen und das Institut zu rekapitalisieren. Die Europäische Union hat daher für alle Institute die Mindestanforderung an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten (Minimum Requirement of Eligible LiabilitiesMREL) geschaffen, die in der europäischen Sanierungs- und Abwicklungsrichtlinie (Bank Recovery and Resolution DirectiveBRRD) verankert ist. Deutschland hat die BRRD durch das Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG) umgesetzt.

Der Finanzstabilitätsrat FSB hat für eine bessere Verlustabsorptionsfähigkeit global systemrelevanter Institute einen weltweit gültigen Mindeststandard eingeführt (Total Loss Absorbing CapacityTLAC), der an die Qualität des zusätzlichen Kapitals einen noch etwas strengeren Maßstab anlegt.

MREL und TLAC
MREL: Das Kürzel MREL steht für Minimum Requirement of Eligible Liabilities (Mindestanforderung an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten). Diese Quote an Eigenmitteln und Verbindlichkeiten, die für eine Umwandlung in Eigenkapital (Bail-in) geeignet sind, muss ein Institut vorhalten. MREL tritt am 1. Januar 2016 in Kraft.
TLAC: Die Total Loss-Absorbing Capacity – kurz TLAC – ist eine einheitliche Mindestquote für die Verlustabsorptionsfähigkeit global systemrelevanter Institute. TLAC setzt sich zusammen aus den Eigenmittelanforderungen nach Basel III und Verbindlichkeiten mit besonderer Eignung für die Umwandlung in Eigenkapital. TLAC tritt am 1. Januar 2019 in Kraft.

Verbindlichkeiten umwandeln

MREL und TLAC verlangen von einem Institut, dass es über seine Eigenmittel hinaus in ausreichendem Maße Verbindlichkeiten vorhält, die bei seinem Scheitern abgeschrieben oder in Eigenkapital umgewandelt werden können. Dadurch lassen sich Verluste ausgleichen, die über die regulatorischen Eigenmittel hinausgehen. Zudem kann man das Institut oder ein Brückeninstitut auf diese Weise rekapitalisieren, um es geordnet abzuwickeln.

Die Möglichkeit, Verbindlichkeiten in Eigenkapital umzuwandeln, stellt das Instrument der Gläubigerbeteiligung (Bail-in) zur Verfügung, das in der EU mit der BRRD eingeführt worden ist.

Risiken beim Bail-in

Ein Bail-in muss aber nicht nur rechtlich möglich, sondern auch praktisch durchführbar sein. Er muss in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit, dem sprichwörtlichen Abwicklungswochenende, zu bewältigen sein. Der Teufel steckt im Detail. Etwa bei Derivaten und strukturierten Anleihen: Da ihnen komplexe Verträge zugrunde liegen, ist es in der knappen Zeit kaum möglich, die Verbindlichkeiten und bilanziellen Gegenpositionen erschöpfend zu bewerten, was vor jedem Bail-in erforderlich ist. Außerdem kann der Bail-in nur auf Verbindlichkeiten angewendet werden, deren Umwandlung nicht ihrerseits neue Ansteckungs- oder Systemrisiken birgt. Beim Bail-in von Sichteinlagen großer Unternehmen beispielsweise können solche Risiken entstehen. Große Firmen nutzen diese Einlagen häufig, um ihre Liquidität zu steuern. Eine Umwandlung der Verbindlichkeiten in Eigenkapital könnte erheblichen Schaden verursachen und zu Kettenreaktionen im Finanzsystem und in der Realwirtschaft führen.

Daher ist es sinnvoll, Verbindlichkeiten, die mit den genannten Schwierigkeiten und Risiken verbunden sind, beim Bail-in zunächst nicht zu berücksichtigen. Erst wenn die übrigen Verbindlichkeiten für die Verlustdeckung und Rekapitalisierung nicht ausreichen, sollte darauf zurückgegriffen werden.

Rangfolge der Verbindlichkeiten

Dabei steht die Abwicklungsbehörde jedoch vor einem weiteren Problem: Die genannten, aber auch weitere Verbindlichkeiten, die beim Bail-in Schwierigkeiten bereiten, stehen in der insolvenzrechtlichen Rangfolge bisher auf einer Stufe mit anderen Verbindlichkeiten, die gut für einen Bail-in geeignet sind. Hierzu gehören langfristige unbesicherte Schuldtitel, wie Anleihen, Namensschuldverschreibungen und Schuldscheindarlehen, sofern sie kein derivatives Element besitzen.

Das in der BRRD und im SAG verankerte Pari-Passu-Prinzip verlangt jedoch, gleichrangige Verbindlichkeiten auch mit gleichem Anteil am Bail-in zu beteiligen. Die Abwicklungsbehörde kann allerdings in besonderen Fällen Ausnahmen zulassen. Wesentlich problematischer ist daher eine mögliche Verletzung des ebenfalls in BRRD und SAG festgelegten Prinzips, dass kein Gläubiger in der Abwicklung schlechter gestellt werden darf, als er in einem regulären Insolvenzverfahren gestellt würde (No-Creditor-Worse-offNCWO).

Werden aber insolvenzrechtlich gleichrangige Gläubiger langfristiger unbesicherter Schuldtitel aus den oben genannten Gründen beim Bail-in vorrangig herangezogen, könnten sie dadurch höhere Verluste erleiden als in einem Insolvenzverfahren. Zwar hätten sie dann Schadensersatzansprüche, die nach den Bestimmungen der BRRD und des SAG der Europäische Abwicklungsfonds nach den gesetzlichen Bestimmungen ausgleichen müsste. Damit würden aber Ressourcen gemindert, die benötigt werden, um die Abwicklung von Instituten zu finanzieren.

Gesetzliche Neuregelung

Auf Anregung der BaFin hat daher der Gesetzgeber mit dem Abwicklungsmechanismusgesetz (AbwMechG) in § 46f des Kreditwesengesetzes (KWG) die Rangfolge von Verbindlichkeiten bei Bankeninsolvenzen geändert. Innerhalb der Klasse der nichtnachrangigen Gläubiger nach § 38 Insolvenzordnung (InsO) werden ab 1. Januar 2017 zuerst die Verbindlichkeiten bedient, die für einen Bail-in ungeeignet sind. Erst danach sind die Verbindlichkeiten an der Reihe, die für einen Bail-in besonders gut geeignet sind, also die oben genannten langfristigen unbesicherten Schuldtitel. Diese haben jedoch weiterhin Vorrang vor den Verbindlichkeiten des § 39 InsO, also insbesondere vor vertraglichen Nachrangmitteln.

Dank der Neuregelung werden Verbindlichkeiten, die für den Bail-in geeignet sind, und Verbindlichkeiten, die für den Bail-in ungeeignet sind, in der Insolvenz nun genauso behandelt wie bei einer Abwicklung. Das NCWO-Prinzip wird somit nicht verletzt. Dadurch lassen sich Banken deutlich einfacher abwickeln.

Insolvenzrangfolge

Insolvenzrangfolge BaFin

Eingriff in bestehende Rechte

Weil man die Abwicklungsfähigkeit der Institute unmittelbar verbessern will, gilt diese Regelung auch für bereits emittierte langfristige unbesicherte Schuldtitel. Das allerdings ist nicht unproblematisch. Die Regelung greift in bestehende Gläubigerrechte ein. Das neue Rangverhältnis bestand zum Zeitpunkt der Emission noch nicht und wurde deshalb auch nicht im Emissionspreis berücksichtigt. Die vorrangige Bedienung anderer Verbindlichkeiten könnte etwa nachträglich die Anforderungen an die Eigenmittelunterlegung für Investitionen in solche Schuldtitel erhöhen – etwa für Versicherer oder Institute, die solche Schuldtitel halten.

Eingriffe in Gläubigerrechte sind allerdings zulässig, wenn andere Rechtsgüter, wie etwa die Abwicklungsfähigkeit und die Finanzstabilität, als höherrangig einzustufen sind. Namhafte Ratingagenturen haben außerdem angekündigt, die gesetzliche Neuregelung nicht zum Anlass zu nehmen, das Rating dieser Schuldtitel herabzustufen. Ausschlaggebend für ihr Rating sei in erster Linie die Ausfallwahrscheinlichkeit des Emittenten; diese bleibe unverändert. Eine Beurteilung, die bei der Bewertung höherer Eigenmittelanforderungen eine Rolle spielen dürfte.

Kleinanleger nicht benachteiligt

Dass Derivate und strukturierte Kapitalinstrumente nun insolvenzrechtlich Vorrang vor einfachen Anleihen haben, sehen Kritiker als Bevorzugung von spekulativen institutionellen Anlegern gegenüber den Kleinanlegern. Doch dieses Argument ist nicht überzeugend, denn Kleinanleger halten nur in geringem Umfang langfristig unbesicherte Schuldtitel. Dagegen entfällt ein großer Teil der strukturierten Anleihen, die wegen ihres derivativen Charakters nun bevorzugt bedient werden, auf Indexzertifikate, die bei Kleinanlegern sehr beliebt sind. Auch wird diese Anlegergruppe bereits durch den insolvenzrechtlichen Vorrang ihrer Einlagen bevorzugt behandelt. Die nationale Einlagensicherung muss gedeckte Einlagen bis 100.000 Euro erstatten. Zudem werden Einlagen von Kleinanlegern aus der Insolvenzmasse, soweit sie ausreicht, vor den anderen Verbindlichkeiten zurückzahlt. Dieser Vorrang wurde bereits durch die BRRD und ihre Umsetzung in § 46f KWG etabliert.

Schließlich sichert der Gesetzgeber mit der Regelung nur rechtlich ab, was bei einer Abwicklung mit hoher Wahrscheinlichkeit ohnehin geschieht, nämlich dass komplexe und ansteckungsgefährdende Verbindlichkeiten vom Bail-in ausgeschlossen werden. Das SAG und die europäische Verordnung für einen einheitlichen Abwicklungsmechanismus (Single Resolution MechanismSRM) innerhalb des Euroraums (SRM-Verordnung) sehen nämlich vor, dass bestimmte Verbindlichkeiten generell vom Bail-in ausgenommen sind (§ 91 Absatz 2 SAG beziehungsweise Artikel 27 Absatz 3 SRM-Verordnung) oder im Einzelfall von der Abwicklungsbehörde ausgenommen werden können (§ 92 SAG beziehungsweise Artikel 27 Absatz5 SRM-Verordnung). Damit kann die Abwicklungsbehörde zwar eine Verletzung des Pari-Passu-Prinzips vermeiden, nicht jedoch das Risiko, gegen das NCWO-Prinzip zu verstoßen. Dieses Risiko wird nun aber durch die gesetzliche Neuregelung nahezu ausgeschlossen.

Notenbankfähigkeit

Offen bleibt allerdings, wie sich die insolvenzrechtlich vorrangige Bedienung anderer Verbindlichkeiten auf die Notenbankfähigkeit langfristiger unbesicherter Schuldtitel deutscher Banken auswirkt. So schließen die Leitlinien der Europäischen Zentralbank (EZB) zur Notenbankfähigkeit aus, dass Schuldinstrumente nachrangig zu anderen Schuldinstrumenten desselben Emittenten sein dürfen. Auf den ersten Blick spricht dies dafür, dass langfristige unbesicherte Schuldtitel deutscher Banken nicht mehr notenbankfähig sein können.

Notenbankfähigkeit
Notenbankfähig sind Schuldtitel, die die Europäische Zentralbank (EZB) als Sicherheiten akzeptiert, wenn sich Banken bei ihr über Refinanzierungsgeschäfte Geld leihen. Hintergrund: Die Sicherheiten sollen eine ausreichende Qualität haben, damit die Verluste der EZB möglichst gering sind, wenn eine Bank ausfällt und die entliehenen Mittel nicht zurückzahlen kann.

Auf den zweiten Blick wäre es gleichwohl folgerichtig, die Notenbankfähigkeit anzuerkennen. In der insolvenzrechtlichen Hierarchie ändert sich die Position langfristiger unbesicherter Schuldtitel nämlich nicht. Sie stehen in der Rangfolge weiterhin unmittelbar vor den nachrangigen Verbindlichkeiten des § 39 InsO. Allerdings spaltet sich die Klasse der nichtnachrangigen Verbindlichkeiten (§ 38 InsO) nun auf in nicht bail-in-fähige Forderungen, die vorrangig zu bedienen sind, und anschließend zu bedienende langfristige unbesicherte Schuldtitel. Für diese ist dadurch im Insolvenzfall zwar die Verlustquote höher. Anstatt ihnen aber die Notenbankfähigkeit völlig zu versagen, könnte die EZB einen höheren Sicherheitsabschlag bei den Refinanzierungsgeschäften in Erwägung ziehen.

Hinweis

Der Beitrag gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im BaFinJournal wieder und wird nicht nachträglich aktualisiert. Bitte beachten Sie die Allgemeinen Nutzungsbedingungen.

Autor: Ingo Wallenborn, BaFin

Zusatzinformationen

Fanden Sie den Beitrag hilfreich?

Wir freuen uns über Ihr Feedback

Es hilft uns, die Webseite kontinuierlich zu verbessern und aktuell zu halten. Bei Fragen, für deren Beantwortung wir Sie kontaktieren sollen, nutzen Sie bitte unser Kontaktformular. Hinweise auf tatsächliche oder mögliche Verstöße gegen aufsichtsrechtliche Vorschriften richten Sie bitte an unsere Hinweisgeberstelle.

Wir freuen uns über Ihr Feedback